Am Arbeitsgericht:
Outsourcing eines Krankenhauses.

Vor dem Arbeitsgericht erschienen als Klägerin die Krankenschwester R. mit Rechtsanwalt - sie ist Anfang Fünfzig, im himmelblauen Anorak und in ihrer Hand ein hellroter Beutel, der mit kleinen Teddybärchen verziert ist – und als Beklagter erschien der Vertreter einer „Medizinischen Pflege-GmbH“ mit Rechtsanwalt.

Frau R. war nach 29 Arbeitsjahren als Krankenpflegerin an einer Privatklinik betriebsbedingt gekündigt worden. Sie klagt gegen den Kündigungsgrund, weil nach ihrer Auffassung die Klinik weiterbetrieben wurde wie bisher.
Der Richter findet jedoch „keinen Anhaltspunkt, dass ihre betriebsbedingte Kündigung nicht gerechtfertigt“ sei. Ihr früherer Arbeitgeber, die Klinik, habe ihre Tätigkeit eingestellt. Dass in denselben Räumen mit größtenteils demselben Personal weitgehend dieselben medizinischen Leistungen wie bisher angeboten würden, sei dabei unerheblich. Diese Leistungen werden jetzt von der Pflege-GmbH als „Handelsgeschäft“ organisiert:
Die Ärzte sind nicht mehr Angestellte der Klinik wie bisher, sondern heißen jetzt „Unternehmer“, die ihre medizinischen Dienste an die GmbH verkaufen. Auch die gesamten übrigen medizinischen Dienstleistungen werden „zugekauft“: Das gesamte Pflegepersonal kommt gegen Leihgebühr von einer anderen Klinik.
Der Richter sagt, er wolle die Kündigungsklage abweisen, schlägt jedoch vor, dass der Frau R. „aus moralischen Gründen“ die Kündigung mit einer Abfindung „versüßt“ werden solle, immerhin habe sie 29 Jahre für die Klinik gearbeitet.

Dagegen wendet der Vertreter der Pflege-GmbH ein, die ganze Umstrukturierung war mit erheblichen finanziellen Belastungen verbunden und die Klinikleitung hatte sich viel Mühe gegeben, für jeden einzelnen ihrer Mitarbeiter einen Anschlussarbeitsvertrag zu finden. So sei durch die Umstrukturierung niemand „ins Nichts gestürzt“. Auch Frau R. habe einen Arbeitsvertrag zu annähernd gleichen Bedingungen bei einem anderen Träger erhalten, den sie auch unterschrieben habe. Eine „Versüßung“ der Kündigung komme deshalb nicht in Frage.

Es stellt sich heraus, dass Frau R. bei der Privatklinik zwar 29 Jahre als Krankenpflegerin beschäftigt war – zuletzt nur noch in Nachtarbeit für einen Monatslohn von 2250 Euro brutto -, dass sie aber wegen eines Rückenleidens schon lange mehr keine Kranken umbetten konnte. Alles, was sie tun könne, sei „von Bett zu Bett gehen und die Kranken bei Laune halten“. Solche privilegierten Arbeitsbedingungen wollte oder konnte ihr der neue Arbeitgeber nicht garantieren. Frau R. hat diese Stelle nicht angetreten.
Eigentlich ist Frau R. für die Krankenpflege berufsunfähig und ihre Kündigungsklage richtet sich dagegen, dass sie als unprofitabel aussortiert worden ist.
Der Richter erklärt die Kündigung für rechtens. Eine Abfindung erhält Frau R. nicht.

Traditionelle Kapitalisten sind immer noch stolz auf ihren „menschlichen“ oder paternalistischen Kapitalismus. Der moderne Kapitalismus kommt ganz ohne Heimatlichkeit und ohne Vaterfiguren aus. Das Gebäude, in das man zur Arbeit geht, ist vielleicht von einem US-Unternehmen geleast. Die Arbeitsplätze und Büros in diesem Gebäude sind nicht fest verteilt, sondern müssen jeden morgen neu belegt werden. Die Kollegen, mit denen man zusammenarbeitet, sind „Externe“ von zehn verschiedenen Firmen. Die Chefs sind bezahlte Lohnarbeiter wie man selbst. Jeder wechselt mehrmals im Laufe seines Lebens nicht nur seinen Arbeitgeber, sondern auch seinen Beruf. Ab Fünfzig ist man kaputt gearbeitet und wird in die Armut entlassen. Für wen oder was legen wir Lohnarbeiter uns krumm?
Wir arbeiten im Kapitalismus, daran gibt es keinen Zweifel, aber Kapitalisten scheint es kaum noch zu geben.
„Indem aber einerseits dem bloßen Eigentümer des Kapitals, dem Geldkapitalisten der fungierende Kapitalist gegenübertritt und mit der Entwicklung des Kredits dies Geldkapital selbst einen gesellschaftlichen Charakter annimmt, in Banken konzentriert und von diesen, nicht mehr von seinen unmittelbaren Eigentümern ausgeliehen wird;
indem andererseits aber der bloße Manager, der das Kapital unter keinerlei Titel  besitzt, weder leihweise noch sonst wie, alle realen Funktionen versieht, die dem fungierenden Kapitalisten als solchem zukommen, bleibt nur der Funktionär und verschwindet der Kapitalist als überflüssige Person aus dem Produktionsprozess.“
Karl Marx, Kapital III. MEW 25, 401.

Schuften wir uns für einen Funktionärskapitalismus kaputt?
Wal Buchenberg, 25.03.2003