Weltweiter Warenverkehr - unser Globus schrumpft Bevor ein Joghurt
seinen letzten Gang vom Kühlschrank zum Frühstückstisch geht, hat er schon
6.700 km zurückgelegt - nicht der Joghurtbecher als Ganzes, aber alle
seine Einzelteile zusammengerechnet. Die 6.700 Transportkilometer des
Joghurts hatte Stefanie Böge in ihrer Diplomarbeit für die Fruchtjoghurte
der Südmilch AG Stuttgart analysiert und errechnet. Bakterienkulturen
werden über 917 km aus Schleswig-Holstein geliefert. Die Erdbeeren kommen
über 800 km aus Polen nach Aachen zur Verarbeitung und von dort nach
Stuttgart. Die Milch stammt aus dem Umland und wird durchschnittlich 36 km
gefahren. Sonstige Rohstoffe wie Zucker, Glasbecher, Aludeckel, Etiketten,
Etikettenleim, Transportstiege und Transportfolie legen insgesamt 4953 km
von den Herstellern bis nach Stuttgart zurück. Hinzu kommen noch die
Vertriebskilometer vom Hersteller zum Einzelhandel zum Beispiel in Hamburg
mit 668 km. Die Stiftung Warentest
hat für Fruchtjoghurts eine Haltbarkeit von drei bis vier Wochen
festgestellt. Da schadet dem fertigen Joghurt ein Transportweg von 700 km
und eine Transportzeit von einem Tag nicht. Da jedoch alle
Vorprodukte und auch das Endprodukt in großen Mengen transportiert werden,
entfallen rechnerisch auf jeden einzelnen Erdbeerjoghurt 14,2 Meter Weg.
Knapp 13 Meter legen die Vorprodukte des Joghurts von allen Lieferanten
zum Hersteller zurück, 1,28 Meter beträgt der Weg vom Hersteller zum
Verbraucher. Wer mit Wirtschaft nur als Konsument zu tun hat, der sieht
nur den kleineren Teil des Weges einer Ware. 1. Zwei
Warenwege 1.1. Warentransporte
vom Produzent zum Konsument Metallischer Rohstoff
(Zinn) wurde schon vor 7000 Jahren aus England in den Mittelmeerraum
transportiert. Gewürze und Seide fanden ihren Weg aus Asien nach Europa.
Heute werden auch frische Lebensmittel und Schnittblumen mit einer
Haltbarkeit von wenigen Tagen rund um den Globus transportiert.
Die kurze
Vertriebszeit und die Transportwege von Frischobst hat die Firma Dell für
ihre Computer übernommen. Sie verkauft ihre Rechner über Internet und
Callcenter direkt an private Konsumenten. Produziert wird in den
Dell-Fabriken in USA, Irland, Malaysia, China und Brasilien nur, was
bestellt ist. Zwischen Bestellung und Lieferung liegen nur wenige
Tage. Durchschnittlich
dauert aber die Reise jeder fertigen Ware vom Produktionsort bis zum
Endverbraucher (Lagerzeiten eingerechnet) 41 Tage (Financial Times,
13.04.2001). Je kürzer die Lebenszeit eines Produkts, desto schneller und
häufiger muss es zum Endkunden ausgeliefert werden. Desto höher ist aber
auch seine Profitrate. 1.2. Warentransporte
von Produzent zu Produzent Die längste Zeit und
die längsten Wege (90 Prozent) legten die Vorprodukte und Rohstoffe des
Joghurts von Unternehmen zu Unternehmen zurück, bevor sie zu einem
konsumierbaren Endprodukt verarbeitet wurden. Ein Stuttgarter Joghurt
besteht aus 10 Teilen. Eine Boeing 747 ist aus über 6 Millionen Teilen
zusammengesetzt. Alle diese Einzelteile werden bei Tausenden Lieferanten
bestellt und zu den Boeing-Werken geliefert. Ein Mittelklassewagen
besteht aus rund 10.000 Einzelteilen. Mit 10.000 Einzelteilen baut Toyota
mehr als 600.000 Wagen pro Jahr in Europa und hat feste Lieferverträge mit
200 strategischen Zulieferern, die in 400 Fabriken in aller Welt
produzieren. Jedes einzelne Autowerk von Toyota "schluckt" fast 1000
LKW-Ladungen pro Tag. Die weltweite
Ausdehnung dieser Warenlieferungen zwischen den Unternehmen ist Grundlage
der "Globalisierung". Tatsächlich handelt es sich dabei um einen alten
kapitalistischen Trend, der mit den Entdeckungsfahrten des 16. Jahrhundert
begonnen hatte. Grafik 1) Weltweiter
Warenverkehr
Betrachtet man nur den Zeitraum des letzten Jahrhunderts, dann stellt man fest, dass die Bedeutung des Welthandels und Weltverkehrs - relativ zur Wirtschaftskraft gerechnet -, mindestens in Europa nur wenig zugenommen hat. Grafik 2) Bedeutung
des Außenhandels
Die Bedeutung des
Außenhandels in Europa stieg zwar in den letzten fünfzig Jahren an,
tatsächlich wurde aber damit nur der Rückweg in Richtung
"Nationalwirtschaft" nach dem 1. Weltkrieg umgekehrt. Der Weltkapitalismus
ist nach dem zweiten Weltkrieg zu dem globalen Entwicklungspfad
zurückgekehrt, der bis zum 1. Weltkrieg vorherrschend und typisch
war. Zu Beginn des 20.
