Karl Marx war Antiimperialist Seit das
„sozialistische Vaterland“ in der geschichtlichen Versenkung verschwand,
haben einige heimatlos gewordene Linke politischen Anschluss an die USA
gesucht. Staatsapparat und kapitalistische Wirtschaft der USA werden da
als Repräsentanten von weltweitem Fortschritt, Zivilisation und Schützer
sozialer, rassischer oder religiöser Minderheiten (Juden)
gehandelt. Etliche solcher amerikahörigen Linken nennen sich „Kommunisten“. Einige kommunistische Parteien unterstützen aktiv das US-Besatzungsregime im Irak. Nun hat niemand ein Copyright am Adjektiv „kommunistisch“. Es kann sich kommunistisch nennen, wer will, und niemand hat ein Recht, ihnen diese Bezeichnung abzusprechen. Was „kommunistisch“ ist und was nicht, das wurde und wird immer neu definiert - teils von den Gegner des Kommunismus, teils von den Befürwortern. Ganz anders
ist es jedoch mit den Ansichten und dem Werk von Karl Marx. Seine
Schriften und Briefe sind veröffentlicht. Die Frage, ob sich ein
amerikahöriger Linker oder Kommunist zu Recht auf Karl Marx berufen kann,
diese Frage ist eindeutig beantwortbar und sie lautet: Nein! Karl Marx war
- in heutiger Terminologie - ein entschiedener „Antiamerikaner“ und
Antiimperialist. Das zeigt sich jedoch nicht an seinen Bemerkungen und
Kommentaren zum zeitgenössischen Amerika, dessen Politik und Geschichte er
mit Sympathie verfolgt hat. Das damalige Amerika war noch eine junge,
aufstrebende Republik mit rückständiger, aber dynamischer Wirtschaft -
wirtschaftlich (nicht politisch) vielleicht vergleichbar mit dem heutigen
China. Die
wirtschaftliche und politische Weltmacht Nr. 1 in den Zeiten von Karl Marx
war Großbritannien. Hätte Marx eine Politik verfolgt wie die heutigen
Kommunisten und Antideutschen, dann hätte er jede militärische und
wirtschaftliche Expansion Englands in rückständigen Ländern und Gebieten
begrüßt und unterstützt. Das genaue Gegenteil war der Fall. Exemplarisch will ich das an einem
Marx-Text über das Verhältnis England - Indien aufzeigen. Unter dem
Zeitungsartikel für die linke New York Daily Tribune vom 8.8. 1853,
schrieb Karl Marx unter dem Titel: „Die künftigen Ergebnisse der
britischen Herrschaft in Indien“ (abgedruckt in MEW 9, 220-226): "Bisher hatten die herrschenden
Klassen Großbritanniens nur ein gelegentliches, vorübergehendes und eine
Ausnahme bildendes Interesse an einem Fortschritt Indiens. Die
Aristokratie wollte es erobern, die Plutokratie ausplündern, die
Millokratie (= die Industriellen, wb) verschleudern. Nun hat
sich aber das Blatt gewendet. Die Millokratie (= die Industriellen,
wb) hat entdeckt, dass die Verwandlung Indiens in ein
reproduzierendes Land lebenswichtige Bedeutung für sie erlangt hat und
dass zu diesem Zweck vor allem notwendig ist, ihm Bewässerungsanlagen und
innere Verkehrswege zu verschaffen. Sie trägt sich jetzt mit der Absicht,
Indien mit einem Netz von Eisenbahnen zu überziehen, und diese Absicht
werden sie auch ausführen. Das wird unübersehbare Folgen haben.
