Niederlage


„Nach jeder gescheiterten Revolution oder nach einer erfolgreichen Konterrevolution entwickelt sich unter den ins Ausland entkommenen Flüchtlingen eine fieberhafte Tätigkeit. Die verschiedenen Parteischattierungen gruppieren sich, klagen sich gegenseitig an, den Karren in den Dreck gefahren zu haben, beschuldigen einander des Verrats und aller möglichen sonstigen Todsünden. Dabei bleibt man mit der Heimat in reger Verbindung, organisiert, konspiriert, druckt Flugblätter und Zeitungen, schwört darauf, dass es in vierundzwanzig Stunden wieder losgeht, dass der Sieg gewiss ist, und verteilt im Hinblick hierauf schon die Regierungsämter.
Natürlich folgt Enttäuschung auf Enttäuschung, und da man diese nicht den unvermeidlichen historischen Verhältnissen, die man nicht verstehen will, sondern zufälligen Fehlern Einzelner zuschreibt, so häufen sich die gegenseitigen Anklagen, und das Ganze endigt in einer allgemeinen Streiterei.
Das ist die Geschichte aller Exilanten von den königstreuen Emigrierten von 1792 bis auf den heutigen Tag; und wer unter den Flüchtlingen Verstand und Einsicht hat, der zieht sich von dem unfruchtbaren Gezänk zurück, sobald es mit Anstand geschehen kann, und treibt etwas Besseres.“ F. Engels, Flüchtlingsliteratur II, MEW 18, 528.

Die gewaltsame Niederschlagung einer Revolution lässt in den Köpfen ihrer Mitspieler, vor allem der vom heimischen Schauplatz ins Exil geschleuderten, eine Erschütterung zurück, welche selbst tüchtige Persönlichkeiten für kürzere oder längere Zeit sozusagen unzurechnungsfähig macht. Sie können sich nicht in den Gang der Geschichte finden, sie wollen nicht einsehen, dass sich die Form der Bewegung verändert hat. Daher Konspirations- und Revolutionsspielerei, die gleich unehrenhaft für sie selbst und für die Sache sind, in deren Dienst sie stehen.“ K. Marx, Kommunistenprozess, MEW 18, 568f.

 „Anstatt die großen sozialen Ursachen für das Scheitern der Revolution von 1848/49 eingehend zu erforschen und sich zu bemühen, die realen Verhältnisse zu analysieren, die unauffällig in den letzten zehn Jahren herangereift sind und in ihrer Gesamtheit den Boden für eine neue und machtvollere Bewegung vorbereitet haben, verfällt Mazzini, wie uns scheint, wieder in seine alten fixen Ideen zurück ... Für ihn bleibt weiterhin die allumfassende Frage, warum die Emigranten in ihrer Gesamtheit mit ihren Versuchen, die Welt zu erneuern, gescheitert sind; noch immer beschäftigt er sich damit, Geheimmittel für die Heilung der politischen Lähmung anzubieten ...“ K. Marx, Mazzini, MEW 12, 579.

„Ein einziger mutiger demokratischer Revolutionsversuch, selbst wenn er erstickt wird, löscht im Gedächtnis der Völker ganze Jahrhunderte der Ehrlosigkeit und Feigheit aus, rehabilitiert auf der Stelle eine noch so tief verachtete Nation. Das haben die Deutschen voriges Jahr (1848) erfahren.“ F. Engels, Panslawismus, MEW 6, 281.

„Aber in der Revolution wie im Kriege ist es immer notwendig, dem Feind die Spitze zu bieten, und wer angreift, ist im Vorteil; und in der Revolution wie im Krieg ist es unbedingt notwendig, im entscheidenden Augenblick alles zu wagen, wie die Chancen auch stehen mögen. Es gibt keine einzige erfolgreiche Revolution in der Geschichte, die nicht die Richtigkeit dieser Axiome beweist. ... Bei jedem Kampf ist es selbstverständlich, dass derjenige, der den Kampf aufnimmt, Gefahr läuft, geschlagen zu werden; aber ist das ein Grund, sich geschlagen zu geben und das Joch auf sich zu nehmen, ohne das Schwert gezogen zu haben? Wer in einer Revolution eine entscheidende Stellung befehligt und sie dem Feind übergibt, statt ihn zu zwingen, einen Sturm auf sie zu wagen, verdient unter allen Umständen als Verräter behandelt zu werden.“ F. Engels, Revolution und Konterrevolution, MEW 77f.

„Jene Burschen, die von Fort Issy fortliefen, ohne angegriffen zu werden, verdienen erschossen zu werden. Die militärische Situation ist durch diesen Akt der Feigheit viel schlimmer geworden.“ F. Engels an H. Jung, 10.5.1871. MEW 33, 225.

„Die Weltgeschichte wäre allerdings sehr bequem zu machen, wenn der Kampf nur unter der Bedingung unfehlbar günstiger Chancen aufgenommen würde.
Sie wäre andererseits sehr mystischer Natur, wenn ‚Zufälligkeiten’ keine Rolle spielten. Diese Zufälligkeiten fallen natürlich selbst in den allgemeinen Gang der Entwicklung und werden durch andere Zufälligkeiten wieder kompensiert. Aber Beschleunigung und Verzögerung sind sehr von solchen ‚Zufälligkeiten’ abhängig - zu denen auch der ‚Zufall’ des Charakters der Leute, die zuerst an der Spitze der Bewegung stehen, gehört.
Der entscheidende ungünstige ‚Zufall’ ist bei der Revolution der Pariser Kommune keineswegs in den allgemeinen Bedingungen der französischen Gesellschaft zu suchen, sondern in der Anwesenheit der Preußen in Frankreich und ihrer Stellung dicht vor Paris. Das wussten die Pariser sehr gut. Das wussten auch die bürgerlichen Helfershelfer von Versailles. Ebendarum stellten sie die Pariser vor die Alternative, den Kampf aufzunehmen oder ohne Kampf zu erliegen. Die Demoralisation der Arbeiterklasse in dem letzteren Fall wäre ein viel größeres Unglück gewesen, als der Untergang einer beliebigen Anzahl von ‚Führern’. Der Kampf der Arbeiterklasse mit der Kapitalistenklasse und ihrem Staat ist durch den Pariser Kampf in eine neue Phase getreten. Wie die Sache auch unmittelbar verlaufe, ein neuer Ausgangspunkt von welthistorischer Wichtigkeit ist gewonnen.“ K. Marx, an L. Kugelmann, 17.4.1871. MEW 33, 209.

-> Diskussionsforum

Zur Zitierweise:

Wo es dem Verständnis dient, wurden veraltete Fremdwörter, alte Maßeinheiten und teilweise auch Zahlenbeispiele zum Beispiel in Arbeitszeitberechnungen modernisiert und der Euro als Währungseinheit verwendet. Dass es Karl Marx in Beispielrechnungen weder auf absolute Größen noch auf Währungseinheiten ankam, darauf hatte er selbst hingewiesen: Die Zahlen mögen Millionen Mark, Franken oder Pfund Sterling bedeuten.“ Kapital II, MEW 24, 396.

Alle modernisierten Begriffe und Zahlen sowie erklärende Textteile, die nicht wörtlich von Karl Marx stammen, stehen in kursiver Schrift. Auslassungen im laufenden Text sind durch drei Auslassungspunkte kenntlich gemacht. Hervorhebungen von Karl Marx sind normal fett gedruckt. Die Rechtschreibung folgt der Dudenausgabe 2000. Quellenangaben verweisen auf die Marx-Engels-Werke, (MEW), Berlin 1956ff.