Moral
1. Moral
ist die „Machtlosigkeit in Aktion“
„Die Moral ist die ‚Machtlosigkeit in Aktion’. So
oft sie ein Laster bekämpft, unterliegt sie.“ K. Marx, F. Engels, Die
heilige Familie, MEW 2, S. 213.
„Niemand hat den ohnmächtigen
Kantischen ‚kategorischen Imperativ’ – ohnmächtig, weil er das Unmögliche
fordert, also nie zu etwas Wirklichem kommt – schärfer kritisiert ... als
grade der vollendete Idealist Hegel.“ F. Engels, Ludwig Feuerbach und der
Ausgang der klassischen deutschen Philosophie, MEW 21, S.
281.
2. Mit Moral und Ethik pressen die Herrschenden ihre
Interessen in eine Zwangsjacke für die Unterdrückten.
„Gut und
Böse: Dieser Gegensatz bewegt sich ausschließlich auf moralischem, also
auf einem der Menschengeschichte angehörigen Gebiet... Von Volk zu Volk,
von Zeitalter zu Zeitalter haben die Vorstellungen über Gut und Böse so
sehr gewechselt, dass sie einander oft geradezu widersprachen.... Wie
steht es aber heute? Welche Moral wird uns heute gepredigt? Da ist zuerst
die christlich-feudale, ... die sich wesentlich wieder in eine katholische
und protestantische teilt, wobei wieder Unterabteilungen von der
jesuitisch-katholischen und orthodox-protestantischen bis zur
lax-aufgeklärten Moral nicht fehlen. Daneben figuriert die
modern-bürgerliche und neben dieser wieder die proletarische
Zukunftsmoral, so dass Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft allein in den
fortgeschrittensten Ländern Europas drei große Gruppen gleichzeitig und
nebeneinander geltender Moraltheorien liefern. Welche ist nun die wahre?
Keine einzige, im Sinn absoluter Endgültigkeit...
Wenn wir nun aber
sehen, dass die drei Klassen der modernen Gesellschaft, die
Feudalaristokratie, die Bourgeoisie und das Proletariat jede ihre
besondere Moral haben, so können wir daraus nur den Schluss ziehen, dass
die Menschen, bewusst oder unbewusst, ihre sittlichen Anschauungen in
letzter Instanz aus den praktischen Verhältnissen schöpfen, in denen ihre
Klassenlage begründet ist – aus den ökonomischen Verhältnissen, in denen
sie produzieren und austauschen...“ F. Engels, Anti-Dühring, MEW 20, S.
86-87.
„Ein ewige Moral muss aber zu allen Zeiten möglich
gewesen sein und es allerorts sein.“ F. Engels, Anti-Dühring, MEW
20, 581.
2. Die Kommunisten predigen keine Moral
„Der
Kommunismus ist deswegen unserem Heiligen rein unbegreiflich, weil die
Kommunisten weder den Egoismus gegen die Aufopferung noch die Aufopferung
gegen den Egoismus geltend machen und theoretisch diesen Gegensatz weder
in jener gemütlichen noch in jener überschwänglichen ideologischen Form
fassen, vielmehr seine materielle Geburtsstätte nachweisen, mit welcher er
von selber verschwindet.
Die Kommunisten predigen überhaupt keine
Moral, was Stirner im ausgedehntesten Maße tut. Sie stellen nicht die
moralische Forderung an die Menschen: Liebet Euch untereinander, seid
keine Egoisten usw.; sie wissen im Gegenteil sehr gut, dass der Egoismus
ebenso wie die Aufopferung eine unter bestimmten Verhältnissen notwendige
Form der Durchsetzung der Individuen ist. Die Kommunisten wollen also
keineswegs, wie Sankt Max glaubt und wie ihm sein getreuer Dottore
Graziano (Arnold Ruge) nachbetet...., den ‚Privatmenschen’ dem
‚allgemeinen’, dem aufopfernden Menschen zuliebe aufheben.... Die
theoretischen Kommunisten, die einzigen, welche Zeit haben, sich mit der
Geschichte zu beschäftigen, unterscheiden sich gerade dadurch, dass sie
allein die Schöpfung des ‚allgemeinen Interesses’ durch die als
‚Privatmenschen’ bestimmten Individuen in der ganzen Geschichte entdeckt
haben. Sie wissen, dass dieser Gegensatz nur scheinbar ist, weil die eine
Seite, das sogenannte ‚Allgemeine’, von der anderen, dem Privatinteresse,
fortwährend erzeugt wird und keineswegs ihm gegenüber eine selbständige
Macht mit einer selbständigen Geschichte ist....“ K. Marx, F. Engels,
Deutsche Ideologie, MEW 3, S. 229.
„’Man glaubt etwas sehr
Großes zu sagen – heißt es bei Hegel – wenn man sagt: Der Mensch ist von
Natur gut; aber man vergisst, dass man etwas weit Größeres sagt mit den
Worten: Der Mensch ist von Natur böse.’ (Hegel, Grundlinien der
Philosophie des Rechts und Vorlesungen über die Philosophie der Religion)
Bei Hegel ist das Böse die Form, worin die Triebkraft der geschichtlichen
Entwicklung sich darstellt. Und zwar liegt hierin der doppelte Sinn, dass
einerseits jeder neue Fortschritt notwendig auftritt als Frevel gegen ein
Heiliges, als Rebellion gegen die alten, absterbenden, aber durch die
Gewohnheit geheiligten Zustände, und andererseits, dass seit dem Aufkommen
der Klassengegensätze es grade die schlechten Leidenschaften der Menschen
sind, Habgier und Herrschsucht, die zu Hebeln der geschichtlichen
Entwicklung werden, wovon z.B. die Geschichte des Feudalismus und der
Bourgeoisie ein einziger fortlaufender Beweis ist.“ F. Engels, Ludwig
Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie, MEW 21,
287.
Wo es dem Verständnis dient, habe ich veraltete
Fremdwörter, alte Maßeinheiten und teilweise auch Zahlenangaben modernisiert. Alle diese und die
kommentierenden Textteile, die nicht wörtlich von Marx stammen, stehen in
kursiver Schrift.
Wal Buchenberg,
4.6.2002
Anmerkung:
Man hat im Sowjetmarxismus
versucht, die radikale Kritik von Marx an jeder Moral auf eine Kritik an
der „bürgerlichen Moral“ zu beschränken, um eine
„marxistisch-leninistische Ethik“ predigen zu können, „die die
höchsten Ideale der Menschheit zum Ausdruck bringt. Sie formuliert die
Moralprinzipien aller Menschen, die hier und heute eine wahrhaft sittliche
Gesellschaftsordnung und einen wahrhaft sittlichen Menschen sehen
möchten.“ K. A. Schwarzman: Ethik ohne Moral. Berlin 1967: 289.
Zu
diesem Zweck versuchte man in Sachen Moral Engels gegen Marx auszuspielen,
indem man so tat, als hätte Engels die „proletarische Zukunftsmoral“
gegenüber der bürgerlichen und der christlich-feudalen Moral
verteidigt.
Ich denke, dass die Moralkritik von Engels nichts anderes
aussagt, als die von Marx:
Marx zog die Geschichte zum Beweis dafür an,
dass jede Moral historisch bedingt ist, und keine Moral einen absoluten
Maßstab abgeben kann. Engels benutzte eine synchronistische Argumentation,
nämlich dass zur gleichen Zeit in unserer Gesellschaft mehrere
Moralprinzipien nebeneinander bestehen. Beide Argumentationsketten
bedeuten, dass keine Moral absolute Gültigkeit erwarten
kann.
|