Ökonomie der Zeit (Zeitersparnis und Zeiteinteilung)


1. Ökonomie der Zeit heißt zunächst Entwicklung der Produktivkraft der Arbeit. Aufgaben können schneller und einfacher erledigt werden.
1.1. Im Kapitalismus bezweckt die Ökonomie der Zeit jedoch keine Verkürzung der Arbeitszeit, sondern Steigerung der Produktion.
„Ökonomie der Arbeit durch Entwicklung der Produktivkraft der Arbeit bezweckt in der kapitalistischen Produktion ... durchaus nicht Verkürzung des Arbeitstages. Sie bezweckt nur Verkürzung der für Produktion eines bestimmten Warenquantums notwendigen Arbeitszeit.
Dass der Arbeiter bei gesteigerter Produktivkraft seiner Arbeit in einer Stunde z.B. 10-mal mehr Ware als früher produziert, also für jedes Stück Ware 10-mal weniger Arbeitszeit braucht, verhindert durchaus nicht, ihn nach wie vor 8 Stunden arbeiten und in den 8 Stunden 800 statt früher 80 Stück produzieren zu lassen. Ja, sein Arbeitstag mag gleichzeitig verlängert werden, so dass er jetzt in 10 Stunden 1000 Stück produziert usw.
Man kann daher bei Ökonomen vom Schlag eines MacCulloch, Ure, Senior und allen anderen auf einer Seite lesen, dass der Arbeiter dem Kapital für die Entwicklung der Produktivkräfte Dank schuldet, weil sie die notwendige Arbeitszeit verkürzt, und auf der nächsten Seite, dass er diesen Dank beweisen muss, indem er statt 10 künftig 15 Stunden arbeitet.
Die Entwicklung der Produktivkraft der Arbeit, innerhalb der kapitalistischen Produktion, bezweckt, den Teil des Arbeitstags, den der Arbeiter für sich selbst arbeiten muss, zu verkürzen, um grade dadurch den anderen Teil des Arbeitstags, den er für den Kapitalisten umsonst arbeiten kann, zu verlängern.“ K. Marx, Kapital I. MEW 23, 339f.

2. Ökonomie der Zeit (Zeiteinsparung) wird auch durch sachgerechte Aufteilung der Arbeit gewonnen. Das betrifft neben der ausgewogenen Größe der einzelnen Wirtschaftszweige zueinander vor allem die Produktion von Produktionsmitteln und Konsumtionsmitteln. Damit Arbeitszeit und Arbeitsmittel nicht verschwendet werden, müssen die relativen Größen dieser beiden Abteilungen aufeinander abgestimmt sein.
„Wenn der Wilde Bogen, Pfeile, Steinhämmer, Äxte, Körbe etc. macht, so weiß er ganz genau, dass er die so verwandte Zeit nicht auf Herstellung von Konsumtionsmitteln verwendet hat, dass er also seinen Bedarf an Produktionsmitteln gedeckt hat und weiter nichts.
Außerdem begeht der Wilde eine schwere ökonomische Sünde durch seine völlige Gleichgültigkeit gegen Zeitaufwand und verwendet z.B. manchmal, wie Tyler erzählt, einen ganzen Monat zur Verfertigung eines Pfeils.“ K. Marx, Kapital II. MEW 24, 436.

„Das gesellschaftliche Jahresprodukt besteht aus zwei Abteilungen; die erste umfasst die Produktionsmittel, die zweite die Konsumtionsmittel; beide sind getrennt zu behandeln.“ K. Marx, Kapital II. MEW 24, 368.

Produktionsmittel dienen letztlich nur dazu, Konsumtionsmittel zu produzieren, können selber aber nicht konsumiert werden. Werden zuwenig Produktionsmittel produziert, dann fehlen in Zukunft bald Konsumtionsmittel. Werden relativ zu viele Produktionsmittel produziert, dann geschieht das einerseits auf Kosten der Herstellung von Konsumtionsmittel, andererseits bleiben die zuviel produzierten Produktionsmittel später ungenutzt und verrotten.
Die Analyse und Berechnung  der notwendigen relativen Größenverhältnisses von beiden volkswirtschaftlichen Abteilungen zueinander macht den Hauptinhalt des zweiten Bandes des Kapitals aus. K. Marx, Kapital II. MEW 24, Dritter Abschnitt, insbesondere die Seiten 394 - 521.

„Ist der Kapitalismus einmal beseitigt, so kommt die Sache darauf hinaus, dass die Größe des absterbenden und daher in natura zu ersetzenden Teils der Produktionsmittel zur Erzeugung der Konsumtionsmittel ... in verschiedenen aufeinanderfolgenden Jahren wechselt. Ist er in einem Jahr sehr groß ..., so im folgenden sicher um so geringer.
Die zur jährlichen Produktion der Konsumtionsmittel nötige Masse von Rohstoffen, Halbfabrikaten und Hilfsstoffen - sonst gleichbleibende Umstände vorausgesetzt - nimmt deswegen nicht ab; die Gesamtproduktion ... müsste also im einen Jahr zunehmen, im anderen abnehmen.
Diesem kann nur abgeholfen werden durch fortwährende relative Überproduktion; einerseits ein gewisses Quantum fixes Kapital, das mehr produziert wird, als direkt nötig ist; andererseits und vor allem Vorrat von Rohstoff etc., der über die unmittelbaren jährlichen Bedürfnisse hinausgeht (dies gilt ganz besonders von Lebensmitteln).
Solche Art Überproduktion ist gleich mit Kontrolle der Gesellschaft über die gegenständlichen Mittel ihrer eigenen Reproduktion. Innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft aber ist sie ein anarchisches Element.“ K. Marx, Kapital II. MEW 24, 464f.

„Gemeinschaftliche Produktion vorausgesetzt, bleibt die Zeitbestimmung natürlich wesentlich.
Je weniger Zeit die Gesellschaft bedarf, um Weizen, Vieh etc. zu produzieren, desto mehr Zeit gewinnt sie zu anderer Produktion, materieller oder geistiger. Wie bei einem einzelnen Individuum hängt die Allseitigkeit ihrer Entwicklung, ihres Genusses und ihrer Tätigkeit von Zeitersparung ab.
Ökonomie der Zeit, darin löst sich schließlich alle Ökonomie auf.
Ebenso muss die Gesellschaft ihre Zeit zweckmäßig einteilen, um eine ihren Gesamtbedürfnissen gemäße Produktion zu erzielen;
wie der Einzelne seine Zeit richtig einteilen muss, um sich Kenntnisse in angemessenen Proportionen zu erwerben oder um den verschiedenen Anforderungen an seine Tätigkeit Genüge zu leisten.
Ökonomie der Zeit, sowohl wie planmäßige Verteilung der Arbeitszeit auf die verschiedenen Zweige der Produktion, bleibt also erstes ökonomisches Gesetz auf Grundlage der gemeinschaftlichen Produktion. Es wird sogar in viel höherem Grade Gesetz.“ K. Marx, Grundrisse, 89.

Wo es dem Verständnis dient, habe ich die Rechtschreibung, veraltete Fremdwörter, Maßeinheiten und Zahlenangaben modernisiert. Diese und alle erklärenden Textteile, die nicht wörtlich von Marx stammen, stehen in kursiver Schrift.
Wal Buchenberg, 5.6.2002