Kapital I.: 391-407

Das zwölfte Kapitel gab einen historischen Rückblick auf die Entwicklung der arbeitsteiligen Kooperation in der Manufakturperiode vor dem kapitalistischen Maschinenzeitalter.
Manufakturen traten an die Stelle der selbständigen handwerksmäßigen Einzelarbeiter durch Zusammenfassung mehrerer Handwerker in einer Werkstatt.
Die Manufaktur konnte gegenüber dem traditionellen Einzelarbeiter produktiver arbeiten, weil sie die handwerksmäßige Arbeit auflöste und aufteilte und an verschiedene Teilarbeiter delegierte.
Da jede dieser Teiloperationen eine bestimmte Zeit – kürzer oder länger - benötigte, entwickelten sich mathematisch feste Größen der einzelnen Arbeitergruppen, die in festen zeitlichen und mengenmäßigen Proportionen einander zuarbeiteten, so dass kein Leerlauf entstand.
Durch die arbeitsteilige Kooperation verloren die Teilarbeiter die umfassenden Fähigkeiten, die einen einzelarbeitenden Bauern oder Handwerker noch auszeichneten. Die Trennung von Hand- und Kopfarbeit vertiefte sich, und die Teilarbeiter entwickelten nur ein einziges Teilgeschick, das völlig wertlos außerhalb der Werkstatt war. Arbeitslosigkeit verurteilte diese Arbeiter zur Armut oder zur Kriminalität.
Der Wert jedes einzelnen dieses Teilarbeiters sank, weil seine Ausbildungskosten sanken. Damit sanken für den Kapitalisten aber die Lohnkosten für die Gesamtheit der Arbeiter.
Erstmals konnte auch eine Schicht von Arbeitern ohne jede Ausbildung entstehen.
Vor der Teilung der Arbeit in einer Werkstatt gab es schon seit Jahrtausenden eine Teilung der Arbeit in der Gesellschaft. Diese hatte sich teils aus physiologischen Unterschieden (Frauen – Männer, Erwachsene – Kinder) teils aus natürlichen Unterschieden der Lebensgebiete entwickelt. (warme und kalte Zonen, Hochland, Tiefland und Küste mit jeweils unterschiedlicher Fauna und Flora schufen die Unterschiede von Jägern, Nomaden, sesshaften Bauern, Küstenvölkern etc).
Aus diesen zunächst natürlichen Unterschieden entwickelte sich der Austausch und die Warenproduktion und damit vertiefte und vermehrte sich die innere Arbeitsteilung in jeder Gesellschaft. Grundlage der Arbeitsteilung in allen warenproduzierenden Gesellschaften war und ist die Trennung von Stadt und Land.
Der wesentliche Unterschied zwischen der gesellschaftlichen Arbeitsteilung und der betrieblichen Arbeitsteilung ist folgender:
Die gesellschaftliche Arbeitsteilung in warenproduzierenden Gesellschaften ist durch den Zufall bestimmt und der Zusammenhang zwischen den arbeitsteilig Produzierenden geschieht durch Kauf und Verkauf ihrer Waren.
Die arbeitsteiligen Abteilungen einer Werkstatt produzieren aber keine Waren, nur das Gesamtprodukt der Werkstatt ist Ware. Innerhalb der Werkstatt herrscht planvolles Zusammenwirken und nicht der Zufall.
Die betriebliche Arbeitsteilung in der Manufaktur zerstört die individuelle Arbeitsweise und ersetzt sie durch eine gesellschaftliche Arbeitsweise. Marx nennt schon die Kooperation in der Manufaktur „gesellschaftliche Arbeit“ im Gegensatz zur bisherigen traditionellen Einzelarbeit eines Handwerkers oder Gelehrten.
Diese Auflösung der Einzelarbeit geschieht zunächst ganz auf Kosten der Arbeiter. Teils wird dieser Prozess durch die Industrialisierung noch verschärft und vollendet, teils entfällt durch die maschinelle Produktion die technische Voraussetzung für die Fesselung der Arbeiter an eine besondere Spezialität, sei sie geistiger oder körperlicher Art.
Das ist das Thema des folgenden Kapitels.

 

Dreizehntes Kapitel

Maschinerie und große Industrie

1. Entwicklung der Maschinerie

„Die Umwälzung der Produktionsweise nimmt in der Manufaktur die Arbeitskraft zum Ausgangspunkt, in der großen Industrie das Arbeitsmittel. Es ist also zunächst zu untersuchen, wodurch das Arbeitsmittel aus einem Werkzeug in eine Maschine verwandelt wird oder wodurch sich die Maschine vom Handwerksinstrument unterscheidet.“ K. Marx, Kapital I.: 391.

