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Was unsere
„Wirtschaftsführer“ zur Krise zu sagen wissen
"Ich rechne mit einem
Krisensommer", sagte
Norbert Walter, Chefvolkswirt der Deutschen Bank. Immerhin nimmt er das Wort „Krise“ erstmals in den Mund, wenn
auch nur „für einen Sommer“. Das klingt wie „Sommertheater“,
„Sommerpause“, „Sommerloch“ – wir lieben es nicht, aber es geht schnell
vorbei!. Das sagt der Herr Walter trotz Megapleiten von Großfirmen, trotz
Massenpleiten von Kleinfirmen. Wer immer noch an günstige Prognosen
glaubt, sollte mal durch die Geschäftsstraßen einer beliebigen deutschen
Großstadt gehen und die leeren Ladenlokale zählen! Wer immer noch an einen
baldigen „Aufschwung“ glaubt, der soll man in den Unternehmen herumfragen,
wo überall die Angst vor Entlassungen grassiert. Ich fürchte, dass die
Kündigungsschreiben auf Halde liegen und auf die Unterschrift des Chefs
warten, bis die Bundestagswahlen vorbei sind.
"Die
Situation erinnert an die dunklen Tage der letzten globalen Finanzkrise
1998", schrieb der Chefvolkswirt der Investmentbank Morgan Stanley,
Stephen Roach. “Globale Finanzkrise“ – auch er
nimmt ein böses Wort gelassen in den Mund, um es aber gleich wieder
auszuspucken: 1998? 1998? Da war doch was? Doch ja, irgendwo in einem
fernen Winkel gab es ein Währungsproblem. War doch schnell wieder
beseitigt, oder nicht? Für Herrn Roach ist die Finanzkrise von 1998 als
„letzte“ Finanzkrise vorbei und erledigt. Tatsächlich markierte sie den
ersten großen Einbruch des Weltfinanzsystems, dem zwangsläufig weitere und
tiefere Einbrüche folgten (Argentinien) und noch folgen werden
(Brasilien?, Japan?...)
Nochmals Norbert Walter, Chefvolkswirt der
Deutschen Bank. Nach Ansicht von Walter zeigt sich
momentan, dass die Erholung der Finanzmärkte nach dem Terrorschock vom
September 2001 verfrüht war. "Wir bekommen eine Wachstumspause, weil
die Investitionen nicht wie erwartet anspringen." War die „Erholung der Finanzmärkte nach dem September 2001
verfrüht“ oder hat es sie gar nicht gegeben? Die Gelddruckmaschinen in den
USA sind heißgelaufen, um Geld in die Aktienmärkte zu pumpen, die
Unternehmen logen und betrogen, dass sich die Balken bogen. Das nennt Herr
Walter eine „verfrühte Erholung der Finanzmärkte“! Tiefsinnig ist auch
seine Überlegung über die Zusammenhänge von Ursache und Wirkung in der
Wirtschaft: “Wir bekommen eine Wachstumspause, weil die Investitionen
nicht anspringen.“ Das ist auf dem geistigen Niveau eines Wetterfrosches,
der uns kund gibt: Wir bekommen schlechtes Wetter, weil Sonnenschein
ausbleibt!
Michael Heise, Chefvolkswirt der DZ
Bank, sieht ... auch einen Unterschied zur Finanzkrise 1998: "Heute
gibt es tatsächlich fundamentale Risiken." Politisch sei die Situation
durch den 11. September, die Spannungen im Nahen Osten und die Eskalation
an der indisch-pakistanischen Grenze höchst unsicher. Bisher hatte ich vermutet, fundamentale Risiken in der
Wirtschaft lägen im Sinken der allgemeinen Profitrate, in Überkapazitäten
und Überproduktion von Kapital und der daraus folgenden Deflation oder in
einer hohen Verschuldung der Unternehmen und Regierungen. Nein, für
einen modernen Wirtschaftskapitän, sind das alles Peanuts. Herr Heise
macht sich nicht Sorgen über die Verwertungsbedingungen des Kapitals, er
macht sich Sorgen über die „politische Situation“. Damit werden die
Verantwortlichkeiten verwischt: Wie die Weltwirtschaftskrise von 1929ff
durch ein paar beherzte politische Entscheidungen verhindert hätte werden
können (so lehrt uns die Buchweisheit), so könne wohl die jetzige
Weltwirtschaftskrise wenn nicht verhindert, so doch wenigstens schnell
durch politische Entscheidungen beendet werden. Das ist die Hoffnung des
Herrn Heise. Laut Heise sind die Folgen
kontrollierbar. Zwar werde es keinen dynamischen Aufschwung geben.
"Solange es keinen Krieg gibt, gibt es jedoch auch keinen neuen
Absturz." Das verkündete der Herr wenige Tage vor dem 25. Juni, als
der DAX zeitweise um 4 % abstürzte.
Als Gefahr
stufte Heise auch die Entwicklung Brasiliens ein, dessen
Staatsanleihen massiv unter Druck geraten sind: "Der Schuldenstand ist
hoch, und große Summen müssen kurzfristig refinanziert werden." Brasilien steht
tatsächlich am Rand des Staatsbankrotts. Die europäischen Finanzgrößen
rufen seit einiger Zeit schon den USA zu: „Hannemann, geh du voran!“ Jeder
sieht den Kollaps kommen, aber jeder sucht den Schaden auf andere
abzuwälzen.
