Kapital I.: 331-340

Die Gesamtmasse des Mehrwerts hängt von mehreren Größen ab: Vom Wert der Arbeitskraft, von der Länge des Arbeitstages, von der Anzahl der Arbeiter und von der Mehrwertrate, bzw. vom Mehrwert, den eine Durchschnittsarbeitskraft liefert.
Als Formel zur Berechnung der Mehrwertmasse ergibt sich daraus:
M = m : v V
Die Mehrwertmasse ist gleich Mehrwert eines Arbeiters (m) geteilt durch variables Kapital für einen Arbeiter (m : v) mal Gesamtsumme des variablen Kapitals (V).
Bei sonst gleichen Bedingungen kann die Masse des Mehrwerts durch Verlängerung des Arbeitstages oder durch vergrößerte Anzahl der Arbeiter (= extensives Wachstum) gesteigert werden.
Falls das variable Kapital gleich bleibt (oder sinkt), kann die Mehrwertmasse durch gesteigerte Ausbeutung, bzw. durch Erhöhung der Mehrwertrate, gesteigert werden (= intensives Wachstum).
Was macht einen Selbständigen zum Kapitalisten?
Nicht jeder Selbständige, der fremde Arbeitskraft ausbeutet, ist damit automatisch schon Kapitalist. Sein Kapital, bzw. die Zahl seiner Arbeitskräfte muss eine Größe erreichen, die genug Mehrwertmasse schafft, damit er ganz von produktiver Arbeit befreit sein kann.  Erst durch diese völlige Befreiung von produktiver Arbeit seine kann er seine ganze Arbeitszeit für die typischen Funktionen des Kapitals einzusetzen: Kontrolle der von ihm beschäftigen Arbeiter, Verkauf und Kauf etc.
Dann verwandelt sich „der Geld- oder Warenbesitzer ... erst wirklich in einen Kapitalisten.“ K. Marx Kapital I.: 327.
Ein Selbständiger, der in der Produktion bzw. Dienstleistung teils aktiv mitarbeitet, teils fremde Arbeitskraft in geringem Umfang ausbeutet, ist kein Kapitalist, sondern ein Kleinkapitalist oder Kleinbürger.

IV. Abschnitt
Die Produktion des relativen Mehrwerts

Zehntes Kapitel
Begriff des relativen Mehrwerts

„Der Teil des Arbeitstags, der bloß ein Äquivalent (Wertgleiches) für den vom Kapital gezahlten Wert der Arbeitskraft produziert, galt uns bisher als konstante Größe, was er in der Tat ist unter gegebenen Produktionsbedingungen, auf einer vorhandenen ökonomischen Entwicklungsstufe der Gesellschaft.

Über diese seine notwendige Arbeitszeit hinaus konnte der Arbeiter 2, 3, 4, 6 usw. Stunden arbeiten. Von der Größe dieser Verlängerung hingen Rate des Mehrwerts und Größe des Arbeitstags ab. War die notwendige Arbeitszeit konstant, so dagegen der Gesamtarbeitstag variabel.

Unterstelle jetzt einen Arbeitstag, dessen Größe und dessen Teilung in notwendige Arbeit und Mehrarbeit gegeben sind. ... Wie kann nun die Produktion von Mehrwert vergrößert, d. h. die Mehrarbeit verlängert werden, ohne jede weitere Verlängerung ... des ganzen Arbeitstages?“ K. Marx, Kapital I.: 331

Angenommen der Arbeitstag ist 8 Stunden, die notwendige Arbeitszeit 6 Stunden, Mehrarbeit 2 Stunden. Die Mehrarbeit kann bei gleichbleibender Gesamtlänge des Arbeitstages auf 3 Stunden verlängert werden, aber nur, wenn gleichzeitig die notwendige Arbeitszeit auf 5 Stunden verkürzt wird.

„Der Verlängerung der Mehrarbeit entspräche die Verkürzung der notwendigen Arbeit, oder ein Teil der Arbeitszeit, die der Arbeiter bisher in der Tat für sich selbst verbraucht, verwandelt sich in Arbeitszeit für den Kapitalisten. Was verändert, wäre nicht die Länge des Arbeitstags, sondern seine Teilung in notwendige Arbeit und Mehrarbeit.“ K. Marx, Kapital I.: 331-332.

„Bei gegebner Länge des Arbeitstags muss die Verlängerung der Mehrarbeit aus der Verkürzung der notwendigen Arbeitszeit entspringen...“  Kapital I.: 333.

Senkung der notwendigen Arbeitszeit bedeutet aber Senkung des Werts der Arbeitskraft, bzw. Senkung der Lebensmittelkosten, die den Wert der Arbeitskraft bestimmen.

„Eine solche Senkung des Werts der Arbeitskraft ... ist jedoch unmöglich ohne eine entsprechende Erhöhung der Produktivkraft der Arbeit.“ K. Marx, Kapital I.: 333.

