Rückkehr der Klassengesellschaft

 

In Homers Odyssee prahlte der Schweinehirt von Odysseus über den Reichtum seines Herrn: „Nicht zwanzig Männer zusammen haben so viele Reichtümer.“ (Odyssee, 14, 96f.)

Das Zwanzigfache eines Durchschnitthaushaltes war also im Griechenland Homers ein märchenhafter Reichtum.

Rund 300 Jahre später, im 5. Jahrhundert v. Chr., erfahren wir von dem Landgut eines gewissen Buselos in Eleusis im Wert von 12.000 Drachmen, ohne dass dieser Reichtum Anlass zum Erstaunen gab. Der Besitz des Buselos war vierzigmal höher als die athenische Armutsgrenze, bis zu der ein Athener Anspruch auf staatliche Unterstützung hatte. (vgl.  Finley, Antike Wirtschaft, 113.)

In den USA gab es im Jahr 1892 gut 4.000 Dollar-Millionäre. Vermögen im Wert von 1 Million Dollar galt damals als „Reichtumsschwelle“.

Rund hundert Jahre später, um 1982, musste man, um in die Forbes-Liste der 400 reichsten Familien der USA aufgenommen zu werden, schon ein „Nettovermögen von 90 Millionen Dollar“ besitzen.

Im Jahr 2000 wurden erst Familien mit einem Vermögen von mehr als 725 Millionen Dollar in die Forbes-Liste aufgenommen. (nach: Economist, 16.6. 2001)

„1997 gab es in der Welt 7,2 Millionen Dollar-Millionäre. Diese verfügten über rund ein Drittel des Weltreichtums.“ (Economist, 16.6. 2001)

Heute leben in den USA leben 170 Milliardäre, jeder mit einem Vermögen, das 10-millionenmal so hoch ist wie ein überdurchschnittliches Jahresgehalt von 100.000 Dollar. (Nach: ‚The Economist‘ 28. 11.98 und 30.05.98.)

 

 

Da Reichtum eine sich historisch verändernde Größe ist, ist Reichtum nur messbar als relative Größe an den produktiven Möglichkeiten der jeweiligen Gesellschaft. Reichtum in Europa ist etwas anderes als auf den Fidschi-Inseln. Ebenso ist Armut in Europa etwas anderes als dort.

Von den Reichen und Wohlhabenden in Deutschland wird uns jedoch mit Vorliebe die Armut in Afrika oder sonstwo in der Welt vorgehalten und behauptet, wir würden "jammern auf hohem Niveau". Solche Unverfrorenheiten lernt mensch in VWL-Studium schon bei Adam Smith. Der schrieb in seinem "Reichtum der Nationen":  „In zivilisierten und wohlhabenden Gemeinwesen ist das Sozialprodukt ... so hoch, dass alle durchweg reichlich versorgt sind ... Selbst ein Arbeiter der untersten und ärmsten Schicht, sofern er genügsam und fleißig ist, kann sich mehr zum Leben notwendige und angenehme Dinge leisten, als es irgendeinem Angehörigen eines primitiven Volkes möglich ist.“ (Adam Smith, Der Wohlstand der Nationen, 1776. Einführung.)

Bis heute haben die Kanzelprediger des Kapitalismus noch keine bessere Rechtfertigung gefunden. Um die Armut großer Teile der Gesellschaft wegzulügen, wird unser Einkommen verglichen mit dem Einkommen irgendwelcher „primitiver Völker“.

Heraus kommt dann bei diesem Vergleichsspiel nicht, dass wir das zehn- oder hundertfache weniger hätten als unsere Kapitalisten, nein, es kommt heraus, dass wir möglicherweise das dreifache oder zehnfache von „primitiven Völkern“ haben.

Von Adolf Hitler ist Anfang 1940 ein Gespräch über Polen überliefert: „Darin wird Polen zum ‚Arbeitslager’ bestimmt, dessen Insassen als Saisonarbeiter nur vorübergehend im deutschen Gebiet eingesetzt werden dürften. ... Die Polen müssten so viel verdienen, dass sie etwas Geld an ihre Familien in der Heimat schicken könnten, aber ‚der letzte deutsche Bauer muss wirtschaftlich immer noch zehn Prozent besser stehen als jeder Pole’.“ (Hervorhebung von wb: im übrigen geht der Gesprächsfaden des Adolf Hitler so weiter: „Alle Intelligenten seien umzubringen, das sei ‚nun einmal das Lebensgesetz’.“ zitiert nach: Jochen v. Lang, Der Sekretär. Martin Bormann: Der Mann, der Hitler beherrschte. dva 1977, 159.)

Gegenüber dieser Herrschaftslogik, die uns sagt: „Dir geht es doch besser als jedem Polen!“ kann unsere Antwort nur lauten: Wir schaffen hier den ganzen Reichtum und sollen uns mit Almosen zufrieden geben? Es wäre genug für alle da, wenn es euch nicht gäbe, die ohne zu arbeiten, enorme Reichtümer anhäufen.

Auch eine höhere Besteuerung der Reichen schützt und bewahrt noch den Unterschied zwischen Arm und Reich – er soll jedoch nicht "zu groß" werden – was immer das heißen mag. Diese "Reichensteuer" landet erst mal bei den Staatsdienern, die für sich davon einen großen Happen abschneiden – 25 Prozent aller Staatsausgaben in Deutschland sind Personalausgaben für die Staatsdiener. Weitere 20 Prozent der Staatsausgaben sind Zinszahlungen an die Großgläubiger des Staates. Dieses Geld wandert also sofort wieder in die Taschen der Reichen. Der Staat samt Steuern und Gebühren ist mit schuld an unserer Armut. Er ist Teil des Armenproblems und keine Lösung.

 

 

Die universitären und verbeamteten Ökonomen in Deutschland beginnen ihre Statistiken und Grafiken gerne mit einer "Stunde Null" und tun damit so, als hätte der Kapitalismus in Deutschland im Jahr 1945 begonnen. Diese zweite Grafik zeigt deutlich, dass die drei Jahrzehnte zwischen 1950 und 1980 ein Ausnahme von der kapitalistischen Regel bilden. Wir kehren nun wieder zu "normalen" Klassenverhältnissen zurück.

 

 

1991 betrug der Anteil der Kapital-Einkommen aus (Netto)Gewinnen und Vermögen in Deutschland 27,9%, 2002 waren es schon 30,6%. Der Anteil der Nettolöhne am Volks­­einkommen sank von 49,6% auf 43,7%, während der Anteil der Sozial­ein­kommen von 22,5% auf 25,7% stieg – hauptsächlich wegen der gestiegenen Arbeitslosenquote. Die "Sozialeinkommen" werden aber ebenfalls zum großen Teil aus den Löhnen finanziert.

 

 

Anmerkung:

Die Einkommensverteilung gibt nur eine ungefähre Vorstellung von der Klassentrennung einer Gesellschaft. Es gibt einzelne Lohnarbeiter mit Einkommen von einigen Millionen Euro im Jahr, während es andererseits Kapitalisten geben mag, die ärmlich wie Schuster leben. Was Kapitalisten von Lohnarbeitern unterscheidet, ist weniger ihr Geldeinkommen, als vielmehr ihre Macht über die "Arbeitsplätze" und Produktionsmittel. Alle Lohnarbeiter, egal mit welchem Einkommen, arbeiten unter fremdem Kommando und für fremden Reichtum. Alle Kapitalisten, egal mit welchem Einkommen, kommandieren fremde Arbeit, die ihnen Profit bringt.

Klassenanalyse der BRD