Künstler im Kapitalismus 1. Künstler als
Dienstleister und Handwerker in vorkapitalistischer
Zeit Der
"freischaffende Künstler" ist ein Produkt des modernen Kapitalismus wie
Wolkenkratzer, Automobile oder die "Pille". Zwar
kennen wir aus dem frühen Mittelalter künstlerische Buchillustrationen,
aber ihre Schöpfer waren anonyme Klostergeistliche, die nur
"nebenberuflich" künstlerisch tätig wurden. Illustrierte (früher sagte man
"illuminierte") Handschriften waren die erste Form einer transportablen
Malerei, aus der sich allmählich die Wandmalerei abzweigte und der man
lange noch ihre Abstammung aus der Buchmalerei ansehen
konnte. Auch
in den mittelalterlichen Städten lebten keine Künstler im heutigen Sinn.
Die Produzenten von Kunstwerken waren weder im eigenen Verständnis, noch
im Verständnis ihrer Kunden und des Publikums vom Handwerk getrennt.
Im
14. Jahrhundert wurden Materialien und Arbeitstechniken der städtischen
Handwerkskünstler reichhaltiger. Neben die Buch- und Wandmalerei trat die
Glasmalerei und die Malerei auf Holzplatten, die manchmal mit geweißter
Leinwand überzogen waren. Als im Prag des Jahres 1348 die Korporation der
Maler und Schildermacher gegründet wurden, gehörten zu ihr auch die Glaser, Goldschmiede,
Pergamentarbeiter, Buchbinder und Holzschnitzer. Mit
den vielfältigeren Möglichkeiten entwickelte sich auf dieser rein
handwerklichen Grundlage ein erstes artistisches Virtuosentum. "Das Privateigentum des Produzenten an seinen
Produktionsmitteln ist die Grundlage des Kleinbetriebs, der
Kleinbetrieb eine notwendige Bedingung für die Entwicklung der
gesellschaftlichen Produktion und der freien Individualität des
Produzenten selbst. ... Sie blüht nur, ... wo der Produzent freier
Privateigentümer seiner von ihm selbst gehandhabten
Arbeitsbedingungen ist, der Bauer des Ackers, den er bestellt, der
Handwerker des Instruments, worauf er als Virtuose
spielt." (Karl Marx, Das Kapital Bd.
I.: 789). Die Kunstschaffenden des ausgehenden Mittelalters
mögen artistische Könner gewesen sein, sie blieben Handwerker, kleine
Warenproduzenten, die mit eigenen Werkzeugen in eigener Werkstatt im
Erdgeschoss des eigenen Wohnhauses mit wenigen Gehilfen oder Lehrlingen
arbeiteten. Ihr Handwerk war ehrbar, aber nicht ausgezeichnet.
Ausnahmsweise nur kam der gelernte Goldschmied Albrecht Dürer in Nürnberg
in den Rat seiner Stadt ebenso wie ein Stefan Lochner in Köln. Die
Oberschicht in den Städten stellte das kaufmännische Großbürgertum, nicht
das kleinbürgerliche Handwerk. Bildwerke wurden auf Bestellung
angefertigt, und die Wünsche der Besteller mussten vom Künstler
berücksichtigt werden. Der Handwerkerkünstler lieferte die kunstvolle
Handarbeit, die Planung konnte ganz oder teilweise vom Besteller bestimmt
werden. Diese künstlerische Warenproduktion unterscheidet sich nicht von
der Maßanfertigung eines Anzugs, bei dem der Kunde Farbe, Schnitt und
Stoff bestimmt, oder dem Hausbau eines Architekten, der seine Entwürfe den
Bauherren zur Entscheidung vorlegen muss. Mit
dem Aufkommen des absolutistischen Staates und dem Verlust der
mittelalterlichen Städtefreiheit wurden zunehmend religiöse und weltliche
Fürsten die Abnehmer der Kunst. Die Abhängigkeit der Handwerkerkünstler
von ihren adeligen Auftraggebern konnte so weit gehen, dass sie neben dem
Kürschner, Schuster, Waffenschmied usw. als Hofkünstler zu den
Bediensteten eines Fürstenhofes gehörten. Selbst ohne direkte persönliche
Abhängigkeit vom Adel war wenig Raum für "künstlerische Freiheit". Von
König Ludwig von Bayern weiß man, dass sich von einem Künstler einen
Entwurf anfertigen ließ, aber die Ausarbeitung des Entwurfes dann einem
anderen Künstler übergab. 2. Die Freiheit des
Künstlers im Kapitalismus 2.1. Friedrich Schiller und
das Ende der Kunst Die Verschönerung eines Platzes, eines Raumes oder
eines Gegenstandes (= Kunst) war immer schon ein Luxus, der erst jenseits
des Existenznotwendigen beginnen konnte. Das galt für Höhlenzeichnungen
ebenso wie für Tempelbauten. In der Frühzeit des Kapitalismus predigte das
Bürgertum jedoch Sparsamkeit und Fleiß und kritisierte adelige
Verschwendungssucht und Luxus. Daraus zogen Ideologen den voreiligen
Schluss, dass mit der Durchsetzung des Kapitalismus und der Etablierung
des Bürgertums als herrschender Klasse ein Zeitalter der fleißigen Arbeit
ohne Muße und ohne überflüssigen Luxus anbrechen werde. Das späte Echo
dieser frühkapitalistischen Entsagungsideologie ist noch im Klagegesang
von der "Konsumgesellschaft" zu hören. Verzicht auf Luxus heißt Verzicht
auf Kunst. Soweit hatte Friedrich Schiller recht, als er das "Ende der
Kunst" hereinbrechen sah: "Jetzt aber herrscht das Bedürfnis und beugt
die gesunkene Menschheit unter sein tyrannisches Joch. Der Nutzen ist das
große Idol der Zeit, dem alle Kräfte fronen und alle Talente huldigen
sollen. Auf dieser groben Waage hat das geistige Verdienst der Kunst kein
Gewicht, und aller Aufmunterung beraubt, verschwindet sie von dem
lärmenden Markt des Jahrhunderts." (F. Schiller, Über die ästhetische
Erziehung des Menschen, 1793.) Es
sollte sich bald herausstellen, dass der Kulturpessimismus Schillers
unbegründet war. Nützlichkeitsdenken und luxusfeindlicher Geschäftssinn
waren zwar typische Verhaltensweisen in der protestantischen Frühphase des
Kapitalismus. Mit der zunehmenden Akkumulation von kapitalistischen
Reichtümern in Europa mindestens seit 1830 wurde Verschwendung und
Schaustellung des Reichtums zur Geschäftsnotwendigkeit der Kapitalisten,
die damit sowohl den Erfolg ihres Geschäfts als auch ihre Kreditwürdigkeit
unter Beweis stellten. Kunst
fand im Bürgertum neue Abnehmer und - teilweise - auch neue Themen.
Allmählich entstand ein wirklicher Markt für Kunst. Die Künstler
emanzipierten sich von vielseitig beschäftigten
"Verschönerungshandwerkern" oder von Luxusdienern des Adels zu
spezialisierten Warenproduzenten, dem "bildenden Künstler". Er blieb zwar
wie andere Handwerker ein selbständiger Warenproduzent mit eigenen
Produktionsmitteln (Werkstatt, Arbeitsgeräte etc.), der seine Produkte
selbständig plante und in geschickter und individueller Arbeit schuf und
als sein eigener Kaufmann zu Geld machte, trotz dieser Gemeinsamkeiten mit
anderen kleinbürgerlichen Handwerksberufen erhielt der Künstler eine Aura,
die ihn aus allen Handwerksberufen heraushob. 2.2. Kunst als bürgerliches
Erfolgssymbol Aus Sicht der Maler brachte der wirtschaftliche,
soziale und politische Aufstieg des Bürgertums zusätzliche Abnehmer und
Auftraggeber. Die traditionellen Auftraggeber waren religiöse und
weltliche Fürsten, daneben trat nun das zunehmend reichere und
selbstbewusstere Bürgertum. Die großen Themen der Malerei blieben
dieselben: Politische Großereignisse, Porträts der staatlichen und
gesellschaftlichen Elite und religiöse Auftragskunst.
Das
Porträt in Öl blieb wichtigste Existenzgrundlage der Maler. "Die
Anfertigung von Porträts stellte einen stetigen Bedarf dar. Diese Bildform
hatte sich als ein traditionelles Segment ... seit dem späten Mittelalter
entwickelt und bestand bis ins 19. Jahrhundert fort." (Ruppert:
69).
Der Maler Sergeant Kendall (1869 - 1938)
verlängerte seinen Studienaufenthalt 1890 in Paris, "um gut genug zu
zeichnen, um Porträts machen zu können - die beste Geldquelle, wenn sie
gut gemacht sind". Bis zur Wende zum 20. Jahrhundert blieben
Porträtaufträge für die Maler in den USA "das tägliche
Brot". Das
Porträt in Öl wurde durch das neue Medium der Fotografie (seit 1839)
keineswegs in Frage gestellt. Die Porträtfotografie erobert als Kunden das
Kleinbürgertum und die Lohnarbeiter. Das Ölporträt bleibt hochwertiges
Statussymbol für die erfolgreichen Reichen, für Fabrikanten,
Bildungsbürger und Staatsmänner. Der Fotograf trat neben den Maler oder
unter ihn, aber ersetzte ihn nicht. Auch
das Bürgertum hatte seine Helden und Heldentaten, die auf Leinwand
verewigt werden sollten.
