Hegels Dialektik steckt in jedermanns
Kopf!
1. These: Logische Regeln werden aus der Beobachtung
des allgemeinen Denkens gewonnen wie grammatische Regeln aus der
Beobachtung der Sprachbenutzung.
Ich gehe hier nur auf die beiden Logiken von Aristoteles und Hegel
ein, weil es vor Hegel außer der Logik des Aristoteles „sonst keine
gegeben hat...; seit Aristoteles’ Zeiten hat die Logik keine Fortschritte
gemacht.“ (Hegel, Geschichte der Philosophie II.,
Suhrkamp-Ausgabe Bd. 19, S.
229).
Über die Logik des Aristoteles sagte Hegel: „Das Denken in
seiner ... Anwendung hat Aristoteles aufgefaßt und ...dargestellt. Er hat
sich wie ein Naturbeschreiber verhalten...es ist Naturgeschichte
des...Denkens.“ (Hegel, Geschichte der Philosophie II. a.a.O., S. 229)
und weiter: „Es ist ein unsterbliches Verdienst des Aristoteles,...
diese Formen erkannt und bestimmt zu haben, die das Denken in
uns (Hervorhebung von W.B.) nimmt...: jene Formen sind
darin versenkt;...(sie) zu fixieren, zum Bewußtsein zu bringen, ist ein
Meisterstück von Empirie....“ (Hegel, Geschichte der Philosophie II.,
S. 237)
Was Hegel von der Logik des Aristoteles feststellt, sagte Marx auch
über Hegels Logik: Hegel „glaubt, die Welt mittelst der Bewegung des
Gedankens konstruieren zu können, während er nur die Gedanken, die in
jedermanns Kopf sind, systematisch rekonstruiert und ... klassifiziert.“
(K. Marx, MEW Bd., 4, S.130). Wie Hegel das gemacht hat, soll unten
noch an einem grundlegenden Beispiel gezeigt werden.
2. These: Wie wir nicht Grammatik studieren müssen,
um richtig Deutsch zu können, so brauchen wir keine ausgearbeitete Logik,
um richtig denken zu können.
Hegel nannte die Logik, die in unserem Denken ist, „natürliche
Logik“: „Die...Tätigkeit des Denkens ist ... bewußtlos geschäftig (die
natürliche Logik);“ (Hegel, Logik I., Suhrkamp-Ausgabe, Bd. 5, S.26).
Zwar hat Hegel die aristotelische Logik nicht „künstlich“ genannt,
aber er stellte doch fest, daß der große Aristoteles dort, wo er am besten
denkt, sich überhaupt nicht an die Regeln der (dialektischen) Logik
gehalten hat: „Aristoteles ist ... der Urheber der verständigen,
gewöhnlichen Logik....; Aber zu bemerken ist, daß ...es nicht diese Formen
des Schlusses sind, nach denen Aristoteles verfährt. Wenn Aristoteles so
verführe, so würde er nicht dieser spekulative Philosoph sein, als den wir
ihn erkannt haben; keiner seiner Sätze, seiner Ideen könnte aufgestellt,
behauptet werden, könnte gelten, wenn er sich an die Formen der
gewöhnlichen Logik hielte. Man muß ja nicht glauben, daß Aristoteles ...
nach dieser seiner Logik....gedacht, fortgeschritten, bewiesen
hätte...“(Hegel, Geschichte der Philosophie Bd. II., a.a.O. S. 241)
(Die Bezeichnung „spekulativer Philosoph“ wurde von Hegel im positiven
Sinne gebraucht.)
Hegel stellte aber nicht nur bei Aristoteles fest, daß der zu
seinem Vorteil die (traditionellen) logischen Regeln mißachtete, sondern
bemerkte auch, daß das der Normalfall ist bei Menschen mit einem weniger
großen Verstand als Aristoteles: „Der gemeine Verstand läßt ein
andermal auch ...das Gegenteil gelten und behauptet es selbst; oder weiß
auch nicht, daß er unmittelbar das Gegenteil von dem sagt, was er meint,
sein Ausdruck nur ein Ausdruck des Widerspruchs ist. In seinen Handlungen
überhaupt...bricht er diese seine Maximen, seine Grundsätze; und wenn er
ein vernünftiges Leben führt, so ist es eigentlich nur eine beständige
Inkonsequenz... Wer, wo es sei, nach einer Maxime handelt, heißt
ein Pedant und verdirbt sich und anderen die Sache...Der gemeine Verstand
ist in seinem Handeln also besser, als er denkt.... im Handeln widerlegt
er selbst die Borniertheit seines Verstandes.“ (Hegel, Geschichte der
Philosophie I. S. 407f.)
Tatsächlich ist der „gemeine Verstand“ auch in seinem Denken
besser als die Philosophen von ihm denken. Jeder Alltagskopf hat Logik und
Dialektik längst in sich, bevor sie in einem Philosophenkopf zu einer
logischen Abhandlung kristallisiert werden können.
