Die Ausland AG

Globalisierung ist aus einer Streitfrage zu einem Faktum geworden. Kapital- und Warenströme graben sich immer tiefere und breitere Kanäle rund um den Globus. Deutsches Kapital und Waren aus Deutschland sind in Mengen beteiligt. Bis vor kurzem konnte man meinen, nur ein paar   "Global Players" wie Siemens oder Daimler-Benz drehten das große Rad der Weltwirtschaft. Inzwischen wissen wir, dass bis dahin unbekannte Kleinbanken in Deutschland und noch unbekanntere Stadtkämmerer an dem internationalen Finanzrad mitgedreht haben. Die wichtigsten deutschen Aktienunternehmen machen mehr Umsatz im Ausland als im Inland. Siehe auch: Weltweiter Warenverkehr

 Die nachstehende Grafik sortiert für das Jahr 2007 die 50 größten Aktienunternehmen Deutschlands von links nach rechts nach der Größe ihres Inlandsumsatzes (grünes Feld). An erster Stelle steht hier E.ON, an fünfzigster Stelle Epcos. Darüber erhebt sich der jeweilige Auslandsumsatz. VW zeigt ein Verhältnis Auslandsumsatz : Inlandsumsatz von 3 : 1. Daimler-Benz erreicht einem Verhältnis von 3,4 : 1.

 

(Die Datenbasis der Grafik entstammt dem Handelsblatt) 

Geht man in der Auflistung weiter nach rechts, so nimmt der Auslandsanteil am Gesamtumsatz keineswegs ab. Der Rüstungskonzern EADS kommt auf einen Auslandsanteil von knapp 90 Prozent des Gesamtumsatzes. Neun deutsche Aktiengesellschaften von den "Umsatz-Hinterbänklern" erreichen einen Auslandsanteil von mehr als 85 Prozent. Die Globalisierung der deutschen Kapitalgesellschaften beschränkt sich weder auf die ganz großen Unternehmen, noch auf besondere Branchen. Deutsche Maschinenbaufirmen erwirtschaften drei Viertel ihres Umsatzes im Ausland. Das Bauunternehmen HochTief erwirtschaftet 86 %, der Dialysespezialist FMC 97% seines Umsatzes im Ausland. Selbst ein so "bodenverwurzeltes" Unternehmen wie die Frankfurter Flughafengesellschaft Fraport erzielt noch rund ein Fünftel ihres Umsatzes im Ausland. Aus der Deutschland AG ist längst eine Ausland AG geworden.

Die Ausland AG fertigt jenseits der Grenzen günstiger als in Deutschland und sie verkauft dort größere Warenmengen als hier. Im Durchschnitt der ersten fünfzig deutschen Aktienunternehmen liegt der Anteil des Auslandsumsatzes bei 66 Prozent.

Die globale Ausrichtung, die die fünzig größten deutschen Aktienunternehmen zeigen, bestätigt sich bei einem Blick auf die Gesamtwirtschaft.

"So hat sich der Auslandsumsatz deutscher Unternehmen von 1992 bis 2003 mehr als verdreifacht auf inzwischen über 1.353 Milliarden Euro. Parallel dazu hat sich die Anzahl der Mitarbeiter im Ausland fast verdoppelt. Deutsche Unternehmen beschäftigen heute rund 4,5 Mio Mitarbeiter im Ausland." (Quelle). Zum Vergleich: Im Jahr 2008 haben 35,7 Millionen Lohnarbeiter ihren Arbeitsort in Deutschland. Lohnarbeiter im Ausland, die von deutschem Kapital ausgebeutet werden, stellen also rund 11 Prozent der Lohnarbeiterklasse.

 Wie die folgende Grafik zeigt, war bei 99 Prozent der Unternehmen in Deutschland der Auslandsumsatz steigend. Nur für 5 Prozent wuchs der Inlandsumsatz schneller als der Auslandsumsatz.

 1. Imperialer Globalismus

Globalisierung ist keine politische und wirtschaftliche Option unter anderen mehr, sondern ein fester Bestandteil der in Deutschland herrschenden Wirtschaft und Politik. Für die Regierungspolitik heißt das, dass "Weltpolitik" auf der Agenda ganz oben steht.

Die  regierungsnahe "Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik"  kommt zu dem Schluss:  "'Außenpolitik' als Pendant der 'Innenpolitik' erscheint bei zunehmender Internationalisierung diverser Politikfelder, immer offensichtlicher als ein Relikt analytischer Begriffstrennung."  (Quelle). Deutsche Außenpolitik ist zur Weltinnenpolitik geworden. Nicht nur die Rohstoffversorgung und billiger Zugang zu Energiequellen oder die militärische Präsenz rund um den Globus, auch ganz traditionell innenpolitische Frage wie Polizei- und Überwachungsmaßnahmen  werden in zwischen global organisiert und betrieben.

