F. W. Hegel und die
Dialektik Eine bestimmte Marx-Tradition sieht in dem Fortschritt
der Philosophie, der in der Dialektik Hegels gipfelt, ein wichtiges - wenn
nicht das wichtigste - Element des Marx’schen Denkens. Tatsächlich war
Hegels Philosophie nur Auswirkung des vorangegangenen wissenschaftlichen
Fortschritts. Die Wissenschaft, nicht die Philosophie, ist eine
vorwärtstreibende Kraft der Geschichte. Die geistige Entwicklung von Marx
führte weg von jeder Philosophie hin zur Wissenschaft.
1. Was ist
Dialektik? Dialektik ist der Versuch, die Welt und jedes Einzelding im
zeitlichen Ablauf, d. h. in der Veränderung zu begreifen.
1.1
Dialektik der Vorsokratiker bis Platon: Die philosophische
Dialektik wurde zunächst gewonnen aus der Beobachtung der Verwandlungen in
der organischen Natur und so von den griechischen Naturphilosophen
(Vorsokratiker) erstmals formuliert. Diese ersten Naturphilosophen lebten
zwar schon in Städten, aber ihre Philosophie ist in erster Linie die
theoretische Verarbeitung der Welterfahrung von Hirten und Bauern. Mit
der Entwicklung der menschlichen Produktivkräfte durch das Handwerk, das
versucht, Beständiges zu produzieren - beständige Werkzeuge und beständige
Produkte -, wurde im griechischen Denken nicht mehr die Veränderung,
sondern die Dauer, das SEIN, betont. Dieses dauerhafte, unveränderliche
Sein wurde von den Philosophen aus dem menschlichen Arbeitsprozess in ihr
Naturbild übertragen. Klassischer Vertreter dieses Denkens war
Platon. Platon beschrieb als erster Philosoph das Werden als
Arbeitsprozess, das Sein als sein Produkt: „Im Augenblick aber
müssen wir uns drei Gattungen denken: Das Werdende (Produkt), das,
worin es wird (Material), und das woher nachgebildet das Werdende
geboren wird (Plan des Handwerker-Produzenten).“ Platon, Timaios 50
d.
Marx beschrieb den Arbeitsprozess u.a. in ähnlichen
philosophischen Begriffen: „Der Prozess erlischt im Produkt. ...
Was auf Seiten des Arbeiters in der Form der Unruhe erschien, erscheint
nun als ruhende Eigenschaft, in der Form des Seins, auf Seiten des
Produkts.“ K. Marx, Kapital I, MEW 23, 195.
„Während des
Arbeitsprozesses setzt sich die Arbeit beständig aus der Form der Unruhe
in die des Seins, aus der Form der Bewegung in die der Gegenständlichkeit
um.“ K. Marx, Kapital I, MEW 23, 204.
Als vollkommenes, weil
göttliches Produkt schien die Natur im philosophischen Handwerker-Denken
seit Platon keiner Änderung unterworfen. Platon: „Wird aber
nicht jedes Vortrefflichste am wenigsten von einem anderen verändert und
bewegt? ... Allerdings wohl. ...Und so gewiss auch alles zusammengesetzte
Gerät und Gebäude und Bekleidungen werden nach derselben Regel, je besser
sie gearbeitet und geraten sind, um desto weniger von der Zeit und anderen
Einwirkungen verändert. - So ist es allerdings. - Also alles Vollkommene
von Natur oder durch Handwerk oder durch beides nimmt die wenigste
Veränderung durch anderes an. - So zeigt es sich. - Aber Gott, und was
Gottes ist, muss doch in jeder Hinsicht vollkommen sein. - Notwendig. ...“
Platon, Politeia 380 e - 381 b.
Indem die auf Platon folgenden
Denker die Natur als unveränderlich ansahen, wurde dieser Natur keine
höhere Würde zugesprochen als der menschlichen Arbeit. Die Entstehung der
Natur wurde als vollkommene handwerkliche Schöpfung, als göttlicher
Arbeitsprozess, gedacht. Der menschliche Arbeitsprozess blieb das
(versteckte) Paradigma der philosophischen Naturbetrachtung seit
Platon.
1.2 Hegels Dialektik Erst mit der
Entwicklung des Kapitalismus und der neuzeitlichen Technologie entwickelte
sich als großer wissenschaftlicher Fortschritt allmählich wieder die
Erkenntnis von der ständigen Veränderung in der Natur, es entstand die
moderne Evolutionstheorie. „... Wo wäre ohne Industrie und Handel
die Naturwissenschaft? Selbst diese ‚reine’ Wissenschaft erhält ja
ihren Zweck sowohl wie ihr Material erst durch Handel und Industrie, durch
sinnliche Tätigkeit der Menschen.“ K. Marx, F. Engels, Deutsche Ideologie,
MEW 3, 44.
„Die Entwicklung dieser Wissenschaft, besonders der
Naturwissenschaft, und mit ihr aller anderen, steht selbst wieder im
Verhältnis zur Entwicklung der materiellen Produktion.“ K. Marx,
Grundrisse, 592.
Die Hegelsche Dialektik ist nichts anderes als
die Übertragung der wissenschaftlichen Evolutionstheorie in die
Philosophie. In der Hegelschen Philosophie wurde „zum
erstenmal - und das ist sein großer Verdienst - die ganze natürliche,
geschichtliche und geistige Welt als ein Prozess, d.h. als ein in steter
Bewegung, Veränderung, Umbildung und Entwicklung begriffen dargestellt
...“ F. Engels, Anti-Dühring, MEW 20, 22. Dass durch Hegel
„zum erstenmal“ die Welt als Prozess dargestellt habe, ist
für sich genommen falsch. Aber Hegel war der erste, der versuchte, das
uralte philosophische Prozessdenken mit einem modernen wissenschaftlichen
Weltbild zu verbinden.
