Sind wir alle Griechen?


Einige Linke sind aufgewacht und haben bemerkt, dass der Konflikt um Griechenland nicht nur die Schulden-Regierungen und ihre Gläubiger (Geldkapitalisten) betrifft. Siehe dazu die Junge Welt und die verdienstvolle Zusammenstellung von Labournet.

Sie haben gemerkt, dass in Griechenland die Sozialstaatsillusion mit auf dem Spiel steht. Renten und Beamtenpensionen sollen gekürzt, Sozialleistungen gestrichen werden. Steuern sollen erhöht werden.

Wer sagt: „Wir sind alle Griechen!“, der meint: Wir sind alle Transferempfänger. Wir bekommen alle Geld vom Staat. Wir sind alle arm. Wir wollen "unsere" Knete!

Als Pose tritt dieser Standpunkt fordernd und rebellisch auf. Im Kern ist die Forderung dennoch unterwürfig. Sie akzeptiert die Macht- und Verteilungsverhältnisse. Sie akzeptiert, dass die Staatsmacht weiterhin über Gelder verfügt und Gelder verteilt. Sie akzeptiert, dass für uns nur „Brocken vom großen Kuchen“ übrig bleiben.
Das ist die Pose, die ein Bettler auf der Straße einnimmt, der die Passanten frech und motzig anbettelt: Nun rück mal ein paar Euro raus!

Die bestehende Rollenverteilung zwischen denen da oben und wir da unten wird nicht in Frage gestellt. Der Bettler bleibt Bettler, und es ist abzusehen, dass der motzige Bettler nicht einmal ein erfolgreicher Bettler sein wird.

Auch die andere linke Parole: „Wir zahlen nicht für eure Krise!“ nimmt diesen unterwürfigen Standpunkt ein: „Solange wir nicht bezahlen müssen, kümmert uns eure Krise nicht!“
Tatsächlich hat die gegenwärtige Krise des Kapitalismus mit viel mehr zu tun, als nur mit Geld und Geldzuflüssen. Das verliert diese Parole aus dem Blick.

Die Macht des Staates beruht nicht in erster Linie auf Geld, sondern auf Personenverbänden (Beamte, Soldaten, Polizei etc.), die über Gewaltinstrumente verfügen (Waffen, Gesetze, Gefängnisse etc.).

Die Macht der Kapitalisten beruht nicht in erster Linie auf Geld, sondern auf dem Besitz der Produktionsmittel (Unternehmen). Die kapitalistische Alltagsgewalt ist die tägliche Befehlsgewalt über die Lohnarbeiter mit der allgegenwärtigen Drohung des Arbeitsplatzverlustes.

Wer sich nur um Geldsummen kümmert, rührt weder die Macht des Staates, noch die Macht der Kapitalisten an. Wer sagt: "Die Reichen sollen bezahlen!", der akzeptiert, dass es weiter reiche Kapitalisten gibt. Der findet es normal und richtig, dass die Staatsregierung Steuern erhebt und riesige Geldvermögen verwaltet. Antikapitalismus geht anders.

Ja, wer sich wehrt, ist grundsätzlich im Recht. Deshalb dürfen wir nicht allzu lange über den spontanen Widerstand gegen die Krisenfolgen mäkeln. Sich nicht wehren ist schlimmer, als sich falsch zu wehren.
Richtig wehren können wir uns nur mit der Maxime des alten Sunzi: Kenne dich selbst und kenne deine Gegner!
Bei beiden Erkenntnissen hapert es in der Linken.

Griechenland ist überall
Wir sind zwar nicht alle Griechen, aber Griechenland ist überall.
Die Schuldenkrise Griechenlands ist nur die akute Zuspitzung einer Krankheit, von der alle kapitalistischen Staaten betroffen sind. Die Schuldenlast anderer EU-Staaten ist relativ und absolut größer als in Griechenland. Das „Rettungspaket“, das jetzt für Griechenland geschnürt wird, ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein.

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Überall sind die kapitalistischen Staaten überschuldet. Überall kürzen sie Sozialausgaben, um weiter Zinsen an die reichen Staatsgläubiger zahlen zu können. Überall werden immer mehr Steuergelder reprivatisiert und kapitalisisiert.

Siehe im Karl-Marx-Forum "Staatsschulden".

Die Staatsverschuldung lässt sich nicht stoppen, indem man schreit: "Nicht auf unsere Kosten!"

Wenn Lohnarbeiter streiken, dann nehmen sie den Lohnausfall in Kauf, schlimmstenfalls den Verlust des Arbeitsplatzes.
Wenn man die Schuldenfalle des Staates beseitigen will, muss man den Staatsbankrott fordern, auch wenn dadurch Einbußen bei den Transferleistungen entstehen. Die gibt es so oder so. Aber der Staatsbankrott nimmt der Regierung das Heft des Handelns aus der Hand.

Wer den verschuldeten Staaten das Geld gibt, hat auch Macht über diese Staaten.
Wer den Staatsbankrott fordert, nimmt dem Staat das Geld. Wer dem Staat das Geld nimmt, nimmt ihm auch Macht.

Wie bei einem bankrotten Unternehmen müssen wir uns anschließend fragen: Welche Aufgaben des Staates können wir in die eigene Hand, in eigene Selbstverwaltung übernehmen?

Es gibt (in anderen Ländern und in der deutschen Geschichte) Erfahrungen mit der Verwaltung der Sozial- und Krankenkassen durch die Versicherten bzw. die Gewerkschaften.
Solche Forderungen und Maßnahmen zielen auf Entstaatlichung und auf eine selbstbestimmte Gesellschaft. Solche Maßnahmen und Forderungen sind wirklich antikapitalistisch.

Wal Buchenberg am Vorabend zum 1. Mai 2010