Jahrhunderts dominierten Rohstoffe und landwirtschaftliche Produkte den
internationalen Warenverkehr. Im Jahr 1900 machten industrielle und
landwirtschaftliche Rohstoffe 41% des US-Exports und 45% des US-Imports
aus. England importierte im gleichen Jahr Rohstoffe für 75 % seines
Importwertes. Auch wenn mengenmäßig
die weltweit umgeschlagenen Rohstoffe gewachsen sind, ihr Wertanteil am
globalen Warenverkehr ist seither gesunken, weil Anzahl und Menge der
Fertigwaren im Welthandel rascher expandierten. Grafik 3) Warenarten
im Welthandel
Die Transportindustrie
(neuerdings mit dem militärischen Term "Logistik" benannt), hatte 1982 in
den USA eine Größenordnung von 14,5 % des BSP, heute hat sie noch eine
Größenordnung von 8 %. In Europa hat "Logistik" einen Anteil am BSP von
11% und mehr. Umgerechnet auf ein
einzelnes Produkt machen die Kosten für den Transport der Vorprodukte zum
Hersteller und der Ware vom Hersteller zum Kunden heute rund 10 Prozent
des Warenpreises aus. 2.
Transportarten 2.1. Landtransport -
vom Ochsenkarren über Eisenbahn zum LKW Ausgrabungen in
England zeigten, dass alle alten Wohnsiedlungen im Abstand von 6 bis 8
Kilometern angelegt waren, so dass man mit einer Traglast an einem Tag zum
Nachbarort und wieder zurück gehen konnte. In der vorrömischen
Antike gab es kaum gebaute Wege oder Straßen und keine Brücken über
fließende Gewässer. Daher ging Transportarbeit in weit höherem Maß in den
Wert der Produkte ein, als wir das heute mit unserem ausgebauten
Verkehrswesen uns vorstellen können. Preisangaben aus römischer Zeit, als
wenigstens die größeren Städte mit Straßen verbunden waren, ergeben, dass
sich der Wert einer Wagenladung Weizen durch eine Transportzeit von 20
Tagen, bzw. eine Entfernung von 500 km verdoppelte. Der Transport von
Dachziegeln von Korinth rund 50 km zum Tempel in Eulesis kostete pro
hundert Stück 240 Obolen, während dieselbe Menge für 20 Obolen verschifft
werden konnte. Landtransport war hier mehr als das Zehnfache teurer als
der Seetransport. Fernhandel über Land
war in alter Zeit nur für nicht verderbliche Luxusgüter möglich. Diese
wanderten auf ihrem Weg aber durch viele verschiedene Hände, die sie
gewaltsam oder friedlich erwarben, und dann
weiterverkauften. Als 1260 die
venezianischen Juwelierhändler Maffeo und Nicolo Polo (Vater von Marco
Polo) zu ihrer ersten China-Reise aufbrachen, um ihren Fernhandel mit
asiatischen Waren vom Anfangs bis zum Endpunkt in einem einzigen
Unternehmen zusammenzufassen, waren sie ein ganzes Jahr unterwegs, bis sie
in Peking anlangten. Aus ihrer Geschäftsidee wurde nichts, obwohl Marco
Polo die Expedition wiederholte. Seine Rückfracht, 500 kg Seide, wurde
unterwegs konfisziert. Seine Seide hat sicherlich ihren Weg zum
Verbraucher nach Europa gefunden, aber Marco Polo starb als armer
Mann. Weil George Francis
Train 1870 Eisenbahnen benutzte, konnte er erstmals die ganze Welt in 80
Tagen umrunden und wurde zum Romanvorbild für Jules
Verne. Eisenbahnen waren das
Land-Transportmittel des frühen Kapitalismus. Erst seit dem 2. Weltkrieg
übernahm der Straßenverkehr die führende Rolle im Warenverkehr zu Land.