Man kann und muss jedoch diesen Begriff
„Prozess“ präzisieren: Auch Hegel fasste wie Platon die Welt als
ARBEITSPROZESS auf. Aber anders als Platon, der die Natur
als zur Ruhe gekommenen Arbeitsprozess ansah (= Produkt), sah
Hegel die Natur und die Geschichte als ständigen Arbeitsprozess
in actu - als Arbeitsprozess der göttlichen Idee -, der nie zur Ruhe
kommt, dessen Produkte immer nur vorläufig sind und nur zum Material eines
folgenden Arbeitsprozesses werden.
„Das Große an der Hegelschen
‚Phänomenologie’ .. ist also einmal, dass Hegel die Selbsterzeugung
des Menschen als einen Prozess fasst, ... dass er also das Wesen der
Arbeit fasst und den gegenständlichen Menschen, wahren, weil
wirklichen Menschen als Resultat seiner eigenen Arbeit begreift.
... Hegel steht auf dem Standpunkt der modernen Nationalökonomen. Er
erfasst die Arbeit als das Wesen, als das sich bewährende
Wesen des Menschen; ... Die Arbeit, welche Hegel allein kennt und
anerkennt, ist die abstrakt geistige.“ Philosophisch-ökonomische
Manuskripte, MEW 40, 574.
„Für Hegel ist der Denkprozess,
den er sogar unter dem Namen Idee in ein selbständiges Subjekt verwandelt,
der Schöpfer des Wirklichen, das nur seine äußere Erscheinung
bildet.“ K. Marx, Kapital I, MEW 23, S. 27.
Der Denkprozess der
göttlichen Idee ist also gleichzeitig der Arbeitsprozess in dem die
Naturwelt geschaffen und weiterentwickelt wird. Auch im Detail finden
sich bei Hegel wie bei Platon immer wieder die Elemente des menschlichen
Arbeitsprozesses: Plan (Idee) - Mittel (Material und Werkzeug) - Zweck
(Produkt). Z.B.: „Das Arbeitsmittel ist ein Ding oder ein Komplex
von Dingen, die der Arbeiter zwischen sich und den Arbeitsgegenstand
schiebt und die ihm als Leiter seiner Tätigkeit auf diesen Gegenstand
dienen. Er benutzt die mechanischen, physikalischen, chemischen
Eigenschaften der Dinge, um sie als Machtmittel auf andre Dinge, seinem
Zweck gemäß, wirken zu lassen.“ K. Marx, Kapital I, MEW 23, S. 194.
Dazu merkte Marx folgenden Gedanken Hegels an: „Die Vernunft ist
ebenso listig als mächtig. Die List besteht überhaupt in der vermittelnden
Tätigkeit, welche, indem sie die Objekte ihrer eigenen Natur gemäß
aufeinander einwirken und sich aneinander abarbeiten lässt, ohne sich
unmittelbar in diesen Prozess einzumischen, gleichwohl nur ihren Zweck zur
Ausführung bringt.“ Hegel, Enzyklopädie I. zit. n. K. Marx, Kapital I, MEW
23, 194.
2. Widerspruch (Gegensatz) Marx nannte
den Widerspruch „die Springquelle aller Dialektik“. K. Marx, Kapital
I. MEW 23, 623 Anm. 41.
2.1. „Gegensatz“ oder „Widerspruch“ sind
Begriffe, die aus dem Streitgespräch stammen: Einer macht die Aussage A,
ein anderer widerspricht und sagt B. B steht dann im Gegensatz oder im
Widerspruch zu A. Die griechischen Philosophen liebten das
Streitgespräch und sahen darin eine Herausforderung des
Denkens: „Dieses nun wollte ich auch jetzt sagen, dass einiges
auffordernd für die Vernunft ist, anderes nicht; was nämlich in die Sinne
fällt zugleich mit seinem Gegenteil, das fordert zum Denken auf.“ Platon,
Politeia 524 d.
2.1.1. Wie sich im Streitgespräch aus einem Satz
und seinem Gegensatz eine Rede oder ein Gedankengang (Griechisch: Logos)
entwickelt, so wurde in der griechischen Philosophie seit Anaximander
angenommen, dass sich Vorgänge in der Natur in Gegensätzen entwickeln,
dass Veränderungen aus „Gegensätzen“ entstehen, weil man keine genaue
Kenntnis und keine präziseren Worte dafür hatte. „Andere nehmen
aber an, dass sich aus dem Einen die dort befindlichen Gegensätze
ausscheiden, wie Anaximander sagt.“ Aristoteles, Physik, A 4, 187a13.
(vgl. Die Vorsokratiker I, Reclam, Anaximander 5.)
„Betrachte es
nun nicht allein an Menschen, fuhr jener fort, ... sondern auch an den
Tieren insgesamt und den Pflanzen; und überhaupt an allem, was eine
Entstehung hat. Lass uns zusehen, ob etwa alles so entsteht, nirgends
anders her als jedes aus seinem Gegenteil, was nur ein solches hat. Wie
doch das Schöne von dem Hässlichen das Gegenteil ist und das Gerechte von
dem Ungerechten, und ebenso tausend Anderes sich verhält. Dieses also
lass uns sehen, ob nicht notwendig, was nur ein Entgegengesetztes hat,
nirgends anders her selbst entsteht als aus diesem ihm Entgegengesetzten.
