Geldmenge und Güternachfrage

Alexander Troll hat einen insgesamt lesenswerten Artikel "Junkie-Ökonomie" in der Jungen Welt veröffentlicht, in dem auch auf den Zusammenhang von Geldmenge und Inflation oder Deflation eingegangen wird.

A. Troll zitiert dazu Otmar Issing:

Otmar Issing, einer der führenden Vertreter des Monetarismus in Deutschland, ehemaliger Chefvolkswirt und Direktoriumsmitglied der EZB, hatte das Thema fünf Jahre vor der Lehman-Brothers-Pleite in seinem Lehrbuch »Geldpolitik« noch en passant in einem Absatz abgehandelt. Dort schrieb er, dass in der Literatur die Aufnahme der Vermögenspreise in den Preisindex zwar diskutiert werde, dieses Anliegen aber auf Widerspruch stoße, weil »Vermögenspreise (...) nicht im Zusammenhang mit den Kosten des zukünftigen Konsums stehen.«

Dieses Mantra vom zusätzlichen Geld, das angeblich keine zusätzliche Nachfrage schafft, wird von Journalisten wie Lucas Zeise (ftd) nachgebetet, der sich auch in linken Zusammenhängen herumtreibt: "Der Geldzuwachs bleibt also, wenn er bei den schon Begüterten ankommt, ganz weitgehend in der Finanzsphäre selber." (L. Zeise in der jw).

Die folgende Grafik, deren Daten ich dem Troll-Artikel entnommen habe, scheint die These von Otmar Issing und Lucas Zeise zu bestätigen:

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„Die Geldmenge in der Grafik umfasst in der Hauptsache Bargeld, Sichteinlagen, Termingelder, Sparguthaben, Geldmarktpapiere und Bankschuldverschreibungen. Die so definierte Geldmenge wird als »M3« bezeichnet. Die Lebenshaltungskosten werden durch den harmonisierten Verbraucherpreisindex (HVPI) repräsentiert.“ (A. Troll)

Troll merkt dazu an:
„Gemessen wird die Preisentwicklung eines Güterkorbes, der die Veränderung der Lebenshaltungskosten repräsentieren soll. Diese offizielle Inflationsrate reagiert aber nicht auf die Veränderung von Vermögenspreisen, weil ihm die dafür nötigen Sensoren nicht eingebaut wurden. Das heißt aber, dass mit seiner Hilfe eine von zwei möglichen Nebenwirkungen von zusätzlich geschaffenem Geld nicht erkennbar ist. Denn entweder kann eine Geldeinheit für Güter und Dienstleistungen oder für eine Vermögensanlage ausgegeben werden. Deshalb ist es möglich, dass die Geldmenge stark wächst, während der Index für die Lebenshaltungskosten konstant bleibt. Das zusätzliche Geld wird in diesem Fall zum Kauf von Aktien, Immobilien oder anderen Geldanlagen ausgegeben.“

Ein bisschen geht die Kritik von Troll aber an unserer Grundfrage vorbei: Wie ist der Zusammenhang von Geldmenge und Güternachfrage?

Zwischen 1996 und 2007 scheint ein direkter Zusammenhang tatsächlich nicht nachweisbar zu sein. Die Geldmenge M3 In der EU wuchs, während die Lebenshaltungskosten weitgehend gleich blieben.

Dazu meine ich: Die Lebenshaltungskosten umfassen mehr oder minder nur den notwendigen Lebensunterhalt ohne den Luxusgütermarkt. Als Richtwert für das jeweilige Reallohnniveau taugt dieser Index einigermaßen, aber er taugt wenig, um die Gesamtgüternachfrage (Produktionsgüter plus notwendige Konsumgüter plus Luxusgüter) und dessen Preisniveau zu messen. Schon gar nichts taugt dieser nationale Index, um die Wirkungen des wachsenden nominellen Reichtums (Finanassets) auf den Luxuskonsum außerhalb der eigenen "vier Wände" (Ferienvilla in Spanien, Wochenendreisen nach New York, Yacht im Hafen von Monaco etc.pp.) zu erfassen.
Die heutige Kapitalistenklasse macht globale Profite und verkonsumiert diese Profite auch global.

Zweitens wurde die Messgröße für die Lebenshaltungskosten (=Inflationsrate) in den 90er Jahren durch die „hedonische Messgröße“ künstlich (und willkürlich!) verändert, so dass die Inflationsrate seither systematisch niedriger ausfällt als vorher. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt!

Drittens: Wenn wir unterstellen, dass ein anhaltender Anstieg der Finanzwerte („Finanzblase“) erst mit gewisser Zeitverzögerung einen Anstieg der Güternachfrage bewirkt, so ist der Messzeitraum von 10 Jahren (1996 bis 2006) wahrscheinlich zu kurz, um daraus Schlüsse zu ziehen. Die Zeitspanne mit der eine Finanzblase auf die Güternachfrage wirkt, wird nämlich verlängert, solange außergewöhnliche Gewinne durch die Finanzassets winken. In diesem Zeitraum ist wahrscheinlich die "Gier", die Extragewinne einzufahren, größer als das steigende Luxusbedürfnis der Reichen.

Mein Resümee: Das Dogma der Monetaristen, die behaupten, dass zwischen der Geldmenge, die in Finanzwerte fließen, und der Geldmenge, mit der reale Güter gekauft werden, kein (direkter) Zusammenhang bestehe, halte ich für falsch.

Mit diesem Dogma wird unterstellt, dass die Reichen, wenn sie Finanzwerte kaufen, sich dauerhaft (!) mit dem bloßen Geldnamen zufrieden geben, ohne ihren wachsenden nominellen Reichtum auch in wachsenden (Luxus)Güterkauf umzusetzen.
Es mag sein, dass sich wachsender nomineller Reichtum (Finanzblasen) nicht direkt und 1 : 1 (hieße: +100 M3 = +100 Güternachfrage) in wachsende Güternachfrage verwandeln, aber alle Menschenkenntnis und alle langfristige Erfahrung spricht dafür, dass sich wachsende finanzielle Vermögen irgendwann und irgendwo in wachsende Warennachfrage umsetzen müssen, wenn nicht im Verhältnis 1 : 1, dann vielleicht im Verhältnis 2 : 1 oder 3 : 1 (hieße +100 M3 = +50 Güternachfrage, oder: +100 M3 = +33 Güternachfrage u.ä.).

Nach dem „Zusammenbruch der Immobilienpreise in den USA veröffentlichte die Deutsche Bundesbank im Juli 2007 eine empirische Analyse, in der sie feststellt, dass die Immobilienpreise »signifikant von der monetären Entwicklung beeinflusst werden, das heißt, überschüssige Liquidität treibt die Immobilienpreise an« (A. Troll in der jw).

Und umgekehrt: Die langjährig steigenden Immobilienpreise in den USA vermehrten den "gefühlten Reichtum" der Immobilienbesitzer und führten in den USA zu wachsendem (schuldenfinanzierten) Konsum.

Kurz: Gestiegener Reichtum, der statistisch sichtbar wird an einer gestiegenen Geldmenge M3, führt notwendig auch zu einer gestiegenen Güternachfrage mit nachfolgender Inflation, auch wenn dies nicht an der offiziellen Inflationsrate, die nur lebensnotwendige Güter erfasst, ablesbar wird.

Wal Buchenberg, 15.09.2009