Der Volksaufstand in Tunesien, trieb in wenigen Tagen das Ali-Regime in die Flucht. Das war nicht nur für die Tunesier Ansporn und Grund zur Freude. Es bewies, dass die Demonstranten nicht umsonst ihr Blut vergossen hatten.

 

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Dann griff die Aufstandsbewegung auf andere arabische Länder über.

 

 

 

Am Abend des 02. Februar 2011 um 18:00 kommentierte ich die bisherigen Ereignisse in Ägypten:

 

Die Staatsmacht hat hier wie dort mehrere Gesichter und viele Köpfe.
Zunächst haben die "Ordnungshüter" in Uniform versucht, die Demonstrationen in Kairo und anderen Städten niederzuknüppeln. Das ist ihnen nicht gelungen.
Dann sind die Panzer in Kairo eingefahren, aber ohne einzugreifen. Einzugreifen haben sich die Befehlshaber angesichts der Breite der Protestbewegung nicht mehr getraut. Ein großes Blutbad war ihnen der Mubarak nicht mehr wert.
Zu diesem Zeitpunkt hielt Mubarak seine erste Rede und machte ein paar kleine Zugeständnisse an das aufständische Volk. Das Volk spürte erstmals seine eigene Kraft und die Schwäche seiner Oberen und verbreiterte den Protest um so energischer.
Schon damals und auch seither immer hat das Militär sich für Ausgangssperre am Abend und in der Nacht und für ein Ende der Demonstrationen ausgesprochen. Auch das hat nichts genutzt, viele Demonstranten blieben auch Nachts auf den Straßen und Plätzen.
Dann hat Mubarak seine zweite Rede gehalten und einen Rückzug auf Raten angeboten. Auch das hat die Gemüter nicht beruhigt.
Erst dann haben sich die „Westmächte“ – erst die USA und dann auch die Bundesregierung- vorsichtig von Mubarak verabschiedet.
Der hat aber nicht aufgegeben.
Am heutigen Mittwoch (in China ist heute das traditionelle Neujahr nach dem Mondkalender) ist die Staatsmacht in Zivil in Kairo zu Tausenden aufmarschiert, um die Demonstranten "im Namen des Volkes" erneut niederzuknüppeln. Diese "Gegendemonstration" ist eine große organisatorische Leistung des alten Regimes. Es brachte seine Anhänger immerhin ohne Internet, ohne Twitter und ohne Mobilfunk auf die Straße. Wahrscheinlich haben die Anhänger Mubaraks in den Büros und Amtsstuben auf ihren Einsatzbefehl gewartet, und prügeln nun zur Verteidigung ihrer gefährdeten Pöstchen und Ämter.
Das ist tatsächlich ein kritischer Moment.
Wenn sich die Demonstranten jetzt einschüchtern lassen, dann war alles bisherige (fast) umsonst.

Ein Eingreifen des Militärs hängt allerdings davon ab, ob sie eine neue Befehlsspitze gefunden haben. Für Mubarak leisten sie sich kein Blutbad. Dieser Moment ist vorbei. Das Militär braucht für ein blutiges Eingreifen Einen oder eine Gruppe, die die Verantwortung übernehmen will und die glaubwürdig verspricht, künftig „das Heft in der Hand zu behalten“. Das Militär denkt und handelt in Ägypten wie überall hierarchisch. Ohne eine neue, funktionierende Hierarchie bleibt das Militär paralysiert.

 

Mein Kommentar am 03. Februar 2011, 17:00:

 

Die Aufständischen haben in Kairo trotz vorübergehender Minderzahl und trotz schwerer Opfer (6 Tote, davon vier durch Schüsse, und fast 1000 Verletzte) in der gestrigen Nacht ihre Position auf dem zentralen Al Tahrir-Platz behauptet.
Der von Mubarak eingesetzte Ministerpräsident musste sich offiziell vor laufender Kamera entschuldigen, wollte aber keine Verantwortung für die gewaltsamen Angriffe der Mubarak-Leute auf die Protestbewegung übernehmen.
Die Protestbewegung hat einen wichtigen Tagessieg errungen, der zwar noch nicht den politischen Durchbruch bringt, der aber wohl sicherstellt, dass die Bewegung keinen größeren Blutzoll mehr bringen muss. Von der amtierenden Regierung wie von der Armee sind die Aufständischen jetzt als Macht anerkannt, mit der man verhandeln muss, und die nicht mehr mit Gewalt beseitigt werden kann. Das ist mehr, als man gestern noch erwarten konnte.