Waren die riesigen Malflächen der von Fürsten
beauftragten historischen Schlachtengemälde "nach Quadratfüßen
taxiert" worden (Rosenberg 1884), so wurden nun die Bildformate
insgesamt kleiner, wenn auch Großformate immer noch mit "hohem Status" und
"großem Wert" verbunden blieben. Mit
Durchsetzung des Kapitalismus entwickelte sich ein Kunstmarkt durch
Ausstellungswesen, öffentliche Kunstmuseen, Kunstvereine, Kunsthandel und
Kunstkritik. Beispielsweise brachte das Tübinger
Morgenblatt zwischen 1820 und 1849 ein "Kunstblatt" heraus. 1866 wurde die
"Zeitschrift für bildende Kunst" gegründet. 1886
gab es allein in München 65 Kunsthandlungen und Kunstverlage. 1912 waren
es 133. Künstler konnten erstmals "auf
Vorrat" produzieren für einen anonymen Markt. Vor allem Landschaftsbilder,
Blumen- und Tierdarstellungen sowie nackte Erotik werden neben religiösem
Kitsch für den anonymen Markt gemalt. Das Bildungsgut der Antike von Homer
über Bibel bis zur römischen Politik blieb der einheitliche, geistige
Horizont von Kunst, Kunstschaffenden und Kunstpublikum. Ein bedeutsamer
Markt für europäische Kunst wurde vor allem durch die Kunstnachfrage aus
den USA geschaffen. Das
Ende des amerikanischen Bürgerkriegs hatte eine lange wirtschaftliche
Boomphase eingeleitet, in der viele Kapitalisten riesige Vermögen
anhäuften. "Das nächste Resultat der
(kapitalistischen) Maschinerie ist, den Mehrwert und zugleich die
Produktenmasse, worin er sich darstellt, also mit der Substanz, wovon
die Kapitalistenklasse samt Anhang zehrt, diese
Gesellschaftsschichten selbst zu
vergrößern. Ihr
wachsender Reichtum ... erzeugt mit neuem Luxusbedürfnis zugleich neue
Mittel seiner Befriedigung. Ein größerer Teil des gesellschaftlichen
Produkts verwandelt sich in Mehrprodukt und ein größerer Teil des
Mehrprodukts wird in verfeinerten und vermannigfachten Formen reproduziert
und verzehrt. In anderen Worten: Die Luxusproduktion
wächst." (K. Marx, Kapital I, MEW 23,
468f.) "Der Wunsch nach Repräsentation
begleitete das Wachstum der gigantischen Privatvermögen und veranlasste
die amerikanischen Neureichen, sich bei ausgedehnten Aufenthalten in den
Metropolen Europas die kulturelle Veredelung ihres sozialen Standes zu
verschaffen." (Frohne: 105.) "Mit dem Wachstum gigantischer
Privatvermögen ging der Wunsch nach sichtbaren Repräsentationszeichen
einher..." (Frohne: 142.) Das
Gemälde "Dorfpolitiker" von Wilhelm Leibl wurde auf der Weltausstellung
1878 in Paris für 15.000 Francs an einen Amerikaner
verkauft. Der
"Malerfürst" August Kaulbach verkaufte seine 1892 im Glaspalast in München
ausgestellte "Grablegung Christi" für den Spitzenpreis von 40.000 Mark in
die USA. Die
Kapitalistenklasse in den USA demonstrierte mit europäischer Kultur und
europäischem Schick ihren neu gewonnenen Reichtum. Europäischer Nippes und
europäische Kunst wurde in den USA zum Statussymbol von Reichtum und
Kultur. Unter den amerikanischen Millionären entwickelte sich ein "bis
dahin beispielloses Kulturbedürfnis." (Frohne:
144.) In Deutschland setzte nach dem Sieg über
Frankreich 1871 mit den Gründerjahren ein ähnlicher Boom ein. Der neue
kapitalistische Reichtum sollte präsentiert werden, sowohl durch luxuriöse
Villen als auch durch reiche Ausstattung. Der "Eisenbahnkönig" Bethel
Henry Strousberg richtete in seiner neuen Berliner Villa eine private
Gemäldesammlung mit 200 Bildern ein. Der
Münchner Porträtmaler Lenbach kommt in dieser Zeit zu
Reichtum. Der
Maler Böcklin urteilte über den Wiener Kunstmarkt: "Wien ist eine
wunderbare Stadt. ... Der Reichtum und der Luxus grenzen an's Unglaubliche
(etwa 450 Millionäre) ... Dabei wollen alle ihren Reichtum genießen und
zeigen, wozu ihnen die Künste unentbehrlich sind." (Brief Böcklins,
22.3.1872). In den USA gab es zu dieser Zeit übrigens über 4000
Dollar-Millionäre. Seit
der Gründerzeit war "die Nachfrage nach Kunst insgesamt schubartig
angewachsen." (Ruppert: 109). Der Sieg des Kapitalismus brachte kein
"Ende der Kunst", wie Schiller befürchtet hatte. Mit der Wirtschaft hatten
auch Luxus und Kunst Konjunktur. Der Maler Mowbray urteilte über die
"Amerikanische Renaissance" nach dem amerikanischen Bürgerkrieg: "Es
war auch eine sehr verschwenderische Zeit." Der Kunsthändler James T.
Callow stellte fest: Aus der Gruppe der kapitalistischen Millionäre
"kamen jene, welche Gemälde und Statuen kauften, Künstler zum Studium
ins Ausland schickten, sich Häuser in griechischem oder gotischem ... Stil
bauten, und es schick fanden, selber Kunst in Auftrag zu geben."
(Frohne: 145.) "Zu einer Zeit in den achtziger
Jahren", erinnerte sich der Kunstkritiker S. Hartmann, "waren
reiche New Yorker wirklich gezwungen, eine Bildergalerie zu
haben." "Seit
der Centennial Exhibition (1879) überschwemmten die Werke alter Meister
und der zeitgenössischen Maler aus Paris den amerikanischen
Markt." Frohne: 164. "Die Vanderbilts, die Wolfes,
die Astors, die Morgans und andere unermesslich vermögende Familien legten
in dieser Phase den Grundstock ihrer immensen Kunstsammlungen."
(Frohne: 165.) Als
das Metropolitan Museum of Art 1872 eröffnete, bestand seine
Gemäldegalerie ausschließlich aus europäischen
Werken. Mit
dem Kunstgeschmack wechselten auch Preise. Als der Kunstsammler John T.
Martin seinen Kunstbesitz im April 1909 in New York zum Verkauf anbot,
erhielt er noch 280.000 Dollar dafür, obwohl er in den 1870ern fast eine
Million Dollar für dafür bezahlt hatte. Während der kapitalistischen
Millionärsschicht die kulturelle Aufwertung ihres Besitzstands maßgeblich
durch Importe aus Europa gelang, war die amerikanische Mittelklasse auf
die einheimische Kunstproduktion angewiesen. Neben
stolzen Porträts in Öl wurden Kopien von berühmten europäischen Gemälden
immer wichtiger für den Lebensunterhalt amerikanischer Maler. Bis zur
Einführung des Copyright-Gesetzes am 3. März 1891 war "die Herstellung
dieser unberechtigten Kopien ... schon zu einem regelrechten Gewerbe
geworden, (...) und es wird weiterhin mit einer Sorgfalt und Detailtreue
ausgeübt, die einen hohen Grad an Perfektion von dem Arbeiter verlangt.
Die Größe des Originals und all seine Details, bis zur Signatur des
Künstlers werden getreu imitiert ...und es wird frech zu einer
autorisierten Kopie erklärt." (Frohne: 153.) "Namhafte
amerikanische Künstler stellten sogar in den Jahresausstellungen der
National Academy of Design ihre Kopien von den Gemälden europäischer
Kollegen aus, wofür sie nicht selten das Lob der Kritiker ernteten."
(Frohne: 153.) Nach
Einführung des Copyright ging der Maler Edmund C. Tarbell (1862-1938) dazu
über, die von ihm angefertigten Kopien europäischer Meister in seine
eigenen Bildkompositionen als artistischen Hintergrund
einzubauen. Bei
ihren eigenen Werken hatten die amerikanischen Maler Mühe, selbst niedrige
Preise durchzusetzen. Am 27. Januar 1874 notierte der arrivierte Maler
McEntee: "Mr. Hedian, ein Kunsthändler aus Baltimore, stattete mir
einen Besuch ab und, nachdem er sich in sehr schmeichelhafter Art über
meine Arbeit geäußert hatte, bot er mir schließlich 150 Dollar für ein
Bild, für das ich 300 Dollar verlange." Weniger bekannte Maler als
McEntee waren gezwungen, ihre Bilder wie Handlungsreisende von Tür zu Tür
bei Trödlern, Geschäftsleuten und Kritikern anzubieten. Ralph A. Blakelock
(1847-1915) erzielte auf diese Weise maximal 25 Dollar bis 35 Dollar für
ein Gemälde, die wenige Jahre vor seinem Tod 1913 schon mehr als 13.000
Dollar einbrachten, ohne dass der Maler noch davon profitiert hätte.