Das lateinamerikanische Land könnte laut
Klaus Friedrich, Chefvolkswirt der Allianz Gruppe, zum ersten
Dominostein einer globalen Krise werden... Brasilien
als der erste Dominostein? Wer kann der Allianz Gruppe noch sein Geld
anvertrauen, wenn ihr „Chefvolkswirt“ nicht einmal bis Vier zählen
kann? Der erste kapitalistische Dominostein, der umgefallen ist, war
eindeutig Japan, auch wenn dieser Stein schon zehn Jahre am Boden liegt.
Japan hat den Tiefpunkt seiner Krise – eine Bankenpleite mit Währungscrash
noch gar nicht erreicht. Japan, der weltweit größte Gläubiger, fällt damit
aus, um irgendwo sonst eine Krise abzufedern. Wenn wir die Finanzkrise
der Jahre 97/98 von Thailand, Philippinen, Malaysia und Südkorea als eine
asiatische Krise rechnen, dann war das der zweite Dominostein. Der dritte
war Argentinien. Der vierte Dominostein sind die Megapleiten in den
kapitalistischen Metropolen: Enron, Holzmann, KirchMedia, WorldCom, denen
über kurz oder lang auch große Banken folgen werden. Herr
Friedrich von der Allianz Gruppe weiß uns noch mitzuteilen?
"Sollte Brasilien den Schuldendienst einstellen, so würden über
Nacht viele Schwellenländer kein Kapital mehr bekommen." Vielleicht sollte man also in den Schwellen- und
Entwicklungsländern den Klingelbeutel herumgehen lassen, um Brasilien das
weitere Schuldenmachen zu ermöglichen? Die Folgen wären
auch für die industrialisierte Welt schmerzhaft. "In der Summe sind die
Emerging Markets wichtig für den Export." Wie aber
wurde dieser Import der Emerging Markets bezahlt? Durch Kredite aus den
Exportländern. Die Profitraten in den kapitalistischen Metropolen waren –
trotz lügenhafter Übertreibungen der USA – seit Mitte der 80er Jahre
gesunken. So suchte sich das „überflüssige“ Kapital Anlagemöglichkeiten in
den „Emerging Markets“. Jetzt stellt sich plötzlich heraus, dass auch dort
keine Goldesel leben.
Hans-Werner Sinn vom
Ifo-Institut in München zeigte sich dagegen optimistisch, dass Europa eine
Krise in Brasilien relativ unbeschadet überstehen würde: "Unsere
Handelsverflechtungen mit Lateinamerika sind gering." Japan am Boden, die USA auf Talfahrt, aber bei uns ist alles
blendend! Bitte eine Pisa-Studie für
Wirtschaftswissenschaftler!
Auch die Dollar-Abwertung
stellt nach Aussage von Sinn kein Problem dar: "Bei unseren
Prognosen sind wir ohnehin immer von einem Kurs von einem Dollar zu einem
Euro ausgegangen." Dem stimmte auch Heise zu: "Die Euro-Aufwertung
ist nur eine Korrektur zu einem fairen Wert." Die
Herren reden wie ein Arzt am Krankenbett, der das Fieberthermometer
abliest und sagt: „Bisher steigt zwar das Fieber jede Stunde um ein Grad,
aber zur Zeit müssen wir uns keine Sorgen machen. Erst wenn 42 Grad
erreicht sind, wird es kritisch!“ Als problematisch könnte
sich dagegen die Schwäche der Aktienmärkte erweisen. "Viele Konsumenten
haben heute Aktien", sagte Friedrich. Die jüngsten Kursverluste
könnten die Verbraucher zur Zurückhaltung verleiten. Die Nachfrage bliebe
verhalten und das Wirtschaftswachstum schwach. Wenn
die Kapitalisten Kapazitäten über Kapazitäten aufbauen und die Märkte mit
Stahl, Autos, Handys, Schaltkreisen, Computern usw. überschwemmen, dann
liegt das Problem natürlich nur an den Konsumenten. Solange die
Konsumenten kräftig genug konsumieren, dann läuft die kapitalistische
Profitproduktion wie geschmiert. Und wer ist schuld, wenn es mal nicht so
gut läuft? Die Konsumenten natürlich!
Die Untätigkeit
der amerikanischen Führung sei dafür verantwortlich, dass es für die USA
und die Welt so schlecht aussehe wie seit vier Jahren nicht mehr, beklagt
Paul Krugman, Professor für Volkswirtschaft an der Princeton
University. Ich weiß nicht, was Herr Krugmann unter
„Untätigkeit“ versteht. Ich nenne es nicht untätig, wenn die USA innerhalb
weniger Monate einen Krieg in Afghanistan anzetteln, Israel zu ständigen
Aggressionen gegen die Palästinenser ermutigen, einen Krieg gegen den Irak
vorbereiten, drei weiteren Ländern ausdrücklich mit Krieg drohen und
gleichzeitig die Dollar-Druckmaschinen bis zum Anschlag laufen lassen. Hat
die Welt nicht schon genug von diesem amerikanischen Tatendrang? Da
fordert Herr Krugmann noch mehr Taten?!
Worin gipfelt die
Weisheit unserer Wirtschaftsführer in der gegenwärtigen
Wirtschaftslage? ... sagt Deutsche-Bank-Ökonom
Walter: "Wir können nur hoffen, dass eine Art Anti-Murphy-Gesetz
wirkt: Nichts von dem, was schiefgehen kann, geht schief." Wer ein Konto bei der Deutschen Bank hat, sollte sich was
Besseres suchen! Ich habe mein verfügbares Papiergeld hergegeben und dafür
massives Gold gekauft.
Alle Zitate aus: Financial Times
Deutschland vom 26.6. und 27.6.2002
Wal Buchenberg,
27.6.2002
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