1952 schaffte der Eisenbahntransport noch 42% des binnenländischen
Warentransports in Deutschland. Heute macht er noch 6%
aus. LKW-Transport war
bislang eine Geschäfts-Domaine kleinerer und mittlerer Unternehmen. Das
ändert sich gegenwärtig. Je mehr die Unternehmen nicht nur auf sichere,
sondern auch auf pünktliche Anlieferung achten, desto mehr steigt
Verwaltungsaufwand und Risiko bei den Transportunternehmen.
Im Transportsektor
machen die vielen Kleinfirmen nur kleine Geschäfte. Wenige weltweite
Großfirmen wie FedEx, UPS, DHL und Kühne & Nagel, die Luft- und
Seefahrt mit Landtransport rund um den Globus verbinden, machen die großen
Geschäfte. Es ist immer noch die Geschäftsidee des Nicolo Polo: Den
Transport über die ganze Welt vom Ausgangs- bis zum Endpunkt in einem
Unternehmen zusammenzufassen, um den Profit nicht mit anderen teilen zu
müssen. 2.2.
Wassertransport Die antike Schifffahrt erreichte mit weitaus mehr Ladung eine viel höhere Geschwindigkeit als der Landverkehr. Bei günstigen Sommerwinden konnten die einmastigen griechischen Segelruderer 60 bis 80 Seemeilen am Tag zurücklegen. Wer im athenischen Hafen Piräus auslief, konnte dann Ephesos in 2,5 Tagen, Byzanz in 4,5 Tagen, Rhodos in 3,5 und Ägypten in 7,5 Tagen erreichen. Normalerweise konnte
ein griechisches Transportschiff 10 bis 15 Tonnen Ladung neben der
Mannschaft aufnehmen. In späterer Zeit wurden allerdings auch zweimastige
Handelsschiffe für 200 oder 300 Tonnen Ladegewicht gebaut. Den ganzen
stürmischen Winter über musste die griechische Schifffahrt allerdings
ruhen. Höchstens die Route von Süd-Griechenland nach Ägypten war
befahrbar.
In der Bibel lesen wir von dem Propheten Hesekiel um die Wende des 6. Jahrhunderts v. Chr. über die Stadt Tyros: Die du wohnst am
Zugang zum Meer und für die Völker mit vielen Inseln Handel treibst ...
Deine Bauleute haben dich aufs allerschönste erbaut ... und deine Wände
mit Elfenbein getäfelt, gefasst in Buchsbaumholz von den Gestaden der
Kittiter. Deine Segel war beste bunte Leinwand aus Ägypten als dein
Kennzeichen und deine Decken waren blauer und roter Purpur von den
Gestaden Elischas... Alle Seeschiffe und ihre Schiffsleute fanden sich bei
dir ein, um mit deinen Waren Handel zu treiben. Perser, Lyder und Libyer
waren dein Kriegsvolk.... Die Männer von Arwad waren in deinem Heer rings
auf deinen Mauern und waren Wächter auf deinen Türmen... Tarsis hat für
dich Handel getrieben mit einer Fülle von Gütern aller Art und Silber,
Eisen, Zinn und Blei auf deine Märkte gebracht. (Hesekiel, 27,
1-12) In derselben Zeit (um 600 v. Chr.) gelang die erste Umsegelung Afrikas, wie der Grieche Herodot berichtet: Der ägyptische Pharao
Nekos schickte Phönizier im Roten Meer "mit einer Flotte aus und gab
ihnen den Auftrag, den Rückweg durch die Säulen des Herakles (Gibraltar)
zu nehmen und also durch das Mittelmeer nach Ägypten zurückzukehren. So
fuhren denn die Phönizier durch das Rote Meer nach Süden fort. Als der
Herbst kam, gingen sie an Land, bebauten das Feld, an welcher Stelle
Afrikas sie sich nun gerade befanden, und warteten die Ernte ab. Hatten
sie geerntet, so fuhren sie weiter. So trieben sie es zwei Jahre lang, und
im dritten Jahr bogen sie bei den Säulen des Herakles ins nördliche Meer
ein und gelangten nach Ägypten." (Herodot, 4,
42). Dem Pharao brachte
diese Seereise keine wirtschaftlichen Vorteile. Es dauerte rund 2000 Jahre
bis es dem Portugiesen Gil Eanes 1434 gelang, das Südkap Afrikas zu
umschiffen. Vor ihm hatten das seit 1422 portugiesische Seefahrer 15 Mal