„Mit gegebenen Mitteln kann ein Schuster z.B. ein Paar Stiefeln in einem Arbeitstag von 12 Stunden machen. Soll er in derselben Zeit zwei Paar Stiefel machen, so muss sich die Produktivkraft seiner Arbeit verdoppeln, und sie kann sich nicht verdoppeln ohne eine Änderung in seinen Arbeitsmitteln oder seiner Arbeitsmethode oder beiden zugleich. Es muss daher eine Revolution in den Produktionsbedingungen seiner Arbeit eintreten, d.h. in seiner Produktionsweise und daher im Arbeitsprozess selbst.“ K. Marx, Kapital I.: 333.

„Unter Erhöhung der Produktivkraft der Arbeit verstehen wir hier überhaupt eine Veränderung im Arbeitsprozess, wodurch die zur Produktion einer Ware gesellschaftlich nötigen Arbeitszeit verkürzt wird, ein kleinres Quantum Arbeit also die Kraft erwirbt, ein größres Quantum Gebrauchswert zu produzieren.“ K. Marx, Kapital I.: 333.

Beispielrechnung für Erhöhung der Produktivkraft:

Vorausgesetzt, eine Arbeitsstunde stellt einen Wert (v + m)  von 50 Euro dar, ein 8-stündiger Arbeitstag dann 400 Euro (v + m).

Weiter angenommen, unter gegebner Produktivkraft der Arbeit würden in 8 Arbeitsstunden 50 Stück Ware verfertigt.

Der Wert der in 8 Stunden vernutzten Produktionsmittel, Rohmaterial usw. sei 600 Euro. Der Tages-Produktenwert der 50 Stück Waren  ist dann:

600 Euro c + 400 Euro v+m = 1000 Euro (c + v + m).

Unter diesen Umständen kostet jede einzelne Ware 1000 Euro : 50 = 20 Euro.

Angenommen, es gelingt nun einem Kapitalisten, die Produktivkraft der Arbeit zu verdoppeln und daher in 8 Stunden 100 Stück dieser Warenart zu produzieren.

An verarbeiteten Produktionsmitteln geht dann die doppelte Menge in die verdoppelte Menge Waren ein, also nunmehr 1200 Euro c.

Der Arbeitstag von 8 Stunden schafft aber unverändert einen Neuwert (v + m) von 400 Euro, welcher sich jedoch jetzt auf doppelt soviel Produkte verteilt.

Der tägliche Produktenwert wäre dann 1200 Euro c + 400 Euro (v + m) =  1600 Euro (c + v + m).

Aber dieser gestiegene Produktenwert verteilt sich auf die doppelte Produktmenge von 100: Jede einzelne Ware kostet jetzt 16 Euro (1600 Euro Produktenwert geteilt durch 100 Tagesstück) gegenüber 20 Euro Stückpreis aller anderen Kapitalisten, die noch mit der herkömmlichen Produktivität arbeiten. vgl. K. Marx, Kapital I. : 335-336)

„Der individuelle Wert dieser Ware steht nun unter ihrem gesellschaftlichen Wert, d. h. sie kostet weniger Arbeitszeit als der große Haufen derselben Artikel, produziert unter den gesellschaftlichen Durchschnittsbedingungen. ...

Der wirkliche Wert einer Ware ist aber nicht ihr individueller, sondern ihr gesellschaftlicher Wert, d. h. er wird nicht durch die Arbeitszeit gemessen, die sie im einzelnen Fall dem Produzenten tatsächlich kostet, sondern durch die gesellschaftlich zu ihrer Produktion nötige Arbeitszeit.

Verkauft also der Kapitalist, der die neue Methode anwendet, seine Ware zu ihrem gesellschaftlichen Wert von 20 Euro so verkauft er sie 4 Euro über ihrem individuellen Wert und realisiert so einen Extramehrwert von 4 Euro pro Stück. Andrerseits stellt sich aber der achtstündige Arbeitstag jetzt für ihn in 100 Stück Ware dar statt früher in 50.

Um also das Produkt eines Arbeitstags zu verkaufen, bedarf er doppelten Absatzes oder eines zweifach größeren Markts. Unter sonst gleichbleibenden Umständen erobern seine Waren nur größeren Marktraum durch Senkung ihrer Preise. Er wird sie daher über ihrem individuellen, aber unter ihrem gesellschaftlichen Wert verkaufen.“  Kapital I.: 336.

(Dies gilt natürlich umgekehrt auch für Kapitalisten, die weniger produktiv arbeiten lassen als der Durchschnitt. Sie müssen ihre Waren unter ihrem individuellen Wert verkaufen und realisieren dann einen geringeren Mehrwert als der Durchschnitt der Kapitalisten.)

