Griechen 15
7.3. Geld als allgemeines Wertmaß
und Rechengeld Auch wer weder Geld besitzt, noch Geld benutzt, kann
das Geld, das andere benutzen als Wertmaß nehmen. Als Homer deutlich
machen wollte, wie verrückt der Tausch zwischen einer goldenen und einer
bronzenen Rüstung war, sagte er: „Aber dann nahm Zeus ... ihm seinen
Verstand, dass er seine goldene Rüstung ... gegen eine aus Bronze
vertauschte, den Wert von hundert Ochsen gegen den Wert von neun
Ochsen.“ (Ilias 6, 234-236) Die Ochsen sind hier
das Wertmaß der Rüstungen, und ihr Unterschied wird mit hundert zu neun
quantifiziert. Homer nahm an, dass seinen Zuhörern der Wert von goldenen
Rüstungen unbekannt war und setzte den Wert der unbekannten Ware mit einem
bestimmten Quantum einer allgemein üblichen Ware, den Ochsen, gleich.
Homer bestimmte die Werte der Rüstungen als Ochsenwerte. So werden
heutzutage internationale Statistiken auch in Ländern, in denen der Dollar
keine Währung ist, oft in US-Dollar berechnet. Historische Preisvergleiche
werden häufig in Gold berechnet, obwohl nur noch im internationalen
Geldverkehr zwischen Regierungen und Notenbanken Gold als Geld eine Rolle
spielt. In ihrer Rolle als Wertmaßstab dient die besondere Geldware
auch als Rechengeld, das man zur Preisangabe benutzt, auch wenn man diese
Ware nicht selber besitzt. Die Griechen kannten längst ausländisches Geld
als Rechengeld, bevor sie wirklich damit zahlten: „Als man den
Anacharsis fragte, wozu die Hellenen das Geld brauchen, antwortete er: zum
Rechnen.“ (Athenaeus, „Deipn.“ I. IV.
49, v. 2)
Ende des 7. Jahrhunderts berechnete der Athener
Solon bei seiner Vermögenseinteilung „ein Schaf und eine Drachme ist
gleich einem Scheffel Getreide“. (Plutarch,
Solon 23) Der Scheffel Getreide ist hier die Größe, deren Wert
Solon angeben wollte, „ein Schaf und eine Drachme“ sind ihr
Wertgleiches oder ihr „Äquivalent“. Als Wertmaß dienten Solon zwei
Geldwaren: Schafe und Drachmen.
Im Austausch waren also „ein
Schaf und eine Drachme“ die passende Menge Tauschmittel oder der
eigene Tauschwert, der für einen Scheffel Getreide als begehrten
Gebrauchswert gegeben werden musste. Für den Getreidebesitzer galt das
Umgekehrte: Sein Scheffel Getreide war ihm der Tauschwert, für den er
„ein Schaf und eine Drachme“ als direkten Gebrauchswert oder als
Tauschmittel, d.h. indirekten Gebrauchswert, erwarten konnte.
Die
griechischen Geldnamen „Drachme“ und „Obolos“ waren Mengenbezeichnungen
aus der Zeit des Eisengeldes. Ein „Obolos“ war eine Stange oder
Pfeilspitze aus Eisen, sechs davon konnte man in einer Hand halten und
hießen „Drachme“, „eine Hand voll“. Die anderen beiden griechischen
Geldnamen „Talent“ und „Mine“ hatten sich aus Gewichtsmaßen entwickelt.
„Talent“ war ursprünglich eine menschliche oder tierische Traglast und
wechselte je nach Gegend im Gewicht zwischen rund 26 kg und 39 kg. Eine
„Mine“ war davon der sechzigste Teil. Mine und Drachme wurden in
verschiedenen Teilungsverhältnissen aufeinander bezogen. In Athen wurden
im Laufe der Zeit 105, 138 und 150 Drachmen pro Mine gerechnet. In diesen
Größenveränderungen der Wertmaße spiegelten sich wohl Wertveränderungen
wichtiger Waren wider.