 Gegenüber dem klassischen Imperialismus des beginnenden 20. Jahrhunderts weist der imperiale Globalismus des beginnenden 21. Jahrhunderts zwei wesentliche Besonderheiten auf:

 Erstens:  Die traditionellen Macht- und Wirtschaftszentren der Welt arbeiten weitgehend miteinander, nicht gegeneinander. Europa, Japan und Nordamerika kooperieren miteinander stärker, als dass sie gegeneinander konkurrieren und intrigieren. Das war im klassischen Imperialismus anders. Anfang des 20. Jahrhunderts strebten einzelne starke Nationalstaaten nach einem Zuwachs an weltwirtschaftlichem und machtpolitischen Einfluss auf Kosten der anderen starken Staaten. Damals herrschte nationalstaatliche Konkurrenz unter diesen klassischen Mächten vor. Heute geht es eher um den Erhalt und Ausbau eines gemeinsamen, globalen Macht- und Wirtschaftsgefüges von Ameropa (und Japan).

 Zweitens:  Die veränderte weltpolitische Aufgabenlage veränderte das weltpolitische Instrumentarium. Vereinfacht ausgedrückt: Der klassische Imperialismus benutzte Kanonenbootpolitik und stützte sich vor allem auf nationale, militärische Machtmittel. Der moderne imperiale Globalismus verteidigt jedoch nicht nur aparte nationale Interessen, sondern ein weltumspannendes Wirtschafts- und Machtsystem. Dieses Machtsystem wird nicht direkt bedroht von staatlichen Emporkömmlingen (China, Russland oder Iran), auch wenn die Bush-Anhänger und "Neocons" in den USA mit ihrer "Achse des Bösen" solche nationalstaatlichen Gegner ausmachen wollten. Ein einzelner Staat kann nur verlieren, wenn er das globale Machtzentrum von Ameropa herausfordern wollte.

 Scheinbar oder tatsächlich wird das Imperium von Ameropa überall und weltumspannend durch Instabilitäten und Unruhen bedroht und in Frage gestellt, die selten in Staatsgrenzen eingesperrt sind. Das ist da ein Bürgerkrieg , dort eine Hungersnot oder ein Staatsstreich und hier Piratentum. Jede unkontrollierte Veränderung in der Welt wird als Gefahr für die ameropische Weltordnung aufgefasst.

 Der islamistische Bombenterror ist da nur ein möglicher Konfliktherd unter vielen. Aber am "Kampf gegen den Terror" werden die veränderten Machtstrukturen und Machtmethoden der imperialen Weltordnung am sichtbarsten: Der "Kampf gegen den Terror" ist als ein weltweiter Polizei-Feldzug gegen das Verbrechen organisiert wie im klassischen Nationalstaat die staatliche Überwachung des Rotlichtmilieus. Der imperiale Globalismus organisiert die ganze Weltgemeinschaft wie einen Polizeistaat. Weltweit wird der Informations- und Geld- und Personenverkehr überwacht. Weltweit sind Polizeinachforschungen und Polizeiaktivitäten miteinander vernetzt und verbunden. An immer neue Krisenherde sollen imperiale Einsatzkräfte hingeschickt werden. Nicht, um im klassisch-imperialistischen Sinn dort Gebiete militärisch zu erobern, sondern um dort im global-polizeilichen Sinn "Ruhe und Ordnung" herzustellen.

 2. Soziale Wagenburg im Innern

Außenpolitisch ist Deutschland längst im neuen, imperialen Zeitalter des Globalismus angekommen. Allerdings bleiben die wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse in Deutschland das "Standbein" der deutschen Globalisten, auch wenn das weltpolitische "Spielbein" zunehmend ihre Aufmerksamkeit und Aktivität beansprucht. Die veränderte Macht- und Rollenverteilung zwischen außenpolitischen und innenpolitischen Fragen ist allerdings in Deutschland noch nicht bei vielen angekommen.

Was die Traditionsrechten ("Neonazis") in unserer Gesellschaft betrifft, so können wir froh sein, wenn die immer noch der nationalstaatlichen Wirtschafts- und Sozialpolitik des 19. und 20. Jahrhunderts nachtrauern. Sie bleiben hoffentlich in dieser geistigen Nische eingesperrt, das begrenzt ihren Einfluss.

 Nachteilig ist es allerdings, sofern gesellschaftliche Kräfte, die für Emanzipationsbewegungen als mögliche Bündnispartner in Frage kommen, in ähnlich überholten Denkmustern eingesperrt bleiben. Das betrifft vor allem die Gewerkschaften, aber auch linke Strömungen im Parteienspektrum.

 Gewerkschaftliche Bemühungen müssen unwirksam verpuffen, solange unsere Gewerkschaftsführer immer wieder betteln, die Kapitalseite solle durch höhere Lohnabschlüsse die Binnennachfrage stärken. DGB-Chef Sommer ließ noch im September verlauten:  "Nur eine kräftige Erhöhung der Reallöhne und damit eine Binnennachfrage kann ein Übergreifen der US-Wirtschaftskrise auf Deutschland verhindern." 

