Weltwirtschaft 2004 - wieder alles in Butter?

Keine Regierung und keine große Zeitung in Europa hatten eingestanden, dass die USA und Europa seit 2001 - und Japan schon länger - in einer Wirtschaftskrise stecken, aber immer wieder wird uns versprochen: der Aufschwung kommt.

Die neueste Frohbotschaft verkündet die OECD: Die US-Wirtschaft werde 2004 mit 4% wachsen. Das werde auch Europa und Japan spätestens 2005 den ersehnten Aufschwung bringen.

Vergleiche die Grafik aus dem Economist vom 3.1.04:

Scheinbar hatte das Jahr 2003 eine Trendwende gebracht: Aktienkurse stiegen dauerhaft. Alle möglichen Indikatoren kletterten nach oben. Größere Firmenzusammenbrüche und Bankpleiten wurden von Woche zu Woche befürchtet, sind aber doch ausgeblieben.

Was charakterisiert die jetzige Krise?

Dass niemand die Krise beim Namen nannte, ist Zeichen von tief sitzender Verunsicherung quer durch die herrschende Klasse und ihre wissenschaftlichen Fachleute. Frühere Krisen schienen lokal begrenzt, wie die Finanzkrisen in Asien oder Mexiko und die nachhaltige Wirtschaftskrise in Japan. Frühere Krisen betrafen scheinbar marode Branchen oder Unternehmen, die in der kapitalistischen Konkurrenz versagt hatten, wie die Textilindustrie oder die Kohlebranche. In diesen lokalen Krisen konnten die Ideologen des Kapitals immer darauf verweisen, dass erfolgreiche Staaten und Unternehmen von der Krise mehr oder minder verschont blieben.

Heute sind die Krisentendenzen weltweit verbreitet und konzentrieren sich auf das Herzstück des globalen Kapitalismus, die Industrieunternehmen der reichen G 7-Staaten. Heute konzentrieren sich die Krisentendenzen nicht auf marode Unternehmen und Branchen, sondern auf die modernsten und technisch entwickeltsten Unternehmen: Die Autoindustrie und die Kommunikations- und Computertechnologie.

Wer heute von Krise spricht, muss zugeben, dass der Kapitalismus insgesamt in der Krise steckt.

Grafik 01 und Grafik 02:

 

Wie in den Grafiken 01 und Grafik 02 zu sehen ist (Wirtschaftswachstum der G7-Staaten - Veränderung in % gegenüber dem Vorjahr) hat sich die jetzige Krise des Kapitalismus über Jahre hinweg aufgebaut. Von satten Wirtschaftswachstumsraten von fast 15% entwickelte sich das Wirtschaftswachstum zunehmend gegen Null.

Grafik 03:

Die Weltindustrieproduktion, der Motor des Weltkapitalismus, ist längst ins Minus gewandert. Die Arbeitslosenraten in den Industriemetropolen steigen in immer neue Rekordhöhen.

Grafik 04 zeigt die Entwicklung auf dem US-Arbeitsmarkt.

Zweck und Motor der kapitalistischen Wirtschaft sind die Profite. Die Profitraten sind jedoch in den kapitalistischen Metropolen seit 1950 deutlich zurückgegangen.

 Grafik 05

Die Grafik 05 zeigt, dass die Profitraten der US-Industrie in dieser Zeit von rund 20% auf rund 7% abfielen. Die notwendige Folge dieser strukturellen Schwäche ist die Zunahme der Unternehmensverschuldung und damit auch die Zunahme der Unternehmenspleiten.

Grafik 06

Alle diese Krisentendenzen betreffen Herz und Motor der kapitalistischen Wirtschaft. Niemand kann erwarten, dass sich diese Krisenfaktoren in Nichts und Wohlgefallen auflösen.

Die zwei größten Pleiten der Geschichte - Enron und WorldCom - , mit denen mehr als 34 Milliarden Dollar Vermögen vernichtet wurden, sandten finanzielle Schockwellen ins kapitalistische Finanzsystem. Da macht sich das jüngste Finanzloch von 8 Milliarden Euro bei dem italienischen Konzern Parmalat noch bescheiden. Trotz solcher Megapleiten wiesen die größten US-Banken, Citigroup und J.P. Morgan Chase, in ihren Quartalsberichten für das Jahr 2003 Gewinne aus, als hätten sie nichts mit diesen Bankrotten zu tun gehabt.