 „Alle entwickelte Maschinerie besteht aus drei wesentlich verschiednen Teilen, der Bewegungsmaschine, dem Transmissionsmechanismus, endlich der Werkzeugmaschine oder Arbeitsmaschine. ...  Dieser Teil der Maschinerie, die Werkzeugmaschine, ist es, wovon die industrielle Revolution im 18. Jahrhundert ausgeht.“ K. Marx, Kapital I.: 393.

„Die Dampfmaschine selbst, wie sie Ende des 17. Jahrhunderts während der Manufakturperiode erfunden ward und bis zum Anfang der 80er Jahre des 18. Jahrhunderts fortexistierte, rief keine industrielle Revolution hervor. Es war vielmehr umgekehrt die Schöpfung der Werkzeugmaschinen, welche die revolutionierte Dampfmaschine notwendig machte.“ K. Marx, Kapital I.: 395-396

„Die Maschine, wovon die industrielle Revolution ausgeht, ersetzt den Arbeiter, der ein einzelnes Werkzeug handhabt, durch einen Mechanismus, der mit einer Masse derselben oder gleichartiger Werkzeuge auf einmal operiert und von einer einzigen Triebkraft ... bewegt wird.“ K. Marx, Kapital I.: 396.

„Die Erweiterung des Umfangs der Arbeitsmaschine und der Zahl ihrer gleichzeitig operierenden Werkzeuge bedingt einen massenhafteren Bewegungsmechanismus, und dieser Mechanismus erfordert zur Überwältigung seines eigenen Widerstandes eine mächtigere Triebkraft als die menschliche, abgesehen davon, dass der Mensch ein sehr unvollkommenes Produktionsinstrument gleichförmiger und kontinuierlicher Bewegung ist. K. Marx, Kapital I.: 396.

„Der Wind war zu unstet und unkontrollierbar, und die Anwendung der Wasserkraft überwog ... in England, dem Geburtsort der großen Industrie, schon während der Manufakturperiode. ... Indes war der Gebrauch der Wasserkraft als herrschender Triebkraft mit erschwerenden Umständen verbunden. Sie konnte nicht beliebig erhöht und ihrem Mangel nicht abgeholfen werden, sie versagte zuweilen und war vor allem rein lokaler Natur.“ K. Marx, Kapital I.: 397.

„Erst mit Watts zweiter, sog. doppelt wirkender Dampfmaschine war ein erster Motor gefunden, der seine Bewegungskraft selbst erzeugt aus der Verspeisung von Kohlen und Wasser, dessen Kraftpotenz ganz unter menschlicher Kontrolle steht, der mobil und ... städtisch und nicht gleich dem Wasserrad ländlich war, die Konzentration der Produktion in den Städten erlaubt, statt sie wie das Wasserrad über das Land zu zerstreuen, und universell in seiner technologischen Anwendung ist. K. Marx, Kapital I.: 398.

„Nachdem erst die Werkzeuge aus Werkzeugen des menschlichen Organismus in Werkzeuge eines mechanischen Apparats, der Werkzeugmaschine verwandelt war, erhielt nun auch die Bewegungsmaschine eine selbständige, von den Schranken menschlicher Kraft völlig emanzipierte Form. Damit sinkt die einzelne Werkzeugmaschine, die wir bisher betrachteten, zu einem bloßen Element der maschinenmäßigen Produktion herab. Eine Bewegungsmaschine konnte jetzt viele Arbeitsmaschinen gleichzeitig treiben.“ K. Marx, Kapital I.: 398.

„Es ist nun zweierlei zu unterscheiden, Kooperation vieler gleichartiger Maschinen und Maschinensystem.

In dem einen Fall wird das ganze Machwerk von derselben Arbeitsmaschine verrichtet. Sie führt alle die verschiednen Operationen aus, welche ein Handwerker mit seinem Werkzeug, z.B. der Weber mit seinem Webstuhl, verrichtete oder welche Handwerker mit verschiedenen Werkzeugen ... der Reihe nach ausführten. Z.B. in der modernen Manufaktur von Briefkuverts faltete ein Arbeiter das Papier mit dem Falzbein, ein anderer legte den Gummi auf, ein dritter schlug die Klappe um, ... und bei jeder dieser Teiloperationen musste jedes einzelne Kuvert die Hände wechseln.

Eine einzige Kuvertmaschine verrichtet alle diese Operationen auf einen Schlag und macht 3000 und mehr Briefkuverts in einer Stunde. “ K. Marx, Kapital I.: 399.