So wie, wenn etwas größer wird, muss es doch notwendig aus irgend vorher
kleiner Gewesenem hernach größer werden? ... Und ebenso aus Stärkerem
das Schwächere und aus Langsamerem das Schnellere? - Gewiss. - ... Dies
also, sprach er, haben wir sicher genug, dass alle Dinge so entstehen, das
Entgegengesetzte aus dem Entgegengesetzten. ... Wenn wir auch bisweilen
die Worte dazu nicht haben, muss es sich doch der Sache nach überall so
verhalten, dass eines aus dem anderen entsteht und dass es ein Werden von
jedem zu dem anderen gibt. - Gewiss.“ Platon, Phaidon 70 d - 71
b.
„Im Gegensatz sei das Entstehen des einen, der Untergang des
anderen und umgekehrt. Wenn Bewegung weggenommen wird, entsteht Ruhe, wenn
Bewegung entsteht, hört die Ruhe auf ... Was im Gegensatz ist, hat keine
Mitte; z.B. zwischen Krankheit und Gesundheit, Leben und Tod, ... Ruhe und
Bewegung gibt es kein Drittes. Hingegen, was im Verhältnisse ist, hat
eine Mitte: Zwischen dem Größeren und Kleineren nämlich ist das
Gleichgroße ....“ Pythagoras, zit. nach F. W. Hegel, Geschichte der
Philosophie I., Suhrkamp-Werke, 246f. Hegel fügte dem hinzu: „Es
zeigt diese Darstellung allgemein logische Bestimmungen, die jetzt und
immer von der höchsten Wichtigkeit sind;“ F. W. Hegel, Geschichte der
Philosophie, I., Suhrkamp-Werke, 247. 2.1.2. Solange wir von
einer bestimmten Entwicklung die präzisen Gründe ihrer Veränderung nicht
haben, solange ist es gerechtfertigt zu sagen: Die Dinge verändern und
entwickeln sich durch innere Gegensätze oder innere Widersprüche. Diese
vorwissenschaftliche, philosophische Ausdrucksweise wurde vor allem von F.
W. Hegel zu einer Kunstsprache ausgebildet, indem er alle Veränderungen in
der Natur, der Geschichte und unserem Denken auf die Entwicklung von
Widersprüchen oder Gegensätzen reduzierte. „Alle Dinge sind an sich
selbst widersprechend.“ F. W. Hegel, Die Wissenschaft der Logik II,
Suhrkamp-Werke, 74.
„Alles ist entgegengesetzt.“ F. W. Hegel,
Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften I, Suhrkamp-Werke,
246.
„Alles, was irgend ist, das ist ein Konkretes, somit in sich
selbst Unterschiedenes und Entgegengesetztes. ... Was überhaupt die Welt
bewegt, das ist der Widerspruch...“ F. W. Hegel, Enzyklopädie der
philosophischen Wissenschaften I, Suhrkamp-Werke, 246f.
„Jede
Entwicklung, welches ihr Inhalt sei, lässt sich darstellen als eine Reihe
von verschiedenen Entwicklungsstufen, die so zusammenhängen, dass die eine
die Verneinung (= einen Gegensatz) der anderen bildet.“ K. Marx,
Moralisierende Kritik, MEW 4, 336.
Der Volksmund sagt: Alle
Dinge ändern sich. Nix bleibt wie es ist. Oder: Jedes Ding hat zwei
Seiten. Was der Volksmund einfach und in bekannten Worten auszudrücken
weiß, das weiß der Philosoph kompliziert und in ungewöhnlichen Worten
auszudrücken. „Die Menschen haben dialektisch gedacht, lange ehe
sie wussten, was Dialektik war, ebenso wie sie schon Prosa sprachen, lange
bevor der Ausdruck Prosa bestand.“ F. Engels, Anti-Dühring, MEW 20,
133.
„Es versteht sich von selbst, dass ich über den
besonderen Entwicklungsprozess, den z.B. das Gerstenkorn von der Keimung
bis zum Absterben der fruchtragenden Pflanze durchmacht, gar nichts sage,
wenn ich sage, es ist Negation der Negation ...“ F. Engels, Anti-Dühring,
MEW 20, 131.
2.2. Berechtigt war diese philosophische
Widerspruch-Sprache gegenüber der traditionellen Ansicht von der
Unveränderlichkeit des Welt. „Der Satz der Identität ...
ist der Fundamentalsatz der alten Anschauung: a = a. Jedes
Ding ist sich selbst gleich. Alles war permanent, Sonnensystem, Sterne,
Organismen. Dieser Satz ist von der Naturforschung in jedem einzelnen Fall
Stück für Stück widerlegt..., wird jedoch von den Anhängern des Alten
immer noch dem Neuen entgegengehalten: Ein Ding kann nicht gleichzeitig es
selbst und ein anderes sein.“ F. Engels, Dialektik der Natur, MEW 20,
484.
2.3. Das Verhältnis der dialektischen Logik zur klassischen
Logik Die Vertreter der klassischen Logik haben mit allen ihren
Lehrsätzen recht, insofern sie für die beobachtete Wirklichkeit die Zeit t
= 0 setzen. Unter dieser Voraussetzung stehen alle Aussagen der
klassischen Logik und unter dieser Voraussetzung sind sie auch
korrekt. Bewährt hat sich dieses Denken vor allem in der Technologie
des Arbeitsprozesses und für alle kurzen Zeiträume, in denen keine
grundlegenden Veränderungen auftreten. Für längere Zeiträume und für
Entwicklungen mit grundlegenden Änderungen werden alle Aussagen der
klassischen Logik falsch. Hier hilft nur dialektisches Denken. „Wie
die Mathematik der veränderlichen sich zu der der unveränderlichen Größen
verhält, so verhält sich überhaupt dialektisches Denken zu
metaphysischem.“ F. Engels, Anti-Dühring, MEW 20, 113.
