Kapital 1.657-670
2. Relative Abnahme des variablen Kapitalteils im
Fortgang der Akkumulation und der sie begleitenden
Konzentration
Bestimmte Mindestkapitalgrößen waren die
Voraussetzung für den Beginn der kapitalistischen Produktionsweise.
Kapitalakkumulation und damit Vergrößerung des operierenden Kapitals sind
Bedingungen für das Überleben
des Einzelkapitals. Daher vollzieht sich das Wachstum des
gesellschaftlichen Kapitals als Wachstum vieler individueller Kapitale.
Gleichzeitig spaltet sich ein vorhandenes Kapital in kleinere Teile. Mit
dieser Akkumulation der Einzelkapitale wächst daher auch die Anzahl der
Kapitalisten. Neben dieser langsamen Vergrößerung der Einzelkapitale
(=Konzentration) tritt noch die rasche Umverteilung des Kapitals durch
Vereinigung mehrer Einzelkapitale zu einem größeren gemeinsamen Kapital (=
Zentralisation). Beide Wege, Konzentration und Zentralisation, bilden
zunehmend größere Kapitale. „Die gewachsene Ausdehnung der
Industriebetriebe bildet überall den Ausgangspunkt für eine
umfassendere Organisation der Gesamtarbeit vieler, für eine breitere
Entwicklung ihrer materiellen Triebkräfte, d.h. für die fortschreitende
Umwandlung vereinzelter und gewohnheitsmäßig betriebener
Produktionsprozesse in gesellschaftlich kombinierte und wissenschaftliche
eingerichtete Produktionsprozesse.“ K. Marx, Kapital I.: 656.
Andererseits führt dieser Prozess der steigenden
Produktivität der Arbeit mittels der vergrößerten Kapitale zu einer
zunehmenden Überflüssigmachung der Arbeitskraft.
3. Progressive
Produktion einer relativen Überbevölkerung oder industriellen
Reservearmee
„Die Akkumulation des
Kapitals ... vollzieht sich, wie wir gesehen, in fortwährendem
qualitativen Wechsel seiner Zusammensetzung, in beständiger Zunahme seines
konstanten auf Kosten seines variablen Bestandteils. Die spezifisch
kapitalistische Produktionsweise, die ihr entsprechende Entwicklung der
Produktivkraft der Arbeit, der dadurch verursachte Wechsel in der
organischen Zusammensetzung des Kapitals halten nicht nur Schritt mit dem
Fortschritt der Akkumulation oder dem Wachstum des gesellschaftlichen
Reichtums. Sie schreiten ungleich schneller, weil die einfache
Akkumulation ... von der Zentralisation seiner individuellen Elemente, und
die technische Umwälzung des Zusatzkapitals von technischer Umwälzung des
Originalkapitals begleitet sind.“ K. Marx, Kapital I.:
657.
„Mit dem Fortgang der
Akkumulation wandelt sich also das Verhältnis von konstantem zu variablem
Kapitalteil, wenn es ursprünglich 1:1 war, in 2:1, 3:1, 4:1,
5:1, 7:1 usw., so dass, wie das Kapital wächst, statt ½ seines Gesamtwerts
progressiv nur 1/3, 1/4, 1/5, 1/6, 1/8 usw. in Arbeitskraft, dagegen 2/3,
3/4, 4/5, 5/6, 7/8 usw. in Produktionsmittel umgesetzt wird. Da die
Nachfrage nach Arbeit nicht durch den Umfang des Gesamtkapitals, sondern
durch den seines variablen Bestandteils bestimmt ist, fällt sie also
progressiv mit dem Wachstum des Gesamtkapitals, statt, wie vorhin
unterstellt, verhältnismäßig mit ihm zu wachsen. Sie fällt relativ zur
Größe des Gesamtkapitals und in beschleunigter Progression mit dem