Selbst die Stars der amerikanischen Malerszene lagen weit unter dem
Preisniveau ihrer europäischen Kollegen. John
G. Brown bekam bestenfalls 600 Dollar für ein Gemälde, Chase bekam 750
Dollar für ein Brustbild, 1.500 Dollar für ein Halbporträt und 2000 Dollar
für ein Vollporträt. Zur selben Zeit verlangte der Franzose W. Pinchot für
ein Porträt 12.000 Golddollar. 3. Der Status des Künstlers in der
bürgerlichen Berufswelt Die neuen Kunstkonsumenten stammten aus dem
Besitzbürgertum (Kapitalisten) und dem Bildungsbürgertum (akademische
Berufe), also aus dem sozialen Umkreis der kleinbürgerlichen
Handwerkerkünstler. Hatte der Adel alle Erwerbsarbeit und erst recht die
Handarbeit verachtet, so hatte sich das Besitz- und Bildungsbürgertum eben
erst aus dem handwerklich geprägten Kleinbürgertum emporgearbeitet. Der
Künstler gehörte "dazu". In einer bürgerlich geprägten Welt konnte auch
die Rolle des Handwerkerkünstlers neu bestimmt und aufgewertet werden. Als
Verkäufer seiner von ihm produzierten Ware trat der Künstler
gleichberechtigt neben die Verkäufer von Anzügen, Gewehren oder
Eisenbahnen. 3.1. Künstler wird ein geachteter
Beruf Die erste Berufszählung im Deutschen Reich von
1882 erfasste 105 verschiedene künstlerische Berufsfelder und unterschied
noch nicht zwischen den handwerklich orientierten "angewandten" und den
"freien" Künsten. Erst die Berufsstatistik von 1897 vollzog diese Trennung von Kunsthandwerk und Kunst. Die Zahl der freien Künstlerberufe wurde reduziert. Die Berufszählung von 1925 erfasste noch 41 künstlerische Berufe, 1933 verblieben davon noch 37. Derzeit sind in
Deutschland rund 17.000 hauptberufliche bildende Künstler bei der
Künstler-Sozialkasse gemeldet, macht rund 0,06 Prozent aller
Erwerbstätigen. Der Anteil der Künstler an allen Berufen ist also nur
leicht angestiegen. Dass
Europa gegenüber den USA bis weit in die Zeit nach 1900 noch führend in
der Kunst war, zeigt ein Vergleich der (registrierten) Maler und
Bildhauer. München (1907):
1.447 Berlin (1907):
1225 New
York (1893): knapp 300. Erst
in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts wurde New York zur
"Kunsthauptstadt" der Welt. Dazu
beigetragen hatte auch die Unterwerfung von Kunst und Künstler unter das
Staatsinteresse der Nationalsozialisten und der folgende Exodus der
Künstler aus Europa. Bis
zum Machtantritt der Nationalsozialisten in Deutschland blieb die Zahl der
Künstler im wesentlichen stabil. Es ist unverkennbar, dass die Zeit des
schnellen Reichtums in der Gründerzeit auch eine Boomzeit für Künstler
gewesen ist, während der schrumpfende Kunstmarkt in den Krisenzeiten Ende
der Zwanziger auch einen Rückgang der selbständigen Künstler herbeiführte.
Die Konjunkturen der Kunst folgen den Konjunkturen des kapitalistischen
Reichtums. Der
Anteil der Künstlerinnen im Berufsfeld stieg zwar sichtbar, blieb aber
immer deutlich unter der Quote der weiblichen Beschäftigten an der
Gesamtzahl der Erwerbstätigen. Künstler, vor allem Maler, war und blieb
eine Domäne der Männer. Für
die bürgerliche Berufswelt lässt sich insgesamt behaupten: Je höher das
Prestige eines Berufsfelds ist, desto mehr wird es als "Männersache"
angesehen und Frauen davon ferngehalten. Der niedrige Frauenanteil unter
den Künstlern lässt sich als Beleg dafür nehmen, dass der Künstlerberuf
angesehener war als irgend eine Lohnarbeit. Das machte die Existenz als
freiberufliche Künstlerin gerade für Töchter aus "gutem Haus" zu den
wenigen standesgemäßen Erwerbsquellen. (explizit so bei Drey
1910). Mit
jeweils nur leichten Verschiebungen zwischen den einzelnen Schichten des
Bürgertums dominieren bürgerliche Bewerber bei der Münchner Kunstakademie,
obwohl für die Aufnahme keine Abiturprüfung nötig war wie bei anderen
akademischen Berufen. Das
Kunststudium war eine kostspielige Angelegenheit. Eine vielleicht nicht
ganz realistische zeitgenössische Schätzung kommt in den 90er Jahren des
19. Jahrhunderts bei einem durchschnittlich sechsjährigen Studium auf
Studienkosten (einschließlich der Kosten für eigenes Atelier etc.) von
insgesamt 18.000 Mark oder jährlich 3000 Mark. Zum
Vergleich: 1890 wurden mit 1400 Mark jährlich die höchsten Löhne im
Druckergewerbe gezahlt. Wer solche Summen nicht aufbringen konnte, konnte
noch auf private Malschulen ausweichen, die vielleicht preiswerter waren,
aber deren Abschlüsse weniger Prestige brachten. Insgesamt (vor allem aber bei den
Männern) nimmt die Zahl der ledigen Künstler zwischen 1895 und 1907
deutlich ab, woraus man eine Festigung der sozialen und wirtschaftlichen
Situation im bürgerlichen Gesellschaftsgefüge ablesen darf. Dafür spricht
auch die Zahl von 2.746 Dienstmädchen, die in Künstlerhaushalten
beschäftigt waren. Statistisch beschäftigte rund ein Viertel der
Künstlerhaushalte ein Dienstmädchen. Bürgerliche Lebenskultur und
bürgerliche Haushaltsführung war ohne private Bedienstete
undenkbar.
Auffällig ist der bleibend hohe
Anteil von ledigen Künstlerinnen, die man teils auf ihre schwierigere
wirtschaftliche Lage, teils auf das besondere Autonomiebestreben der
Künstlerinnen zurückführen darf. Kunstmaler war ein etablierter
(klein)bürgerlicher Beruf geworden. Der Künstler war Teil der bürgerlichen
Klassenhemisphäre. Der Künstler/die Künstlerin war kapitalistischer Warenproduzent neben anderen
kapitalistischen Warenproduzenten.
Bei
den Künstlern in den USA ergab sich kein anderes
Bild: Seit
der Kolonialzeit lebte die amerikanischen Künstler noch mit dem Makel
einer wenig seriösen Beschäftigung. Als Wanderkünstler lebte er in der
Regel davon, naturgetreue Porträts seiner Kunden anzufertigen. Nur "mit
den Weihen europäischer Kultiviertheit versehen, verfügten Künstler, die
auf Bildungsaufenthalte im Ausland verweisen konnten ... über das
notwendige Prestige, das ihnen in den Augen der neuen Schicht von Reichen
den Anschein internationaler Kompetenz verlieh." (Frohne:
32.) "Im Unterschied nämlich zu den
früheren amerikanischen Künstlergenerationen, deren Berufsstand sich auf
dem Niveau des Handwerkers befunden hatte, setzte ... auch eine Umwertung
im Range von künstlerischen Leistungen ein, die für höhere Schichten des
Mittelstandes das professionelle Künstlertum erstrebenswert machten. Ein
Einblick in die Biographien der damaligen Künstlerschaft bestätigt, dass
die meisten von ihnen, insbesondere die anzahlmäßig stärkste Gruppe derer,
die ihre Studien durch ausgedehnte Aufenthalte in Europa verfolgten, in
der Regel der gehobenen Mittel- bis Oberschicht entstammten." (Frohne:
108.f.) Für einen Studienaufenthalt in Europa wurden durchschnittlich 1000
Dollar pro Jahr gerechnet - das Doppelte, was ein gut verdienender
US-Arbeiter in dieser Zeit als Lohn bekam. Der
Maler Vonnoh ging 1881 mit 1300 Dollar nach Europa, womit er sein
zweijähriges Studium in Paris finanzierte. F. W. Benson reichten dafür
1000 Dollar von seinen Eltern. Etliche Kunststudenten aus den USA nahmen
ihre Ehefrauen mit nach Europa. Sie lebten meist ohne finanzielle Sorgen
in den besseren Stadtvierteln mit luxuriös ausgestatteten
Ateliers. In
München kamen rund 10 Prozent der Kunststudenten aus den USA. In Paris
studierten zwischen 1870 und 1900 fast 3000 amerikanische Künstler. Als
1890 die American Art Association of Paris gegründet wurde, konnte sie
komfortable Clubräume im Hotel Sillery an der Seine
anmieten. 3.2. Frauen als
Künstlerin Die staatlichen Akademien in Deutschland wehrten
sich lange gegen die Aufnahme von Kunststudentinnen. In den USA waren die
Kunstakademien von Beginn an private Unternehmen, deren Einkünfte von der
Aufnahme möglichst vieler Studenten und Studentinnen abhing.