3.
Wie viel Wissenschaft steckt in Hegels Logik? Da die Hegelsche
Philosophie auf den
Entdeckungen moderner Wissenschaft, wie z.B. der Evolutionstheorie,
beruht, enthält seine dialektische Logik auch wissenschaftlich nützliche
Erkenntnisse: „Hier, wie in der Naturwissenschaft, bewährt sich die
Richtigkeit des von Hegel in seiner ‚Logik‘ entdeckten Gesetzes, dass bloß
quantitative Veränderungen auf einem gewissen Punkt in qualitative
Unterschiede umschlagen. ...Die in der modernen Chemie angewandte ...
Molekulartheorie beruht auf keinem andren Gesetze... Wir bemerken zur
Erklärung dieser für den Nichtchemiker ziemlich dunklen Anmerkung, dass
der Verfasser hier von dem von C. Gebhardt 1843 zuerst so benannten
‚homologen Reihen‘ von Kohlenwasserstoffverbindungen spricht, von denen
jede eine eigne algebraische Zusammensetzungsformel hat...“ K. Marx,
Kapital I, MEW 23, 327 und Anm. 205a. Indem jedoch Hegel alle
bisherigen philosophischen Begrifflichkeiten (Kategorien) einfach
übernahm, indem er sie miteinander verband, schuf er daraus seine
dialektische Logik, einen „Wunderapparat“ (K. Marx, MEW 2,
145), mit dem sich scheinbar alle Fragen beantworten
ließen.
„Die spekulative Philosophie, namentlich die
Hegelsche Philosophie, musste alle Fragen aus der Form des gesunden
Menschenverstandes in die Form der spekulativen Vernunft übersetzen und
die wirkliche Frage in eine spekulative Frage verwandeln, um sie
beantworten zu können. Nachdem die Spekulation mir meine Frage im
Munde verdreht und mir, wie der Katechismus, ihre Frage in den Mund
gelegt hatte, konnte sie natürlich, wie der Katechismus, auf jede meiner
Fragen ihre Antwort bereit halten.“ K. Marx, Die hl. Familie, MEW 2,
95
Hegel selber bestritt, dass man durch Studium der Logik
richtig denken lerne: „Dass man durch sie denken lerne,
was sonst für ihren Nutzen und damit für den Zweck derselben galt -
gleichsam als ob man durch das Studium der Anatomie und Physiologie erst
verdauen und sich bewegen lernen soll - dies Vorurteil hat sich längst
verloren...“ G. W. F. Hegel, Wissenschaft der Logik I, Suhrkamp-Ausgabe,
14.
Als Marx an seinem „Kapital“ arbeitete, schrieb er an
Engels: „Übrigens finde ich hübsche Entwicklungen. Z. B. die ganze
Lehre vom Profit, wie sie bisher war, habe ich über den Haufen
geworfen. In der Methode des Bearbeitens hat es mir großen
Dienst geleistet, dass ich durch bloßen Zufall - Freiligrath fand
einige, ursprünglich dem Bakunin gehörige Bände Hegels und schickte sie
mir als Präsent - Hegels ‚Logik’ wieder durchgeblättert hatte.“ K. Marx an
Engels, MEW 29, 260.
„Die Mystifikation, welche die Dialektik in
Hegels Händen erleidet, verhindert in keiner Weise, dass er ihre
allgemeinen Bewegungsformen zuerst in umfassender und bewusster Weise
dargestellt hat. Sie steht bei ihm auf dem Kopf. Man muss sie umstülpen,
um den rationellen Kern in der mystischen Hülle zu entdecken. In ihrer
mystifizierten Form ward die Dialektik deutsche Methode, weil sie das
Bestehende zu verklären schien. In ihrer rationellen Gestalt ist sie dem
Bürgertum und seinen doktrinären Wortführern ein Ärgernis und ein Gräuel,
weil sie in dem positiven Verständnis des Bestehenden zugleich auch das
Verständnis seiner Negation, seines notwendigen Untergangs einschließt,
jede gewordene Form im Flusse der Bewegung, also auch nach ihrer
vergänglichen Seite auffasst, sich durch nichts imponieren lässt, ihrem
Wesen nach kritisch und revolutionär ist.“ K. Marx, Kapital I, MEW 23,
27f.
Wie viel rationellen Kern enthält also die Hegelsche
Dialektik? Marx schrieb an Engels: „Wenn je wieder
Zeit für solche Arbeiten kommt, hätte ich große Lust, in 2 oder 3
Druckbögen das Rationelle an der Methode, die Hegel entdeckt, aber
zugleich mystifiziert hat, dem gemeinen Menschenverstand zugänglich zu
machen.“ K. Marx an Engels, MEW 29, 260.
Rechnet man einen
Druckbogen mit rund 20 Buchseiten, dann passt das Rationelle an Hegels
Dialektik nach Marx’ Meinung auf 40 bis 60 Buchseiten. Hegels Dialektik
umfasst aber rund 1000 Buchseiten. 50 Buchseiten wären im Vergleich zu
1000 Seiten gleich 0,5 Prozent Rationelles und 99,5 Prozent
Mystifikation.
Lenin bezifferte später den Anteil des Rationellen
an Hegels Logik deutlich höher, nämlich auf 10 Prozent. Er schrieb über
Hegels Logik: „Daraus muss man zunächst die materialistische
Dialektik herausschälen. Es sind aber zu 9/10 Schale, Schutt.“
Lenin, Konspekt zu Hegels ‚Wissenschaft der Logik’. Zweiter Abschnitt. Die
Erscheinung.
