Rechtfertigung des
Kapitalismus durch A. Smith
„In primitiven Völkern
ist jeder Arbeitsfähige zumeist als Jäger oder Fischer mehr oder weniger
nützlich tätig. Er ist dabei bestrebt, so gut er kann, sich selbst und die
Angehörigen der Familie und des Stammes zu versorgen, die für Jagd und
Fischfang schon zu alt, noch zu jung oder zu schwach sind. Solche Völker
leben jedoch in so großer Armut, dass sie häufig aus schierer Not
gezwungen sind oder es zumindest für notwendig erachten, Kinder, Alte und
Sieche bedenkenlos umzubringen oder auszusetzen, so dass sie dann entweder
verhungern müssen oder wilden Tieren zum Opfer fallen. In zivilisierten
und wohlhabenden Gemeinwesen ist das Sozialprodukt hingegen so hoch, dass
alle durchweg reichlich versorgt sind, obwohl ein großer Teil der
Bevölkerung überhaupt nicht arbeitet und viele davon den Ertrag aus zehn,
häufig sogar hundertmal mehr Arbeit verbrauchen als die meisten
Erwerbstätigen. Selbst ein Arbeiter der untersten und ärmsten Schicht,
sofern er genügsam und fleißig ist, kann sich mehr zum Leben notwendige
und angenehme Dinge leisten, als es irgendeinem Angehörigen eines
primitiven Volkes möglich ist.“ (Adam Smith, Der Wohlstand der
Nationen, 1776. Einführung.)
Das ist die ganze
theoretische Rechtfertigung des Kapitalismus gegenüber den Lohnarbeitern.
Für die Kapitalisten rechtfertigt sich der Kapitalismus durch ihren
Reichtum, so dass viele von ihnen „den Ertrag aus zehn, häufig sogar
hundertmal mehr Arbeit verbrauchen als die meisten Erwerbstätigen“.
Den Lohnarbeitern gegenüber
wird der Kapitalismus dadurch „wissenschaftlich“ gerechtfertigt, dass sie
„sich mehr zum Leben notwendige und angenehme Dinge leisten, als es
irgendeinem Angehörigen eines primitiven Volkes möglich
ist.“
Bis heute haben die
Kanzelprediger des Kapitalismus noch keine neue Rechtfertigung gefunden –
mit dem einzigen Unterschied, dass sie für ihren Vergleich statt
„primitive Völker“ abwechselnd Völker der dritten Welt oder der
Sowjetunion nehmen.
Diese
Argumentationskette ist durch und durch verlogen.
Verlogen ist sie
deshalb, weil Adam Smith und alle seine Nachfolger zugeben und zugeben
müssen, dass dieser höhere Reichtum in entwickelten Ländern das
Arbeitsprodukt dieser Länder ist. Adam Smith sagt nicht zu Unrecht, dass
der höhere Reichtum in den entwickelten Ländern das Ergebnis höherer
„Produktivität der Arbeit als Ergebnis von Geschicklichkeit,
Sachkenntnis und Erfahrung“ ist. Die Quelle jeden Reichtums ist die
produktive Arbeit und die Natur - nichts sonst. Die produktive Arbeit kann
jedoch mithilfe moderner Technologie (die ebenfalls nur Arbeitsprodukt
ist) in gleicher oder kürzerer Zeit größeren Reichtum schaffen.
Das hat im Kapitalismus
hauptsächlich zur Folge, dass die Kapitaleigner „den Ertrag aus zehn,
häufig sogar hundertmal mehr Arbeit verbrauchen als die meisten
Erwerbstätigen“ (A. Smith). Der größere Reichtum fällt hauptsächlich
den Kapitaleignern in den Schoss. Um diese Tatsache der relativen
Verelendung der Lohnarbeiter wegzulügen, werden zwar die Kapitaleigner mit
ihren Lohnarbeitern verglichen, nicht aber die Lohnarbeiter mit ihren
Kapitaleignern. Nein, das Einkommen der Lohnarbeiter wird verglichen mit
dem Einkommen irgendwelcher „primitiver Völker“. Heraus kommt dann bei
diesem Vergleichsspiel nicht, dass die Lohnarbeiter das zehn oder
hundertfache weniger hätten als die Kapitalisten, nein, es kommt heraus,
dass sie möglicherweise das dreifache oder zehnfache von „primitiven
Völkern“ haben.
Diese pseudowissenschaftliche Schlitzohrigkeit
beherrschten auch einfachere Gemüter als Adam Smith. Von Adolf Hitler ist
Anfang 1940 ein Gespräch über Polen überliefert: „Darin wird Polen zum
‚Arbeitslager’ bestimmt, dessen Insassen als Saisonarbeiter nur
vorübergehend im deutschen Gebiet eingesetzt werden dürften. ... Die Polen
müssten so viel verdienen, dass sie etwas Geld an ihre Familien in der
Heimat schicken könnten, aber ‚der letzte deutsche Bauer muss
wirtschaftlich immer noch zehn Prozent besser stehen als jeder Pole’.“
(Hervorhebung von wb: im übrigen geht der Gesprächsfaden des Adolf
Hitler so weiter: „Alle Intelligenten seien umzubringen, das sei ‚nun
einmal das Lebensgesetz’.“ zitiert nach: Jochen v. Lang, Der Sekretär.
Martin Bormann: Der Mann, der Hitler beherrschte. dva 1977, 159.)
Gegenüber dieser alten
Herrschaftslogik, die dem Lohnarbeiter sagt: „Dir geht es doch besser
als jedem Polen!“ kann die Antwort nur lauten: Ihr vergleicht euch mit
uns, wir vergleichen uns mit Euch! Erstens sind wir nicht zufrieden damit,
dass wir nur ein Zehntel oder ein Hundertstel von dem bekommen, was ihr
Kapitalisten einstreicht. Zweitens ist das Notdürftige, was wir als Lohn
bekommen ebenso sehr Produkt unserer eigenen Arbeit, wie das Reichhaltige,
was ihr Kapitalisten euch als Gewinn zuschreibt. Es wäre mehr für alle da,
wenn es euch nicht gäbe, die ohne zu arbeiten „den Ertrag aus zehn,
häufig sogar hundertmal mehr Arbeit verbrauchen als die meisten von uns
Erwerbstätigen.“
Wal
Buchenberg, 25.2.2003.
|