Streitwert 203,50 DM.
Vor dem Arbeitsgericht
erschienen ist Herr Z., Anfang 30, mit Rechtsanwalt auf der einen Seite
und der Rechtsanwalt der beklagten Firma S.
Herr Z. klagt um die
Bezahlung von 203,50.- DM. Der Richter leitet das Verfahren mit der
unwilligen Bemerkung ein: Es sei nicht nachvollziehbar, warum wir das hier
verhandelten.
Eine der beiden Parteien hatte also ziemlich schlechte
Karten.
Der Richter zitiert aus dem Arbeitsvertrag des Herrn Z., dass
er während seiner Fortbildung sein „Bruttogehalt wie für eine
Vollzeitstelle als pauschale Ausbildungsvergütung“ erhält. Die Firma S.
hatte jedoch in der Gehaltsabrechnung während seiner Ausbildung
„Minusstunden“ geltend gemacht und somit den Streit um fehlende 203,50 DM
ausgelöst.
Der Richter – wohl um der inzwischen angewachsenen
Zuhörerschaft zu demonstrieren, wie ernst er seine Aufgabe nimmt - geht
nebenan in sein Besprechungszimmer, holt einen Gesetzestext und trägt
daraus etwas vor, wovon weder Inhalt noch Zusammenhang zum Verfahren zu
verstehen ist.
Der Richter kommt wieder auf den Arbeitsvertrag zurück:
Wie könne man von einer Ausbildungsvergütung, die als Pauschale festgelegt
ist, Stundenabzüge machen? Wie könne man von dieser Ausbildungsvergütung
Minusstunden errechnen, wenn sie „wie eine Vollzeitstelle“ berechnet
ist?
Der Rechtsanwalt der Firma S. weist darauf hin, dass Herr Z. ja in
einem Teilarbeitszeitverhältnis stehe, in dem durchaus Minusstunden
anfallen können. Wie können aber Minusstunden anfallen, wenn der
Mitarbeiter außerhalb der Firma eine Ausbildung macht? Es ist soweit alles
geklärt.
Der Richter fragt, ob eine gütliche Einigung möglich
ist.
Nein, der Rechtsanwalt der Firma bleibt hartnäckig und schiebt
noch den Antrag nach, zu prüfen, ob die Geltendmachung der 203,50.- DM
auch fristgerecht erfolgt sei.
Sie war fristgerecht erfolgt.
Zu den
203, 50.- DM muss die Firma S. auch noch die Rechtsanwalt- und
Gerichtskosten zu zahlen. Die Geschäftsleitung der Firma S. hat bewiesen,
dass ein kapitalistisches Ego um jeden Pfennig kämpfen muss – auch wenn
man nicht jeden Pfennig-Kampf gewinnen kann.
Dem Lohnarbeiter Z. wurde
bewiesen, dass zwischen Kapital und Arbeit nicht einmal auf vertragliche
Abmachungen Verlass ist.
Und beiden und uns Zuhörern wurde bewiesen,
dass der Rechtsstaat samt Richter, Gerichtsangestellten und
Rechtsanwälten, Gerichtsvollzieher und Gefängniswärtern im Kapitalismus
eine ganz unverzichtbare Angelegenheit ist.
Wal
Buchenberg, 13.11.2002. |