Zufall „Zufälligkeiten sind Dinge und Ereignisse, deren innerer Zusammenhang untereinander so entfernt oder so unnachweisbar ist, dass wir ihn als nicht vorhanden betrachten und vernachlässigen können.“ F. Engels, Brief an Bloch (1890), MEW 37, 465. „Die Weltgeschichte wäre allerdings sehr bequem zu machen, wenn der Kampf nur unter der Bedingung unfehlbar günstiger Chancen aufgenommen würde. Sie wäre andererseits sehr mystischer Natur, wenn ‚Zufälligkeiten‘ keine Rolle spielten. Diese Zufälligkeiten fallen natürlich selbst in den allgemeinen Gang der Entwicklung und werden durch andere Zufälligkeiten wieder kompensiert. Aber Beschleunigung und Verzögerung sind sehr von solchen ‚Zufälligkeiten‘ abhängig – unter denen auch der ‚Zufall‘ des Charakters der Leute, die zuerst an der Spitze der Bewegung stehen, figuriert.“ K. Marx, Brief an L. Kugelmann (1871), MEW 33, 209. „Die Menschen machen
ihre Geschichte selbst, aber bis jetzt nicht mit Gesamtwillen nach einem
Gesamtplan ... Ihre Bestrebungen durchkreuzen sich, und in allen
Klassengesellschaften herrscht ebendes-wegen die Notwendigkeit,
deren Ergänzung und Erscheinungsform die Zufälligkeit ist. Die
Notwendigkeit, die hier durch alle Zufälligkeit sich durchsetzt, ist
wieder schließlich die ökonomische. ... So mit allem anderen Zufälligen und scheinbar Zufälligem in der Geschichte. Je weiter das Gebiet, das wir grade untersuchen, sich vom Ökonomischen entfernt und sich dem reinen abstrakt Ideologischen nähert, desto mehr werden wir finden, dass es in seiner Entwicklung Zufälligkeiten aufweist, desto mehr im Zickzack verläuft seine Kurve. Zeichnen Sie aber eine Durchschnittsachse der Kurve, so werden Sie finden, dass, je länger die betrachtete Periode und je größer das so behandelte Gebiet ist, dass diese Achse der Achse der ökonomischen Entwicklung um so mehr annähernd parallel läuft.“ F. Engels, Brief an Borgius (1894), MEW 39, 206f. „Nun aber erweist sich
die Entwicklungsgeschichte der Gesellschaft in einem Punkt als wesentlich
verschiedenartig von der der Natur. In der Natur sind es – soweit wir die
Rückwirkung der Menschen auf die Natur außer Acht lassen – lauter
bewusstlose ... Elemente, die aufeinander einwirken ... Von allem,
was geschieht – weder von den zahllosen scheinbaren Zufälligkeiten, die
auf der Oberfläche sichtbar werden, noch von den schließlichen, die
Gesetzmäßigkeiten innerhalb dieser Zufälligkeiten bildenden
Resultaten –, geschieht nichts als gewollter bewusster
Zweck. Dagegen in der
Geschichte der Gesellschaft sind die Handelnden lauter mit Bewusstsein
begabte, mit Überlegung oder Leidenschaft handelnde, auf bestimmte Zwecke
hinarbeitende Menschen; nichts geschieht ohne bewusste Absicht, ohne
gewolltes Ziel. Aber dieser Unterschied, so wichtig er für die
geschichtliche Untersuchung vor allem einzelner Epochen und
Begebenheiten ist, kann nichts ändern an der Tatsache, dass der Lauf der
Geschichte durch innere allgemeine Gesetze beherrscht wird. Denn auch hier
herrscht auf der Oberfläche, trotz der bewusst gewollten Ziele aller
einzelnen, im Ganzen und Großen scheinbar der Zufall. Nur selten geschieht
das Gewollte, in den meisten Fällen durchkreuzen und widerstreiten sich
die vielen gewollten Zwecke oder sind diese Zwecke selbst von vornherein
undurchführbar oder die Mittel unzureichend. So führen die Zusammenstöße
der zahllosen Einzelwillen und Einzelhandlungen auf geschichtlichem Gebiet
einen Zustand herbei, der ganz dem in der bewusstlosen Natur herrschenden
analog ist. Die Zwecke der Handlungen sind gewollt, aber die Resultate,
die wirklich aus den Handlungen folgen, sind nicht gewollt, oder soweit
sie dem gewollten Zweck zunächst doch zu entsprechen scheinen, haben sie
schließlich ganz andere als die gewollten Folgen. Die geschichtlichen
Ereignisse erscheinen so im Ganzen und Großen ebenfalls als von der
Zufälligkeit beherrscht. Wo aber auf der Oberfläche der Zufall sein Spiel
treibt, da wird er stets durch innere verborgene Gesetze beherrscht, und
es kommt nur darauf an, diese Gesetze zu entdecken.
