Kopf- & Handarbeit

1. Bei uns werden die Schüler frühzeitig nach künftiger Handarbeit oder Kopfarbeit sortiert, obwohl diese Unterscheidung immer unsinniger wird, und eine umfassende berufliche und allgemeinbildende Ausbildung für Alle angesichts der erforderlichen Mobilität und Vielseitigkeit im Arbeitsleben längst zum allgemeinen Bedürfnis und zur wirtschaftlichen Notwendigkeit geworden ist.

„Zwischen 1979 und 1992 hat sich die Verwertbarkeit der Inhalte der Ausbildung im dualen Berufsbildungssystem verringert. ...
Die Verwertbarkeit sinkt im Verlaufe des Berufslebens, wobei die Abnahme 1991/92 schneller noch als im Jahre 1979 vonstatten geht...
Die in der Ausbildung erworbenen Fähigkeiten sind in hohem Maße berufsspezifisch; ein beruflicher Wechsel führt entsprechend zu einer starken Abnahme der Verwertbarkeit.“ LitDokAB. 99/2000-2, b-1151.

2. Der traditionelle Unterschied von Kopf- und Handarbeit verschwindet, weil sich beide Pole immer mehr annähern: Traditionelle Handarbeit wird durch moderne Technologie teils überflüssig, teils intellektualisiert, traditionelle Kopfarbeit wird durch Technologie und moderne Arbeitsorganisation teils überflüssig, teils mit neuer Handarbeit 'angereichert'.

2.1 Intellektualisierung der Handarbeit:
„Die Anforderungen an die Mitarbeiter steigen - auch im gewerblichen Bereich - bedingt durch moderne Organisations- und Produktionskonzepte." LitDokAB 2000, b-146.

„Die Fähigkeit zur laufenden Aneignung neuer Fertigkeiten und Kenntnisse am Arbeitsplatz wird auf dem Arbeitsmarkt immer stärker nachgefragt, besonders in den Branchen der Fertigungsindustrie, die einem harten Wettbewerb und einer rasanten technischen Entwicklung unterworfen sind." LitDokAB 2000, b-253.

„In der deutschen Wirtschaft gibt es einen branchenübergreifenden Trend zur beruflichen Höherqualifizierung. Seit 1980 ist die Zahl der Beschäftigten ohne Berufsausbildung um fast ein Drittel gesunken, die der besser Qualifizierten deutlich gestiegen." (Institut der Deutschen Wirtschaft) LitDokAB 2000, b-459.

„Die Zahl der Erwerbstätigen mit Hochschulabschluss ist zwischen 1961 und 1988 von 770000 auf mehr als 3,1 Millionen angestiegen. Der Anteil der Erwerbstätigen mit Hochschulabschluss an allen Erwerbstätigen (=Akademikerquote) hat sich von knapp 3 % auf über 11 % erhöht. Mit einem weiteren Anstieg ist zu rechnen." 3. Ergänzung 93 1-219.

„In den Berufsschulen haben sich Spezialklassen, Zusatzunterricht und doppelqualifizierende Maßnahmen im ‚Sinne einer Begabtenförderung für Berufsschüler’ entwickelt. Sie orientieren sich überwiegend an der Förderung der Allgemeinbildung und am Abitur bzw. der Studienberechtigung. LitDokAB 1998/99 a-1282.

2.2 Proletarisierung der Kopfarbeit: Einesteils müssen traditionelle Kopfarbeiter mehr Tätigkeiten in Handarbeit selber erledigen (z.B. müssen Manager selber Briefe tippen oder Termine eintragen), andererseits nimmt die inadäquate Beschäftigung für HochschulabsolventInnen zu.

2.2.1 Allgemein:
„Bei akademischen Berufsanfängern nimmt inadäquate Beschäftigung zu. Ãœberhaupt müssen viele eine schwierige und langandauernde Phase des Berufseinstiegs bewältigen, die z.B. von niedrig honorierten Werkverträgen, befristeten Anstellungen und wiederholter Arbeitslosigkeit begleitet wird.“  LitDokAB 99/2000-1, a-844.

Es "zeigt sich die Bereitschaft der Unternehmen, Hochschulabsolventen für solche Aufgaben einzustellen, die durchaus auch durch Qualifikationsprofile dual ausgebildeter Fachkräfte abgedeckt werden könnten." LitDokAB 1998/99 b-978.