(...) Ich weiß, dass die englische
Millokratie (=
die Industriellen, wb)
ausschließlich deshalb beabsichtigt, Indien mit Eisenbahnen zu beglücken,
um aus ihm mit verringerten Kosten Baumwolle und andere Rohstoffe für ihre
Fabriken herauszuholen. Hat man aber erst einmal Maschinerie in das
Verkehrswesen eines Landes eingeführt, das Eisen und Kohle besitzt, so ist
man nicht mehr imstande, ihm die Fabrikation solcher Maschinen zu
verwehren. Man kann nicht in einem riesigen Lande ein Eisenbahnnetz
unterhalten, ohne alle die industriellen Verfahren einzuführen, die nötig
sind, um die augenblicklichen wie die laufenden Bedürfnisse des
Eisenbahnverkehrs zu befriedigen, woraus sich notwendig die Anwendung von
Maschinerie auch in solchen Industriezweigen ergibt, die nicht unmittelbar
mit der Eisenbahn zusammenhängen. Daher wird das Eisenbahnwesen in Indien
ganz naturgemäß zum Vorläufer einer modernen Industrie werden. Dies kann
um so weniger bezweifelt werden, als die britischen Behörden selbst den
Hindus die besondre Fähigkeit zusprechen, sich völlig neuen
Arbeitsmethoden anzupassen und die erforderliche Kenntnis der Maschinerie
zu erwerben. (...) Die im Gefolge des Eisenbahnsystems
entstehende moderne Industrie wird die überkommene Arbeitsteilung und
damit die Grundlage der indischen Kasten aufheben, die Indiens Fortschritt
und Indiens Machtentfaltung so entscheidend behindert
haben." Soweit erst mal die Textpassage von Karl Marx. Das sind Gedanken, auf die auch amerikahörige Linke meinen, sich berufen zu können. England bringt Eisenbahnen nach Indien? Ein Lob auf England! England ist die Verkörperung von Zivilisation und Fortschritt und sorgt langfristig für Aufhebung des Kastensystems usw. Und was damals
von England galt, gilt doch mindestens ebenso heute für Amerika? Also
sollten wir doch die USA in ihrem blutigen Kampf gegen Antisemiten,
Islamisten und alle Hinterwäldler unterstützen? Es kann so
denken, wer will, aber er kann sich dabei nicht auf Marx berufen. Karl
Marx war völlig anderer Ansicht. Sein Gedankengang über die Wirkungen
britischer Herrschaft in Indien geht nämlich so weiter: "Alle Maßnahmen, zu denen die
englische Bourgeoisie möglicherweise genötigt sein wird, werden der Masse
des Volkes weder die Freiheit bringen noch seine soziale Lage wesentlich
verbessern, denn das eine wie das andere hängt nicht nur von der
Entwicklung der Produktivkräfte ab, sondern auch davon, dass das Volk sie
selbst in Besitz nimmt." Karl Marx sagte ganz klar: Alle Technik und aller Reichtum nützen nichts, wenn nicht das Volk selber darüber verfügen kann, wenn nicht "das Volk sie selbst in Besitz nimmt." Karl Marx
unterstützte keineswegs die britischen Kolonialisten in Indien, sondern
den Widerstand der Inder gegen das britische Kolonialjoch. Er fuhr fort: "Die Inder werden
die Früchte der neuen Gesellschaftselemente, die die britische Bourgeoisie
in ihrem Lande ausgestreut, nicht eher ernten, bis in Großbritannien
selbst die heute herrschenden Klassen durch das Industrieproletariat
verdrängt oder die Inder selbst stark genug geworden sind, um das
englische Joch ein für allemal abzuwerfen." (MEW 9, 224). Karl Marx bezeichnete Kolonialismus als Joch, das jedes unterworfene Volk abwerfen müsse. Marx stellte sich auf die Seite der Ausgebeuteten und Unterdrückten in aller Welt. Marx war gegen
jede Großmachtpolitik und gegen koloniale Ausbeutung. Ganz gleich, ob es
sich um ein rückständiges Land wie Russland oder um ein fortgeschrittenes
Land wie Großbritannien handelte. Marx war Revolutionär, der dazu aufrief „alle Verhältnisse umwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist.“ (Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie, MEW 1, 385). Man kann mit gutem Recht sagen: Karl Marx war ein "Antiamerikaner" und Antiimperialist! Wal Buchenberg, 15.3.04 |