... Wenn es also darauf
ankommt, die treibenden Mächte zu erforschen, die – bewusst oder
unbewusst, und zwar sehr häufig unbewusst – hinter den Beweggründen der
geschichtlich handelnden Menschen stehen und die eigentlichen letzten
Triebkräfte der Geschichte ausmachen, so kann es sich nicht so sehr um die
Beweggründe bei einzelnen, wenn auch noch so hervorragenden Menschen
handeln, als um diejenigen, welche große Massen, ganze Völker und in jedem
Volk wieder ganze Volksklassen in Bewegung setzen.
... Alles, was die Menschen in Bewegung setzt, muss durch ihren Kopf hindurch; aber welche Gestalt es in diesem Kopf annimmt, hängt sehr von den Umständen ab.“ F. Engels, Ludwig Feuerbach, MEW 21, 296ff. „Nach
materialistischer Geschichtsauffassung ist das in letzter Instanz
bestimmende Moment in der Geschichte die Produktion und Repro-duktion des
wirklichen Lebens. Mehr hat weder Marx noch ich je behauptet. Wenn nun
jemand das dahin verdreht, das ökonomische Moment sei das einzig
bestimmende, so verwandelt er jenen Satz in eine nichtssagende, abstrakte,
absurde Phrase. Die ökonomische Lage ist die Basis, aber die verschiedenen
Momente des Überbaus – politische Formen des Klassenkampfs und seine
Resultate – Verfassungen, nach gewonnener Schlacht durch die siegende
Klasse festgestellt usw. – Rechtsformen, und nun gar die Reflexe aller
dieser wirklichen Kämpfe im Gehirn der Beteiligten, politische,
juristische, philosophische Theorien, religiöse Anschauungen und deren
Weiterentwicklung zu Dogmensystemen, üben auch ihre Einwirkung auf den
Verlauf der geschichtlichen Kämpfe aus und bestimmten in vielen Fällen
vorwiegend deren Form. Es ist eine
Wechselwirkung aller dieser Momente, worin schließlich durch alle die
unendlichen Menge von Zufälligkeiten (d. h. von Dingen und
Ereignissen, deren innerer Zusammenhang untereinander so entfernt oder so
unnachweisbar ist, dass wir ihn als nicht vorhanden betrachten,
vernachlässigen können) als Notwendiges die ökonomische Bewegung sich
durchsetzt. ... Wir machen unsere
Geschichte selbst, aber erstens unter sehr bestimmten Voraussetzungen und
Bedingungen. Darunter sind die ökonomischen die schließlich
entscheidenden. ... Zweitens aber macht sich die Geschichte so, dass das Endresultat stets aus den Konflikten vieler Einzelwissen hervorgeht, wovon jeder wieder durch eine Menge besonderer Lebensbedingungen zu dem gemacht wird, was er ist; es sind also unzählige einander durchkreuzende Kräfte, eine unendliche Gruppe von Kräfteparallelogrammen, daraus eine Resultante – das geschichtliche Ergebnis – hervorgeht, die selbst wieder als das Produkt einer, als Ganzes bewusstlos und willenlos wirkenden Macht angesehen werden kann. Denn was jeder Einzelne will, wird von jedem anderen verhindert, und was herauskommt, ist etwas, das keiner gewollt hat. So verläuft die bisherige Geschichte nach Art eines Natur-prozesses ...“ F. Engels, Brief an Bloch (1890), MEW 37, 463f. Siehe auch die Artikel: |
Zur
Zitierweise: Wo es dem Verständnis dient, wurden veraltete
Fremdwörter, alte Maßeinheiten und teilweise auch Zahlenbeispiele zum
Beispiel in Arbeitszeitberechnungen modernisiert und der Euro als
Währungseinheit verwendet. Dass es Karl Marx in Beispielrechnungen weder
auf absolute Größen noch auf Währungseinheiten ankam, darauf hatte er
selbst hingewiesen: „Die Zahlen mögen Millionen Mark, Franken oder Pfund
Sterling bedeuten.“ Kapital II, MEW 24, 396. Alle modernisierten Begriffe und Zahlen sowie erklärende Textteile, die nicht wörtlich von Karl Marx stammen, stehen in kursiver Schrift. Auslassungen im laufenden Text sind durch drei Auslassungspunkte kenntlich gemacht. Hervorhebungen von Karl Marx sind normal fett gedruckt. Die Rechtschreibung folgt der Dudenausgabe 2000. Quellenangaben verweisen auf die Marx-Engels-Werke, (MEW), Berlin 1956ff. |