Hauseigentum für Lohnarbeiter


1. Mangel an preiswerten, geräumigen und gesunden Wohnungen ist ein normaler Übelstand in allen Klassengesellschaften.

Cäsar zahlte z.B. nach seinem Machtantritt für die verschuldeten städtischen Proletarier eine Jahresmiete: „Die jährliche Hausmiete bezahlte er in Rom für alle bis zum Betrage von zweitausend Sesterzien aus der Staatskasse, in Italien für alle, bei denen sie nicht über fünfhundert Sesterzien betrug.“ Sueton, Kaiserbiografien, Cäsar, 38.

„Die sogenannte Wohnungsnot, die heutzutage in der Presse eine so große Rolle spielt, besteht nicht darin, dass die Arbeiterklasse überhaupt in schlechten, überfüllten, ungesunden Wohnungen lebt. Diese Wohnungsnot ist nicht etwas der Gegenwart Eigentümliches; sie ist nicht einmal eins der Leiden, die dem modernen Proletariat, gegenüber allen früheren unterdrückten Klassen, eigentümlich sind; im Gegenteil, sie hat alle unterdrückten Klassen aller Zeiten ziemlich gleichmäßig betroffen.
Um dieser Wohnungsnot ein Ende zu machen, gibt es nur ein Mittel: die Ausbeutung und Unterdrückung der arbeitenden Klasse durch die herrschende Klasse überhaupt zu beseitigen. -
Was man heute (1870) unter Wohnungsnot versteht, ist die eigentümliche Verschärfung, die die schlechten Wohnungsverhältnisse der Arbeiter durch den plötzlichen Andrang der Bevölkerung nach den großen Städten erlitten haben; eine kolossale Steigerung der Mietpreise, eine noch verstärkte Zusammendrängung der Bewohner in den einzelnen Häusern, für einige die Unmöglichkeit, überhaupt ein Unterkommen zu finden.“ F. Engels, Wohnungsfrage, MEW 18, 213.

„Die Wohnungsnot der Arbeiter und eines Teils der Kleinbürger unserer modernen großen Städte ist einer der zahllosen kleineren, sekundären Übelstände, die aus der heutigen kapitalistischen Produktionsweise hervorgehen.“ F. Engels, Wohnungsfrage, MEW 18, 214.

„Die Ausdehnung der modernen großen Städte gibt in gewissen, besonders in den zentral gelegenen Strichen derselben dem Grund und Boden einen künstlichen, oft kolossal steigenden Wert; ... Das Resultat ist, dass die Arbeiter vom Mittelpunkt der Städte an den Umkreis gedrängt, dass Arbeiter- und überhaupt kleinere Wohnungen selten und teuer werden und oft gar nicht zu haben sind; denn unter diesen Verhältnissen wird die Bauindustrie, der teurere Wohnungen ein weit besseres Spekulationsfeld bieten, immer nur ausnahmsweise Arbeiterwohnungen bauen.
Diese Mietsnot trifft den Arbeiter also sicher härter als jede wohlhabendere Klasse; aber sie bildet, ebenso wenig wie die Prellerei des Kaufmanns, einen ausschließlich auf die Arbeiterklasse drückenden Übelstand...“ F. Engels, Wohnungsfrage, MEW 18, 215.

2. Eigener Hausbesitz der Lohnarbeiter schafft noch größere Probleme
„Um die moderne revolutionäre Klasse des Proletariats zu schaffen, war es absolut notwendig, dass die Nabelschnur durchgeschnitten wurde, die den Arbeiter der Vergangenheit noch an den Grund und Boden knüpfte. Der Handweber, der sein Häuschen, Gärtchen und Feldchen neben seinem Webstuhl hatte, war ... innerlich durch und durch ein Sklave.“ F. Engels, Wohnungsfrage, MEW 18, 219.

„Für unsere großstädtischen Arbeiter ist Freiheit der Bewegung erste Lebensbedingung und Grundbesitz kann ihnen nur eine Fessel sein. Verschafft ihnen eigene Häuser, kettet sie wieder an die Scholle, und ihr brecht ihre Widerstandskraft gegen die Lohnherabdrückung der Fabrikanten.
Der einzelne Arbeiter mag sein Häuschen gelegentlich verkaufen können, bei einem ernstlichen Streik oder einer allgemeinen Industriekrise aber würden sämtliche den betreffenden Arbeitern gehörenden Häuser zum Verkauf auf den Markt kommen müssen, also gar keine Käufer finden oder weit unter Kostpreis losgeschlagen werden.“ F. Engels, Wohnungsfrage, MEW 18, 239.