Die
1805 gegründete Pennsylvania Academy erlaubte Frauen von Beginn an die
Teilnahme an den jährlichen Ausstellungen. Der erste Nachweis für die
Teilnahme von Studentinnen am Unterricht existiert 1844. In diesem Jahr
erließ die Akademieleitung einen Stundenplan, nach dem Frauen an drei
Tagen die Woche für je eine Stunde und ohne Anwesenheit von Männern, die
gipsernen Aktfiguren der Antikensammlung zeichneten. Zeichenunterricht
nach lebenden Modellen blieb für Frauen bis in die Zeit nach dem
Bürgerkrieg untersagt. Die
National Academy of Design in New York richtete ab 1871 eine separate
Zeichenklasse für Studentinnen ein. Die
New Yorker Künstlerinnen gründeten die Women's Art Society, die 1880 etwa
sechzig Mitgliederinnen zählte. Anne
Hall (1792-1863) blieb jedoch vor 1900 die einzige Künstlerin, die die
volle Mitgliedschaft in der Akademie erhielt. Erst in den 60er Jahren des
20. Jahrhunderts wurden die letzte Trennungen der Geschlechter im
Unterrichtsbetrieb der amerikanischen Kunsthochschulen
beseitigt. Ein
Artikel in "Harper's Monthly" aus dem Jahr 1880 gab eine zeitgenössische
Bestandsaufnahme der Frauenberufe. Auf der untersten Stufe der
Lohnpyramide fand sich ein Heer von ungelernten Arbeiterinnen, die im
Haushalt beschäftigt waren oder in der Industrie als Zigarrendreherinnen
oder Näherinnen in schlecht bezahltem Akkord arbeiten mussten. Bessere
Arbeitsbedingungen, aber keinen besseren Lohn, hatten die Frauen zu
erwarten, die in der Kunstblumenproduktion, als Buchbinderinnen,
Modeschneiderinnen oder Verkäuferin im Kaufhaus arbeiteten. An der Spitze
der Berufshierarchie rangierten jedoch künstlerische Berufe, in die
"vornehmere Frauen" strebten und deren Luxusprodukte von Reichen
nachgefragt wurden. Malerinnen waren beim reichen Publikum besonders
gefragt für Porträts von Frauen. 1891 schrieb der "Illustrated American",
dass die New Yorker Malerinnen mit "privaten Porträtaufträgen für
Kinder und Geschlechtsgenossinnen vollkommen ausgelastet"
seien. 3.3. Einkommen der
Künstler Von Bülow gab für das Jahr 1910 folgende Übersicht
über die wirtschaftliche Lage der Künstler in Deutschland: Er ging von
etwa 40.000 Bildwerken aus, die in Deutschland jährlich auf dem Kunstmarkt
angeboten wurden. Bei einem Durchschnittspreis von 1000 Mark ergab das ein
ausreichendes Einkommen für rund 10 Prozent der Maler. In seiner
hypothetischen Rechnung sind jedoch Auftragsarbeiten nicht enthalten. Man
könnte aus seinen Daten ebenso folgern, dass die Maler ihren
Lebensunterhalt nur zu 10 Prozent über den freien Kunstmarkt und zu 90
Prozent durch Auftragsarbeiten bestritten. Gleiches gilt für einen anderen
zeitgenössischen Autor (Uphoff-Hagen), der zu dem Schluss gelangte, dass
es nur einem Prozent der Maler gelänge, sich über den Kunstmarkt "eine
sorgenfreie Existenz" zu sichern. Tatsache ist, dass es in
vorkapitalistischer Zeit überhaupt keinen Kunstmarkt gab, und im 19.
Jahrhundert der freie Markt als Abnehmerkreis zu den traditionellen
Auftragskunden der Künstler hinzugekommen ist. Dass
fast ein Viertel der Künstlerhaushalte Dienstboten beschäftigten, rückt
die Behauptungen von Uphoff-Hagen und von Bülow in ein zweifelhaftes
Licht. Zwar
hatte der Kapitalismus aus unscheinbaren Handwerkern und Bediensteten
seriöse Warenproduzenten und Geschäftsleute gemacht, aber es darf doch als
sicher gelten, dass nur eine Minderheit der Maler vom Verkauf ihrer Bilder
bürgerlich leben konnten. Sie benötigten entweder familiäre Unterstützung
oder einen Nebenerwerb Die
jüngsten Daten, die ich fand, geben ein jährliches Volumen des deutschen
Kunstmarktes (Verkauf durch Galerien) von 150 Mio. Euro an.
Gleichmäßig in Portionen von der Größe des Durchschnittseinkommens in
Deutschland von 30.000 Euro verteilt, ergäbe das ein Einkommen für 5000
Maler - knapp ein Drittel der bei der Künstlersozialkasse registrierten
17.000
hauptberuflichen Künstlern.
Das durchschnittliche
Netto-Jahreseinkommen bildender Künstler in Deutschland gibt der Deutsche
Kunstrat derzeit mit rund 11.000 Euro an. Dieses Nettoeinkommen entsteht
durch den Abzug aller Betriebskosten (Atelier, Farbe, Werbekosten etc.)
von den Gesamteinnahmen des Kunstverkaufs. Malerinnen wurden generell
schlechter bezahlt als Maler. Rosa Bonheur klagte im Jahr 1892: "Ich
arbeite wie ein Zugpferd und spare wie ein französischer Bauer ... und
trotzdem kann ich das Nötigste für eine Studienreise ins Ausland nicht
zusammenkratzen ... Die Näherinnen bei Singer, Sekretärinnen und
Verkäuferinnen verdienen mehr als ich und ebenso die literarisch
arbeitenden Frauen; ihr Beruf ist ein
Ruhekissen." Solche Klagen von selbständigen
Warenproduzenten, dass Lohnarbeiter(innen) mehr Geld verdienen würden als
sie, ist heute wie damals zu hören. Trotzdem klammern sich heute wie
damals diese Kleinbürger an ihre selbständige Existenz. Sie haben fast
immer die Option, in einen lohnabhängigen Beruf umzusteigen.
Umgekehrt können
Lohnarbeiter(innen) in den wenigsten Fällen in die Selbständigkeit
ausweichen. Individuelle Kleinproduzenten verfügen über Fähigkeiten und
Kenntnisse, die in ein fertiges Produkt münden, das als Ware verkauft
werden kann. Moderne Lohnarbeit ist jedoch kooperative, gesellschaftliche
Arbeit, wo jeder einzelne Lohnarbeiter nur einen Teil der Gesamtarbeit
verrichtet. Erst aus den Teilfunktionen und Teilkenntnissen vieler
Lohnarbeiter wird in kapitalistischer Produktion ein fertiges Produkt
geformt und als Ware verkauft. Deshalb trifft Beschäftigungslosigkeit die
Lohnarbeiter doppelt hart: Sie verlieren sowohl ihr Einkommen wie ihre
Arbeitsqualifikation. Ihre Arbeitserfahrung, ihre Kenntnisse und
Fähigkeiten sind ganz ausgerichtet auf den modern-arbeitsteiligen
Arbeitsprozess und taugen nicht für eine selbständige Existenz als
traditioneller kleiner Warenproduzent - von den Kosten der nötigen
Produktionsmittel einmal ganz abgesehen. 4. Künstler als Verkörperung des
schöpferischen Menschen Ein Wagenmacher ist einer, der Wagen macht; ein
Schuhmacher ist einer der Schuhe macht; ein Schneider ist einer, der
Kleider schneidert; ein Schmied ist einer der Metall schmiedet. Die
Berufsdefinition von traditionellen Warenproduzenten verläuft entweder
über das Produkt (Schuhe, Wagen), das sie herstellen, oder über die
konkrete Arbeit, die sie an dem Produkt oder für den Kunden verrichten
(Schneider, Schmied). Noch
ganz im Sinn dieser traditionellen Berufsbeschreibung sprach die "Deutsche
Encyclopädie" von 1804 unter dem Stichwort "Künstler" davon, dass der
erste Zweck der "schönen Künste" "das Vergnügen" sei.
Nach dieser Definition wären die Künstler "Vergnügenmacher". Während die
anderen Handwerke und Warenproduzenten für die Notwendigkeiten des Alltags
sorgen, schafft ein Künstler die Freuden der Muße und des Feierns. Kunst
und Künstler stehen hier den Notwendigkeiten des Alltags gegenüber wie der
Feiertag dem Werktag. Das
war die allgemein-bürgerliche Kunstvorstellung bis ins 19. Jahrhundert
hinein, und ich vermute, dass diese Vorstellung von der Kunst als
Feiertags- und Feierabendangelegenheit auch heute noch bei Lohnarbeitern
verbreitet ist. Doch die bürgerlichen Meinungsmacher und Ideologen
trennten sich von dieser traditionellen Sicht auf Kunst und
Künstler. Im
"Bilder-Conversations-Lexikon für das deutsche Volk" von 1838 heißt es
plötzlich: "Der Künstler muss ein schöpferischen Vermögen, Genialität,
besitzen...". Hier
wird der Beruf des Künstlers nicht mehr wie jeder andere Warenproduzent
dadurch definiert, was er produziert oder wie er arbeitet, sondern durch
eine einzigartige Qualität seiner Person, die ihn von allen anderen
Berufen abhebt. Eine
ähnliche berufliche Sonderstellung findet sich beim Priester oder Pastor.
