Kapital 1.:605-614

21. Kapitel: Einfache Reproduktion.
Eine Gesellschaft erhält sich, indem sie kontinuierlich immer wieder das produziert, was sie für ihre Produktion und ihren Konsum benötigt.
Ein Teil der Produktion muss also immer neu produzieren und ersetzen, was in der laufenden Produktion an Produktionsmitteln (Arbeitsmittel oder Maschinen, Rohmaterial und Hilfsstoffe sowie Energie) verbraucht wird.
Ein anderer Teil der Produktion geht in die Erhaltung der Arbeiter, der Kapitalisten und der anderen gesellschaftlichen Klassen.
Ein Teil dessen, was die Arbeiter produzieren sind also ihre eigenen Lebensmittel (Nahrung, Wohnung, Kleidung, Verkehrsmittel, Bildung, Vergnügen usw.).
Die Arbeiter produzieren ihre eigenen Lebensmittel, die sie von den Kapitalisten wieder mit dem Lohn zurückkaufen, den sie von den Kapitalisten bekommen.
Über diese Lebensmittelproduktion für den eigenen Bedarf  hinaus produzieren die Arbeiter auch den Mehrwert. Der Mehrwert unterteilt sich in den Ersatz für die verbrauchten Produktionsmittel und in den Lebensunterhalt der Kapitalisten (und anderer unproduktiver Klassen).
Am Ende eines jeden Produktionsprozesses ist der Anfangszustand wieder hergestellt:
Die Kapitalisten haben ihre Produktionsmittel wieder erneuert, haben ihren Lebensunterhalt aus dem Mehrwert bestritten und haben das variable Kapital wieder in Händen, um erneut die Arbeitskraft zu kaufen, die den selben Prozess von vorne beginnt.
Die Arbeiter dagegen haben gearbeitet und gelebt, haben aber am Ende des Prozesses ebenso wenig wie am Anfang eigene Produktionsmittel, so dass sie ihre Arbeitskraft wieder an die Produktionsmittelbesitzer verkaufen müssen.

„Der kapitalistische Produktionsprozess reproduziert also durch seinen eignen Vorgang die Scheidung zwischen Arbeitskraft und Arbeitsbedingungen. Er reproduziert und verewigt damit die Ausbeutungsbedingungen des Arbeiters. Er zwingt beständig den Arbeiter zum Verkauf seiner Arbeitskraft, um zu leben, und befähigt beständig den Kapitalisten zu ihrem Kauf, um sich zu bereichern. Es ist nicht mehr der Zufall, welcher Kapitalist und Arbeiter als Käufer und Verkäufer einander auf dem Warenmarkt gegenüberstellt. Es ist die Zwickmühle des Prozesses selbst, die den einen stets als Verkäufer seiner Arbeitskraft auf den Warenmarkt zurückschleudert und sein eigenes Produkt stets in das Kaufmittel des anderen verwandelt.“ K. Marx, Kapital I.: 603.
„Der kapitalistische Produktionsprozess, im Zusammenhang betrachtet oder als Reproduktionsprozess, produziert also nicht nur Ware, nicht nur Mehrwert, er produziert und reproduziert das Kapitalverhältnis selbst, auf der einen Seite den Kapitalisten, auf der andren den Lohnarbeiter.“ K. Marx, Kapital I.: 604.

22. Kapitel

Verwandlung von Mehrwert in Kapital

1. Kapitalistischer Produktionsprozess auf erweiterter Stufenleiter. Umschlag der Eigentumsgesetze der Warenproduktion in Gesetze der kapitalistischen Aneignung.

„Früher hatten wir zu betrachten, wie der Mehrwert aus dem Kapital, jetzt wie das Kapital aus dem Mehrwert entspringt. Anwendung von Mehrwert als Kapital oder Rückverwandlung von Mehrwert in Kapital heißt Akkumulation des Kapitals.
Betrachten wir diesen Vorgang zunächst vom Standpunkt des einzelnen Kapitalisten. Ein Spinnereikapitalist z.B. habe ein Kapital von 1000.000 Euro vorgeschossen, wovon vier Fünftel in Baumwolle, Maschinen etc. (800.000 c), das letzte Fünftel in Arbeitslohn (200.000 v) vorgeschossen ist. Er produziere jährlich 240.000 kg Garn zum Wert von 1,2 Millionen Euro. Bei einer Rate des Mehrwerts von 100 % steckt der Mehrwert im Mehrprodukt des Nettoprodukts von 40.000 kg Garn, einem Sechstel des Bruttoprodukts, zum Wert von 200.000 Euro, den der Verkauf realisieren wird. ... Man riecht und sieht diesem Gelde nicht an, dass es Mehrwert ist. Der Charakter eines Werts als Mehrwert zeigt, wie er zu seinem Eigner kam, ändert aber nichts an der Natur des Werts oder des Geldes.“ K. Marx, Kapital I.: 605.