Wachstum dieser Größe. Mit dem Wachstum des Gesamtkapitals wächst zwar
auch sein variabler Bestandteil, oder die ihm einverleibte Arbeitskraft,
aber in beständig abnehmender Proportion. Die Zwischenpausen, worin die
Akkumulation als bloße Erweiterung der Produktion auf gegebener
technischer Grundlage wirkt, verkürzen sich.“ K. Marx, Kapital I.:
658 „Die kapitalistische Akkumulation produziert..., und zwar im
Verhältnis zu ihrer Energie und ihrem Umfang, beständig eine relative,
d.h. für die mittleren Verwertungsbedürfnisse des Kapitals überschüssige,
daher überflüssige oder Zuschuss-Arbeiterbevölkerung.“ K. Marx, Kapital
I.: 658 Das gesellschaftliche Gesamtkapital betrachtet, wirken
verschiedene Faktoren der Akkumulation
gleichzeitig:
„Das gesellschaftliche
Gesamtkapital betrachtet, ruft die Bewegung seiner Akkumulation bald
periodischen Wechsel hervor, bald verteilen sich ihre Momente gleichzeitig
über die verschiedenen Produktionssphären. In einigen Sphären findet
Wechsel in der Zusammensetzung des Kapitals statt ohne Wachstum seiner
absoluten Größe, infolge bloßer Konzentration; in andren ist das
absolute Wachstum des Kapitals mit absoluter Abnahme seines variablen
Bestandteils oder der von ihm absorbierten Arbeitskraft verbunden; in
andren wächst das Kapital bald auf seiner gegebnen technischen Grundlage
fort und saugt zuschüssige Arbeitskraft im Verhältnis seines
Wachstums an; bald tritt organischer Wechsel ein und schrumpft sein
variabler Bestandteil; in allen Sphären ist das Wachstum des variablen
Kapitalteils und daher der beschäftigten Arbeiterzahl stets verbunden mit
heftigen Fluktuationen und vorübergehender Produktion von Überbevölkerung,
ob diese nun die auffallendere Form von Ausstoßen bereits
beschäftigter Arbeiter annimmt oder die mehr unscheinbare, aber nicht
minder wirksame, erschwerter Aufnahme der zuschüssigen
Arbeiterbevölkerung in ihre gewohnten Abzugskanäle.“ K. Marx, Kapital I.:
659. „Mit der Größe des bereits funktionierenden Gesellschaftskapitals
und dem Grad seines Wachstums ... dehnt sich auch die Stufenleiter, worin
größere Aufnahme der Arbeiter durch das Kapital mit größerer
Ausstoßung derselben verbunden ist, nimmt die Raschheit der Wechsel
in der organischen Zusammensetzung ... zu... Mit der durch sie selbst
produzierten Akkumulation des Kapitals produziert die Arbeiterbevölkerung
also in wachsendem Umfang die Mittel ihrer eigenen relativen
Überzähligmachung. Es ist dies ein der kapitalistischen
Produktionsweise eigentümliches Bevölkerungsgesetz....“ K. Marx,
Kapital I.: 659-560.
„Wenn aber eine
Überschussarbeiterbevölkerung notwendiges Produkt der Akkumulation
... ist, wird diese
Überbevölkerung umgekehrt zum Hebel der kapitalistischen Akkumulation, ja
zu einer Existenzbedingung der kapitalistischen Produktionsweise. Sie
bildet eine einsatzbereite industrielle Reservearmee, die dem
Kapital ganz so absolut gehört, als ob es sie auf seine eigenen Kosten
großgezüchtet hätte. Sie schafft für seine wechselnden
Verwertungsbedürfnisse das stets bereite ausbeutbare
Menschenmaterial, unabhängig von den Schranken der wirklichen
Bevölkerungszunahme.“ K. Marx, Kapital I.: 661.