Der Priesterberuf wird nicht über seine Tätigkeit (Predigten und
religiöser Zeremonienmeister) oder sein Produkt (gläubige Schafe)
definiert, sondern durch eine "göttliche Berufung und
Weihe". Die
Vorstellung vom "Künstler als Genie" lässt sich auf Immanuel Kant,
den Leib- und Magenphilosoph des deutschen Bürgertums, zurückverfolgen:
"Wenn wir nach diesen
Zergliederungen auf die oben gegebene Erklärung dessen, was man
Genie nennt, zurücksehen, so finden wir: erstlich, dass es
ein Talent zur Kunst sei, nicht zur Wissenschaft, (...) zweitens,
dass es, als Kunsttalent, einen bestimmten Begriff von dem Produkte, als
Zweck, mithin Verstand, (...) mithin ein Verhältnis der Einbildungskraft
zum Verstande voraussetze; dass es sich drittens (...) im Vortrage
oder dem Ausdrucke ästhetischer Ideen (...) zeige, (...)
dass endlich viertens die ungesuchte unabsichtliche subjektive
Zweckmäßigkeit (...) eine solche Proportion und Stimmung dieser Vermögen
voraussetze, als keine Befolgung von Regeln, es sei der Wissenschaft oder
mechanischen Nachahmung, bewirken, sondern bloß die Natur des Subjekts
hervorbringen kann. Nach diesen Voraussetzungen ist
Genie: die musterhafte Originalität der Naturgabe eines Subjekts im
freien Gebrauche seiner Erkenntnisvermögen. (...) Weil aber das
Genie ein Günstling der Natur ist, dergleichen man nur als seltene
Erscheinung anzusehen hat; so bringt sein Beispiel für andere gute Köpfe
eine Schule hervor (...)" Das
Kantsche Genie, "die musterhafte Originalität der Naturgabe eines
Subjektes im freien Gebrauch seiner Erkenntnisvermögen" lässt sich
allerdings nicht nur in jedem Erfinder, sondern in jedem selbstarbeitenden
Warenproduzenten entdecken, der ein neues Produkt auf den Markt
bringt. Kapitalistisch produzierte Ware
wird im Auftrag und zum Nutzen des Kapitalisten hergestellt, aber von
Lohnarbeitern gefertigt. Die Unfreiheit der Lohnarbeiter, die nur
ausführen, aber nicht selber planen und selbst entscheiden können, ist von
Karl Marx ausführlich analysiert worden. Aber auch die Kapitalisten
verlieren gegenüber dem traditionellen Handwerk: Kapitalisten besitzen
zwar die Planungs- und Entscheidungshoheit in ihrem Unternehmen, aber
ihnen fehlt die Ehre, die Schillers "Die Glocke" der Handarbeit
zuspricht: Arbeit ist des Bürgers
Zierde, Segen ist der Mühe Preis, Ehrt den König seine Würde, Ehret uns
der Hände Fleiß. In
dem Maße, wie sich die ökonomische Trennung zwischen Produzenten,
Produktionsprozess und Produkt vertiefte - zwischen dem nur
kopfschöpferischen Kapitalisten, dem alles Produkt gehört, und dem
hauptsächlich handschöpferischen Lohnarbeiter, dem nichts gehört außer dem
Lohn -, wurde das "geniale und eigentliche Schöpfertum" nur noch für
Künstler reserviert. Wie
jede handwerkliche Produktion vermeidet künstlerische Arbeit sowohl die
Spezialisierung der Kapitalisten auf Kopfarbeit, als auch die
Fremdbestimmtheit der Lohnarbeiter. "Soweit
der Arbeitsprozess ein rein individueller, vereinigt derselbe Produzent
alle Funktionen, die sich später trennen. In der individuellen Aneignung
von Naturgegenständen zu seinen Lebenszwecken kontrolliert er sich
selbst." (Karl Marx, Das Kapital
Bd.1.: 531.) Während der Kapitalist seine Produktionsmittel
(Gebäude, Maschinen, Rohstolle, Arbeitskraft usw.) als fertige Waren
einkauft, stellt der Künstler sogar einen Teil seines Arbeitsgeräts selber
her - mindestens den Malgrund der Leinwand samt Rahmen, oft auch seine
Farben, die er aus Farbpigment selber anmischt. Individuelle Arbeit ist
"die eigentliche Triebkraft, der geheimnisvolle Boden alles
künstlerischen Schaffens". (Thoma, 1909). Der
Künstler verbindet alle schöpferischen Funktionen, die im Gegensatz von
Lohnarbeit und Kapital auseinanderfallen. Der
Maler, der Künstler, war Angehöriger eines freien Berufes, des
traditionellen Mittelstandes von individuell arbeitenden, selbständigen
Warenproduzenten. Aber sein Prestige wuchs weit darüber hinaus, er wurde
angehimmelt als Genie, Schöpfer, Urbild und Held des bürgerlichen
Menschen. Im
Künstler verkörpert sich das verlorene Paradies der Warenproduzenten. Der
Künstler wird zum "schöpferischen Menschen" schlechthin, zum "Bürger
schlechthin", in dessen Existenz - wie wir noch sehen werden - scheinbar
alle Höhen und Tiefen der bürgerlichen Welt zu finden sind, bis hin zum
Gegensatz von Kapitalist und Proletariat. Der
ökonomische Gegensatz zwischen Proletariat und Kapitalist verwandelte sich
in der Person des Künstlers zunächst in die sozialen Rollen von Boheme und
Bourgeois. 4.1. Künstler zwischen Boheme und
Bourgeois Was ist Boheme? Am kürzesten formuliert ist Boheme
vielleicht der Zustand "gemütlicher Armut". Gemütlich deshalb, weil die
Bohemes meist jung sind und am Anfang ihres Berufslebens stehen und
durchaus Hoffnung haben, noch wohlhabend zu werden. Gemütlich deshalb, weil die Bohemes
im familiären Umfeld oft vermögende Verwandte haben, die im Notfall die
Reißleine ziehen, bevor die Armut des Bohemes allzu drückend
wird. Gemütlich war die Boheme auch
deshalb, weil den Künstlern als Gegenbild zum Arbeitsethos der Kleinbürger
und zum Bereicherungsfanatismus der Kapitalisten eine Feiertags-Spielwiese
innerhalb der bürgerlichen Arbeitswelt zugestanden
wurde. Der
Boheme brachte Abwechslung und Unterhaltungswert in den immer noch engen
bürgerlichen Alltag. Nicht umsonst galten die "Künstlerfeste als
gesellschaftliche Höhepunkte des Münchner Faschings." (Ruppert:
182.) Nicht
nur das Kunstprodukt wurde als luxuriöse Verzierung der kapitalistischen
Welt gebraucht, auch der Künstler als Person wurde für die Bourgeoisie,
was der Possenreißer am Fürstenhof war - provozierender Ideenlieferant
oder nur unterhaltsamer Farbtupfer. Drey
beschrieb das 1910: "Die Literatur hat diesen Typus jedermann geläufig
gemacht; sie schildert den Maler mit Vorliebe als ein sonniges
Menschenkind mit Humor und göttlicher Leichtlebigkeit, das anspruchslos
auch bei schmalem Verdienst sich ein frohes, festliches Leben zu gestalten
versteht." Die Boheme war die fröhliche Gegenwelt zum ernsten
kapitalistischen Geschäftsleben. Nicht nur die Kunst als Ware wurde zum
Luxusobjekt. Der Künstler als Person wurde in Gestalt der Boheme zum
Luxusgegenstand. Dass
Bourgeois und Boheme wenig mit der tatsächlichen wirtschaftlichen Lage
eines Künstlers zu tun hat, als vielmehr mit der selbstgewählten oder
zugewiesenen Rolle die er spielt und spielen muss, zeigt das Foto von drei
russischen Kunststudenten in München zeigt, die sich ganz ähnlicher
wirtschaftlicher Lage befanden, aber ganz unterschiedlich herausstaffiert
auftreten.
Die
amerikanischen Künstler achteten dagegen frühzeitig auf Seriosität. Dort
wurde der Boheme als "dekadent europäisch" angesehen. Von den abgebildeten
US-Malern ist niemand als Bohemien ausstaffiert, allenfalls als
"Handwerker von altem Schrot und Korn".