„Soweit aber in dieser ... Lösung - statt Mietwohnungen Wohneigentum für Lohnarbeiter - ein rationeller, praktischer verwertbarer Inhalt liegt, soweit wird sie heutzutage bereits durchgeführt, und zwar entstammt diese Durchführung ... den großen Kapitalisten selbst.“ F. Engels, Wohnungsfrage, MEW 18, 225.


Zur Illustration dieser Behauptung von F. Engels, dass die Kapitalistenklasse den Lohnarbeitern den Kauf von Wohnungen aufdrängt:
Je weniger Eigenkapital ein Hauskäufer hat, desto höher wird der Tribut, den die Bank als Zinsen verlangt. Eine Wohnung, die 200.000 Euro wert ist, also auch nur für 200.000 Euro verkauft werden kann, kann dann für den Erstkäufer mit allen Zinsen in 30 Jahren in der Gesamtsumme 600.000 Euro kosten, das Dreifache des wirklichen Werts.
Eine Hypothek über 300.000 Euro über 30 Jahre bei 7 % Zinssatz bedeutet monatliche Zahlungen von knapp 2000 Euro und einen Gesamtbetrag von 720.000 Euro. Man zahlt eine Summe von 720.000 für einen Wert von 300.000.
Kann man das „Erwerb von Eigentum“ nennen, wenn ein Wohnungskäufer für diesen Warenwert das Doppelte und Dreifache zahlen muss? Es ist tatsächlich „Erwerb von Eigentum“ für die Bank und die Baugesellschaften, aber Ausbeutung der kleinen Möchtegern-Hausbesitzer, die nur zu oft im Bankrott landen.

Wo es dem Verständnis dient, habe ich veraltete Fremdwörter, alte Maßeinheiten und teilweise auch Zahlenangaben  modernisiert. Diese und alle kommentierenden  Textteile, die nicht wörtlich von Marx stammen, stehen in kursiver Schrift.
 
Anmerkung:
In den USA ist der Prozentsatz der Wohnungsbesitzer deutlich höher als in Deutschland, wo nur rund 40 % der Wohnungen von ihren nominellen oder wirklichen Eigentümern bewohnt werden - wirklicher Eigentümer ist man ja erst, wenn alle Hypotheken abbezahlt sind. Die USA geben also ein gutes Bild davon, was Wohnungseigentum für Lohnarbeiter bringt:

„Vor 20 Jahren verlangten die Banken, dass ein Kunde für eine Hypothek 20 % des Kaufpreises für ein Eigenheim auf den Tisch legte. Heute verlangen die Banken beim Hypothekenkauf nur noch ein Eigenkapital von 5 % und selbst die einfachsten Prüfungen der Zahlungsfähigkeit wurden aufgegeben.“

„Der Anteil der schlüsselfertigen Eigenheime, die für weniger als 100.000 Dollar verkauft wurden, sank von 54 % auf 26%.“

„Der Gesamtwert  des amerikanischen Wohnungsmarktes wuchs seit 1993 von 7,6 Billionen Dollar auf fast 11 Billionen Dollar.“

„1963 entsprach der Kaufpreis eines neuen Hauses einschließlich der Finanzierungskosten 7,5 Jahreslöhnen eines durchschnittlichen Arbeiters. Heute entspricht er fast 16  Jahreslöhnen. Im Vergleich zur realen Kaufkraft eines Arbeiters hat sich der Preis eines Hauses seit 1963 mehr als verdoppelt.“

„Da die Immobilienpreise jetzt viel schneller steigen als die Einkommen der Haushalte, baut sich in Amerika ein riesiger Berg von Hypothekenschulden auf. 1981 lagen die Hypothekenschulden der Privathaushalte noch unter 1 Billion Dollar. Bis 1995 waren sie auf 3,5 Billionen Dollar angestiegen. Seither explodierten sie auf geschätzte 5,2 Billionen Dollar.“

„In den USA stieg die durchschnittliche Verschuldung der privaten Haushalte seit 1990 von 28 % des verfügbaren Einkommens auf jetzt 43 % des verfügbaren Einkommens.“

„In den 50er Jahren baute man noch ganze Häuser aus Stein; in den 70er Jahren wurden noch 50 % der Hauswände gemauert, heute dagegen nur noch 30 %; statt dessen werden Holz oder Pressspan verwendet. Das Material zwischen Rahmen und Außenverschalung besteht heute zum größten Teil aus Aluminium und Schaumstoff. Solche ‚Wände’ sind zwar einigermaßen wasserdicht und wärmeisoliert, besitzen jedoch nur geringe Festigkeit. Dies ist einer der Gründe, warum in den letzten Jahren so viele Häuser bei starken Stürmen oder Fluten zerstört wurden.“
(Daten über die USA aus: Elliott-Wellen-Forum Börse & Wirtschaft vom 30.1.2002.)

Wal Buchenberg, 31.1.2002

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