IGM-Vorsteher Huber kritisierte Anfang November das Angebot von 2,1 Prozent mehr Lohn der Metall-Kapitalisten mit den Worten: Dieses Angebot sei  "wirtschaftlich verantwortungslos, weil es die Kaufkraft schwächt und die Konjunktur damit noch stärker stranguliert". 

 Dass ein hohes Lohnniveau gleichermaßen im Interesse von Kapital und Arbeit sei, wollte auch bisher so mancher nicht glauben. Wo jedoch die Inlandsnachfrage nur noch ein Drittel der Gesamtnachfrage wichtiger Unternehmen liefert, hat sich das Hoffen auf die Binnenkaufkraft erst recht erledigt. Die richtungsweisenden Unternehmen und Kapitalvertreter in Deutschland haben sich längst von dieser wirtschaftlichen Binnensicht verabschiedet. Unsere Wirtschaftselite ist längst internationalistisch, genauer: globalistisch gesinnt. Für diese Wirtschaftselite und ihre Unternehmen hat ein mögliches Ausbleiben oder ein Stocken des globalen Waren- oder Geldstromes verheerendere Folgen als ein Stocken der Binnennachfrage.

 Das Thema "Binnennachfrage" und "nationaler Standort" spielt allerdings noch eine ideologische Rolle für die soziale Befriedung in Deutschland. Das zeigt auch an dem "Konjunkturprogramm" der Bundesregierung, das am 30. Oktober unerwartet aus dem Regierungshut gezaubert wurde. Angeblich zielt dieses "Konjunkturpaket" mit bis zu 25 Milliarden auf die "Binnennachfrage" und die "heimischen Arbeitsplätze".

In der amtlichen Begründung heißt es:  "Die Bundesregierung will vor allem der deutschen Autoindustrie helfen, die zu den größten Arbeitgebern im Lande gehört."

 Dafür soll für insgesamt zwei Milliarden Euro die Kfz-Steuer nach jedem Neuwagenkauf für zwei Jahre ausgesetzt werden. Eingeplant sind dafür angeblich Steuerausfälle von zwei Milliarden Euro. Die Geschäfte der Autokonzerne hängen aber längst nicht mehr am deutschen Markt. Wer allerdings in Deutschland wohlhabend genug ist, um einen teuren Neuwagen zu kaufen, der bekommt zusätzlich ein paar hundert Euro als Steuergeschenk. Das ist ein Wohlfühlprogramm, kein Konjunkturprogramm.

Auch die erhöhte Absetzbarkeit von Handwerkerrechnungen im Haushalt (bis zu 1200 Euro im Jahr) zielt auf das Wohlbefinden der gutgestellten Eliten in Deutschland, nicht auf Konjunkturbelebung.

Wie wenig die Bundesregierung selber an die konjunkturbelebende Wirkung ihres "Konjunkturprogramms" glaubt, zeigt sich an ihrem 15. und letzten Punkt:  "Die Bezugsdauer von Kurzarbeitergeld wird befristet für ein Jahr von bisher zwölf auf 18 Monate verlängert."

Auch die Reform der Erbschaftssteuer, die vielen Immobilien- und Unternehmenserben eine Befreiung von der Erbschaftssteuer schenkt, ist ein "Wohlfühlprogramm" für die Wohlhabenden und damit eine politische Krisenvorbereitung. Die Reichen und die Einflussreichen rücken enger zusammen in Deutschland. Es geht nicht mehr um Verbreitung des Reichtums, sondern um seinen Zusammenhalt.

 Was auf globaler Ebene der imperiale Zusammenschluss der etablierten kapitalistischen Großmächte gegen alle Rückständigen und Habenichtse ist, das ist eine soziale "Wagenburg-Politik" im Innern: Die herrschenden Eliten erkaufen sich durch Steuergeschenke und Privilegien die Unterstützung der Etablierten und Besser-Gestellten. Wer außerhalb dieser privilegierten Wagenburg lebt, wer keinen gutbezahlten Job hat, wer kein Eigenheim besitzt, wer keinen Neuwagen fährt, der ist "Normalverbraucher" und gehört zur "Masse" und wird zum Objekt der polizeilichen Überwachung.

 Gefühlt wird dieses soziale Auseinanderklaffen in Deutschland längst. Öffentlich ausgesprochen oder angesprochen werden soll es jedoch nicht. Deshalb wurde von der politischen Klasse so heftig reagiert, als einer der Ihren die Parallele zwischen der "Pogromstimmung" gegen die heutige Wirtschaftselite und der Verfolgung der Juden im NS-Deutschland zog.

Wal Buchenberg, 08.11.2008

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