„Befragungen zeigen, dass an den Universitäten gut jeder dritte Studierende eine ausbildungsinadäquate Beschäftigung oder Arbeitslosigkeit nach dem Studium befürchtet. An den Fachhochschulen teilt gut ein Viertel diese Sorgen. Im Vergleich zum Wintersemester 92/93 hat beruflicher Pessimismus vor allem an den Fachhochschulen deutlich zugenommen. Die Zukunftssorgen sind in fast allen Studienfächern gewachsen.“ LitDokAB 1998/99 b-973.
„Qualifizierte - und zu einem geringeren Maße auch Hochqualifizierte erweisen sich als Substitute für Un/Angelernte.“ LitDokAB 99/2000-2, b-642.

2.2.2 Einzelne Berufe:
EDV-Berufe:
„1993 waren ca. 335000 Computerfachleute erwerbstätig.“ LitDokAB 1993/94 a-2349. „Von einer Proletarisierung könne man ... in dem Sinne sprechen, als die große Mehrzahl von ihnen sich im Anforderungsniveau ihrer Arbeit wie in ihren beruflichen Aufstiegsperspektiven Stück für Stück der Masse der Sachbearbeiter in den Büros der deutschen Unternehmen annähert.“ LitDokAB 1993/94 a-2352.

JournalistInnen: „...deutet sich an, dass die JournalistInnen einerseits bezüglich der Arbeitsplatzsicherheit zu den Rationalisierungsgewinnern gehören, dass aber andererseits immer mehr technisch-organisatorische Arbeiten in den journalistischen Produktionsprozess verlagert werden.“ LitDokAB 1998/99 a-1217.

Ingenieure: Im Vergleich von 1994 mit 1989 zeigt sich: „Von den 531.000 ehemals in einem Ingenieurberuf Tätigen verblieben bis 1994 71 % in Erwerbstätigkeit - aber nur 42 % arbeiteten noch oder wieder in ihrem Ausbildungsberuf.
Ingenieurinnen mit einer Verbleibsquote von immerhin 85 % in diesem Zeitraum verblieben oder mündeten wieder nur zu 28 % in ihrem Ausbildungsberuf ein - 72 % nahmen artfremde Tätigkeiten auf, die teilweise weit unter ihrem Ausbildungsniveau liegen.
Ingenieure: Beschäftigungsquote: 67 %, in ihrem Ausbildungsberuf tätig: 46 %“. LitDokAB. 99/2000-1, a-761.

Juristen: „Immer mehr Juristen drängen auf den Arbeitsmarkt bei knapper werdenden Stellenangeboten in den traditionellen Arbeitsbereichen.“  LitDokAB. 99/2000-1, a-853.

Künstler:
„Viele Künstler und Publizisten arbeiten als ehrenamtliche Mitarbeiter im Kulturbereich, erzielen Einkünfte durch niedrig bezahlte Dienstleistungen oder treten als ,neue Selbständige' auf den Markt. Dabei bewegen sie sich häufig zwischen Sequenzen von Erwerbs- und Nichterwerbszeiten und arbeiten traditionell unter Arbeitsbedingungen, die nicht dem Normalarbeitsverhältnis entsprechen." LitDokAB 2000, a-896.

Mediziner: „Immer mehr junge Mediziner wissen nach der Ausbildung nicht, wie es beruflich weitergehen soll. Die neuen Niederlassungsbeschränkungen verschärfen die ohnehin schon angespannte Arbeitsmarktsituation noch mehr.“ LitDokAB 1998/99 b-942.
„Untersuchungen auf chirurgischen Intensivstationen zeigen: Unter dort vorherrschenden Bedingungen sind zwölfstündige Arbeitstage mit besseren Produktionsergebnissen verbunden als achtstündige Arbeitstage." (Achim Krings) LitDokAB 2000, b-480.

