Die Armut der Millionäre
„Vermögend sein ist schon lange nicht
mehr das, was es einmal war. Die Kosten für ein Leben im Luxus sind in den
vergangenen 50 Jahren ins Unermeßliche gestiegen.
Millionäre, sagte jüngst der Chef einer
Londoner Beratungsfirma, werde es 2010 wie Sand am Meer geben. "Wir
werden Millionäre nicht mehr als reiche Menschen klassifizieren können.
Sie werden nichts Außergewöhnliches mehr sein."
Der Mann hat Recht. Steigende
Immobilienpreise haben zum Beispiel in Großbritannien aus vielen
Hausbesitzern Millionäre gemacht, auch wenn ihr Vermögen nicht liquide
ist. 1954 konnte man für 1 Mio. £ viel mehr erstehen als ein Haus. Frank
Sinatra besang einst, was so ein Millionär alles hat: ein Anwesen auf dem
Land, eine Yacht und sogar einen Swimmingpool aus Marmor.
Vor 50 Jahren haben die Dienste eines Butlers 850 Euro pro Jahr gekostet. Heute wären es 30.000 Euro. "Aber wirklich Reiche haben noch einen Koch,
Haushälterinnen, Gärtner, einen Chauffeur, ein Kindermädchen und eine
Sekretärin", sagt Jane Urquhart von der Vermittlungsagentur Greycoats.
"Auch Logis wäre inbegriffen." 1954 summierte sich der Jahreslohn für alle Hausangestellten auf 2300 Euro. heute müsste ein Arbeitgeber rund 200.000 Euro berappen.
Einen Privatjet der Marke "Marketeer" - Bett,
Bar und Stewardessen inbegriffen - konnten Magnaten wie der US-Unternehmer
Howard Hughes schon für 71.500 £ haben. Heute zahlt man für eine
"Gulfstream V" mit Fernseher und goldenen Wasserhähnen 26 Mio. £. Der
Preis einer kleinen, aber feinen Luxusyacht ist in den vergangenen 50
Jahren von 10.000 £ auf 500.000 £ gestiegen.
Hyperinflation bei Luxusprodukten
Diese
Zahlen zeigen, dass der Lebensstil der Millionäre eine Hyperinflation
durchlaufen hat. Tatsächlich sind die Preise für Produkte, die mit einem
Leben in Luxus assoziiert werden, erstaunlich angestiegen. Und zwar ohne
Ausnahme.
1954 war ein maßgeschneidertes Coco-Chanel-Outfit für
380 £ zu haben, heute liegt die konservative Schätzung für ein
Haute-Couture-Stück bei 15.000 £. Die jährlichen Kosten für eine
maßgeschneiderte Garderobe für zwei Saisons - sechs Abendkleider und drei
Kostüme für den Alltag - sind von 6840 £ auf 2,7 Mio. £ gestiegen.
Natürlich ist es auch bei Schmuck zu einem enormen Wertzuwachs gekommen.
Branchenkenner schätzen, dass die Preise in den vergangenen 50 Jahren um
das 25-Fache gestiegen sind.
Und was ist mit Kunstobjekten? Jeder
Millionär, der was auf sich hält, wird irgendwo das Werk eines alten
Meisters hängen haben. Eigentlich hätten sie vor 50 Jahren kaufen sollen.
1954 verkaufte das Auktionshaus Christie’s mehrere klassische Gemälde zu
Preisen, die heutige Kunstsammler zum Weinen bringen könnten. So wechselte
ein Rembrandt für 71 £ den Besitzer, ein Bild von Caravaggio für 27 £.
Auch guter Wein gilt inzwischen als Anlageobjekt. 1954 kauften die
meisten Kunden Weine, um sie zu trinken, nicht um sie später zu verkaufen,
sagt Paul Milroy von Berry Brothers & Rudd. Ein erstklassiger 1949er
Bordeaux kostete in den 50er Jahren das Äquivalent von 1,24 £. Wollte man
sich den Keller mit 3000 Flaschen füllen, belief sich die Rechnung also
auf 3720 £. Und heute: "Für rund 100.000 £ bekommt man einen gut gefüllten
Weinkeller [3000 Flaschen] mit einer guten Auswahl aus Burgundern,
Rhone-Weinen, Bordeaux sowie erstklassigen Weinen aus Südafrika und
Kalifornien", sagt Milroy.
Alles wird teurer
Für die Leute, die sich heutzutage mal so richtig etwas
gönnen wollen, hören die schlechten Nachrichten nicht bei Luxusgütern auf.
Auch die Vermögenswerte, die als Grundlage für ein Leben in Saus und Braus
dienen, sind von der Hyperinflation betroffen.
1954 empfahlen die
Aktienhändler, ein Millionär solle nicht mehr als rund 15 Prozent seines
Nettovermögens in Aktien und Staatsanleihen anlegen. Was bekommt man
heutzutage für 150.000 £? "Rechnet man den (damals noch nicht
existierenden) FTSE All-Share Index zurück, hätte er im Januar 1954 bei
35,59 gestanden. Heute liegt er bei über 2200. Das ist eine Steigerung um
mehr als das 60-fache", sagt Börsenhistoriker David Schwartz.
Im Allgemeinen investierten Millionäre damals jedoch lieber in
Land als in Aktien, und zwar meist in verpachtetes Land, da hier Einkommen
mit Kapitalwachstum einherging. Das Anwesen eines Millionärs würde etwa
7000 Hektar betragen, sagt Immobilienexperte Desmond Hampton. "Das
hätte damals etwa rund 720.000 £ gekostet." Will man heute in der
gleichen Größenordnung Land kaufen, reichen in den meisten Fällen 30 Mio.
£ nicht aus.
Millionen für Immobilien
Am
schlimmsten sieht es für die heutigen Millionäre im Vergleich zu früher
jedoch bei Immobilien aus. Vor 50 Jahren hatte eine reiche Familie
üblicherweise ein Haus in London, ein Wochenendheim und eine Villa in
Südfrankreich.
"Für 10.000 £ bekam man 1954 ein Stadthaus in
Kensington oder Knightsbridge", sagt Hypothekenmakler Simon Tyler. Was
müsste man heute für ein standesgemäßes Haus bezahlen? "10 Mio. £
werden da schon fällig."
Ähnlich trübe sieht es bei den
Wochenend-Residenzen aus. "Ein Herrenhaus in Surrey hätte damals um die
5000 £ gekostet." Heute fällt schnell 1 Mio. £ an. Und die Villa in
Südfrankreich? 1954 hätte ein Anwesen in Cap d’Antibes mit sechs
Schlafzimmern und Pool 3000 £ gekostet, unter 1,25 Mio. £ kommt man
heutzutage nicht davon. Wie teuer ist also heute die Million von 1954?
Rechnet man die Insignien des Reichtums plus die Kosten für das notwendige
Drumherum zusammen, landet man bei erstaunlichen 102.113.000
£.“
Aus: ftd.de, Fr,
20.8.2004, 14:00 |