Da fragt sich nicht nur der britische "Economist" (16.08.2003): Wer muss denn nun die Zeche bezahlen? "Where have all the losses gone, if not through the profit-and-loss accounts of the few big banks that do most of the lending to giant corporations?" Der "Economist" kommt zu dem Schluss: Niemand weiß es! "But analysts and central bankers do not have a complete picture of where the banks' risks have ended up. One thing is certain. Such risk does not neatly disappear into thin air." (Economist, 16.08.03)

Die kapitalistischen Ökonomen geben zu, dass sich die Schulden-Schockwellen von Enron und WorldCom nicht in Wohlgefallen auflösen können. Sie wissen zwar nicht, wo genau sich heute die diese Schuldenberge befinden, aber sie wissen, in welche Richtung sie dem Blickfeld der Ökonomen verschwunden sind.

Seit den 90er Jahren hatten die großen Weltbanken zunehmend ihre Finanzrisiken "weiterverkauft". Anfang der 90er betrugen diese Risiko-Transfers nur wenige Milliarden Dollars. Im Jahr 2002 wuchsen die Finanztransfers auf 2.000 Milliarden Dollars - eine Summe, die ungefähr der gesamten Wirtschaftsleistung eines halben Jahres in der Bundesrepublik oder der Wirtschaftsleistung eines Quartals in den USA entspricht.


Transfer von Finanzrisiken:

(aus Economist (16.08.03)


Der Transfer von Kredit- und Finanzrisiken hat sich in der Krise und durch die Krise weiter beschleunigt. In den letzten zwei Jahren hat zum Beispiel die Deutsche Bank ihre Kredite um rund 40% von 281 Milliarden Euro auf 165 Milliarden Euro reduziert. (Economist, 16.08.03)

Seitdem auch Finanzdienstleistungen als "Derivate" als Waren verkauft werden, wandert der Schwarze Niedrigprofit-Peter von Hand zu Hand. Ebenso wie die tickenden Bomben von faulen Krediten von einem Unternehmen zum anderen wandern. Sofern die Finanzhändler ihre "heiße Ware" wieder loswerden, machen sie damit ein Geschäft. Bei wem die faulen Kredite dann hängen bleiben, der muss bluten. Man kann diesen Finanzkreislauf "Kettenbriefsystem" nennen oder "Pyramidensystem". Aber auch Grimms Märchen vom "Hans im Glück", der über mehrere Stationen einen Goldklumpen gegen einen Stein tauscht, liest sich als Parabel des heutigen Finanzsystems.

Was steht uns ins Haus?

Wirtschaftsstatistiken, die Quartalszahlen - wie in den USA üblich - "annualisieren", das heißt mit vier multiplizieren, um sie beeindruckender erscheinen zu lassen;

Arbeitslosenstatistiken, aus denen alle Lohnarbeiter herausgerechnet werden, die nur ein paar Stunden die Woche gearbeitet haben;

Bilanzen, in denen nicht vorhandene Profite vorgelogen werden;

faule Kredite, von denen niemand mehr weiß, wohin sie verschwunden sind - all das zehrt an der Glaubwürdigkeit der Wirtschaftswissenschaftler und Ökonomen. An die Öffentlichkeit kommen nur noch manipulierte Zahlen. Letztendlich betrügen diese Handlanger des Kapitals nicht nur die Öffentlichkeit, sondern auch ihre Auftraggeber. Vertrauen in den Kapitalismus schaffen sie nicht.

Die derzeitige Wirtschaftsbelebung in den USA und die prognostizierten 4% Wachstum in diesem Jahr werden zum größten Teil durch expandierende Staats-, Kriegs- und Rüstungsausgaben finanziert. Das ist Wirtschaftswachstum auf Pump. Irgendwer muss auch diese Zeche bezahlen. Der sinkende Dollar und der steigende Goldpreis zeigen, dass die Aussichten auch für die USA nicht gut sind.

Ein kapitalistischer Aufschwung "aus eigener Kraft" ist für 2004 nicht zu erwarten und selbst wenn Profite und Volkswirtschaften wieder deutlicher wachsen, - die Lohnarbeiter können davon keine Besserung ihrer Lage erwarten: Die Arbeitslosenzahlen bleiben dauerhaft hoch. Das drückt auf das Lohnniveau und erschwert den Widerstand gegen die ständigen Zumutungen der Kapitalistenklasse, noch mehr, noch billiger und noch länger arbeiten zu lassen.

W. Buchenberg, 04.01.04