Arbeitszeit

1. Seit Beginn der Industrialisierung ist die Arbeitsproduktivität in Europa um rund 3000 Prozent gestiegen: "Die Produktivität pro Arbeitsstunde ist heute in Frankreich 28 mal größer als zu Beginn der Industrialisierung." LitDokAB 2000, a-533.
Um den Lebensstandard des beginnenden 19. Jahrhunderts zu erhalten, müssten wir mit heutiger Technik also nur noch 2 Stunden in der Woche arbeiten (den 30. Teil der damaligen Wochenarbeitszeit von 60 Stunden.)

Vom Standpunkt des kapitalistischen Arbeitsvertrages gibt es aber keine gültige Grenze des Arbeitstages:
„Der Kapitalist behauptet sein Recht als Käufer, wenn er den Arbeitstag so lang als möglich... zu machen sucht. Andrerseits schließt die spezifische Natur der verkauften Ware eine Schranke ihres Konsums durch den Käufer ein, und der Arbeiter behauptet sein Recht als Verkäufer, wenn er den Arbeitstag auf eine bestimmte Normalgröße beschränken will. Es findet hier also eine Antinomie statt, Recht wider Recht, beide gleichmäßig durch das Gesetz des Warenaustausches besiegelt. Zwischen gleichen Rechten entscheidet die Gewalt. Und so stellt sich in der Geschichte der kapitalistischen Produktion die Normierung des Arbeitstags als Kampf um die Schranken des Arbeitstags dar - ein Kampf zwischen dem Gesamtkapitalisten, d. h. der Klasse der Kapitalisten, und dem Gesamtarbeiter, oder der Arbeiterklasse.“ K. Marx, Kapital I, MEW 23, S. 249.

2. Die Kapitalisten finden immer wieder Grund, die Arbeitszeiten zu verlängern: Entweder für jeden einzelnen Lohnarbeiter durch Überstunden, oder für die Arbeiterschaft insgesamt durch Schichtarbeit.

Arbeitszeit und Maschinenlaufzeiten:
„Schon die Arbeitszeitberichterstattung wies auf einen hohen Grad der Entkoppelung von Arbeits- und Betriebszeiten und auf deutlich längere Maschinenlaufzeiten hin. Tatsächlich laufen in Deutschland die Maschinen fast 70 Stunden in der Woche, das sind 30 Stunden mehr als die Regelarbeitszeit.“  LitDokAB 01/02-1, a-1058.

Arbeitszeitkonten: „Arbeitszeitkonten haben sich in den letzten Jahren massiv verbreitet. Mittlerweise verfügen mindestens 37 % der abhängig Beschäftigten über Arbeitszeitkonten. In mindestens 60% der Betriebe sind unterschiedliche Formen von Arbeitszeitkonten eingeführt. Sie revolutionieren das Arbeitszeitsystem und ersetzen das bisherige Leitbild der Normalarbeitszeit durch variable Arbeitszeitformen. ... Arbeitszeitkonten haben, weil sie zu einem Abbau von bezahlten, vor allem von unbezahlten Überstunden führen, beschäftigungsfördernde Effekte.“ LitDokAB 01/02-1, a-867.
„Arbeitszeitkonten spielen eine wichtige Rolle bei der immer stärkeren Flexibilisierung der Arbeitszeit. Sie haben für die Arbeitgeber viele Vorteile, z.B. Vermeidung von Überstunden und Anpassung der Arbeitszeit an den jeweiligen Arbeitsanfall. Auch für den Arbeitnehmer können sie Vorteile haben, wie weniger Stress auf dem Arbeitsweg oder die mögliche Verlängerung des Wochenendes und des Urlaubs durch Freischichten bzw. Freistellungsphasen, andererseits aber auch Probleme aufwerfen wie den Schutz der Arbeitszeitkonten bei Insolvenz des Betriebes oder Beendigung des Anstellungsverhältnisses. Die Autoren sind der Überzeugung, dass Arbeitszeitflexibilisierung im Gegensatz zur Arbeitszeitverkürzung keinen positiven Effekt auf den Arbeitsmarkt hat. Mehrer Male betonen sie die Wichtigkeit des Grundsatzes, dass geleistete Arbeit zu bezahlen ist.“  LitDokAB 01/02-1, a-871.