7.4. Geldware Edelmetall und Geld als
Schatz Aristoteles erklärte die „Erfindung“ von Gold als Geld aus
Nützlichkeitserwägungen im „internationalen“ Güterverkehr: „Natürlich
war in der ursprünglichen Gemeinschaft eines Familienverbandes ein
Tauschhandel nicht nötig. Dieser wurde erst dann zur Notwendigkeit, als
die Gemeinschaften größer wurden. In der ursprünglichen Gemeinschaft
hatten alle Anteil am gemeinschaftlichen Besitz, in der vergrößerten
Gemeinschaft hatten die einen Überfluss an dem, die anderen an jenem. Dies
musste also nach den jeweiligen Bedürfnissen direkt ausgetauscht werden,
so wie es auch jetzt noch viele von den unzivilisierten Völkern tun. Sie
tauschen gegenseitig nur diese Gebrauchsgüter, also Wein gegen Korn usw.
... Durch die Einfuhr dessen, was man entbehrte, und die Ausfuhr des
eigenen Überschusses dehnte sich diese Hilfeleistung über die
Landesgrenzen hinaus, und so ergab sich mit Notwendigkeit die Verwendung
von Geld. Denn nicht alle normalerweise notwendigen Güter sind leicht zu
transportieren. Also kam man überein, beim Tausch gegenseitig eine Sache
zu nehmen und zu geben, die selbst nützlich und im täglichen Verkehr
handlich war, wie Eisen, Silber usw. Zuerst bestimmte man sie einfach nach
Größe und Gewicht, schließlich drückte man ihr ein Zeichen auf, um sich
das Abmessen zu ersparen. Denn die Prägung wurde als Zeichen der Quantität
gesetzt.“ (Aristoteles, Politik
1257a)
Aristoteles
leitete hier die „notwendige Verwendung von Geld“ aus dem
internationalen Warenverkehr ab. K. Marx stimmte hier mit Aristoteles ganz
überein: „Ich habe früher darauf hingewiesen, wie das Geldwesen
überhaupt sich ursprünglich entwickelt im Produktentausch zwischen
verschiedenen Gemeinwesen. Es entwickelt sich der Geldhandel, der Handel
mit der Geldware, daher zunächst aus dem internationalen Verkehr.“
(K. Marx, Kapital III. MEW 25,
329.)
Wie heute in verschiedenen Ländern verschiedene
Währungen nebeneinander bestehen, so existierten in der antiken
Mittelmeerwelt verschiedene Geldwaren als Währungen nebeneinander. Die
Spartaner benutzen Eisenwährung, die Ägypter kamen im Innern lange ohne
Warenverkehr und Geld aus und benutzten im Außenhandel Gold, Nomadenvölker
benutzten Rinder oder Pferde als besondere Geldware.
Das Beispiel
von Solons Getreidescheffel zeigte auch, dass innerhalb einer Stadt
mehrere Geldwaren als Währungen nebeneinander bestehen konnten. Dass sich
in dieser Vielfalt der konkurrierenden Währungen Metalle als Geldware
allmählich durchsetzten, hat ebenso praktische Gründe der Zeit- und
Arbeitsersparnis wie der Übergang vom direkten Tausch zu einer besonderen
Geldware als Tauschmittler.
Was Gold und Silber vor anderen
Geldwaren auszeichnet, ist einmal die beliebige Teilbarkeit und
Zusammensetzbarkeit, wobei jede Teilmenge dieselbe gleichförmige Qualität
wie alle anderen Stücke aufweist. Es ist ihre relative Unzerstörbarkeit
und es ist im Vergleich zu ihrem Gewicht der relativ hohe Wert. Keine
andere Geldware vereinte alle diese Bedingungen auf sich: Vieh konnte
nicht in „Kleingeld“ unterteilt werden, Wein und Getreide wurden relativ
schnell schlecht und verloren an Wert. Eisen war im Vergleich zu seinem
Wert recht schwer, und seine Verwendung als Tauschmittel machte einen
Großkauf zur Schwerstarbeit.
