Fristlose Rache: Vor dem Arbeitsgericht
erschienen ist jeweils mit Rechtsanwalt der Kläger F., ein junger Mann
Anfang oder Mitte Zwanzig mit eingedrehten Zöpfchen im Haar, und der
Hotelinhaber Sch., Anfang oder Mitte Dreißig. Anlass des Streits war eine
fristlose Kündigung wegen „beharrlicher Arbeitsverweigerung“ vom
29.1.02.
Der Kläger, F. war dem Hotelchef persönlich bekannt, weil
er dessen Freundin in einem Ausbildungsvertrag beschäftigte. Herr F.
war am 15.09.01. als Krankheitsvertretung des erkrankten Hotelinhabers
Sch. mit einem Arbeitsvertrag auf Stundenbasis eingestellt worden, in dem
der Passus mit „vier Wochen Probezeit“ um die zwei Worte „vier Wochen“
gekürzt worden war. Das hatte zur Folge, dass Herr F. mit unbegrenzter
Probezeit eingestellt war und daher jederzeit ohne Grund kündbar war. Tariflich kann im
Gaststättengewerbe in der üblichen Probezeit von vier Wochen täglich
gekündigt werden, dann mit einer Zehntagesfrist zum
Monatsende.
Herr F. hatte laut Abrechnung seines Chefs im September
348 Stunden, im Oktober 328 Stunden, im November 320 Stunden und im
Dezember 249 Stunden bei einer monatlichen Regelarbeitszeit von 172
Stunden gearbeitet. Die 249 Stunden ergaben einen Bruttolohn von 3555.-
Euro – ein Stundenlohn von 14,30.- Euro. Nach diesem Arbeitsmarathon
soll plötzlich ab dem 20. Januar während einer einzigen Woche die
„beharrliche Arbeitsverweigerung“ eingetreten sein. Was war
vorgefallen? Der junge Mann mit Zöpfchen erzählt als erster: Er sei mit
seiner Freundin, die als Auszubildende in dem Hotel arbeitete, in Dänemark
bei einer Hochzeitsfeier eingeladen gewesen und es sei ausgemacht worden,
dass sie dann beide eine Woche Urlaub machen könnten. Der Hotelbetrieb war
Dezember und Januar geschlossen. Nach zwei Tagen habe jedoch die Frau
des Chefs angerufen und gesagt, sie sollten beide unbedingt am Sonntag,
den 20.1.2002 zurückkommen, sie würden dringend gebraucht. Er habe sich
mit seiner Freundin an diesem Sonntagmorgen ganz früh auf den Weg gemacht
und sei gegen Mittag im Betrieb bei Frau Sch. eingetroffen. Nach dem
Eintreffen habe seine Freundin das Ausbildungsverhältnis gekündigt wegen
nicht vertragsgemäßer Ausbildungsverhältnisse. Er selber habe keine
Kündigungsabsicht gehabt. Dann sei es zu einem Wortwechsel zwischen ihm
und der Frau Sch. gekommen, in dessen Verlauf sie ihm fristlos gekündigt
habe. Er solle sofort den Generalschlüssel des Hotels und alle Unterlagen
herausgeben. Das habe er verweigert. Er habe die Kündigung nicht
akzeptiert und wollte sofort mit seinem Chef sprechen, der in der
Reha-Klinik war. Nach einem Telefongespräch mit ihm sei er am Sonntag
Abend noch zu seinem Chef in die Klinik gefahren. Bei diesem Gespräch
am Abend wurde von keiner Seite eine Kündigung ausgesprochen. Sein Chef
habe ihn aufgefordert, alles noch einmal zu überschlafen und am nächsten
Tag zu ihm zu kommen. Der Chef habe ihm aber auch gesagt, er bräuchte
nicht zur Arbeit kommen.
Am Mittwoch habe es ein weiteres Gespräch
mit dem Chef gegeben. Da hatte er ihm eine Stelle als „Restaurantsleiter
ohne Papierkram“ angeboten und gesagt, er solle am Freitag zurückkommen.
An einem verringerten Aufgabenbereich hätte er jedoch kein Interesse
gehabt.
Am Freitag gab es ein neues Gespräch mit dem Chef, bei dem
es vor allem um Geldforderungen ging. Der Lohn von Dezember und Januar
stand noch aus sowie eine Steuerrückzahlung aus dem
Lohnsteuerjahresausgleich, den das Unternehmen anstelle des Finanzamts für
ihn durchgeführt hatte. Sein Chef verweigerte die Auszahlung mit der
Begründung, dass Herr F. im September einen Unfall mit dem Firmenwagen
verursacht habe, und er erst die Schadenssumme mit dem Lohn verrechnen
wollte. Außerdem bestritt er die Korrektheit der Arbeitsstunden im
Dezember und wollte vor Auszahlung des Dezemberlohns erst einen
detaillierten Stundennachweis. Der Chef sagte vor dem Arbeitsgericht, er
fordere von seinem ehemaligen Angestellten „um 3 bis 4000 Euro“ für den
Autoschaden und eine vermasselte Absprache mit einem Reiseveranstalter, wo
Herr F. einen fehlerhaften Kostenvoranschlag erstellt hatte. Wegen dieser
gegenseitiger Geldforderungen laufen derzeit noch zwei unterschiedliche
Verfahren vor anderen Gerichten.
Am 27.01. also eine Woche nach
Ausbruch des Konflikts, hatte Herr F. schließlich den Generalschlüssel und
die Hotelunterlagen übergeben. Am 28.01. schrieb Herr Sch. eine
fristlose Kündigung mit seitenlanger Begründung, unter anderem wegen
Arbeitsverweigerung.
Der Richter weist vorsorglich
darauf hin, dass eine „beharrliche Arbeitsverweigerung“ als Grund für eine
fristlose Kündigung entfällt, wenn gegenseitige Forderungen in der
Diskussion sind, und deshalb ein Lohnarbeiter Arbeitsleistungen
verweigert. Der Richter und seine beiden Beisitzer ziehen sich zur
Beratung zurück. Anschließend meint der Richter, der Sachverhalt „ist
für mich nicht ganz deutlich.“ Er schlägt vor, dass die fristlose
Kündigung in eine fristgerechte umgewandelt wird mit Beendigung des
Arbeitsverhältnisses zum 15.02. mit Zahlung des Gehalts und Abgeltung
aller Urlaubsansprüche.
Herr F. erklärt sich mit diesem Vergleichsvorschlag
einverstanden. Sein Chef beharrt jedoch auf der fristlosen Kündigung mit
der Begründung: „Herr F. hat mich im Stich gelassen als ich krank war!“
Das Urteil erging am selben Tag.
Wal
Buchenberg, 25.11.2002. |