Wer die wichtigsten Hegelschen
Begrifflichkeiten lernen will - soweit sie nützlich sind -, findet - auf
22 Buchseiten - eine Darstellung von F. Engels im Anti-Dühring, MEW 20,
111 -133.
4. Was unterscheidet Marx von
Hegel? Diese Frage ist dieselbe wie die Frage: Was unterscheidet die
Philosophie von Wissenschaft? Der Unterschied zwischen der
philosophischen Methode und jeder wissenschaftlichen Methode ist leicht zu
begreifen: Philosophie heißt, in allen Dingen ewige Wahrheiten und ewige
Kategorien wie „Gattung“, „Gegensatz“ und „Widerspruch“ zu
suchen. Wissenschaft heißt, die eigentümliche Logik des eigentümlichen
Gegenstandes zu fassen.
4.1. Die Marx’sche Methode ist nichts
anderes als die wissenschaftliche Forschungsmethode. Sie geht von den sich
verändernden Tatsachen aus, von dem historischen Gegenstand, nicht von
einem feststehenden - wenn auch sehr flexiblem -
Begriffsapparat. Hegel „entwickelt sein Denken nicht aus dem
Gegenstand, sondern den Gegenstand nach einem mit sich fertigen und in der
abstrakten Sphäre der Logik mit sich fertig gewordenen Denken.“ K. Marx,
MEW I, 213.
„Dies Begreifen besteht aber nicht, wie Hegel
meint, darin, die Bestimmungen des logischen Begriffs überall
wiederzuerkennen, sondern die eigentümliche Logik des eigentümlichen
Gegenstandes zu fassen.“ K. Marx, Kritik des Hegelschen Staatsrechts, MEW
1, 296.
„Es kommt überall nicht mehr darauf an, Zusammenhänge im
Kopf auszudenken, sondern sie in den Tatsachen zu entdecken.“ F. Engels,
Feuerbach, MEW 21, 306.
„Alle Definitionen sind wissenschaftlich
von geringem Wert.“ F. Engels, Anti-Dühring, MEW 20,
77.
„Definitionen sind für die Wissenschaft wertlos, weil stets
unzulänglich. Die einzig reelle Definition ist die Entwicklung der Sache
selbst, und diese ist aber keine Definition mehr.“ F. Engels, 20,
578.
Es gibt das „Missverständnis, dass Marx da definieren
will, wo er entwickelt, und dass man überhaupt bei Marx nach fix und
fertigen, ein für allemal gültigen Definitionen suchen dürfe. Es
versteht sich ja von selbst, dass da, wo die Dinge und ihre gegenseitigen
Beziehungen nicht als fixe, sondern als veränderliche aufgefasst werden,
auch ihre Gedankenabbilder nicht als fixe, sondern als veränderliche
aufgefasst werden, auch ihre Gedankenabbilder, die Begriffe, ebenfalls der
Veränderung und Umbildung unterworfen sind; dass man sie nicht in starre
Definitionen einkapselt, sondern in ihrem historischen bzw. logischen
Bildungsprozess entwickelt.“ F. Engels, Vorwort zu Kapital III, MEW 25,
20.
„’Für Marx ist nur eins wichtig: das Gesetz der Phänomene zu
finden, mit deren Untersuchung er sich beschäftigt. Und ihm ist nicht nur
das Gesetz wichtig, das sie beherrscht, soweit sie eine fertige Form haben
und in einem Zusammenhang stehen, wie er in einer gegebenen Zeitperiode
beobachtet wird. Für ihn ist noch vor allem wichtig das Gesetz ihrer
Veränderung, ihrer Entwicklung, d.h. der Übergang aus einer Form in die
andere, aus einer Ordnung des Zusammenhangs in eine andere. ... Die
Kritik (kann), ... weniger als irgend etwas anderes, irgendeine
Form oder irgendein Resultat des Bewusstseins zur Grundlage haben ... Das
heißt, nicht die Idee, sondern nur die äußere Erscheinung kann ihr als
Ausgangspunkt dienen. Die Kritik wird sich beschränken auf die
Vergleichung und Konfrontierung einer Tatsache, nicht mit der Idee,
sondern mit der anderen Tatsache. Für sie ist es nur wichtig, dass beide
Tatsachen möglichst genau untersucht werden ...’ (I. I. Kaufmann über
‚Das Kapital’ von Marx) Indem I. I. Kaufmann das, was er
meine wirkliche Methode nennt, so treffend und, soweit meine persönliche
Anwendung derselben in Betracht kommt, so wohlwollend schildert, was
anderes hat er geschildert als die dialektische Methode?“ K. Marx,
Nachwort zur 2. Auflage des Kapital I, MEW 23, 25 - 27.
„Die
Forschung hat den Stoff sich im Detail anzueignen, seine verschiedenen
Entwicklungsformen zu analysieren und deren inneres Band aufzuspüren. Erst
nachdem diese Arbeit vollbracht, kann die wirkliche Bewegung entsprechend
dargestellt werden.“ K. Marx, Nachwort zur 2. Auflage des Kapital I, MEW
23, 27.
„Bei der Analyse ökonomischer Formen kann außerdem weder
das Mikroskop dienen noch chemische Reagenzien. Die Abstraktionskraft muss
beide ersetzen.“ K. Marx, Kapital I, MEW 23, 12.