Der Erfolg von Edelmetall als
besondere Geldware muss also zu den Zeiten und an den Orten eingetreten
sein, wo relativ große Warenmengen in vielfältiger Warengestalt mit
relativ großen Wertsummen umgeschlagen wurden. Diese Bedingungen sind
zuerst gegeben, wo Gemeinwesen (Staaten bzw. ihre Regierungen) miteinander
in wirtschaftlichen Kontakt traten. Vom persischen König berichtete
Herodot, dass dieser alles als Tribut bzw. Steuern aus den beherrschten
Ländern und Gebieten eingegangene Gold einschmelzen und in Tongefäße
gießen ließ. „Braucht er aber Geld, so schlägt er davon so viel ab, als
er jedes Mal benötigt.“ (Herodot 3,
91) Solche Bruchstücke mussten vom Verkäufer wie vom Käufer
abgewogen werden, damit der eine wusste, wie viel Gold er als Tauschmittel
gab und der andere, wie viel Gold (direktes Gebrauchsmittel) oder Geld
(indirektes Gebrauchsmittel) er bekam.
Warum Münzen? Wir
wissen, dass die Lyder zwischen 640 und 600 v. Chr. begannen, aus
Weißgoldstücken oder Elektron, einer Gold-Silber-Legierung, die in
Kleinasien natürlich vorkam, Münzen zu prägen. Dass die Lyder schon vor
den geprägten Münzen Weißgold als Tausch- oder Zirkulationsmittel
benutzten, wissen wir aus einem Schatzfund, der in das Fundament des
Artemistempels von Ephesos eingemauert war. Der Schatz von Ephesos enthält
sowohl unbehandelte Metallklümpchen wie solche mit einer eingeprägten
regelmäßigen Riffelung auf der Oberfläche, die den Grad einer Abnutzung
anzeigen konnte. Das waren die ersten Münzen. Der Schatzfund enthält auch
schon Metallstücke mit Bildprägungen, einem Löwenkopf oder Löwentatzen.
Das chemische Material weist auf den lydischen Ursprung, und die
unterschiedlichen Formen zeigen die ältesten Entwicklungsstufen des
Münzwesens. (vgl. Boardman, S.
119)
Klar ist, dass
weiteres Abwiegen beim Kauf erspart wird, wenn die Metallstücke im Gewicht
genormt sind und entweder eine Markierung tragen, die die Abnutzung
sichtbar macht, oder ein Zeichen zur Beglaubigung ihrer Gewichtsnormung
tragen, die gleichzeitig als Abnutzungsmarkierung dienen kann. Dass die
Lyder die ersten waren, die zu dieser Methode griffen, Goldteile als Münze
zu kennzeichnen, lag wohl auch an den physikalisch Eigenschaften von
Weißgold, deren genauer Goldgehalt und damit ihr Wert, nicht ohne
Einschmelzen bestimmbar war.
In Griechenland hatte nach der
griechischen Tradition die damalige Handelsmetropole Aigina (um 570 v.
Chr.) als erste Stadt
Münzgeld eingeführt. Dann folgten bald Korinth und Athen und im weiteren
Verlauf des sechsten Jahrhunderts die meisten anderen griechischen Städte.
(Murray, S. 296) Andere Regionen,
die ebenfalls im Mittelmeerhandel eine Rolle spielten, wie Karthago,
Ägypten oder auch Rom, übernahmen diesen Brauch erst einige hundert Jahre
später. In Karthago und Rom wurden sogar erst im 3. Jahrhundert v. Chr.
Münzen geprägt. (Pekáry, S.
5)
Daraus und aus der Tatsache, dass kaum aiginetische
Münzfunde außerhalb Aiginas gefunden wurden, haben Pekáry und andere den
falschen Schluss gezogen, „... dem Handel scheinen diese Münzen anfangs
wenig gedient zu haben: die Münzen des 6. und teilweise noch des 5. Jh. v.
Chr. werden meist nur in den Gebieten gefunden, wo sie hergestellt wurden.
Daher können sie im Handel noch kaum eine Rolle gespielt haben.“ (Pekáry, S.
31). Deutlicher kann man seine ökonomisches
Unkenntnis nicht demonstrieren. In vielen griechischen Städten war
die Verwendung auswärtiger Münzen ausdrücklich verboten. Tatsächlich
gelten auch heute nationale Währungen nur im jeweiligen
Herrschaftsbereich. Wo der Machtbereich endet, dort endet auch der Wert
einer Währung. Wo dagegen gegensätzliche Machtbereiche aufeinandertreffen,
dort ist ungemünztes Barrengold als „Weltgeld“ immer noch
unverzichtbar.
