Streik im Spielcasino Vor Gericht erschienen
ein Assessor des Arbeitgeberverbands und der Geschäftsführer der lokalen
Spielbank mit Rechtsanwalt auf der einen Seite und zwei Angestellte der
Spielbank mit Rechtsanwalt auf der anderen Seite. Gestritten wurde um
den „Tronc“, den „Opferstock“, den Spielbankgäste im Roulettesaal mit
Trinkgeldern füllen. Der Tronc ist fester Lohnbestandteil für alle
Angestellten, der bis zu 25 % des Lohns oder 500 Euro im Monat
ausmacht.
Doch seit Januar 2001 schrumpfte dieser Tronc, und
wahrscheinlich kann man an der Menge der Trinkgelder eines Spielcasinos
das Nahen einer Wirtschaftskrise genauer ablesen als an allen Statistiken
und Prognosen irgendwelcher „Wirtschaftsweisen“. Nicht nur die Profite
der staatlichen Spielbankbetreiber, auch die Gehälter der
Casino-Angestellten sanken. Was war zu tun? Spielbankbesucher und Einsätze
wurden geringer, der Trinkgeld-Kuchen kleiner, also musste man wohl um
eine andere Verteilung des Kuchens streiten! Der Streit eskalierte bis zu
einem achttägigen Streik im Casino. Leider hatte ich von diesem Streik
nichts mitbekommen. Zu gerne hätte ich herausgefunden, welche Auswirkungen
es auf die aussterbende Spezies „Kapitalist“ hat, wenn ihre Lakaien in
Streik treten und den kapitalistischen Spieltrieb blockieren.
Die
erste Attacke auf die Casinoleitung vor dem Arbeitsgericht richtete sich
gegen die Arbeitsaufteilung. Die Spielbankleitung hatte im September 2001
den Automaten-Saalchef samt seinem Assistenten aus der hiesigen Spielbank
abgezogen und in eine andere Stadt versetzt. Der Geschäftsführer meinte:
Dadurch wurde auch der Tronc für jeden Verbliebenen größer, der
geschrumpfte Kuchen wurde auf weniger Leute verteilt. Allerdings wurde
nicht nur das Trinkgeld neu verteilt, sondern auch die Aufgaben. Zwei der
sechs verbliebenen Saalchefs des Roulettebereichs – und nur dort wird der
Tronc aufgefüllt – mussten nun zur Hälfte ihrer Arbeitszeit im vulgären
Automatenbereich Dienst tun. Diese zwei Saalchefs klagten jetzt vor dem
Arbeitsgericht, dass sie einerseits zu Arbeiten verpflichtet würden, die
nicht durch ihren Arbeitsvertrag abgedeckt seien, und zweitens klagten sie
dagegen, dass die Arbeit im Automatenbereich aus dem Roulette-Tronc
mitfinanziert wird, und dadurch den Beschäftigten im Roulettesaal ein
Nachteil entsteht. Sie wollten nur noch im lukrativen Roulettebereich
arbeiten und ihre Kolleginnen und Kollegen im gewöhnlichen
Automatenbereich vom Roulette-Tronc ausschließen. Beide Maßnahmen zusammen
hätten den Trinkgeld-Kuchen so umverteilt, dass es die beiden Saalchefs
zufrieden gestellt hätte.
Der Richter hatte sich vorbereitet und
stellte bald anhand einer „Dienstanweisung Spielcasino“ von 1977,
verschiedener Gesetzestexte und den Erklärungen der anwesenden
Geschäftsleitung fest, dass ein „Saalchef“ keineswegs für nur einen
einzigen Saal zuständig ist, sondern – da es das Geschäftsinteresse will –
für alle Säle eines Spielcasinos. Gewissermaßen gibt es den „Saalchef“ gar
nicht. Dass sich bisher Sprachgebrauch und Arbeitsbereich eines
„Saalchefs“ deckten, war bloßer Zufall oder bloße Willkür. Es gab und gibt
eigentlich nur „Sälechefs“. Wo Logik und Sprachgebrauch mit dem
Profitinteresse in Konflikt geraten, siegt – dank der Juristen – mit
Leichtigkeit das Geschäftsinteresse. Die feinen Saalchefs und ihre
Assistenten aus dem Roulettesaal müssen es also hinnehmen, dass sie auch
im einfachen Automatenbereich Dienst tun.
Noch schlimmer. In ihrer
Bezahlung geschieht ihnen dabei kein Unrecht, sondern ein möglicherweise
unverdientes Privileg: Sie haben nur zu 50 % im königlichen Roulettesaal
gearbeitet, dennoch zu 100 % am Tronc partizipiert. Eigentlich, so folgert
der Richter – und brachte dadurch ein Leuchten ins Gesicht des
Geschäftsführers – müsste nach ihrem Klageantrag ihre Beteiligung am Tronc
um den Zeitanteil von 50 % gekürzt werden, den sie nicht im Roulettesaal
gearbeitet haben – oder sie lassen alles wie es ist. Süffisant schob der
Richter nach: „Einen Tod müssen Sie sterben!“
Gestorben wurde noch
nicht, denn es stellte sich im Folgenden heraus, dass seit Juni 2002 ein
neuer Tarifvertrag in allen Spielcasinos des Landes gilt, mit dem auch die
Tronc-Gemeinschaft der Gesamtbelegschaft aufgelöst wurde. Die Klage der
Saalchefs kann sich also nur auf die Zeit davor beziehen. In der
fraglichen Zeit lief jedoch das Spielbankgeschäft so schlecht, dass bis
auf einen Monat nicht genug im Tronc zu verteilen war und die
Spielbankbetreiber jeden Monat die Gehälter ihrer Angestellten aufstocken
mussten, damit sie die tariflich vereinbarten Mindestgehälter
erreichten. Der Geschäftsführer beklagte sich bitter, dass seit der
Tronc-Flaute die Angestelltengehälter in den sechs Spielcasinos des Landes
mit jährlich 2 Millionen Euro zusätzlich subventioniert werden müssten.
(Genau so gut – oder noch besser - kann man die Sache umgekehrt sehen:
Durch die Trinkgeldregelung hatte der Spielbankbetreiber bisher Jahr für
Jahr 2 Millionen Euro an Lohnkosten gespart.)
Eine
Schlechterbehandlung durch ungerechte Verteilung des Troncs ist also in
der fraglichen Zeit nicht aufgetreten, weil es nicht genug zu verteilen
gab. Die beklagte Schlechterstellung der Angestellten im Roulettesaal war
nur hypothetisch. Der Richter erklärte daraufhin das Verfahren für
ruhend und gab den beiden Saalchefs bis Ende des Jahres Zeit, um ihre
Anträge neu zu formulieren. Ihr Tod wurde noch einmal
hinausgeschoben. Wal Buchenberg, 21.11.2002 |