Überstunden:
„Es geht dabei vor allem um die bezahlten Überstunden, also um jene, die nicht früher oder später durch Freizeit ausgeglichen werden. Ihr Volumen betrug im Jahr 1999 schätzungsweise ca. 1,8 Milliarden Stunden." LitDokAB 2000, a-713.
„Schichtarbeit dient in erster Linie der Verlängerung der Betriebszeit. Bei Zeitkontenmodellen wird die Betriebszeit ebenfalls ausgeweitet.“ Lit.dok. 99/2000-2, b-748.

„Wird der Arbeitstag um 2 Stunden verlängert und bleibt der Preis der Arbeitskraft unverändert, so wächst mit der absoluten die relative Größe des Mehrwerts. Obgleich die Wertgröße der Arbeitskraft absolut unverändert bleibt, fällt sie relativ.... Da das Wertprodukt, worin sich der Arbeitstag darstellt, mit seiner eignen Verlängerung wächst, können Preis der Arbeitskraft und Mehrwert gleichzeitig wachsen, sei es um gleiches oder ungleiches Inkrement.“ K. Marx, Kapital I, MEW 23, S. 549. „Bis zu einem gewissen Punkt kann der von Verlängerung des Arbeitstags untrennbare größere Verschleiß der Arbeitskraft durch größeren Ersatz kompensiert werden. Über diesen Punkt hinaus wächst der Verschleiß in geometrischer Progression und werden zugleich alle normalen Reproduktions- und Betätigungsbedingungen der Arbeitskraft zerstört.“ K. Marx, Kapital I, MEW 23, S. 549.

3. Zwangsweise, also per Gesetz, wurde die Arbeitszeit vor allem dort verkürzt, wo die hohe Intensität der Arbeitszeit kürzere Arbeitszeiten ratsam erschienen ließen. Die anderen Kapitalisten rächten sich für eine aufgezwungene Arbeitszeitverkürzung, indem sie ihrerseits den Arbeitstages verdichteten und intensivierten.
„Teilzeit verkürzt die Arbeitszeit und führt dadurch ... zu einer höheren Produktivität bei stark ermüdenden Tätigkeiten...“ Lit.dok. 99/2000-2, b-748.
„Eine repräsentative Umfrage bei 1074 Beschäftigten zeigt: 53 % der Befragten beklagen, dass die Arbeitszeitverkürzung bei ihnen den Arbeitsdruck vergrößert hat. Nur 20 % sind der Meinung, dass die kürzeren Arbeitszeiten ihren Arbeitsplatz sicherer gemacht haben, und lediglich 13 % machten die Erfahrung, dass infolge der Arbeitszeitverkürzung die Beschäftigung in ihrem Betrieb aufgestockt worden ist.“ LitDok. 1998/99 b-574.


„Verkürzung des Arbeitstages unter den gegebenen Bedingungen... lässt den Wert der Arbeitskraft und daher die notwendige Arbeitszeit unverändert. Sie verkürzt die Mehrarbeit und den Mehrwert. ... Alle hergebrachten Redensarten wider die Verkürzung des Arbeitstags unterstellen, dass das Phänomen sich unter den hier vorausgesetzten Umständen ereignet, während in der Wirklichkeit umgekehrt Wechsel in der Produktivität und Intensität der Arbeit entweder der Verkürzung des Arbeitstags vorhergehen oder ihr unmittelbar nachfolgen.“ K. Marx, Kapital I, MEW 23, S. 548.

4. Verkürzung der Lohnarbeitszeit erweiterte für die Kapitalisten auch die Möglichkeiten zur Flexibilisierung der Arbeitszeit. Die Lohnarbeit soll immer dann und nur dann zur Verfügung stehen, wenn es das Profitinteresse gebietet.

„Es lässt sich feststellen, dass das ,Flexibilisierungspotential' mit zunehmender Arbeitszeitverkürzung gewachsen ist." LitDokAB 2000, a-634.