Die lydischen Münzen im Tempel von Ephesos haben
jetzt 2600 Jahre überstanden, ohne an Aussehen oder Gewicht viel eingebüßt
zu haben. Die relative Unzerstörbarkeit der Edelmetalle machte sie zum
bevorzugten Schatzbildner. Von Homer wissen wir, dass in alter Zeit meist
zu Gegenständen verarbeitetes Gold und Silber als Schatz gehortet - die
Griechen sagten „gerettet“ - worden sind. Schatzbildung war Vorratsbildung
für Notzeiten und spielte in allen alten Gesellschaften eine viel größere
Rolle als heute. Die ersten „Schatzhäuser“ waren die gemeinschaftlichen
Getreidespeicher der frühen despotischen „Planwirtschaften“ in
Mesopotamien und Ägypten.
7.5. Geld als Zahlungsmittel,
Kredit Im griechischen Rechtsdenken war ein Kauf erst dann
rechtsgültig, wenn er vollständig bezahlt war, also wenn beide Waren
vollständig die Hände gewechselt hatten. Trotzdem entstanden Schuld- und
Kreditbeziehungen naturwüchsig aus den wirtschaftlichen
Verhältnissen. Die ersten Schuldverhältnisse mussten in der
Landwirtschaft entstehen, weil die Bedürfnisse der Bauern in kurzen
Zeiträumen, täglich oder wöchentlich, nach Befriedigung verlangten, aber
nur in langen Zeiträumen die Produkte reiften und verkaufsfertig wurden,
mit denen sie ihre Bedürfnisbefriedigung über die Eigenproduktion hinaus
bezahlen konnten. Getreide wurde jährlich geerntet. Olivenbäume brauchten
sogar zehn oder zwölf Jahre bis zur ersten Ernte. Ein Bauer konnte also
durch Krankheit, Unglück oder Unwetter leicht in die Lage kommen, dass er
kaufen musste, bevor er wieder ein Arbeitsprodukt hatte, mit dem er zahlen
konnte. Er wurde zum Schuldner, der reiche Nachbar, der ihm Lebensmittel
oder Geld vorstreckte, wurde Gläubiger.
Ebenso fiel der
Händewechsel von Ware und Geld im Fernhandel zeitlich auseinander.
Schiffsladungen von Waren fanden in Athen einen seefahrenden Käufer, der
aber erst seine Fracht bezahlen konnte, nachdem er die Ladung an einem
weit entfernten Marktplatz verkauft hatte und zurückgekehrt war. Aus dem
zeitlich kurzen Handelsakt von Käufer und Verkäufer - Ware gegen Ware -
wurde die längerfristige Bindung von Gläubiger und Schuldner – Ware gegen
ein Zahlungsversprechen.
Soweit uns die athenischen Seefrachten
bekannt sind, hatten sie beim Auslaufen meist einen Wert zwischen 2.000 -
5.000 Drachmen (Hasebroek, S. 99), das waren rund 16 bis 40
Jahreslöhne aus einfacher Arbeit. Die athenischen Seefahrer der
klassischen Zeit waren aber einfache „Handwerker“ bzw. Seeleute, die den
Wert ihrer Fracht vor der Ausfahrt von aristokratischen Großgrundbesitzern
vorgestreckt bekommen mussten. Ein griechischer Kauffahrer belud so in
Athen sein Schiff mit Handelsware, die er erst nach seiner Rückkehr - mit
dem erwarteten Handelsgewinn von 20 Prozent - zu bezahlen
hatte.