 „Der Wert der Waren steht in umgekehrten Verhältnis zur Produktivkraft der Arbeit. Ebenso, weil durch Warenwerte bestimmt, der Wert der Arbeitskraft. Dagegen steht der relative Mehrwert in direktem Verhältnis zur Produktivkraft der Arbeit. Er steigt mit steigender und fällt mit fallender Produktivkraft...  Es ist daher der innere Trieb und die beständige Tendenz des Kapitals, die Produktivkraft der Arbeit zu steigern, um die Ware und durch die Verbilligung der Ware den Arbeiter selbst zu verbilligen.“ K. Marx, Kapital I.: 338.

„Die Entwicklung der Produktivkraft der Arbeit, innerhalb der kapitalistischen Produktion, bezweckt, den Teil des Arbeitstags, den der Arbeiter für sich selbst arbeiten muss, zu verkürzen, um grade dadurch den andren Teil des Arbeitstags, den er für den Kapitalisten umsonst arbeiten kann, zu verlängern.“ K. Marx, Kapital I.: 340.

„Wenn ein einzelner Kapitalist durch Steigerung der Produktivkraft der Arbeit z. B. Hemden verbilligt, schwebt im keineswegs notwendig der Zweck vor, den Wert der Arbeitskraft und daher die notwendige Arbeitskraft insgesamt zu senken, aber nur soweit er schließlich zu diesem Resultat beiträgt, trägt er bei zur Erhöhung der allgemeinen Rate des Mehrwerts.“ K. Marx, Kapital I.: 335.

„Die verbilligte Ware senkt natürlich den Wert der Arbeitskraft nur insgesamt im Verhältnis, worin sie in die Reproduktion der Arbeitskraft eingeht.“  Kapital I.: 334.

„Um den Wert der Arbeitskraft zu senken, muss die Steigerung der Produktivkraft Industriezweige ergreifen, deren Produkte den Wert der Arbeitskraft bestimmen, also entweder dem Umkreis der gewohnheitsmäßigen Lebensmittel angehören oder sie ersetzen können ... In Produktionszweigen dagegen, die weder notwendige Lebensmittel liefern noch Produktionsmittel zu ihrer Herstellung, lässt die erhöhte Produktivkraft den Wert der Arbeitskraft unberührt.“ K. Marx, Kapital I.: 334.

 „Während also bei der Produktion des Mehrwerts in der bisher betrachteten Form die Produktionsweise als gegeben unterstellt war, genügt es für die Produktion von Mehrwert durch Verwandlung notwendiger Arbeit in Mehrarbeit keineswegs, dass das Kapital sich des Arbeitsprozesses in seiner ... vorhandenen Gestalt bemächtigt und nur seine Dauer verlängert. Es muss die technischen und gesellschaftlichen Bedingungen des Arbeitsprozesses, also die Produktionsweise selbst umwälzen, um die Produktivkraft der Arbeit zu erhöhn, durch die Erhöhung der Produktivkraft der Arbeit den Wert der Arbeitskraft zu senken und so zu den zur Reproduktion dieses Werts notwendigen Teil des Arbeitstags zu verkürzen.“ K. Marx, Kapital I.: 333-334.

„Durch Verlängerung des Arbeitstages produzierten Mehrwert nenne ich absoluten Mehrwert; den Mehrwert dagegen, der aus Verkürzung der notwendigen Arbeitszeit und entsprechender Veränderung im Größenverhältnis der beiden Bestandteile des Arbeitstages entspringt - relativen Mehrwert:“ K. Marx, Kapital I.: 334.

„Ökonomie der Arbeit durch Entwicklung der Produktivkraft der Arbeit bezweckt in der kapitalistischen Produktion also durchaus nicht Verkürzung des Arbeitstags. Sie bezweckt nur Verkürzung der für Produktion eines bestimmten Warenquantums notwendiger Arbeitszeit.“ K. Marx, Kapital I.: 339.

„Wieweit dies Resultat auch ohne Verbilligung der Waren erreichbar, wird sich zeigen in den besonderen Produktionsmethoden des relativen Mehrwerts, zu deren Betrachtung wir jetzt übergehen.“ K. Marx, Kapital I.: 340.

Das sind: Kooperation, betriebliche Arbeitsteilung, intensivere Anwendung und Vergrößerung der Naturkräfte durch Maschinerie.

 

Zur Methode dieser Online-Lektüre:

Diese Kurzfassung aller drei Kapital-Bände verzichtet auf die Vertiefung von Einzelfragen, bietet aber den vollständigen Gedankengang von Marx' Hauptwerk im Zusammenhang und in seinen eigenen Worten.

Jedem neuen Abschnitt wird eine Zusammenfassung des bisherigen Gedankengangs vorangestellt.

Wo es dem Verständnis dient, wurden Fremdwörter, Maßeinheiten und teilweise auch Zahlenbeispiele modernisiert.

Diese und andere Textteile, die nicht wörtlich von Marx stammen, stehen in kursiver Schrift. Auslassungen im laufenden Text sind durch drei Punkte  ...  kenntlich gemacht. Hervorhebungen von Marx sind normal fett gedruckt. Jedes Zitat enthält die Seitenangabe der Marx-Engels-Werke, Bände 23 - 25.

Wal Buchenberg