„Übrigens löst
sich in dieser Auffassung der Dinge, wie sie wirklich sind und geschehen
sind ... jedes tiefsinnige philosophische Problem ganz einfach in ein
empirisches Faktum auf.“ K. Marx/ F. Engels, Deutsche Ideologie, MEW 3, S.
43.
„Nur dadurch, dass man an die Stelle der sich
widersprechenden Dogmen die sich widersprechenden Tatsachen und
die realen Gegensätze stellt, die ihren verborgenen Hintergrund bilden,
kann man die politische Ökonomie in eine positive Wissenschaft
verwandeln.“ K. Marx an Engels, 10.10.1868, MEW 32,
181.
4.2. Wissenschaft geht zwar von den nachprüfbaren
Tatsachen aus, bleibt aber nicht dabei stehen, sondern führt zu einer
Wesenserkenntnis, die die Tatsachen scheinbar hinter sich lässt und
dadurch die Tatsachen verstehbar macht. „Wissenschaftliche Analyse
der Konkurrenz ist nur möglich, sobald die innere Natur des Kapitals
begriffen ist, ganz wie die scheinbare Bewegung der Himmelskörper nur dem
verständlich ist, der ihre wirkliche, aber sinnlich nicht
wahrnehmbare Bewegung kennt.“ K. Marx, Kapital I, MEW 23, S.
335.
„alle Wissenschaft wäre überflüssig, wenn die Erscheinungsform
und das Wesen der Dinge unmittelbar zusammenfielen...“ K. Marx, Kapital
III., S. 825.
4.3. Die Verwendung der fremdartigen Hegelschen
philosophischen Terminologie ist in der Wissenschaft nicht hilfreich,
sondern störend. „Da die unpersönliche Vernunft der Hegelschen
Philosophie außer sich weder einen Boden hat, auf den sie sich stellen
kann, noch ein Objekt, dem sie sich entgegenstellen kann, noch ein
Subjekt, mit dem sie sich verbinden kann, sieht sie sich gezwungen, einen
Purzelbaum zu schlagen und sich selbst zu ponieren (zu setzen), zu
opponieren (entgegenzusetzen) und zu komponieren - Position
(Satz), Opposition (Gegensatz), Komposition. Um
griechisch zu sprechen, haben wir These, Antithese und Synthese. Für die,
welche die Hegelsche Sprache nicht kennen, lassen wir die Weihungsformel
folgen: Affirmation, Negation, Negation der Negation. Das nennt man reden.
Es ist zwar kein Hebräisch ....; aber es ist die Sprache dieser reinen,
vom Individuum getrennten Vernunft. An Stelle des gewöhnlichen Individuums
mit seiner gewöhnlichen Art zu reden und zu denken, haben wir lediglich
diese gewöhnliche Art an sich, ohne das Individuum. ... ... Einmal
dahin gelangt, sich als These zu setzen, spaltet sich diese These, indem
sie sich selbst entgegenstellt, in zwei widersprechende Gedanken, in
Positiv und Negativ, in Ja und Nein. Der Kampf dieser beiden
gegensätzlichen ... Elemente bildet die dialektische Bewegung. Das Ja wird
Nein, das Nein wird Ja, das Ja wird gleichzeitig Ja und Nein, das Nein
wird gleichzeitig Nein und Ja; auf diese Weise halten sich die Gegensätze
die Waage, neutralisieren sich, heben sie sich auf. Die Verschmelzung
dieser beiden widersprechenden Gedanken bildet einen neuen Gedanken, die
Synthese derselben. Dieser neue Gedanke spaltet sich wiederum in zwei
widersprechende Gedanken, die ihrerseits wiederum eine neue Synthese
bilden. Aus dieser Zeugungsarbeit erwächst eine Gruppe von Gedanken.
... Man wende diese Methode auf die Kategorien der politischen Ökonomie
an, und man hat ... die aller Welt bekannten ökonomischen Kategorien in
eine wenig bekannte Sprache übersetzt, in der sie aussehen, als seien sie
soeben funkelneu einem reinen Vernunftskopf entsprungen...“ K. Marx, Elend
der Philosophie, MEW 4, 127 - 129.
„Die spekulative
Philosophie, namentlich die Hegelsche Philosophie, musste alle
Fragen aus der Form des gesunden Menschenverstandes in die Form der
spekulativen Vernunft übersetzen und die wirkliche Frage in eine
spekulative Frage verwandeln, um sie beantworten zu können. Nachdem
die Spekulation mir meine Frage im Munde verdreht und mir, wie der
Katechismus, ihre Frage in den Mund gelegt hatte, konnte sie
natürlich, wie der Katechismus, auf jede meiner Fragen ihre Antwort bereit
halten.“ K. Marx, Hl. Familie, MEW 2, 95.
„Die halb-Hegelsche
Ausdrucksweise in vielen Passagen meines alten Buches (Lage der
Arbeiter in England, wb), ist nicht nur unübersetzbar, sondern hat
sogar im Deutschen den größten Teil ihrer Bedeutung verloren. Ich habe sie
daher soviel als möglich modernisiert.“ F. Engels an seine amerikanische
Übersetzerin, 25.02.1886, MEW 36, 452.
4.4. Als „gelernter
Philosoph“ war auch K. Marx versiert in dieser ungewöhnlichen,
hegelianischen Sprache. Über eine Behauptung in einem seiner
Zeitungsartikel schrieb Marx an Engels: „Es ist möglich, dass ich
mich blamiere. Indes ist dann immer mit einiger Dialektik wieder zu
helfen. Ich habe natürlich meine Aufstellungen so gehalten, dass ich im
umgekehrten Fall auch recht habe.“ Marx an Engels, 15.8.1857. MEW 29,
161.
