Kunstproduktion und Produktionsverhältnisse

was genau meint marx mit der frage: "ist achilles möglich mit pulver und blei? oder überhaupt die iliade mit der druckerpresse?"
>muss ein referat in der schule über medien halten und bin jetzt auf dieses zitat gestossen.
>kann mir jemand helfen?
>danke!!

Hallo,
Das Zitat von Marx lautet im Zusammenhang:

"Nehmen wir z.B. das Verhältnis der griechischen Kunst und dann Shakespeares zur Gegenwart. Bekannt, daß die griechische Mythologie nicht nur das Arsenal der griechischen Kunst, sondern ihr Boden. Ist die Anschauung der Natur und der gesellschaftlichen Verhältnisse, die der griechischen Phantasie und daher der griechischen [Mythologie] zugrunde liegt, möglich mit Selfaktors und Eisenbahnen und Lokomotiven und elektrischen Telegraphen? Wo bleibt Vulkan gegen Roberts et Co., Jupiter gegen den Blitzableiter und Hermes gegen den Crédit mobilier?
Alle Mythologie überwindet und beherrscht und gestaltet die Naturkräfte in der Einbildung und durch die Einbildung: verschwindet also mit der wirklichen Herrschaft über dieselben. Was wird aus der Fama neben Printinghouse Square? Die griechische Kunst setzt die griechische Mythologie voraus, d.h. die Natur und die gesellschaftlichen Formen selbst schon in einer unbewußt künstlerischen Weise verarbeitet durch die Volksphantasie. Das ist ihr Material. Nicht jede beliebige Mythologie, d.h. nicht jede beliebige unbewußt künstlerische Verarbeitung der Natur (hier darunter alles Gegenständliche, also die Gesellschaft eingeschlossen).
Ägyptische Mythologie konnte nie der Boden oder der Mutterschoß griechischer Kunst sein. Aber jedenfalls eine Mythologie. Also keinesfalls eine Gesellschaftsentwicklung, die alles mythologische Verhältnis zur Natur ausschließt, alles mythologiserende Verhältnis zu ihr; also vom Künstler eine von Mythologie unabhängige Phantasie verlangt.
Von einer andren Seite: Ist Achilles möglich mit Pulver und Blei? Oder überhaupt die " Iliade" mit der Druckerpresse oder gar Druckmaschine? Hört das Singen und Sagen und die Muse mit dem Preßbengel nicht notwendig auf, also verschwinden nicht notwendige Bedingungen der epischen Poesie?
Aber die Schwierigkeit liegt nicht darin, zu verstehn, daß griechische Kunst und Epos an gewisse gesellschaftliche Entwicklungsformen geknüpft sind. Die Schwierigkeit ist, daß sie für uns noch Kunstgenuß gewähren und in gewisser Beziehung als Norm und unerreichbare Muster gelten."
(Karl Marx, Einleitung zur Kritik der Politischen Ökonomie, MEW 13, 640f).


Der Ausgangspunkt der Marxschen Frage ist:
Bewusstseinsformen, einschließlich Mythologie und Kunst, sind Ausdruck bestimmter gesellschaftlicher Verhältnisse. Die Ilias ist Ausdruck der archaisch-griechischen Gesellschaft mit handwerklich-bäuerlicher Einzelproduktion als Basis.
Die Frage, die Marx sich und uns stellt: Die gesellschaftlichen Verhältnisse haben sich seither grundlegend verändert.

Welche Auswirkungen hat das auf das sowohl auf die Kunstproduktion wie auf die Kunstrezeption?

Oder: Kann man die Iliade heute noch genießen? Kann heute noch so ein Werk wie die Iliade geschaffen werden?
Eine Antwort auf diese konkrete Frage gibt Marx weder hier noch anderswo.


Als Hinweis von mir:
Die Iliade erzählt von Achill als einem individuellen Helden, von dessen Tun und Lassen das Geschick aller Griechen vor Troja abhing. Achill wurde von Agamemnon um seine Kriegsbeute betrogen und bestreikte deshalb den Kampf gegen die Trojer. Das brachte das ganze griechische Heer in die Krise. Erst als Achill sich wieder am Kampf beteiligte, kamen die Griechen wieder auf die Siegerbahn.

Heutige Kriege werden nicht durch Einzelkämpfer entschieden, sondern durch massenhafte Kooperation der Soldaten und durch eine industrielle Kampfmaschinerie. Das entspricht einer Arbeits- und Lebensweise, wo alle Errungenschaften ("Siege") von der Kooperation Vieler und nicht von der Aktion einzelner Individuen abhängen.

Allerdings spiegelt sich das nicht im allgemeinen Bewusstsein, also auch nicht in der Kunst und den Medien wieder.
In allen Action-Filmen rettet ein Einzelner noch die ganze Welt - ganz so wie in der Ilias.
In allen Zeitungsnachrichten wird so getan, als würde ein/e Einzelne/r (Kanzlerin, Präsident, aber auch einzelne "Bösewichte") die Verhältnisse durch individuelle Entscheidungen beeinflussen und verändern.
Kurz gesagt: Die heutigen Medien sind immer noch auf dem Stand der griechischen Frühzeit.

Wal Buchenberg