Als Zahlungsmittel vermittelt das Geld keinen Warentausch,
sondern schließt ihn ab. Mit seinem Seehandelsdarlehen gab der athenische
Aristokrat nur Geld, um mehr Geld dafür zu bekommen. In den Augen des
aristokratischen Geldgebers - aber nur aus seiner Sicht - findet dabei
kein Warentausch mehr statt. „Die Wertgestalt der Ware, Geld, wird also
jetzt zum Selbstzweck des Verkaufs durch eine den Verhältnissen des
Zirkulationsprozesses selbst entspringende, gesellschaftliche
Notwendigkeit.“ (Karl Marx, Das Kapital
Bd. 1, MEW 23, S. 150) An dieser Bewegung des Geldes - Geld
geben, um mehr Geld zu bekommen - erkannte Aristoteles richtig: „Daher
hat denn auch dieser Reichtum, der aus dieser Art Erwerbskunst fließt,
kein Ende und keine Schranke.“ (Aristoteles, Politik 1257 b
24)
7.6. Dämonisierung des Geldes Im Gegensatz zu
Karl Marx konnte sich Aristoteles die scheinbar austauschlose
Geldvermehrung des Gläubigers noch nicht erklären und meinte daher, dass
sie „naturwidrig“ sei, weil das Geld dabei nicht zu dem Zweck
verwendet werde, „wofür das Geld da ist. Denn das Geld ist um des
Tausches willen erfunden worden.“ (Aristoteles, Politik 1258 b5). „Wofür
das Geld da ist“, hat jedoch Aristoteles dogmatisch festgelegt und
nicht ökonomisch untersucht. Aristoteles akzeptierte den Handel nur als
Austausch von Gebrauchsgütern. Handel als Bereicherung lehnte er ebenso
ab, wie jedes Wirtschaften, das Bereicherung zum Ziel hat. Allerdings
hatte sich die Menschheit weder in ihrer politischen noch in ihrer
wirtschaftlichen Geschichte um die moralischen Zeigefinger der Philosophen
gekümmert.
In der „Antigone“ klagt König Kleon: „Denn unter
allem, was in Brauch ist bei den Menschen, erwuchs so schlimm nichts wie
das Geld! Dies zerstört selbst Städte, dies treibt Männer aus von Hof und
Herd; dies lehrt und verkehrt den rechten Sinn der Menschen, üblem Tun
sich zuzuwenden.“ (Sophokles,
Antigone) Woher kam diese Macht des Geldes?
Kleon sah
zwar, dass der Umgang mit Geld ein „gewachsener Brauch“ der Menschen ist, aber offenbar
war dieser Brauch den Menschen über den Kopf gewachsen. Solange die
Geldfunktion im Warentausch nicht an einer besonderen Geldware haftete,
entstand und verschwand sie durch freie Vereinbarung zweier Warenbesitzer,
die sich auf ein Tauschmittel einigten. Als besondere Geldware mit der
Aufgabe, als allgemeines Tauschmittel oder Zirkulationsmittel zu dienen,
war Geld eine gemeinsame Schöpfung aller am Austausch beteiligten
Warenproduzenten. Die Geldfunktion verwandelte sich aus einem
individuellen Willensakt zweier Warenbesitzer in einen
überindividuellen, gesellschaftlichen Willen und damit scheinbar in
eine übermenschliche Macht, die über dem Willen der Individuen steht.
Scheinbar regierte von nun an das Geld den Austausch, die Produktion und
die Produzenten.
Eine Wirtschaftsweise ohne Geld ist keine Utopie,
sondern wird -stückweise- längst praktiziert: innerhalb jeder Familie,
früher innerhalb eines Klosters, heute innerhalb jedes kapitalistischen
Unternehmens - überall dort, wo Dienstleistungen und Produkte ohne
Warentausch und ohne Kauf und Verkauf hergestellt und verteilt
werden. Die Sowjetwirtschaft hat bewiesen, dass mit despotischen
Mitteln die Macht des Geldes nur beschränkt, nicht beseitigt werden kann.