Bei Marx finden sich geheimnisvoll-hegelianische
Sätze: „Das einfache Faktum, dass die Ware doppelt existiert,
einmal als bestimmtes Produkt, das seinen Tauschwert in seiner natürlichen
Daseinsform ideell enthält (latent enthält), und dann als manifestierter
Tauschwert (Geld), der wieder allen Zusammenhang mit der
natürlichen Daseinsform des Produkts abgestreift hat, diese doppelt
verschiedene Existenz muss zum Unterschied, der Unterschied
zum Gegensatz und Widerspruch fortgehen.“ K. Marx,
Grundrisse, 65.
Bei Marx finden sich Sätze wie aus einem
Philosophie-Lehrbuch: „Es ist z. B. ein Widerspruch, dass ein
Körper beständig in einen andren fällt und ebenso beständig von ihm
wegflieht. Die Ellipse ist eine der Bewegungsformen, worin dieser
Widerspruch sich ebenso sehr verwirklich als löst.“ K. Marx, Kapital I,
MEW 23, 118f.
„Wenn ein Verhältnis Gegensätze einschließt, so ist
es also nicht nur Gegensatz, sondern Einheit von Gegensätzen.“ K.
Marx, Theorien über den Mehrwert III. MEW 26.3, 96.
Aber solche
philosophischen Sätze stehen am Rande, und nicht im Mittelpunkt der
wissenschaftlichen Analysen von Marx.
5. Wissenschaft und
daraus folgende Praxis statt Philosophie „Das Hegelsche System war
die letzte, vollendete Form der Philosophie, insofern diese als besondere,
allen anderen Wissenschaften überlegene besondere Wissenschaft vorgestellt
wird. Mit ihm scheiterte die ganze Philosophie.“ F. Engels, Anti-Dühring,
MEW 20, 23, Anmerkung.
„Wie kam es, dass die Menschen sich diese
Illusionen ‚in den Kopf setzten’? Diese Frage bahnte ... für die deutschen
Theoretiker (wie Marx u.a.) den Weg zur materialistischen,
nicht voraussetzungslosen, sondern die wirklichen
materiellen Voraussetzungen als solche empirisch beobachtenden und darum
erst wirklich kritischen Anschauung der Welt. Dieser Gang war schon
angedeutet in den ‚Deutsch-Französischen Jahrbüchern’ in der ‚Einleitung
der Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie’ und ‚Zur Judenfrage’. Da
dies damals noch in philosophischer Phraseologie geschah, so gaben die
hier traditionell unterlaufenden philosophischen Ausdrücke wie
‚menschliches Wesen’, ‚Gattung’ usw. den deutschen Theoretikern die
erwünschte Veranlassung, die wirkliche Entwicklung zu missverstehen und zu
glauben, es handle sich hier wieder nur um eine neue Wendung ihrer
abgetragenen theoretischen Röcke ... Man muss ‚die Philosophie beiseite
liegen lassen’ ... man muss aus ihr herausspringen und sich als ein
gewöhnlicher Mensch an das Studium der Wirklichkeit geben, wozu auch ...
ein ungeheures, den Philosophen natürlich unbekanntes Material vorliegt.
... Philosophie und Studium der wirklichen Welt verhalten sich
zueinander wie Onanie und Sex.“ K. Marx, Dt. Ideologie, MEW 3,
217f.
„Die Frage, ob dem menschlichen Denken gegenständliche
Wahrheit zukomme - ist keine Frage der Theorie, sondern eine
praktische Frage. In der Praxis muss der Mensch die Wahrheit, i.e.
Wirklichkeit und Macht, ... beweisen. Der Streit über die Wirklichkeit
(= Wahrheit) oder Nichtwirklichkeit (=Unwahrheit) des
Denkens - das von der Praxis isoliert ist - ist eine rein
scholastische Frage.“ K. Marx, Thesen über Feuerbach, MEW 3,
5.
„Die Empirie der Beobachtung allein kann nie die Notwendigkeit
genügend beweisen. ... Dies
ist so sehr richtig, dass aus dem steten Aufgehen der Sonne des Morgens
nicht folgt, sie werde morgen wieder aufgehen, und in der Tat wissen wir
jetzt, dass ein Moment kommen wird, wo die Sonne eines Morgens nicht
aufgeht. Aber der Beweis der Notwendigkeit liegt in der
menschlichen Tätigkeit, im Experiment, in der Arbeit ...“ F. Engels,
Naturdialektik, MEW 20, 497.
„Da, wo die Spekulation aufhört, beim
wirklichen Leben, beginnt also die wirkliche, positive Wissenschaft, die
Darstellung der praktischen Betätigung, des praktischen
Entwicklungsprozesses der Menschen. Die Phrasen vom Bewusstsein hören auf,
wirkliches Wissen muss an ihre Stelle treten. Die selbständige
Philosophie verliert mit der Darstellung der Wirklichkeit ihr
Existenzmedium.“ K. Marx, F. Engels, Deutsche Ideologie, MEW 3, S.
27.
Wenn wir die Welt verstehen wollen, „so brauchen wir
dazu keine Philosophie, sondern wirkliche Kenntnisse von der Welt und was
in ihr vorgeht;“ F. Engels, Anti-Dühring, MEW 20, S.
34.
„Allgemeine Arbeit ist alle wissenschaftliche Arbeit, alle
Entdeckung, alle Erfindung. Sie ist bedingt teils durch Kooperation mit
Lebenden, teils durch Benutzung der Arbeiten Früherer.“ K. Marx, Kapital
III, MEW 25, 125f.