Wozu dann aber überhaupt Logik? Im Vorwort zu seiner eigenen Logik
gibt Hegel zunächst - er bezieht sich damit nur auf die aristotelische
Logik - eine vorsichtige Antwort: „Daß man durch die Logik denken
lerne, was sonst für ihren Nutzen und damit für den Zweck derselben galt -
gleichsam als ob man durch das Studium der Anatomie und Physiologie erst
verdauen und sich bewegen lernen soll - dies Vorurteil hat sich längst
verloren....“ (Hegel, Logik I, S. 14).
Aristoteles hatte für seine Logik gleichsam die Köpfe der Menschen
seziert. Statt nun seinerseits davon auszugehen, daß auch er nur
Menschenköpfe seziert, wenn auch historisch entwickeltere Köpfe, sah sich
Hegel als Anatom am Kopf Gottes, als einer, der den göttlichen Bauplan für
die Welt entdeckt hat. Hegel meinte, seine Logik sei nicht ein Resultat
des allgemeinen menschlichen Denkens sondern der Ursprung allen Denkens.
Wie in der Bibel steht bei ihm am Anfang der LOGOS, daraus entwickelt sich
dann die Weltgeschichte. Die „Macht der Logik“, die nichts weiter ist als
Macht der Gewohnheit, bekam von daher ihren Heiligenschein.
3. These: Eine materialistische Logik läßt sich nur
beschreibend finden, indem man die Dialektik von etwas
darstellt.
In seiner frühen Kritik an Hegel hatte Marx die Logik als das
„von der Natur und dem wirklichen Menschen abstrahierende Denken“
und auch als „das Geld des Geistes“ bezeichnet. (aus:
Ökonomisch-philosophische Manuskripte, zit. n. Fischer-Studienausgabe
Marx/Engels, Band 1, Philosophie, S. 64f.)
Da das Geld noch nicht überflüssig geworden ist, kann vielleicht
auch noch nicht auf das Geschäft der Logiker verzichtet werden.
Bekanntlich hat Engels gegen Ende seines Lebens begonnen, eine
materialistisch-dialektische Logik zu verfassen, ohne damit zu Ende zu
kommen. Er hatte dabei als Zielsetzung formuliert: „Es ist also die
Geschichte der Natur wie der menschlichen Gesellschaft, aus der die
Gesetze der Dialektik abstrahiert werden.“ (MEW Bd. 20,
S.348)
Nachdem Hegel außer Mode gekommen war, hatten sich Marx und Engels
wieder etwas positiver über ihn geäußert. Marx schrieb z.B. während seiner
Arbeit am Kapital: „...die ganze Lehre vom Profit, wie sie bisher war,
habe ich über den Haufen geworfen. In der Methode des
Bearbeitens hat es mir großen Dienst geleistet, daß ich....Hegels ‘Logik’
wieder durchgeblättert hatte. Wenn je wieder Zeit für solche Arbeiten
kommt, hätte ich große Lust, in 2 oder 3 Druckbögen das
Rationelle an der Methode, die Hegel entdeckt, aber zugleich
mystifiziert hat, dem gemeinen Menschenverstand zugänglich zu machen.“
(MEW 29, S.260).
Nach meiner Rechnung geben 2 - 3 Druckbögen 30 - 50 Druckseiten.
Das wäre gegenüber den 1000 Druckseiten Hegelscher Logik ein Prozentsatz
von höchstens 5 Prozent Rationelles auf 95 Prozent Mystik.
Was bisher nur behauptet wurde, daß die dialektische Logik ebenso
wie die Logik von Aristoteles aus den „Gedanken, die in jedermanns Kopf
sind“ stammt, soll nun an einem alltäglichen Beispiel anschaulich
gemacht und so an einem Punkt bewiesen werden. Hegels Dialektik
steckt nämlich schon in jedem einfachen Aussagesatz. (Eine vollständige
Darstellung der Dialektik müßte die Geschichte des menschlichen Denkens,
d.h. die Geschichte der Wissenschaften in ihrer Logik darstellen. Sie
müsste, wie Marx forderte, die Gesetze der Dialektik aus der Geschichte
der Natur und aus der Geschichte der Menschheit abstrahieren. Das hat
bisher noch niemand auch nur versucht. Auch Friedrich Engels ist mit
seiner Darstellung der „Dialektik der Natur“ gescheitert, weil er nicht
historisch an diesen Gegenstand herangegangen war, obwohl doch das
dialektische Denken wie das Denken überhaupt eine durch und durch
geschichtliche Erscheinung ist.
Anhang: Hegels
Dialektik steckt in jedem einzelnen Aussagesatz.
Hegel: „Jeder Satz besteht aus einem Subjekt und
Prädikat, sie sind verschieden, in der Vorstellung meinen wir ihre
Einheit.... Beispielsatz: Der Baum (Subjekt) ist
kahl (Prädikat). Erklärung: Subjekt und Prädikat
sind verschieden und bilden als Satz eine Einheit. Hegel: ...