Die Freiwirtschaft nennt sich zwar „frei“, aber letztlich muss sie auch
sie ihr „Freigeld“ den Gesellschaftsmitglieder aufzwingen. Über
„Arbeitsgeld“ urteilte K. Marx: „Die Lehre von der Arbeitszeit als
unmittelbarer Maßeinheit des Geldes ist zuerst systematisch entwickelt
worden von John Gray. Er lässt eine nationale Zentralbank vermittelst
ihrer Zweigbanken die Arbeitszeit vergewissern, die in der Produktion der
verschiedenen Waren verbraucht wird. Im Austausch für die Ware erhält der
Produzent ein offizielles Zertifikat des Werts, d.h. einen Empfangsschein
für so viel Arbeitszeit, als seine Ware enthält, und diese Banknoten von 1
Arbeitswoche, 1 Arbeitstag, 1 Arbeitsstunde usw. dienen zugleich als
Anweisung auf ein Äquivalent in allen anderen in den Bankdocks gelagerten
Waren. Das ist das Grundprinzip ... Die Produkte sollen als Waren
produziert, aber nicht als Waren ausgetauscht werden. Gray überträgt
einer Nationalbank die Ausführung dieses frommen Wunsches. Einerseits
macht die Gesellschaft in der Form der Bank die Individuen unabhängig von
den Bedingungen des Privattausches und andererseits lässt sie dieselben
fortproduzieren auf der Grundlage des Privattausches. Die innere
Konsequenz indes treibt Gray, eine bürgerliche Produktionsbedingung nach
der anderen wegzuleugnen, obgleich er bloß das aus dem Warenaustausch
hervorgehende Geld ‚reformieren’ will. So verwandelt er Kapital in
Nationalkapital, das Grundeigentum in Nationaleigentum, und wenn seiner
Bank auf die Finger gesehen wird, findet sich, dass sie nicht bloß mit der
einen Hand Waren empfängt und mit der anderen Zertifikate gelieferter
Arbeit ausgibt, sondern die Produktion selbst reguliert. ...(Was
nichts anderes ist als eine „zentrale Planwirtschaft“, wb) Was bei
Gray versteckt und vor allem ihm selbst verborgen bleibt, nämlich dass das
Arbeitsgeld eine ökonomisch klingende Phrase ist für den frommen Wunsch,
das Geld, mit dem Geld den Tauschwert, mit dem Tauschwert die Ware, und
mit der Ware die kapitalistische Form der Produktion loszuwerden, wird
geradezu herausgesagt von einigen englischen Sozialisten, die teils vor,
teils nach Gray schrieben. Herrn Proudhon aber und seiner Schule
blieb es vorbehalten, die Entwertung des Geldes und die Himmelfahrt
der Ware ernsthaft als Kern des Sozialismus zu predigen und damit
den Sozialismus in ein elementares Missverständnis über den notwendigen
Zusammenhang zwischen Ware und Geld aufzulösen.“ K. Marx, Kritik der
Politischen Ökonomie, MEW 13, 66 - 68.
Geld ist aus der
Warenproduktion und dem Warentausch entstanden. Es gehört zur
Warenproduktion wie der Schatten zum Licht. Daher kann und wird das Geld
nur mit der Warenproduktion verschwinden. Erst wenn alle
Gesellschaftsmitglieder - oder wenigstens ihre übergroße Mehrheit -
freiwillig und mit Bewusstsein ihre Arbeit nach ihren eigenen Bedürfnissen
und Möglichkeiten verwalten und organisieren, wird Geld überflüssig, weil
dann nur quasi „auf Bestellung“ das produziert und an Dienstleistungen
bereitgestellt wird, was vorher von den Gesellschaftsmitgliedern als ihr
eigener Bedarf festgestellt und mit ihren Arbeitsmöglichkeiten abgeglichen
worden ist.
Mein Manuskript endet hier
vorläufig. Darzustellen wäre noch, wie die stürmische Entwicklung der
Warenproduktion im alten Griechenland, zur produktiven Sklaverei der
späteren Zeit führte. Die unproduktive Haushalts-Sklaverei der Frühzeit
zehrte vom vorhandenen Reichtum, die spätere produktive Sklaverei
vermehrte den Reichtum. Beide Sklavenarten waren juristisch zwar Eigentum
ihres „Herren“, ökonomisch unterschieden sie sich jedoch mehr als sich ein
Schoßhund von einem Jagdhund unterscheidet, die auch beide einem Herrn
gehören. Darzustellen wäre noch die philosophischen und
wissenschaftlichen Reflexionen der Griechen, die mit der Entwicklung der
Warengesellschaft in Griechenland entstanden sind. Dafür sind erste
Vorarbeiten gemacht. Die Ausarbeitung muss warten bis wichtigere Aufgaben
erledigt sind. Wal Buchenberg, 30.7.2002 |