„Sobald an jede einzelne Wissenschaft die
Forderung herantritt, über ihre Stellung im Gesamtzusammenhang der Dinge
und der Kenntnis von den Dingen sich klar zu werden, ist jede besondere
Wissenschaft vom Gesamtzusammenhang überflüssig. Was von der ganzen
bisherigen Philosophie dann noch selbständig bestehen bleibt, ist die
Lehre vom Denken und seinen Gesetzen - die formelle Logik und die
Dialektik. Alles andere geht auf in die positive Wissenschaft von Natur
und Geschichte.“ F. Engels, Anti-Dühring, MEW 20, 24.
„Die
Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt darauf
an, sie zu verändern“. K. Marx, Thesen über Feuerbach, MEW 3,
S.7)
Dieser vielzitierte Gedanke von Marx ist früher von mir
ganz einseitig verstanden worden: Ich dachte, ein Verzicht auf
Philosophie wäre die einzige (beste) Voraussetzung, um die Welt verändern
zu können. Um die Welt verändern zu können, ist aber nicht nur ein
Verzicht auf Philosophie nötig, sondern sind auch wirkliche Kenntnisse
nötig, ist Wissenschaft nötig. Das beginnt bei der produktiven
Veränderung der Welt: Zur Herstellung jedes beliebigen Gegenstandes
brauchen wir Sachkenntnisse über die beteiligte Technologie, die
Werkstoffe und wir brauchen die passenden Fähigkeiten, um die Technologie
anzuwenden usw. Nicht anders ist es bei der Veränderung unserer
Gesellschaft: Hierzu benötigen wir nicht weniger Sachkenntnisse über
die Zusammensetzung der Gesellschaft, über die Interessen der einzelnen
gesellschaftlichen Klassen, über die politischen Kräfteverhältnisse, über
die wirtschaftlichen Gesetzmäßigkeiten und Tendenzen usw.
„Wie
die Ökonomen die wissenschaftlichen Vertreter der Bourgeoisklasse
sind, so sind die Sozialisten und Kommunisten die Theoretiker der
Klasse des Proletariats. ... In dem Maße, wie die Geschichte
vorschreitet und mit ihr der Kampf des Proletariats sich deutlicher
abzeichnet, haben sie nicht mehr nötig, die Wissenschaft in ihrem Kopfe zu
suchen; sie haben sich nur Rechenschaft abzulegen von dem, was sich vor
ihren Augen abspielt, und sich zum Organ desselben zu machen. ... Von
diesem Augenblick an wird die Wissenschaft bewusstes Erzeugnis der
historischen Bewegung, und sie hat aufgehört, doktrinär zu sein, sie ist
revolutionär geworden.“ K. Marx, Elend der Philosophie, MEW 4,
143.
„Und Kommunismus hieß nun nicht mehr: Ausheckung vermittelst
der Phantasie, eines möglichst vollkommenen Gesellschaftsideals, sondern:
Einsicht in die Natur, die Bedingungen und die daraus sich ergebenden
allgemeinen Ziele des vom Proletariat geführten Kampfes.“ F. Engels, Bund
der Kommunisten, MEW 8, 582.
„die materialistische Basis (des
Sozialismus) erfordert ernstes, objektives Studium ..., wenn
man auf ihr operieren will.“ K. Marx an Sorge, 1877, MEW 34,
303.
„Herr Heinzen bildet sich ein, der Kommunismus sei eine
gewisse Doktrin, die von einem bestimmten theoretischen Prinzip als
Kern ausgehe und daraus weitere Konsequenzen ziehe. Herr Heinzen
irrt sich sehr. Der Kommunismus ist keine Doktrin, sondern eine
Bewegung; er geht nicht von Prinzipien, sondern von
Tatsachen aus. Die Kommunisten haben nicht diese oder jene
Philosophie, sondern die ganze bisherige Geschichte und speziell ihre
gegenwärtigen tatsächlichen Resultate in den zivilisierten Ländern zur
Voraussetzung.“ F. Engels, Karl Heinzen, 1847, MEW 4,
321f.
Anmerkung: „Das Wort ... ‚wissenschaftlicher
Sozialismus’ ist gebraucht worden nur im Gegensatz zum
utopischen Sozialismus, der neue Hirngespinste dem Volk aufheften will,
statt seine Wissenschaft auf die Erkenntnis der vom Volk selbst
gemachten sozialen Bewegung zu beschränken;“ K. Marx, Konspekt über
Bakunin, 1874, MEW 18, 635f.
Der Begriff „dialektischer
Materialismus“ wurde von Marx oder Engels nie verwendet. Er ist - vgl.
das ‚Historisch-kritische Wörterbuch des Marxismus’, Band 2, 696 - eine
Erfindung des deutschen Sozialdemokraten Josef Dietzgen von 1887. Über
diesen Dietzgen schrieb K. Marx an F. Engels: „Aus dem
einliegenden Brief von Dietzgen wirst du sehen, dass der Unglückliche
rückwärts ‚vorangegangen’ und richtig bei der ‚Phänomenologie’ (von
Hegel, wb) ‚angekommen’ ist. Ich halte den Fall für unheilbar.“
K. Marx, 5.1.1882, MEW 35, 31.
Wo es dem Verständnis dient, habe
ich veraltete Fremdwörter, alte Maßeinheiten und teilweise auch
Zahlenangaben modernisiert.
Diese und alle kommentierenden Textteile, die nicht wörtlich von Marx
stammen, stehen in kursiver Schrift. (Kommentierende Überschriften und
Zwischenüberschriften sind aus grafischen Gründen nicht
kursiv.)
Wal Buchenberg, 4.2.2002 |