 

Am 04. Februar 2011 schrieb ich:

 

Die gegenwärtige Aufstandsbewegung in Nordafrika und im Nahen Osten ist kein Hungeraufstand. Handys und Twitter spielen da eine größere Rolle als die Brotpreise. In allen Ländern, in denen gegenwärtig für Demokratisierung und Modernisierung gekämpft wird, waren die Wirkungen der Wirtschaftskrise bisher weniger tief als in Europa.

 


 

Ägypten ist kein Armenhaus, sondern – neben Südafrika – das industriell am weitesten entwickelte Land Afrikas mit einer Bevölkerung so groß wie in der Bundesrepublik. Mehr als ein Drittel der ägyptischen Wirtschaftsleistung wird in der (meist staatlichen) Industrie erwirtschaftet. Der größte Teil der Erwerbstätigen sind Lohnarbeiter. Die zweitgrößte Gruppe nach den Lohnarbeitern sind die Staatsangestellten mit 5,7 Millionen Beschäftigten im Öffentlichen Dienst.
Die Arbeitslosigkeit ist mit rund 10 Prozent nicht höher als in Europa. Die Arbeitslosigkeit der Jugendlichen liegt mit 25 Prozent sehr hoch, aber Spanien übertrifft diese Zahl deutlich.
Die ägyptische Inflationsraten lag im letzten Jahr bei 12 Prozent. Das ist viel, aber doch weniger als in der Zeit vor dem Jahr 2000.
Kurz: Die Demokratiebewegung ist keine Hungerrevolte. Um einen Despoten loszuwerden, der dem Volk seit Jahrzehnten im Nacken sitzt, braucht es keinen Wirtschaftseinbruch. Das ist in jeder Wirtschaftslage ein lohnenswertes Ziel.
Ich denke, die Aufstände und Revolten in Nordafrika sind Modernisierungsbewegungen wie sie in Lateinamerika in den 80er und 90er Jahren stattgefunden haben. Dort wurden (fast) alle Diktatoren vertrieben und halbwegs parlamentarische Systeme durchgesetzt. Das wurde von den Medien in Europa wohlwollend zur Kenntnis genommen.
Nordafrika und der Nahe Osten ist jedoch der „Unterleib Europas“ und die EU-Kapitalisten machen gute Geschäfte mit den Diktatoren. Das erklärt die Sorgenfalten, die die gegenwärtige Aufstandsbewegung unseren Wirtschaftskommentatoren auf die Stirn treibt.
Hinzu kommt, dass auch die Völker in (Nord)Europa offene Rechnungen mit ihren Regierungen zu begleichen haben. Das erklärt die vornehme Zurückhaltung der europäischen Regierungen. Keine von ihnen wollte sich offen mit der Volksbewegung in Ägypten solidarisieren, obwohl doch die beliebten Schlagwörter „Freiheit und Demokratie“ so wunderbar passen. Da malt man lieber die „Islamismus-Gefahr“ an die Wand. Rebellionsviren ist ansteckend und „zuviel Demokratie“ ist für die Mächtigen ungesund.

Mein Kommentar vom 09. Februar 2011, 10:16:

 

In meinem letzten Update zum ägyptischen Aufstand hatte ich geschrieben,
dass die Volksbewegung von der amtierenden Regierung wie von der Armee jetzt als Macht anerkannt ist, mit der man verhandeln muss, und die nicht mehr mit Gewalt besiegt werden kann.
Das Mubarak-Regime hat mit den Aufständischen verhandelt, aber bitter wenig angeboten. Omar Suleiman versprach nur, es werde ein „Zeitplan für den friedlichen und organisierten Machtübergang erstellt“ und eine Verfassungs-Kommission eingerichtet, in der wohl auch Vertreter der Bewegung sitzen werden.

Die Aufständischen sind unbesiegt und haben nicht gesiegt.
Die Staatsmacht in Uniform konnte die Demonstranten trotz Kriegsrecht nicht von der Straße vertreiben, und die Staatsmacht in Zivil – auf Kamelen und Pferden – konnte die Demonstranten nicht vom Tahrir-Platz wegknüppeln.
Die Aufständischen fordern weiter den Rücktritt Mubaraks, aber Mubarak ist immer noch im Amt - auch wenn er unsichtbar bleibt und wohl keine Amtsgeschäfte mehr führt. Er ist noch im Amt, während hinter seinem Rücken die ägyptische „alte Garde“ fieberhaft nach Wegen sucht, die möglichst vielen von ihnen einen festen Platz an der künftigen Staatsmacht sicherstellen.