vergeblich versucht. Hinter diesen Reisen standen klare wirtschaftliche
Ziele: einen Seeweg von Europa zu den Gewürzen und anderen Schätzen des
Fernen Ostens zu finden um den Fernhandel vom Anfangs- bis zum Endpunkt in
einer Hand zusammenzufassen und den ganzen Profit
einzustreichen. Dieselben Ziele hatte
auch die erste Weltumsegelung unter Leitung von Magellan 1519 - 1522, der
unterwegs starb. Sein Konkurrent, der Engländer Francis Drake, brauchte
für seine Weltumrundung 1577-1580 ebenfalls drei
Jahre. Große Containerschiffe
fahren heute mit 23 Knoten (42,6 Stundenkilometer) über die Weltmeere. Für
den Weg zwischen Asien und Europa benötigt so ein Schiffsriese drei
Wochen. Für die Fahrt über den Atlantik rund eine
Woche. Im Jahr 2004 wurden 90
Prozent aller Warenexporte im Wert von fast 9 Billionen Dollar über die
Weltmeere geschippert. Grafik 4) Anteile am
Seetransport
1956 ließ McLean, ein
amerikanischer LKW-Transportunternehmer, einen ausrangierten Öltanker zum
ersten Containerschiff umbauen. Damals kostete die Beladung eines Schiffes
5,83 Dollar pro Tonne. McLean kalkulierte, dass diese Beladungskosten
durch Container um 97 Prozent auf 16 Cent pro Tonne sinken würden. Ein
modernes Containerschiff kann 9.000 Container transportieren. Das macht
eine Ersparnis von 50.000 Dollar pro Ladung. Zwar müssen auch die
Container "von Hand" be- und entladen werden, aber während dieser Ladezeit
liegen die Schiffe nicht als "totes Kapital" wartend im
Hafen. Grafik 5)
Containerumschlag
2.3.
Luftfahrt Lange Zeit wurde die
Luftfahrt nur für Personen- oder Bombenbeförderung
genutzt. Luftexpresslieferung
von Waren gibt es erst seit 1970, obwohl Flugzeuge unseren Globus noch
schneller schrumpfen ließen. Immerhin benötigte die
erste Weltumrundung einer Gruppe von amerikanischen Kampfliegern im Jahr
1924 noch 175 Tage. 1931 schafften die
Piloten Wiley Post und Harold Gatty die Strecke in 8 Tagen, 15 Stunden, 51
Minuten. 1949 flog die Boeing
B-50A in knapp vier Tagen nonstop um die Welt mit Luftbetankungen durch
vier fliegende Tankflugzeuge. 1995 stellte eine
Concorde mit 31 Stunden, 27 Minuten und 49 Sekunden den bis heute
bestehenden Rekord für die schnellste Weltumrundung auf.
2004 umrundete der
Journalist Michael Quandt als normaler Tourist nur mit Linienflugzeugen
die Erde und setzte dabei einen Fuß auf alle sechs Kontinente. Für die
Strecke Singapur - Sydney - Los Angeles - Houston - Caracas - London -
Kairo - Kuala Lumpur - Singapur benötigte er 66 Stunden und 31
Minuten. Per Luftfracht wird
zwar weniger als ein Prozent der Tonnage, aber 30 Prozent des gesamten
Warenwerts des Welthandels verfrachtet. Im Jahr 1997 betrug der Anteil der
Luftfracht am Import nach Deutschland nach der Tonnage 0,1 Prozent, aber
nach dem Wert 10,9 Prozent. Die Lieferzeiten von
Tür zu Tür betragen gegenwärtig von Deutschland nach Hongkong oder Taiwan
72 bis 96 Stunden. 3. Arbeitskämpfe im
Transportwesen Arbeitskämpfe im
Transportwesen bilden einen überproportionalen Anteil aller Arbeitskämpfe:
"im Durchschnitt 35 Prozent aller industriespezifischen Nennungen von
1870 bis 1996. Damit bilden die Arbeiterunruhen im Transportsektor die
größte Kategorie. Sie liegt sogar vor der verarbeitenden Industrie (21
Prozent) und dem Bergbau (18 Prozent)." (Beverly J. Silver:
Arbeiterbewegungen und Globalisierung seit 1870. (Forces of Labor).
Assoziation A, Berlin, Hamburg 2005: 127)
Aktueller Nachtrag aus
dem Jahr 2006:
Indy-Bericht über den
politischen Streik der europäischen Hafenarbeiter Wal Buchenberg, 21.
Juni 2006 |