Neue Branchen und neue
Märkte machen eine Arbeiter-Reservearmee
systemnotwendig: „Die
technischen Bedingungen des Produktionsprozesses selbst, Maschinerie,
Transportmittel usw. ermöglichen ... die rascheste Verwandlung von
Mehrprodukt in zuschüssige Produktionsmittel. Die mit dem Fortschritt der
Akkumulation überschwellende und in Zusatzkapital verwandelbare Masse des
gesellschaftlichen Reichtums drängt sich mit Wildheit in alte
Produktionszweige, deren Markt sich plötzlich erweitert, oder in neu
eröffnete, ... deren Bedürfnis aus der Entwicklung der alten
entspringt. In allen solchen Fällen müssen große Menschenmassen
plötzlich und ohne Abbruch der Produktionsleiter in anderen Sphären auf
die entscheidenden Punkte werfbar sein. Die Überbevölkerung liefert sie.“
K. Marx, Kapital I.: 661.
Wirtschaftszyklen
machen ebenfalls eine Arbeiter-Reservearmee
systemnotwendig: „Der
charakteristische Lebenslauf der modernen Industrie, die Form eines durch
kleinere Schwankungen unterbrochenen zehnjährigen Zyklus von Perioden
mittlerer Lebendigkeit, Produktion unter Hochdruck, Krise und Stagnation,
beruht auf der beständigen Bildung, größeren oder geringeren Absorption
und Wiederbildung der industriellen Reservearmee oder
Übervölkerung.... Dieser eigentümliche Lebenslauf der modernen
Industrie, der uns in keinem früheren Zeitalter der Menschheit begegnet,
war auch in der Kindheitsperiode der kapitalistischen Produktion
unmöglich.“ K. Marx, Kapital I.: 661.
„Die plötzliche und
ruckweise Expansion der Produktionsleiter ist die Voraussetzung ihrer
plötzlichen Kontraktion; letztere ruft wieder die erstere hervor, aber die
erstere ist unmöglich ohne verfügbares Menschenmaterial, ohne eine
vom absoluten Wachstum der Bevölkerung unabhängige Vermehrung von
Arbeitern.“ K. Marx, Kapital I.: 662.
„Der kapitalistischen
Produktion genügt keineswegs das Quantum verfügbarer Arbeitskraft,
welches der natürliche Zuwachs der Bevölkerung liefert. Sie bedarf zu
ihrem freien Spiel einer von dieser Naturschranke unabhängigen
industriellen Reservearmee.“ K. Marx, Kapital I.: 664. Historische
Gesamttendenz der industriellen Reservearmee:
„Bisher wurde
unterstellt, dass der Zu- oder Abnahme des variablen Kapitals genau die
Zu- oder Abnahme der beschäftigten Arbeiterzahl entspricht.“ K. Marx,
Kapital I.: 664.
„Man hat gesehen, dass
die Entwicklung der kapitalistischen Produktionsweise und Produktivkraft
der Arbeit... den
Kapitalisten befähigt, mit derselben Auslage von variablem Kapital mehr
Arbeit durch größere extensive oder intensive Ausbeutung der
individuellen Arbeitskräfte flüssig zu machen. Man hat ferner gesehen,
dass er mit demselben Kapitalwert mehr Arbeitskräfte kauft, indem er
progressiv geschicktere Arbeiter durch ungeschicktere, reife durch
unreife, männliche durch weibliche, erwachsne Arbeitskraft durch
jugendliche oder kindliche verdrängt.“ K. Marx, Kapital I.: 664-665.
(Oder auch einheimische verbrauchte Arbeitskraft durch immigrierte
frische. wb) „Einerseits macht also, im Fortgang der Akkumulation,
größeres variables Kapital mehr Arbeit flüssig, ohne mehr Arbeiter zu
werben, andrerseits macht variables Kapital von derselben Größe mehr
Arbeit mit derselben Masse Arbeitskraft flüssig und endlich mehr niedere
Arbeitskräfte durch Verdrängung höherer. Die Produktion einer relativen
Überbevölkerung oder die Freisetzung von Arbeitern geht daher noch rascher
voran als die ...
entsprechende proportionelle Abnahme des variablen Kapitalteils
gegen den konstanten... Die Überarbeit des beschäftigten Teils der
Arbeiterklasse schwellt die Reihen ihrer Reserve, während umgekehrt der
vermehrte Druck, den die letztere durch ihre Konkurrenz auf die erstere
ausübt, diese zur Überarbeit und Unterwerfung unter die Diktate des
Kapitals zwingt.“ K. Marx, Kapital I.: 665. „Die Nachfrage nach Arbeit ist
nicht identisch mit Wachstum des Kapitals, die Zufuhr der Arbeit nicht
identisch mit dem Wachstum der Arbeiterklasse... Das Kapital agiert auf beiden
Seiten zugleich. Wenn seine Akkumulation einerseits die Nachfrage nach
Arbeit vermehrt, vermehrt sie andrerseits die Zufuhr von Arbeitern durch
deren ‚Freisetzung‘, während zugleich der Druck der Unbeschäftigten die
Beschäftigten zur Flüssigmachung von mehr Arbeit zwingt, also in gewissem
Grad die Arbeitszufuhr von der Zufuhr von Arbeitern unabhängig macht.“ K.