3. Selbst wo Kopf- und Handarbeit individuell noch relativ deutlich geschieden sind, verbindet die gesellschaftliche Arbeit beides im Produkt. Kopf- und Handarbeit sind beides nur gesellschaftliche Teilarbeit. Beide zusammen bilden den gesellschaftlichen Gesamtarbeiter, d.h. die Lohnarbeiterklasse (Proletariat). Wo Lenin meinte, Verstand in die Arbeiterklasse 'hineintragen' zu müssen, hatte er unentwickelte gesellschaftliche Verhältnisse vor Augen.
„Mit der Entwicklung der spezifisch kapitalistischen Produktion wo viele Arbeiter an der Produktion derselben Ware zusammenarbeiten, muss natürlich das Verhältnis, worin ihre Arbeit unmittelbar zum Gegenstand der Produktion steht, sehr verschieden sein. Z.B. die früher erwähnten Handlanger in einer Fabrik haben nichts direkt mit der Bearbeitung des Rohstoffs zu tun. Die Arbeiter, die die Aufseher der direkt mit dieser Bearbeitung zu tun Habenden bilden, stehen einen Schritt weiter ab; der Ingenieur hat wieder ein andres Verhältnis und arbeitet hauptsächlich mit seinem Kopfe etc.
Aber das Ganze dieser Arbeiter, die Arbeitsvermögen von verschiednem Werte besitzen, ... produzieren das Resultat, das sich das - Resultat des bloßen Arbeitsprozesses betrachtet, in Ware oder einem materiellen Produkt ausspricht; und alle zusammen, als Werkstatt, sind die lebendige Produktionsmaschine dieser Produkte, wie sie, den gesamten Produktionsprozess betrachtet, ihre Arbeit gegen Kapital austauschen und das Geld der Kapitalisten als Kapital reproduzieren, d.h. als sich verwertenden Wert, sich vergrößernden Wert.
Es ist ja eben das Eigentümliche der kapitalistischen Produktionsweise, die verschiedenen Arbeiten, also auch die Kopf- und Handarbeiten - oder die Arbeiten, in denen die eine oder die andre Seite vorwiegt, - zu trennen und an verschiedene Personen zu verteilen, was jedoch nicht hindert, dass das materielle Produkt das gemeinsame Produkt dieser Personen ist oder ihr gemeinsames Produkt in materiellem Reichtum vergegenständlicht; was andrerseits ebenso wenig hindert oder gar nichts daran ändert, dass das Verhältnis jeder einzelnen dieser Personen das des Lohnarbeiters zum Kapital und in diesem eminenten Sinn das des produktiven Arbeiters ist. Alle diese Personen sind nicht nur unmittelbar in der Produktion von materiellem Reichtum beschäftigt, sondern sie tauschen ihre Arbeit unmittelbar gegen das Geld als Kapital aus und reproduzieren daher unmittelbar außer ihrem Lohn einen Mehrwert für den Kapitalisten. Ihre Arbeit besteht aus bezahlter Arbeit plus unbezahlter Mehrarbeit.“ K. Marx, Theorien über den Mehrwert I., MEW 26.1, 386f.

„Wie im Natursystem Kopf und Hand zusammengehören, vereint der Arbeitsprozess Kopfarbeit und Handarbeit. ... Das Produkt verwandelt sich überhaupt aus dem unmittelbaren Produkt des individuellen Produzenten in ein gesellschaftliches, in das gemeinsame Produkt eines Gesamtarbeiters, d.h. eines kombinierten Arbeitspersonals, dessen Glieder der Handhabung des Arbeitsgegenstandes näher oder ferner stehen.
Mit dem kooperativen Charakter des Arbeitsprozesses selbst erweitert sich daher notwendig der Begriff der produktiven Arbeit und ihres Trägers, des produktiven Arbeiters. Um produktiv zu arbeiten, ist es nun nicht mehr nötig, selbst Hand anzulegen; es genügt, Organ des Gesamtarbeiters zu sein, irgendeine seiner Unterfunktionen zu vollziehen.“ K. Marx, Kapital I, MEW 23, S. 531.

Produktive Arbeit ist "alle Arbeit, die in die Produktion von Ware (Produktion hier umfassend alle Akte, die die Ware zu durchlaufen hat vom ersten Produzenten bis zum Konsumenten) eingeht, welcher Art sie immer sei, Handarbeit oder nicht (wissenschaftliche Arbeit)..." K. Marx, Theorien über den Mehrwert III., MEW 26.3, 425.

Soweit nicht anders vermerkt stammen Daten und Zitate aus: Literaturdokumentation zur Arbeitsmarkt und Berufsforschung, Hrsg. von der Bundesanstalt für Arbeit, div. Jhrg.