„Die Ergebnisse zeigen, dass schon rund 85 % der Erwerbstätigen in irgendeiner Form flexibler Arbeitszeiten beschäftigt sind, also beispielsweise Schicht- und Nachtarbeit, Wochenendarbeit, Teilzeitarbeit und Überstunden leisten. ... 37 % der Beschäftigten sind in irgendeiner Form von Arbeitszeitkontenmodellen tätig." LitDokAB 2000, b-504.

„Während die Zeit von 1970 bis 1875 und 1980 bis 1985 die tarifliche Arbeitszeit um über 8 % bzw. fast 6 % zurückging, lag das Schwergewicht seit Mitte der 80er Jahre auf der Ausweitung der Teilzeitarbeit... Parallel zur Arbeitszeitverkürzung hat eine Verlängerung der Betriebszeiten sowie die Einführung von variablen Arbeitszeitmustern stattgefunden.“ Lit.dok. 99/2000-2, b-710.

„Dabei zeigt sich deutlich, dass die sogenannte Normalarbeitszeit abnimmt und die Sonderformen der Arbeitszeit zunehmen. Bereits eine Mehrheit, nämlich 57 % der unselbständig Beschäftigten sind von diesen genannten Formen der Arbeitszeit (Wochenendarbeit, Abend- und Nachtarbeit, Gleitzeit, Schicht- und Wechsel- bzw. Turnusdienst und Überstunden).... 64 % der unselbständig beschäftigen Frauen und 52 % der unselbständig beschäftigten Männer sind bei den genannten Sonderformen anzutreffen.“ Lit.dok. 99/2000-1, a-596.

„Tatsache ist, dass die flexiblen Arbeitszeiten als reines Zweckinstrument für die wirtschaftlichen Interessen der Unternehmen eingesetzt wurden. Die ständige Weiterentwicklung dieser flexiblen Arbeitszeitmodell hat ausschließlich das Ziel, die wirtschaftlichen Interessen zu optimieren.“ Lit.dok. 99/2000-2, b-753.

In Westdeutschland arbeiten nur noch 17 % der abhängig Beschäftigten unter den Bedingungen des Normalarbeitstandards, in Ostdeutschland sind es noch 25%. (Feste Arbeitszeiten nur an Werktagen ohne Überstunden und keine Wechselschicht)


„Arbeitszeitkonten und Arbeitszeitkorridore sorgen für eine Anpassung des Arbeitskräfteeinsatzes an Belastungsschwankungen. Dieser Effekt und eingesparte Überstundenzuschläge senken die Arbeitskosten und erhöhen die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen.“ LitDok. 1998/99 a-955.

Gewerkschaftlicher Widerstand in der BRD: „Die Maschinenlaufzeiten sind erheblich kürzer als in anderen EU-Staaten. Schicht- Wochenend- und Nachtarbeit stoßen hierzulande auf wesentlich größere Widerstände als in den europäischen Konkurrenzländern. Für eine Verlängerung der Arbeitszeiten gibt es in Deutschland deutlich weniger Bereitschaft als im europäischen Umland.“ LitDok. 1998/99 a-876.

„Intensität und Produktivkraft der Arbeit gegeben, ist der zur materiellen Produktion notwendige Teil des gesellschaftlichen Arbeitstags um so kürzer, der für freie, geistige und gesellschaftlicher Betätigung der Individuen eroberte Zeitteil also um so größer, je gleichmäßiger die Arbeit unter alle werkfähigen Glieder der Gesellschaft verteilt ist, je weniger eine Gesellschaftsschicht die Naturnotwendigkeit der Arbeit von sich selbst ab- und einer andren Schicht zuwälzen kann. Die absolute Grenze für die Verkürzung des Arbeitstags ist nach dieser Seite hin die Allgemeinheit der Arbeit.
In der kapitalistischen Gesellschaft wird freie Zeit für eine Klasse produziert durch Verwandlung aller Lebenszeit der Massen in Arbeitszeit.“ K. Marx, Kapital I, MEW 23, S. 552.

Soweit nicht anders angegeben stammen Daten und Zitate aus: Literaturdokumentation zur Arbeitsmarkt und Berufsforschung, Hrsg. von der Bundesanstalt für Arbeit, div. Jhrg.
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