Aber in der Tat der einfache, sich selbst gleiche Satz ist Tautologie, gar
nichts gesagt; und wo etwas gesagt sein soll, sind es
Verschiedene.. Beispielsätze: Der Baum ist der Baum. Kahl
ist kahl Erklärung: Wo Subjekt und Prädikat gleich sind, wird
nichts gesagt. (Das Subjekt ist gleich dem Subjekt (S = S). Das Prädikat
ist gleich dem Prädikat (P = P). Oder: A = A, B = B) Hegel:
... und, indem ihre Verschiedenheit zum Bewußtsein kommt,
Widersprechende.... Erklärung: Das Subjekt A ist
das Prädikat B. Also: A ist B. Also: A ist nicht A. Oder: Nicht B ist B. Hegel: ...
Das gemeine Bewußtsein ist aber dann am Ende; ... Es hat den Begriff
nicht, daß nur die Einheit Entgegengesetzter das Wahre ist
...“(Geschichte der Philosophie, Bd. I, Suhrkamp-Ausgabe Bd. 18, S.
528) Erklärung: Die „Einheit des Entgegengesetzten ist das
Wahre“: Das ist die Grundformel der Hegelschen Dialektik, die „Identität
des Widerspruchs“. Wie man sieht, steckt darin nicht mehr Weisheit, als in
jedem Aussagesatz steckt.
Zweiter
Anlauf: Hegel: „Das Urteil ist eine identische Beziehung
zwischen Subjekt und Prädikat; es wird dabei davon abstrahiert, daß das
Subjekt noch mehrere Bestimmungen hat als die des Prädikats, sowie davon,
daß das Prädikat weiter ist als das Subjekt.“ (Wissenschaft der Logik Bd. II,
Suhrkamp-Ausgabe Bd. 6, S. 37.) Hegel: „Subjekt und Prädikat
im unmittelbaren Urteil berühren sich einander gleichsam nur an einem
Punkt, aber sie decken einander nicht.“ (Enzyklopädie der
philosophischen Wissenschaften im Grundrisse, Bd. I, a.a.O. Bd. 8, S.
324) Beispielsatz: Der Baum ist kahl. Erklärung:
„Baum“ ist: z.B. eine Kiefer/jung/krank/steht einzeln
etc. „kahl“ ist eine Bestimmung für fehlende menschliche
Kopfbehaarung, Tierbehaarung und für Pflanzen-, Blätter-
bzw., Nadelwuchs. „kahl“ ist nur eine von vielen Eigenschaften
dieses Baumes. Die hier gebrauchte Bedeutung von kahl ist nur eine
von mehreren Verwendungsmöglichkeiten. Das Subjekt ist verschieden
vom Prädikat. A ist nicht gleich B. Hegel: „Im Urteil setzt
die Logik einen Begriff A als ein Wirkliches (Subjekt, Substrat) und
verbindet ein Anderes als Begriff B damit;“ Geschichte der
Philosophie Bd. II, Suhrkamp-Ausgabe Bd. 19, S. 231 Beispielsatz:
Der Baum ist kahl. Erklärung: „Der Baum“ ist ein bekanntes
Subjekt (A) und wird mit einem neuen Prädikat (B) „kahl“ verbunden: A = B. Hegel:
„Gewöhnlich denkt man beim Urteil zuerst an die Selbständigkeit ... des
Subjekts und Prädikats, daß jenes ein Ding oder eine Bestimmung für
sich und ebenso das Prädikat eine allgemeine Bestimmung außer jenem
Subjekt, etwa in meinem Kopfe sei, - die dann von mir mit jener
zusammengebracht, und hiermit geurteilt werde... Erklärung:
Ein bekanntes Subjekt A („Baum“) wird mit einer vom Sprecher gedachten
(neuen) Bestimmung, dem Prädikat B („kahl“), im Satz verbunden. Der
Satz ist also ein subjektives Urteil von
jemandem. Hegel: ... Indem jedoch die Kopula „ist“ das
Prädikat vom Subjekt aussagt, wird jenes äußerliche, subjektive
Subsumieren wieder aufgehoben und das Urteil als eine Bestimmung des
Gegenstandes selbst genommen.“ Enzyklopädie der philosophischen
Wissenschaften im Grundrisse, Bd. I. a.a.O. Bd. 8, S. 316 Erklärung:
Es wird ebenso auch etwas von dem Subjekt ausgesagt. Derselbe Satz ist
also gleichzeitig auch ein (objektives) Urteil von/über
etwas. So wie ein gewöhnlicher Mensch spricht, und nicht daran
denkt, dass er dabei Prosa produziert, so bilden wir gewöhnliche Menschen
auch Aussagesätze oder Urteilssätze. In solchen ganz gewöhnlichen Sätzen
findet dann ein Hegel dann die „Einheit des Entgegengesetzten“ und dass
ein subjektives Urteil von jemandem gleichzeitig ein ganz anderes Ding
sei, nämlich ein objektives Urteil über eine Sache. Worüber sollen wir uns
also wundern? Über das ganz gewöhnliche Sprechen oder über die
Ausdrucksweise der Philosophen? Wal Buchenberg, 18.16.1996 |