"Die Scheu davor, sich ... mit den Elendsgestalten
und namenlosen Massen der von Armut Gezeichneten über parteiergreifende
Darstellungen zu assoziieren, war eines der hervorstechendsten Merkmale
der amerikanischen Maler des ausgehenden 19. Jahrhunderts. ... Die Würde
des Berufsstandes, ihr Status und gesellschaftliches Ansehen erhöhten sich
in dem Maße, wie sich die arrivierten Lebensverhältnisse in den Sujets der
Malerei widerspiegelten." Frohne:
72. Nur
wenig später als der Boheme taucht auch die Rede vom
"Künstler-Proletariat" auf. Der Maler Schlittgen schrieb um 1900:
"Neben der glänzenden Lebensführung einiger besonders Begabten und
Glücklichen und der breiten Bourgeoisie des künstlerischen Mittelstands
befanden sich so viele unten, als Proletariat, von denen man nicht wusste,
wovon sie lebten ..."
zit. n. Ruppert: 194. Beim
wirklichen Proletariat weiß allerdings jeder, wovon es lebt: von der
Lohnarbeit. Das
wirkliche Proletariat ist notwendiger Existenzgrund unabdingbare Quelle
des Kapitals. Versiegt die Lohnarbeit, dann versiegt das Kapital. Ohne
Ausbeutung von Lohnarbeit kann kein Kapitalist existieren und sein Kapital
vermehren. Da ist es für das Bürgertum eine angenehme Vorstellung, dass
die missliche Lage der Lohnarbeiter nur vorübergehend sei, und sich durch
persönlichen Fleiß und Geschick überwinden lasse. Der
arme "Künstlerprolet" kann diese tröstliche Bürgermeinung auf angenehme
Weise bestätigen. Das "Künstlerproletariat" verkörpert für die oberen
Klassen den Beweis für die Wirklichkeit des "amerikanischen Traums". Die
elende Lage jedes Künstlerproleten ist durch gnädige Almosen eines Mäzens
oder durch geschäftlichen Erfolg jederzeit aus der Welt zu schaffen. Von
diesen "Proleten" hätte tatsächlich jeder Einzelne die Chance, zum reichen
Bourgeois aufzusteigen. Wenn er es dann doch nicht schafft, hat selber
schuld oder halt einfach nur Pech. Künstlerische Leitbilder auch für
die "Kunstproletarier" blieben die Erfolgreichen, die es zu Wohlstand mit
luxuriöser Villa gebracht hatten: In München Franz Lenbach, Friedrich
August Kaulbach, Franz Defregger, Eduard von Grützner, Franz von Seitz
oder Franz Stuck. Für
die "Hungerleider" unter den Künstlern wurde schon früh versucht,
staatliche Versorgungsanstalten einzurichten. In München gab es seit 1863
einen "Künstler-Unterstützungsverein", der aus der Stadtkasse Zuschüsse
erhielt. Um 1910 verfügte dieser Verein über das "beachtliche Vermögen
von 1,5 Millionen Mark, so dass aus dessen Erträgen jährlich 60.000 Mark
an Unterstützungsgeldern verteilt werden konnten." (Ruppert:
200.) Weimarer Künstler gründeten 1893
eine "Renten- und Pensionsanstalt für deutsche bildende Künstler", die
nicht lange überlebte. In
der Bundesrepublik wird heute eine halbstaatliche "Künstlersozialkasse"
als Kranken- und Rentenversicherung unterhalten, die teils aus den
kapitalistischen Gewinnen der Kunst- und Kulturindustrie teils aus
Steuergeldern subventioniert wird. Wer
malt, was die Reichen lieben, der wird reich, Wer malt, was die Armen
lieben, der bleibt arm. Das ist das Grundgesetz des freien Kunstmarkts.
Politische Zensur macht der Kunstmarkt überflüssig. 4.2. Das Atelier als Kunstraum und
Traumwelt Egal, ob ein Künstler als Boheme auftritt oder als
Bourgeois, er produziert nicht nur Kunstwerke, er muss auch gleichzeitig
Schauspieler, Regisseur und Kulissenschieber seines Werks spielen. Er kann
das aufdringlich machen wie ein Salvadore Dali oder
würdevoll-großbürgerlich wie ein Franz Lenbach. Die eigene Kunst wird vom
Künstler nicht nur gemalt, sondern auch inszeniert. Zur ersten Bühne
dieser Inszenierung wurde aber das Künstleratelier. Ursprünglich war das Atelier in der
Tradition des Handwerks eine bloße Werkstatt
gewesen.
Die
karge Ausstattung solcher Malerwerkstätten implizierte, dass der Künstler
seine Malaufträge und seine künstlerische Inspiration außerhalb des
Ateliers suchte. Weder konnte man Kunden in diese Werkstatt einladen und
bewirten, noch bot die einfache Umgebung einen künstlerischen Reiz. Seit
Mitte des 19. Jahrhunderts verschwand jedoch die Vorstellung, dass die
äußere Natur die hauptsächliche Inspirationsquelle des Künstlers sei.
Damit wandelten sich auch Funktion und Aussehen des Künstler-Ateliers. Aus
der sachlichen Produktionsstätte wurde eine schmuckvolle Kunstwelt. Das
Atelier wurde zum "Kunstraum", es war eine Feiertags- und Traumwelt, die
Negierung der Alltagswelt. Das Atelier wurde ästhetische Gegenwelt zum
seelenlosen Arbeitsalltag der Fabrik. Die Ausstattung der Künstlerateliers
in New York wurde beliebten Thema der Illustrierten. Der "Illustrated
American" schrieb 1891: "Wenn man ein Atelier betritt, befindet man
sich sofort in einer Atmosphäre von
Vornehmheit".
Für
Künstler wurde das Atelier zum wichtigen Produktions- und Werbemittel, das
gleichzeitig die größte Einzelsumme verschlang.
In
New York kosteten um 1900 durchschnittliche Ateliers 400 bis 600 Dollar
jährlich, während das beste Atelier in München für 200 Dollar im Jahr zu
mieten war. Künstler, die zum "Künstlerproletariat" gerechnet wurden,
"verfügten in den seltensten Fällen über einen eigenen Arbeitsraum. Ihr
Atelier bestand bestenfalls in einem Winkel des von ihnen bewohnten
Zimmers." (Ruppert: 198.) In
den amerikanischen Illustrierten der 1880er und 1890er Jahre erschienen
fast alternierend Bildberichte über die Innenraumgestaltung von Wohnungen
der Reichen neben Berichten über die Ateliers bekannter Künstler. Die
Künstlerateliers wurden stilbildend für luxuriöse Innenarchitektur. Selbst
auf die Wohngewohnheiten der Millionäre übten die Maler Einfluss aus.
Seit
1870 wurden in New York eigene Gebäude für Maler mit besonders hohen
Decken, großen Glasfenstern und Aufzügen in jedes Stockwerk errichtet. Da
die Stockwerkhöhe in diesen "Studio-Gebäuden" sechs bis sieben Meter
betrug, zog man in jedem Stockwerk drei Wänden um den hohen Atelierraum
ein schmales Geschoss ein, das über eine Freitreppe erreicht wurde und die
Privaträume aufnahm (Mezzaningeschoss). Bis
dahin hatten die US-Millionäre in frei stehenden Stadtvillen gewohnt. Mit
dem verschwenderischen Platzangebot der Studio-Architektur wurden erstmals
auch Wohnungen in mehrstöckigen Hochhäusern für die Reichen akzeptabel.
Seit Erfindung des Aufzugs rückte die teure "Belle Etage" in die obersten
Stockwerke.
5. Moderne Kunst als
Avantgarde Erst allmählich und nur zögernd übernahmen die
Künstler gegen Ende des 19. Jahrhunderts die gesellschaftliche
Rollenzuweisung vom autonomen Schöpfertum, das nicht auf einen
Gebrauchsnutzen ihrer Produkte schaut, sondern ins Werk setzt, was im
Künstler als Subjekt schlummert. Die
Werke der Impressionisten waren im Jahr 1886 durch eine Ausstellung mit
289 Gemälden dem amerikanischen Publikum vorgestellt worden.
Unabdingbar für diese
"künstlerische Autonomiebewegung" der modernen Kunst war es, dass
Künstler, die wegweisende Avantgardisten wurden, ökonomisch unabhängig und
nicht auf den Verkauf ihrer Bilder angewiesen waren. Das traf insbesondere
zu für die Münchner "Avantgardisten" um die Neue Künstlervereinigung
München, die Gruppe um Wassily Kandinsky, Gabriele Münter, Marianne von
Werefkin und Alexej Jawlensky. Was
vorher nur bürgerliche Ideologen formulierten, brachten nun Künstler wie
Kandinsky zu Papier: "Der Künstler soll sich von der Darstellung der
Wahrnehmung der äußeren Welt lösen und die inneren Empfindungen,
Stimmungen, Gefühle und Klänge" des autonomen Künstlersubjekts
abbilden. (Ruppert: 427.)
Amerikanische Maler hatten die
moderne europäische Malerei zunächst mit gemischten Gefühlen betrachtet.
Der Maler George Elmer Browne erinnerte sich, dass ihn der Salon d'
Independence von 1900 in Paris zutiefst verunsicherte, weil keine Jury
kontrollierte, welche Werke ausgestellt wurden: "Es kam mir lächerlich
vor, aber aus irgendeinem Grund ging eine permanente Anziehung vom Salon
aus ... Ich hielt sie für verrückt ..."
Sein
Kollege Mowbray lehnte die moderne Malerei ab, weil "ihre Forderungen
letztendlich die Existenzgrundlage des Künstlers riskierten, da sie doch
offensichtlich die Schicht ihrer Auftraggeber und Mäzene attackierten" und
setzte hinzu: "Jeder wusste im Grunde seines Herzens, dass es mit dem
Töten der reichen Auftraggeber um die Kunst schlecht bestellt wäre."