„In der Fabrik, d.h. in der auf Maschinenbetrieb gegründeten Werkstatt, erscheint ... die einfache Kooperation wieder, und zwar zunächst, (wir sehen hier vom Arbeiter ab) als räumliche Zusammenballung gleichartiger und gleichzeitig zusammenwirkender Arbeitsmaschinen. So wird eine Webfabrik durch das Nebeneinander vieler mechanischer Webstühle und eine Nähfabrik durch das Nebeneinander vieler Nähmaschinen in demselben Arbeitsgebäude gebildet.“ K. Marx, Kapital I.: 399-400.

„Ein eigentliches Maschinensystem tritt aber erst an die Stelle der einzelnen selbständigen Maschine, wo der Arbeitsgegenstand eine zusammenhängende Reihe verschiedner Stufenprozesse durchläuft, die von einer Kette verschiedenartiger, aber einander ergänzender Werkzeugmaschinen ausgeführt werden.

Hier erscheint die der Manufaktur eigentümliche Kooperation durch Teilung der Arbeit wieder, aber jetzt als Kombination von Teilarbeitsmaschinen. Die spezifischen Werkzeuge der verschiedenen Teilarbeiter, in der Wollmanufaktur z.B. der Wollschläger, Wollkämmer, Wollscherer, Wollspinner usw. verwandeln sich jetzt in die Werkzeuge spezifizierter Arbeitsmaschinen, von denen jede ein besonderes Organ für eine besondere Funktion im System des kombinierten Werkzeugmechanismus bildet.“ K. Marx, Kapital I.: 400.

„Die kombinierte Arbeitsmaschine ...  ist um so vollkommener, je kontinuierlicher ihr Gesamtprozess ist, d.h. mit je weniger Unterbrechung das Rohmaterial von seiner ersten Phase zu seiner letzten übergeht, je mehr also statt der Menschenhand der Mechanismus selbst es von einer Produktionsphase in die andre fördert.

Wenn in der Manufaktur die Isolierung der Sonderprozesse ein durch die Teilung der Arbeit selbst gegebenes Prinzip ist, so herrscht dagegen in der entwickelten Fabrik die Kontinuität der Sonderprozesse.“ K. Marx, Kapital I.: 401.

Emanzipation der  Maschinen vom Manufakturbetrieb:

„Die Erfindung von Vaucanson (mechanischer Webstuhl), Arkwright Spinnmaschine), Watt (Dampfmaschine) usw. waren ... nur ausführbar, weil jene Erfinder ein von der Manufakturperiode fertig geliefertes und beträchtliches Quantum geschickter mechanischer Arbeiter vorfanden.“ K. Marx, Kapital I.: 402-403.

„Wir erblicken hier also in der Manufaktur die unmittelbare technische Grundlage der großen Industrie. Jene produzierte die Maschinerie, womit diese in den Produktionssphären, die sie zunächst ergriff, den handwerks- und manufakturmäßigen Betrieb aufhob. Der Maschinenbetrieb erhob sich also naturwüchsig auf einer ihm unangemessenen materiellen Grundlage. Auf einem gewissen Entwicklungsgrad musste er diese erst fertig vorgefundene und dann in ihrer alten Form weiter ausgearbeitete Grundlage selbst umwälzen und sich eine seiner eigenen Produktionsweise entsprechende neue Basis schaffen.“ K. Marx, Kapital I.: 403.

„... Auf einer gewissen Entwicklungsstufe geriet die große Industrie auch technisch in Widerstreit mit ihrer handwerks- und manufakturmäßigen Unterlage. ... Maschinen z. B. wie die moderne Druckerpresse, der moderne Dampfwebstuhl und die moderne Kadiermaschine, konnten nicht von der Manufaktur geliefert werden.“ K. Marx, Kapital I.: 403-404.

„Die große Industrie musste sich also ihres charakteristischen Produktionsmittels der Maschine selbst, bemächtigen und Maschinen durch Maschinen produzieren. So erst schuf sie ihre adäquate technische Unterlage und stellte sich auf ihre eignen Füße.“ K. Marx, Kapital I.: 405.

„Die wesentlichste Produktionsbedingung für die Fabrikation von Maschinen durch Maschinen war eine jeder Kraftpotenz fähige und doch zugleich ganz kontrollierbare Bewegungsmaschine. Sie existierte bereits in der Dampfmaschine. Aber es galt zugleich die für die einzelnen Maschinenteile nötigen streng geometrischen Formen wir Linie, Ebene, Kreis, Zylinder, Kegel und Kugel maschinenmäßig zu produzieren. Dies Problem löste Henry Maudslay im ersten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts durch die Erfindung der Drehbank... “ K. Marx, Kapital I.: 405.