(Also:

1. Kreislauf: 800.000 c + 200.000 v + 200.000 m = 1.200.000 G’)

2. Kreislauf: „Um die neu hinzugekommene Summe von 200.000 Euro  in Kapital zu verwandeln, wird also der Spinnereikapitalist, alle andern Umstände gleichbleibend, vier Fünftel davon vorschießen im Ankauf von Baumwolle usw. (= 160.000) und ein Fünftel (=40.000) im Ankauf neuer Spinnarbeiter...
Dann fungiert das neue Kapital von 200.000 Euro in der Spinnerei und bringt seinerseits einen Mehrwert von 40.000 Euro ein.“ K. Marx, Kapital I.: 605-606.

(2. Kreislauf:
a) als besonderer Kreislauf des akkumulierten Mehrwerts:
160.000 c + 40.000 v + 40.000 m = 240.000 G‘‘.

2. Kreislauf:
b) als gemeinsamer Kreislauf von Anfangskapital plus verwertetem Kapital:
 960.000 c + 240.000 v + 240.000 m = 1440.000 G‘‘)

 „Konkret betrachtet löst sich die Akkumulation auf in Reproduktion des Kapitals auf progressiver Stufenleiter. Der Kreislauf der einfachen Reproduktion verändert sich und verwandelt sich ... in eine Spirale.“ K. Marx, Kapital I.: 607.

„Um zu akkumulieren, muss man einen Teil des Mehrprodukts in Kapital verwandeln.
Aber, ohne Wunder zu tun, kann man nur solche Dinge in Kapital verwandeln, die im Arbeitsprozess verwendbar sind, d. h. Produktionsmittel, und des ferneren Dinge, von denen der Arbeiter sich erhalten kann, d. h. Lebensmittel.
Folglich muss ein Teil der jährlichen Mehrarbeit verwandt worden sein zur Herstellung zusätzlicher Produktions- und Lebensmittel, im Überschuss über das Quantum, das zum Ersatz des vorgeschossenen Kapitals erforderlich war. Mit einem Wort: der Mehrwert ist nur deshalb in Kapital verwandelbar, weil das Mehrprodukt, dessen Wert er ist, bereits die sachlichen Bestandteile eines neuen Kapitals enthält.“ K. Marx, Kapital I.: 606-607. Anm. 21a: „Es wird hier abstrahiert vom Ausfuhrhandel, vermittelst dessen eine Nation Luxusartikel in Produktions- oder Lebensmittel umsetzen kann und umgekehrt.“

„Um nun diese Bestandteile tatsächlich als Kapital fungieren zu lassen, bedarf die Kapitalistenklasse eines Zuschusses von Arbeit. Soll nicht die Ausbeutung der schon beschäftigten Arbeiter extensiv und intensiv wachsen, so müssen zusätzliche Arbeitskräfte eingestellt werden.“ K. Marx, Kapital I.: 607.

Alle Zusatzinvestitionen (kapitalisierter Mehrwert) stammen aus unbezahlter Arbeit:

„Kehren wir jetzt zu unserem Beispiel zurück. ...
Das ursprüngliche Kapital von 1000.000 Euro bringt einen Mehrwert von 200.000 Euro, der kapitalisiert wird. Das neue Kapital von 200.000 Euro bringt einen Mehrwert von 40.000 Euro; dieser, wiederum kapitalisiert, also in ein zweites zusätzliches Kapital verwandelt, bringt einen neuen Mehrwert von 8.000 Euro usw.
Wir sehen hier ab von dem vom Kapitalisten verzehrten Teil des Mehrwerts. Ebenso wenig interessiert es uns für den Augenblick, ob die Zusatzkapitale zum ursprünglichen Kapital geschlagen oder von ihm zu selbständiger Verwendung getrennt werden; ... K. Marx, Kapital I.: 607.

„Das ursprüngliche Kapital bildete sich durch den Vorschuss von 100.000 Euro. Woher hat sie ihr Besitzer? Durch seine eigene Arbeit und die seiner Vorfahren! antworten uns einstimmig die Wortführer der politischen Ökonomie, und ihre Annahme scheint in der Tat die einzige, die zu den Gesetzen der Warenproduktion stimmt.
Ganz anders verhält es sich mit dem Zusatzkapital von 200.000 Euro. Seinen Entstehungsprozess kennen wir ganz genau. Es ist kapitalisierter Mehrwert. Von Ursprung an enthält er nicht ein einziges Wertatom, das nicht aus unbezahlter fremder Arbeit herstammt.“ K. Marx, Kapital I.: 608.

„Die Voraussetzung der Akkumulation des ersten Zusatzkapitals von 200.000 Euro war eine vom Kapitalisten vorgeschossene, ihm kraft seiner ‚ursprünglichen Arbeit’ gehörige Wertsumme von 1000.000 Euro. Die Voraussetzung des zweiten Zusatzkapitals von 40.000 Euro dagegen ist nichts anderes als die vorhergegangene Akkumulation des ersten, der 200.000 Euro, dessen kapitalisierter Mehrwert es ist.
Eigentum an vergangener unbezahlter Arbeit erscheint jetzt als die einzige Bedingung für gegenwärtige Aneignung lebendiger unbezahlter Arbeit in stets wachsendem Umfang. Je mehr der Kapitalist akkumuliert hat, desto mehr kann er akkumulieren.“ K. Marx, Kapital I.: 609.