(Frohne: 127). Doch
nur auf den ersten Blick erscheint diese Kunst als Kritik an der
Warenproduktion. Tatsächlich handelt es sich bei dieser Kunst um eine
sinnvolle Ergänzung, nicht eine Infragestellung des Kapitalismus. Bei der
"zweckfreien modernen Kunst" handelt es sich nur um eine verwandelte, neue
Definition von Luxus: Traditionell war Luxus alles, was
besonders selten und besonders teuer in der Herstellung war. Die moderne
Kunst ist Luxus, weil sie keinen Nutzen hat und keinen Zweck
erfüllt. Moderne Kunst war europäisch und
sie war Wertanlage. Beides zusammen erklärt die Faszination, die die
moderne Kunst auf die amerikanische Kapitalistenklasse ausübte. Die
moderne Malerei war eine europäische Erfindung, aber Weltgeltung erhielt
sie erst durch ihren Triumphzug im kapitalistischen Vorbildland, den USA.
"In den USA setzte sich 'das Neue' als Leitmuster der Moderne durch."
(Ruppert: 226.) "Der Begriff des 'Modernismus' des 20. Jahrhunderts
beruhte auf der Annahme einer Freisetzung der ästhetischen Produktion zu
einer eigenen Autonomie, die sich allein aus sich selbst heraus
erneuere." (Ruppert: 291.) "Neu" und "modern" wurden inhaltsleeren,
aber positiv besetzten Kategorie. "Das Neue" wurde zum Kunstautomaten und
die moderne Kunst wurde zum Statussymbol der Moderne überhaupt. Wer die
kapitalistische Modernisierung liebt, liebt moderne Kunst und
umgekehrt. 5.1. Maler und
Millionäre Die ehrfürchtige Verehrung und Überhöhung der
Künstlerperson, die das Museumspublikum und ihre Meinungsmacher pflegen,
sind eine Sache. Die Meinung der reichen Kapitalisten, die museumswürdige
Gemälde in ihren Wohnzimmern hängen haben, ist eine ganz andere Sache.
Millionäre und Milliardäre bewundern niemals die Person des Künstlers,
sondern allein den Erfolg seines Werks. Der Künstler ist für Kapitalisten
ein kleiner Lieferant neben hundert anderen Lieferanten, die das
Kapitalistenleben angenehm machen. Es
gibt wohl keinen reichen Weinliebhaber, der nicht von jeder einzelnen
seiner kostbaren Flaschen den genauen Einkaufspreis und den ungefähren
jetzigen Marktwert kennt. Das hindert nicht den Weingenuss, sondern ist
für ihn ein wichtiger Bestandteil des Trinkgenusses. Genauso halten es die
Gemäldesammler. Der Genuss, den ein modernes Gemälde bietet, liegt immer
auch in der Verkörperung von Wert, und der Preis des Bildes ist ebenso
wichtig wie die Signatur des Malers.
Als
Beleg für den Umgang der Millionäre mit dem Maler und seinem Werk im
folgenden ein paar Auszüge aus der Autobiografie der Millionenerbin und
Kunstsammlerin Peggy Guggenheim: "Da mein Museum kein
kommerzielles Institut war, avancierte es bald zum Zentrum
avantgardistischer Aktivitäten. ... Es bereitete uns große Freude, diese
neuen Künstler zu entdecken. Nicht nur Pollock, Motherwell und Baziotes
widmeten wir Ausstellungen, sondern auch Hans Hofmann, Clyfford Still,
Mark Rothko und David Hare. ... Mein Freund, der Maler Matta, und Putzel
drängten mich, Pollock zu fördern. ... Weil er in Ruhe arbeiten wollte,
verlangte er ein Monatsgehalt, und ich schloss also einen Einjahresvertrag
mit ihm ab. Pro Monat sollte er hundertfünfzig Dollar erhalten, zusätzlich
eine Gewinnbeteiligung, wenn ich bis zum Ende des Jahres mehr als
zweitausendsiebenhundert Dollar für seine Werke erhielte." (Peggy
Guggenheim) Bitte
einmal nachrechnen: Der Maler Pollock bekam 12 x 150 = 1.800 Dollar und
alle Bilder, die er in diesem Jahr malt, gehörten seiner "Mäzenin". Die
hoffte davon auf einen Verkaufserlös von 2.700 Dollar, Gewinn = 900
Dollar. Erst bei einem höheren Gewinn fiel eine "Gewinnbeteiligung" für
Pollock ab. "Falls ich weniger einnahm,
würde ich zum Ausgleich Bilder von ihm bekommen." (Peggy
Guggenheim.) Nochmals rechnen: Der Maler
erhält 1.800 Dollar und schuldet am Ende des Jahres 2.700
Dollar. Es handelt sich bei den 1.800 Dollar nicht um ein Geschenk,
sondern um einen Kredit mit der sagenhaften Verzinsung von 50%.
Peggy
Guggenheim: "Allzu viele Pollocks verkauften wir nicht. ... Unermüdlich
bemühte ich mich, die Leute für ihn zu interessieren, obwohl ich dazu
dauernd seine riesigen Leinwände herumschleppen musste. ... 1945 empfahl
mir der Sammler Bill Davis, ebenfalls ein Pollock-Fan, den Vertrag mit dem
Künstler zu verlängern, bei einem Monatsgehalt von dreihundert Dollar, und
dafür alle seine Bilder zu beanspruchen. ... Damals bekam ich höchstens
tausend Dollar für eins seiner Bilder... Manchmal fühlte ich mich sogar
gezwungen, sogenannte 'alte Meister' aus meiner Sammlung zu veräußern -
darunter einen wunderbaren Delaunay von 1912 mit dem Titel 'Scheiben', den
ich ihm in Grenoble abgekauft hatte, nachdem er aus dem besetzten Paris
geflohen war. Später tauchte dieses Bild im Museum of Modern Art wieder
auf. Sein Verlust zählt zu den sieben Tragödien meines
Sammlerlebens. Die
zweite Katastrophe verdanke ich meiner Dummheit. 1939 versäumte ich in
London die Gelegenheit, 'Das bestellte Feld' von Miro für funfzehnhundert
Dollar zu erwerben. Heute würde dieses Bild über fünfzigtausend
einbringen. Drittens bedaure ich den Verkauf
eines Kandinskys von 1936, genannt 'Herrschende Kurve', während des
Krieges in New York. ... Die vierte Tragödie war mein Entschluss, Picassos
'Pech de Nuit a Antibes' nicht zu kaufen, weil ich zuwenig Bargeld besaß
und mein Kapital nicht antasten wollte. ... Die fünfte Tragödie war eine
Trennung von einer Henri-Laurens-Skulptur und einem schönen Klee-Aquarell.
... Und sechstens wurden mir alle meine restlichen Klees, bis auf zwei,
aus der Galerie gestohlen. Doch mein wohl schlimmster Fehler war es
siebtens, achtzehn Pollocks zu verschenken!" (Aus: Peggy Guggenheim, Ich habe alles gelebt.
Autobiografie. 1. Aufl. 1946.) 5.2. Kunst und
Herrschaft "Der Meister sprach: 'Wenn die Oberen die Kultur
pflegen, so ist das Volk leicht zu beherrschen.'" (Konfuzius, Buch XIV, 44). Insoweit Kunst für die
Kunstbesitzer ein Statussymbol ist, ist diese Kunst gleichzeitig eine
Demonstration der eigenen sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen
Überlegenheit, die Betrachter und Besucher beeindruckt und
einschüchtert. Die
Raubritter, Krautjunker und Bauern des Mittelalters wurden wohl ebenso
sehr durch bewehrte Stadtmauern in Schach gehalten wie durch die
Kathedralen, die die mittelalterlichen Städter
errichteten. "Die Kunst ist das Medium der
mittelalterlich-kirchlichen Propaganda. Durch sie ist man in eine
feierliche, der Kälte und dem Schmutz des Alltags entzogene Stimmung
versetzt worden..." (Otto Borst, Alltagsleben im Mittelalter: 503).
Bleibt die Frage, für welche Propaganda die moderne Kunst das Medium
ist. Schon
Schiller hatte zur Rettung der Kunst (oder zur Rettung der Künstler?) eine
staatlich geförderte "ästhetische Erziehung des Menschen" gefordert. Unter
Präsident Hoover wurde genau das als Bestandteil des "New Deal" umgesetzt.