Marx, Kapital I.: 669. „Die industrielle Reservearmee drückt während
der Perioden der Stagnation und mittleren Prosperität auf die aktive
Arbeiterarmee und hält ihre Ansprüche während der Periode der
Überproduktion und der übersteigerten Produktion im Zaum. Die
relative Überbevölkerung ist also der Hintergrund, worauf das Gesetz der
Nachfrage und Zufuhr von Arbeit sich bewegt.“ K. Marx, Kapital I.:
668. „Im großen und ganzen sind die allgemeinen Bewegungen des
Arbeitslohns ausschließlich reguliert durch die Expansion und Kontraktion
der industriellen Reservearmee, welche dem Periodenwechsel des
industriellen Zyklus entsprechen. Sie sind also nicht bestimmt durch die
Bewegung der absoluten Anzahl der Arbeiterbevölkerung, sondern durch das
wechselnde Verhältnis, worin die Arbeiterklasse in aktive Armee und
Reservearmee zerfällt...“ K. Marx, Kapital I.: 666 Die Arbeiter
reagieren darauf durch Zusammenschluss in Gewerkschaften: „Sobald
daher die Arbeiter hinter das Geheimnis kommen, wie es angeht, dass im
selben Maß, wie sie mehr arbeiten, mehr fremden Reichtum produzieren und
die Produktivkraft ihrer Arbeit wächst, sogar ihre Funktion als
Verwertungsmittel des Kapitals immer prekärer für sie wird; sobald sie
entdecken, dass der Intensitätsgrad der Konkurrenz unter ihnen selbst ganz
und gar von dem Druck der relativen Überbevölkerung abhängt; sobald sie
daher durch Gewerkschaften usw. eine planmäßige Zusammenwirkung
zwischen den Beschäftigten und Unbeschäftigten zu organisieren suchen, um
die ruinierenden Folgen jenes Naturgesetzes der kapitalistischen
Produktion auf ihre Klasse zu brechen oder zu schwächen, zetert das
Kapital ... über Verletzung des ‚ewigen‘ und sozusagen ‚heiligen‘ Gesetzes
der Nachfrage und Zufuhr. Jeder Zusammenhalt zwischen den Beschäftigten
und Unbeschäftigten stört nämlich das ‚reine’ Spiel jenes Gesetzes.“ K.
Marx, Kapital I.: 669-670 Diese Kurzfassung aller drei
Kapital-Bände online verzichtet auf die Vertiefung von Einzelfragen,
bietet aber den vollständigen Gedankengang von Marx' Hauptwerk im
Zusammenhang und in seinen eigenen Worten. Auslassungen im laufenden
Text sind durch drei Punkte
... kenntlich
gemacht. Hervorhebungen von Marx sind normal fett gedruckt. Jeder
einzelne Textabschnitt enthält die Seitenangabe der Marx-Engels-Werke,
Bände 23 - 25. Jedem neuen Abschnitt geht eine Zusammenfassung des
vorherigen Abschnitts voran. Wo es dem Verständnis dient, habe ich
veraltete Fremdwörter, alte Maßeinheiten und teilweise auch
Zahlenangaben modernisiert.
Alle diese und andere Textteile, die nicht wörtlich von Marx stammen,
stehen in kursiver Schrift. Rückfragen zum Text werde ich möglichst
rasch beantworten. Kritik und Anregungen sind jederzeit willkommen. Die
bisher veröffentlichten Teile dieser Kapital-Kurzfassung sind im
Marx-Forum unter www.marx-forum.de nachzulesen. Wal Buchenberg.
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