„Diese mechanische Vorrichtung ersetzt nicht irgendein besonderes Werkzeug, sondern die menschliche Hand selbst, die eine bestimmte Form hervorbringt, durch Vorhalten, Anpassen und Richtung der Schärfe von Schneidinstrumenten usw. gegen oder über das Arbeitsmaterial... “ K. Marx, Kapital I.: 406.

„Betrachten wir nun den Teil der zum Maschinenbau angewandten Maschinerie, der die eigentliche Werkzeugmaschine bildet, so erscheint das handwerksmäßige Werkzeug wieder, aber in riesenhaftem Umfang.

Der Operateur der Bohrmaschine z.B. ist ein ungeheurer Bohrer, der durch eine Dampfmaschine getrieben wird und ohne den umgekehrt die Zylinder großer Dampfmaschinen und hydraulischen Pressen nicht produziert werden können.

Die mechanische Drechselbank ist die riesenhafte Wiedergeburt der gewöhnlichen Fußdrechselbank, die Hobelmaschine ein eiserner Zimmermann, der mit denselben Werkzeugen in Eisen arbeitet, womit der Zimmermann in Holz arbeitet.

„Die Umwälzung der Produktionsweise in einer Sphäre der Industrie bedingt ihre Umwälzung in der anderen. ... So machte die Maschinenspinnerei Maschinenweberei nötig und beide zusammen die mechanisch-chemische Revolution in der Bleicherei, Druckerei und Färberei. So rief andererseits die Revolution in der Baumwollspinnerei die Erfindung der maschinellen ... Trennung der Baumwollfaser vom Samen hervor, womit erst die Baumwollproduktion auf dem nun erheischten großen Maßstab möglich wurde.

Die Revolution in der Produktionsweise der Industrie und Agrikultur ernötigte namentlich aber auch eine Revolution in den allgemeinen Bedingungen des gesellschaftlichen Produktionsprozesses, d.h. den Kommunikations- und Transportmitteln.“ K. Marx, Kapital I.: 404.

„...Für die große Industrie mit ihrer fieberhaften Geschwindigkeit der Produktion, ihrer massenhaften Stufenleiter, ihrem beständigen Werfen von Kapital- und Arbeitermassen aus einer Produktionssphäre in die andere und ihren neugeschaffenen weltmarktlichen Zusammenhängen ... wurde das Kommunikations- und Transportwesen daher allmählich durch ein System von Flussdampfschiffen, Eisenbahnen, ozeanischen Dampfschiffen und Telegrafen ... angepasst.“ K. Marx, Kapital I.: 405.

„Als Maschinerie erhält das Arbeitsmittel eine materielle Existenzweise, welche Ersetzung der Menschenkraft durch Naturkräfte und erfahrungsmäßige Routine durch bewusste Anwendung der Naturwissenschaft bedingt. In der Manufaktur ist die Gliederung des gesellschaftlichen Arbeitsprozesses rein subjektiv, ist eine ombination von Teilarbeitern; im Maschinensystem besitzt die große Industrie einen ganz objektiven Produktionsorganismus den der Arbeiter als fertige materielle Produktionsbedingung vorfindet.

Die Maschinerie mit einigen später zu erwähnenden Ausnahmen, funktioniert nur in der Hand unmittelbar vergesellschafteter oder gemeinsamer Arbeit. Der kooperative Charakter des Arbeitsprozesses wird jetzt also durch die Natur des Arbeitsmittels selbst diktierte technische Notwendigkeit.“ K. Marx, Kapital I.: 407.

 

Zur Methode dieser Online-Lektüre:

Diese Kurzfassung aller drei Kapital-Bände verzichtet auf die Vertiefung von Einzelfragen, bietet aber den vollständigen Gedankengang von Marx' Hauptwerk im Zusammenhang und in seinen eigenen Worten.

Jedem neuen Abschnitt wird eine Zusammenfassung des bisherigen Gedankengangs vorangestellt.

Wo es dem Verständnis dient, wurden Fremdwörter, Maßeinheiten und teilweise auch Zahlenbeispiele modernisiert.

Diese und andere Textteile, die nicht wörtlich von Marx stammen, stehen in kursiver Schrift. Auslassungen im laufenden Text sind durch drei Punkte  ...  kenntlich gemacht. Hervorhebungen von Marx sind normal fett gedruckt. Jedes Zitat enthält die Seitenangabe der Marx-Engels-Werke, Bände 23 - 25.

Wal Buchenberg