"Mit staatlicher Förderung entstanden zehntausende, wenn nicht
hunderttausende von Bildern und Skulpturen. Das 'Federal Art Project
(FAP)' beschäftigte zwischen 1934 und 1941 rund 5000 Künstler zu einem
Wochenlohn von durchschnittlich vierzig Dollar. Zwei Millionen Kinder
erhielten praktischen Kunstunterricht in öffentlichen finanzierten
Workshops." (Raeithel, Bd. 3:75). Ein Resultat des FAP waren
nationalistisch-heroische Wandgemälde in Postämtern. Ein anderes Resultat
war das Geschäft eines Altwarenhändlers, der diese "Staatsgemälde" per
Gewicht zu vier Cent das Pfund aufkaufte und in Manhattan für fünf Dollar
pro Bild weiterverkaufte. Noch besser stand am Ende ein sachverständiger
Kunsthändler da, der von dem Gebrauchtwarenhändler 300 dieser Gemälde für
je 5 Dollar aufgekauft hatte, darunter mehrere Bilder von Pollock und
Rothko, die später für Tausende von Dollars gehandelt
wurden. 5.3. Hegel und der "Verfall der
modernen Kunst" Schiller sah die Gefahr für Kunst und Künstler im
Verschwinden der Kunstnachfrage durch protestantischen Geiz und
kapitalistisches Profitstreben. Erwiesenermaßen hatte sich Schiller
getäuscht. Hegel entdeckte die Gefährdung der Kunst gerade in der
Subjektivität des Künstlers, auf die moderne Künstler oder Kunstideologen
so stolz sind. Wenn
Kunst nur aus der Subjektivität des Künstler geboren wird - so der
Gedankengang Hegels, dann ist dieser subjektiven Kunst nichts mehr
herrlich, groß und vortrefflich was für die Gesellschaft Wert und
Bedeutung hat. Eine solch subjektive Kunst stelle nur das "Prinzip der
sich absoluten Subjektivität dar" und vernichte, "was dem Menschen
Wert und Würde hat" (Hegel, Ästhetik). "In diesem Pantheon sind alle
Götter entthront, die Flamme der Subjektivität hat sie zerstört, und statt
der plastischen Vielgötterei kennt die Kunst jetzt nur einen Gott, einen
Geist, eine absolute Selbständigkeit ... die absolute Subjektivität
..." (Hegel, Ästhetik) Rund
75 Jahre bevor ein Maler das erste abstrakte Gemälde schuf, hatte Hegel
vorhergesehen, dass die verabsolutierte Subjektivität des Künstlers
notwendig zur abstrakten, gegenstandslosen Kunst führt, weil der
malerische Gegenstand "als bloß äußerlicher Stoff gleichgültig und
niedrig ist und nur erst seinen eigentlichen Wert erhält, wenn das Gemüt
(des Künstlers) sich in ihn hineingelegt hat. ... Das Innere in diesem
Verhältnis, so auf die Spitze hinausgetrieben, ist die äußerlichkeitslose
Äußerung, unsichtbar gleichsam nur sich selber vernehmend, ein Tönen als
solches ohne Gegenständlichkeit und Gestalt ..." (Hegel,
Ästhetik). Laut
Hegel führe das zur "Zerfallenheit und Auflösung der Kunst selbst".
"Auf der einen Seite geht die Kunst zur Darstellung der gemeinen
Wirklichkeit als solcher, zur Darstellung der Gegenstände, wie sie in
ihrer zufälligen Einzelheit und deren Eigentümlichkeiten da sind, über und
hat nun das Interesse, dieses Dasein zum Scheinen durch die
Geschicklichkeit der Kunst zu verwandeln; (das lässt sich als
Beschreibung der Pop art lesen!, w.b.) auf der anderen Seite schlägt
sie im Gegenteil zur vollkommenen subjektiven Zufälligkeit der Auffassung
und Darstellung um ..."
Als
ein Freund den Maler Edward Hopper (1882-1967), einer der Väter der
modern-gegenständlichen amerikanischen Malerei, zu einem seiner Bilder
fragte: "Worauf willst du da hinaus?", antwortete Hopper: "Auf
mich." Bei
Hegel liest sich das so: "Es ist "die blanke Subjektivität des
Künstlers selber ..., die sich zu zeigen gedenkt ... eine Produktion, in
welcher das hervorbringende Subjekt nur sich selber zu sehen gibt."
(Hegel, Ästhetik). Eine
Kunst, die nichts zeigen will, als die Persönlichkeit des Künstlers,
provoziert die einfache Frage: Was geht mich diese subjektive Kunst an?
Warum soll ich eine Sache wertschätzen und wichtig nehmen, die auf nichts
hinaus will außer auf das Individuum, das die Sache produziert hat? Es ist
eine Kunst, die ihrem Schöpfer Vergnügen bereitet, nicht dem Publikum.
Kapitalistisch gesprochen ist solche Kunst Ware ohne Gebrauchswert, ohne
Nutzen für die Abnehmer. Hier hilft dann die "Aufklärung" durch
Kunstkritiker weiter, die als Werbetexter für Dinge auftreten, für die
zunächst niemand Verwendung hat. Die
Subjektivität des Künstlers kann sich aber an jedem Material, an jedem
Objekt beweisen. "Wenn die subjektive Innigkeit
(des Künstlers) das wesentliche Moment für die Darstellung wird, ist es
von gleicher Zufälligkeit, in welchen bestimmten Inhalt der äußeren
Wirklichkeit und der geistigen Welt sich das Gemüt (des Künstlers)
hineinlebt" (Hegel, Ästhetik) "Das Gebundensein an einen
besonderen Gehalt und eine nur für diesen Stoff passende Art der
Darstellung ist für den heutigen Künstler etwas Vergangenes und die Kunst
dadurch ein freies Instrument geworden, das er nach Maßgabe seiner
subjektiven Geschicklichkeit in bezug auf jeden Inhalt, welcher Art er
auch sei, gleichmäßig handhaben kann." (Hegel,
Ästhetik)
Der
Künstler kann aus Fett und Filz Kunstwerke machen und der ganze
Unterschied zu einfachem Fett und Filz, das irgendwo auf einem Stuhl
herumliegt, besteht darin, dass der Künstler es als "sein Werk"
gekennzeichnet hat, und damit dem Material einen schöpferischen "Gehalt",
einen "Sinn" gegeben hat. Das Kunstwerk zeigt zwar immer noch seine
schäbige äußere Hülle, ist äußerlich immer noch Stuhl und Fett, ist aber
innerlich und im Wesen in Kunst verwandelt wie in der katholischen Messe
die Hostie in den Leib Christi verwandelt wird. Solche Verwandlungen sind
keineswegs erstaunlich, sondern alltäglich in der kapitalistischen
Ökonomie. Dasselbe Wunder, das eine Teigscheibe in das Fleisch Christi
oder das Fett auf einem Stuhl in eine Kunstwerk verwandelt, bringt jeder
Kapitalist hervor, der das unscheinbarste Material - Steine oder
Vogelkacke - in Ware verwandelt und dadurch zu Geld macht. Künstler,
Priester und Kapitalist brauchen für ihre Verwandlungen allerdings ein
gläubiges und zahlendes Publikum. Die
Theorie Hegels vom "Verfall der Kunst" lässt sich einfach belegen, indem
man auf moderne Gemälde verweist, die nichts mehr zeigen als eine ganz
weiße oder ganz schwarze Leinwand (beides ausgestellt im Museum of Modern
Art New York). Die Theorie Hegels lässt sich jedoch ebenso oft widerlegen,
wie man auf tausend andere Kunstwerke verweist, die nicht in leerer
Subjektivität enden. Ich
möchte daher zum Schluss die These Hegels von der Nutzlosigkeit der
subjektiven Kunst abändern in eine These von der Überflüssigkeit des
Künstlersubjekts: Ich möchte mit Marx behaupten, dass die Kunst nicht
verschwinden wird Kunst wird nicht verschwinden, weil (hoffentlich)
der "Luxus" nicht verschwinden wird, sondern zum Allgemeingut wird, statt
ein Privileg von Wenigen zu bleiben. "In der Tat aber, wenn die enge
bürgerliche Form abgestreift wird, was ist der Reichtum anders, als die im
universellen Austausch erzeugte Universalität der Bedürfnisse,
Fähigkeiten, Genüsse, Produktivkräfte etc. der Individuen? Die volle
Entwicklung der menschlichen Herrschaft über die Naturkräfte, die der so
genannten Natur sowohl, wie seiner eigenen Natur? Das absolute
Herausarbeiten seiner schöpferischen Anlagen, ohne andere Voraussetzung
als die vorhergegangene historische Entwicklung, die diese Totalität der
Einwicklung, d. h. die Entwicklung aller menschlichen Kräfte als solcher
... zum Selbstzweck macht?" K. Marx, Grundrisse der Kritik der
politischen Ökonomie, 387. Die
Kunst kann ihren Raum ausdehnen, aber die Künstlerei als lebenslange,
spezialisierte Tätigkeit und der Künstler als selbständiger Beruf kann
verschwinden. "Bei einer kommunistischen
Organisation der Gesellschaft fällt jedenfalls fort die Gebundenheit des
Künstlers an die lokale und nationale Borniertheit, die rein aus der
Teilung der Arbeit hervorgeht, und die Gebundenheit des Individuums an
diese bestimmte Kunst, so dass er ausschließlich Maler, Bildhauer usw. ist
und schon der Name die ... Abhängigkeit von der Teilung der Arbeit
hinlänglich ausdrückt. In
einer kommunistischen Gesellschaft gibt es keine Maler, sondern höchstens
Menschen, die unter anderem auch malen." K. Marx, Deutsche Ideologie, MEW 3,
379. Literatur:
Ursula Frohne, Maler und
Millionäre. Erfolg als
Inszenierung. Der amerikanische Künstler seit dem ausgehenden 19.
Jahrhundert. Dresden 2000. Peggy Guggenheim, Ich habe alles
gelebt. Autobiografie. 1. Aufl. 1946 Gert
Raeithel, Geschichte der Nordamerikanischen Kultur. 3 Bände, Frankfurt, 4. erw. Auflage
2002. Wolfgang Ruppert, Der Moderne
Künstler. Zur Sozial- und Kulturgeschichte der kreativen
Individualität. 2. Aufl. Suhrkamp 2000. Wal Buchenberg, 08.11.05 |
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