Ich weiß nicht, ob Schlangen zwischen Rechts und
Links unterscheiden, Menschen tun es und sie haben gute Gründe dafür. Wer nur ein Auge hat, ein Bein, ein Arm und eine
Hirnhälfte, der kann vielleicht annehmen, es gäbe keine Linke. Wenn
eindimensionales Denken möglich ist, dann ist die Behauptung, es gäbe
keine Linke, eindimensional gedacht . Zweidimensionales Denken definiert Links nur als Gegensatz zu Rechts und
umgekehrt. Auch diese Sichtweise hat ihre Schwächen, wie mensch nicht erst
seit Jandl weiß, der dichtete: "Manche
meinen Lechts und
Rinks kann man nicht
velwechsern. Werch ein
Illtum!" Der gegenwärtige politisch-gesellschaftliche Raum
ist weder eindimensional noch zweidimensional, sondern dreidimensional
strukturiert. Unsere Gesellschaft enthält nicht nur Rechts und Links,
sondern auch Oben und Unten. Die Machthaber sind oben - Staats- und
Regierungsgewalt in der Politik und Kapitalvertreter in der Wirtschaft -
und die (mehr oder minder) Ohnmächtigen sind unten. Historisch kommt der Begriff "politische Linke"
und "politische Rechte" aus dem Französischen der Restaurationszeit (die
der französischen Revolution folgte), "wo in den Kammern die
(fortschrittliche) Oppositionspartei ihre Sitze zur Linken des Präsidenten
wählte." (Deutsches Wörterbuch von J. u. W. Grimm, Bd. 12, 1885,
1047). Die politische Linke ist - wie die politische
Rechte - von vorneherein auf die Staats- und Regierungsmacht bezogen. In
unserer politischen Landschaft definieren nicht Linke oder Rechte, sondern
das Zentrum oder die Mitte als Staats- und Regierungsgewalt, was politisch
Links ist und was politisch Rechts ist. Allgemein lässt sich
sagen: Wer mit Regierung und Staatsmacht politisch
übereinstimmt, wer die Politik der Regierung verteidigt und unterstützt,
der und nur der zählt zur politischen Mitte. Wer die Regierung und Staatsmacht kritisiert und
bekämpft, weil ihre Politik nicht streng und konsequent genug sei, wer
eine mächtigere (gewalttätigere) Regierung und Staatsmacht will, der
befindet sich rechts von der Regierung und zählt zur politischen
Rechten. Wer die Regierung und Staatsmacht kritisiert und
bekämpft, weil ihre Politik zu streng ist, wer eine moderatere und
sozialere Politik befürwortet bis hin zu denen, die die Abschaffung von
Staat und Regierung fordern, diese alle befinden sich links von der
Regierung und zählen zur politischen Linken. Wer will, kann da zwischen "zahmen" und
"radikalen" Linken unterscheiden. Das ändert nichts an ihrer gemeinsamen
Gegnerschaft gegenüber Regierung und Staatsmacht. Kritiker der Linken machen sich wichtig, indem sie
darauf hinweisen, dass auch Linke zum Teil mit rechten Inhalten arbeiten,
- wenn Linke zum Beispiel national auftreten und die eigene Staatsmacht
mit zusätzlichen Verboten oder zusätzlichen Steuern stärken wollen.
Andererseits kann man auf Rechte verweisen, die
sich linke Taktiken und Parolen klauen. Beides ist nichts Neues, und beweist nur, dass
auch jeder einzelne Mensch dreidimensional ist und zwei Gehirnhälften hat,
eine linke und eine rechte Seite, und möglicherweise in seinem Denken
nicht nur Rechts und Links, sondern auch Oben und Unten
reproduziert. Auch linke Politik wird von unvollkommenen
Menschen gemacht. Wer vollkommene Menschen verlangt, der ist in der
Politik fehl am Platz und sollte sich besser der Religion
zuwenden. Seit Aufklärung und Französischer Revolution lässt
sich Programm und Inhalt der Linken in einem Wort zusammenfassen:
Selbstbestimmung. In den Worten von Karl Marx: Wir wollen „alle
Verhältnisse umwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein
geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen
ist“. K. Marx, Kritik der
Hegelschen Rechtsphilosophie, MEW 1, 385. Die Stärke der Linken liegt darin, dass sie für
Selbstbestimmung derjenigen eintreten, die die große Mehrheit stellen,
aber tagtäglich gezwungen sind, sich fremden Interessen zu
unterwerfen. Selbstbestimmung ist der Kampfruf der Linken gegen
die Staatsmacht wie gegen das Kapital. Für Selbstbestimmung kämpft die
Anti-Atombewegung ebenso wie Lohnarbeiter, die sich gegen Entlassungen und
Betriebsschließungen wehren. Ich weiß, in der politischen Praxis sind die
Vertreter und Parteien der Linken von dem programmatischen Ziel
"Selbstbestimmung für Alle" häufiger abgewichen. Aber wo die Linken von
ihrem Programm abgewichen sind, zum Beispiel im Sowjetsystem, dort sind
sie schmählich gescheitert. Selbstbestimmung und Selbstverwaltung ist das
große Konzept einer emanzipierten Gesellschaft von freien Individuen.
Dieses Konzept wird von verschiedenen Strömungen der Linken vielleicht
unterschiedlich benannt, es handelt sich aber um ein und dieselbe
Sache. Es gibt die Linke in Deutschland und sie wird
weiter an Einfluss und Respekt gewinnen. Die gemeinsame Basis für linke
Solidarität und Kooperation ist längst vorhanden. Sie muss gesehen und
genutzt werden. Wal Buchenberg, 31.12.2005 |