Der Januaraufstand in Ägypten ist sieglos, aber nicht folgenlos. Die 300 Toten, die dieser gewaltfreie Aufstand gekostet hat, sind nicht umsonst gestorben. Sie bleiben als Mahnung und Erinnerung für die ägyptische Jugend lebendig, auch wenn sie sich nicht mehr auf dem Tahrir-Platz versammeln. Die Toten bleiben Warnung für die künftigen Machthaber. Alles, was künftig in Ägypten geschehen wird, nimmt seinen Ausgang von diesem Volksaufstand.
Hier in Deutschland wundert sich man über die Breite und Geschlossenheit der Protestbewegung in Ägypten und fragt sich, warum in Nordafrika dieser Proteststurm losbrach, während in Nordeuropa scheinbare Windstille herrscht.
Ich denke: Die Wut ist verbreitet, aber niemand weiß, wo mit dem Protest anzufangen wäre, weil Alles und Jedes im Argen liegt.
In Ägypten ist Mubarak der tyrannische Knoten, der alles fesselt und zusammenhält. Alle wissen: Dieser Knoten muss durchschlagen werden, bevor sich irgendetwas bessern kann. In Nordeuropa konzentrieren sich die Probleme nicht auf eine Person. Gegen einen Hitler hätte es - ohne das erfolgreiche Eingreifen der Alliierten - einen Volksaufstand der Deutschen geben können, Aber gegen einen Westerwelle, eine Merkel oder einen Gabriel? Das wäre viel Aufwand für wenig Erfolg.
Das ist das Vertrackte an der Vertreterdemokratie: Sie stinkt zum Himmel, aber keiner hat uns die Kacke hingesetzt. Eine Umfrage unter Parlamentariern ergab: Unsere Volksvertreter fühlen sich "weitgehend machtlos".

Kaiser, Könige, Tyrannen und Diktatoren sind vom eigenen Volk verjagt worden, aber noch kein einziges Parlament.

Mein Kommentar vom 11. Februar, 8:00

 

Mubarak ist nicht abgetreten, aber er hat seinen Folterknecht Suleiman zwischen sich und die Volksempörung geschoben. Den Geheimdienstchef Suleiman nennt eine bekannte deutsche Zeitung „Meisterspion mit der Schwäche fürs Foltern“. Das ist keine Lösung des Konflikts, nicht einmal eine Beschwichtigung, sondern eine Kampfansage.
Gewonnen hat das Mubarak-Regime damit nichts. Ganz im Gegenteil. Hätte Mubarak vor einer Woche die politische Einsicht und persönliche Größe für einen Rücktritt gehabt, dann wäre die Mehrzahl der Demonstranten zufrieden gewesen und alle anderen Mitglieder der Mubarak-Clique wären unbehelligt an der Schalthebeln der Macht geblieben.
Inzwischen steht nicht nur Mubarak in der Kritik, sondern die ganze alte Garde.
Inzwischen versammeln sich Demonstranten nicht nur in Kairo und Alexandria, sondern auch in Suez, Port Said, Ismailia, Suez und Assuan.
Inzwischen kristallisiert sich der Volkszorn nicht nur in Demonstrationen, sondern auch in Streiks.
Der politische und wirtschaftliche Druck der Volkes nimmt nicht ab, sondern zu.
Ich sehe keinen Ausweg für dieses Regime.
Die ägyptische Armee wollte bisher nicht ägyptisches Blut für Mubarak vergießen. Für Suleiman werden sie es noch weniger tun wollen.
Und selbst wenn eine Clique von skrupellosen Militärs putschen und den friedlichen Volksaufstand niederkatätschen würde, führte das nicht zur Befriedung, sondern zum Bürgerkrieg.
Das Mubarak-Regime kann diesen Kampf nicht gewinnen.

 

Am Abend des 11. Februar 2011 schrieb ich nur die Zeile:

 

„Mubarak ist Geschichte. Das ist ein Augenblick des Glücks.“

 

 

 

Wal Buchenberg