„Insofern der Mehrwert, woraus Zusatzkapital Nr. 1 besteht, das Resultat des Ankaufs der Arbeitskraft durch einen Teil des Originalkapitals war, ein Kauf, der den Gesetzen des Warenaustausches entsprach...; sofern Zusatzkapital Nr. 2. ... bloß Resultat von Zusatzkapital Nr. 1, ..; sofern jede einzelne Transaktion fortwährend dem Gesetz des Warentausches entspricht, der Kapitalist stets die Arbeitskraft kauft, der Arbeiter sie stets verkauft, und wir wollen annehmen selbst zu ihrem wirklichen Wert, schlägt offenbar das auf Warenproduktion und Warenzirkulation beruhende Gesetz der Aneignung oder Gesetz des Privateigentums durch seine eigene, innere, unvermeidliche Dialektik in sein direktes Gegenteil um.
Der Austausch von Äquivalenten, der als die ursprüngliche Operation erschien, hat sich so gedreht, dass nur zum Schein ausgetauscht wird, indem erstens der gegen Arbeitskraft ausgetauschte Kapitalteil selbst nur ein Teil des ohne Äquivalent angeeigneten fremden Arbeitsproduktes ist und zweitens von seinem Produzenten, dem Arbeiter, nicht nur ersetzt, sondern mit neuem Mehrwert ersetzt werden muss. ...
Der beständige Kauf und Verkauf der Arbeitskraft ist die Form. Der Inhalt ist, dass der Kapitalist einen Teil der bereits vergegenständlichten fremden Arbeit, die er sich unaufhörlich ohne Äquivalent (Wertgleiches) aneignet, stets wieder gegen größeres Quantum lebendiger fremder Arbeit umsetzt.“ K. Marx, Kapital I.: 609.

„Ursprünglich erschien uns das Eigentumsrecht gegründet auf eigne Arbeit. ...
Eigentum erscheint jetzt auf Seite des Kapitalisten als das Recht, fremde unbezahlte Arbeit oder ihr Produkt anzueignen, auf Seite des Arbeiters als Unmöglichkeit, sich sein eignes Produkt anzueignen. Die Scheidung von Eigentum und Arbeit wird zur notwendigen Konsequenz eines Gesetzes, das scheinbar von ihrer Identität ausging.“ K. Marx, Kapital I.: 609-610.

„Sosehr die kapitalistische Aneignungsweise also den ursprünglichen Gesetzen der Warenproduktion ins Gesicht zu schlagen scheint, so entspringt sie doch keineswegs aus der Verletzung, sondern im Gegenteil aus der Anwendung dieser Gesetze.“ K. Marx, Kapital I.: 610.

 „Man sah, dass selbst bei einfacher Reproduktion alles vorgeschossne Kapital, wie immer ursprünglich erworben, sich in akkumuliertes Kapital oder kapitalisierten Mehrwert verwandelt. Aber im Strom der Produktion wird überhaupt alles ursprünglich vorgeschossne Kapital eine verschwindende Größe (ein Grenzwert, der gegen Null geht, im mathematischen Sinne), verglichen mit dem direkt akkumulierten Kapital...
Die politische Ökonomie stellt das Kapital daher überhaupt dar als ‚akkumulierter Reichtum‘ (verwandelten Mehrwert oder Revenue) ‚der von neuem zur Produktion von Mehrwert verwandt wird, oder auch den Kapitalisten als ‚Besitzer des Mehrprodukts‘.“ K. Marx, Kapital I.: 613-614.

Diese Kurzfassung aller drei Kapital-Bände online verzichtet auf die Vertiefung von Einzelfragen, bietet aber den vollständigen Gedankengang von Marx' Hauptwerk im Zusammenhang und in seinen eigenen Worten.
Auslassungen im laufenden Text sind durch drei Punkte  ...  kenntlich gemacht.
Hervorhebungen von Marx sind normal fett gedruckt.
Jeder einzelne Textabschnitt enthält die Seitenangabe der Marx-Engels-Werke, Bände 23 - 25.
Jedem neuen Abschnitt geht eine Zusammenfassung des vorherigen Abschnitts voran.
Wo es dem Verständnis dient, habe ich veraltete Fremdwörter, alte Maßeinheiten und teilweise auch Zahlenangaben  modernisiert. Alle diese und andere Textteile, die nicht wörtlich von Marx stammen, stehen in kursiver Schrift.
Rückfragen zum Text werde ich möglichst rasch beantworten. Kritik und Anregungen sind jederzeit willkommen.
Die bisher veröffentlichten Teile des Kapitals sind im Marx-Forum unter www.marx-forum.de nachzulesen.
Wal Buchenberg.