Wo bleibt der Bankencrash?

Die Jahre 2000 bis 2003 werden als kapitalistische Krisenjahre im Gedächtnis bleiben, auch wenn die vereinte Medienpropaganda nur verschämt und indirekt die Weltwirtschaftskrise eingesteht, indem sie ständig wiederholt: "Der Aufschwung kommt!" Weiter steigende Massen- und Langzeitarbeitslosigkeit, leere Staatskassen, Aktiencrash und Unternehmenspleiten sprechen eine deutlichere Sprache, als die Medien, die ständig Optimismus verkaufen wollen.

Vor allem die zwei größten Pleiten der Geschichte – Enron und WorldCom – , mit denen mehr als 34 Milliarden Dollar Vermögen vernichtet wurden, mussten finanzielle Schockwellen ins kapitalistische Finanzsystem senden. Aber die beiden größten US-Banken, Citigroup und J.P. Morgan Chase, wiesen in ihren Quartalsberichten für das Jahr 2003 Gewinne aus, als hätten sie nichts mit diesen Megapleiten zu tun gehabt. Da fragt sich nicht nur der britische "Economist" (16.08.2003): Wer muss denn nun die Zeche bezahlen? "Where have all the losses gone, if not through the profit-and-loss accounts of the few big banks that do most of the lending to giant corporations?" Der "Economist" kommt zu dem Schluss: Niemand weiß es! "But analysts and central bankers do not have a complete picture of where the banks' risks have ended up. One thing is certain. Such risk does not neatly disappear into thin air." (Economist, 16.08.03)

Das Eingeständnis, dass niemand weiß, wo nun die Mega-Pleitenbombe tickt, die das kapitalistische Bankensystem zum zeitweiligen Einsturz bringt, entspricht völlig der Marxschen Kapitalismuskritik. "Der im Konkurrenzkampf befangene, seine Erscheinungen in keiner Art durchdringende praktische Kapitalist (muss) durchaus unfähig sein ..., durch den Schein hindurch das innere Wesen und die innere Gestalt ... (seines Wirtschaftssystems, wb) zu erkennen.“ Karl Marx, Kapital III. MEW 25: 178.

Solche eingestandene Ignoranz der politischen und wirtschaftlichen Machthaber widerspricht allerdings allen rechten Verschwörungstheorien und vielen linken Antikapitalisten, die beide gleichermaßen der Kapitalistenklasse und ihren Agenten eine gottähnliche Allmacht andichten.

Die kapitalistischen Ökonomen geben zu, dass sich die Schulden-Schockwellen von Enron und WorldCom nicht in Wohlgefallen auflösen können. Sie wissen zwar nicht, wo genau sich heute die diese Schuldenberge befinden, aber sie wissen, in welche Richtung sie dem Blickfeld der Ökonomen verschwunden sind.

Seit den 90er Jahren hatten die großen Weltbanken zunehmend ihre Finanzrisiken "weiterverkauft". Anfang der 90er betrugen diese Risiko-Transfers nur wenige Milliarden Dollars. Im Jahr 2002 wuchsen die Finanztransfers auf 2.000 Milliarden Dollars – eine Summe, die ungefähr der gesamten Wirtschaftsleistung eines halben Jahres in der Bundesrepublik oder der Wirtschaftsleistung eines Quartals in den USA entspricht.

Transfer von Finanzrisiken:


(aus Economist (16.08.03)

Der Transfer von Kredit- und Finanzrisiken hat sich in der Krise und durch die Krise weiter beschleunigt. In den letzten zwei Jahren hat zum Beispiel die Deutsche Bank ihre Kredite um rund 40% von 281 Milliarden Euro auf 165 Milliarden Euro reduziert. (Economist, 16.08.03) Und Warum? "The reason is not hard to find. Loans produce on average only half the 15% return on equity that banks and their shareholders demand these days." (Economist, 16.08.03). Obwohl die Profitraten angesichts weltweiter Überkapazitäten in wichtigen Produktionsbereichen schrumpfen, wollen Banken möglichst mehr als den Durchschnittsprofit machen.

Aber welches kapitalistische Unternehmen will das nicht? Seitdem auch Finanzdienstleistungen als "Derivate" als Waren verkauft werden, wandert der Schwarze Niedrigprofit-Peter von Hand zu Hand. Ebenso wie die tickenden Bomben von faulen Krediten von einem Unternehmen zum anderen wandern. Sofern die Finanzhändler ihre "heiße Ware" wieder loswerden, machen sie damit ein Geschäft. Bei wem die faulen Kredite dann hängen bleiben, der muss bluten. Man kann diesen Finanzkreislauf "Kettenbriefsystem" nennen oder "Pyramidensystem". Aber auch Grimms Märchen vom "Hans im Glück", der über mehrere Stationen einen Goldklumpen gegen einen Stein tauscht, liest sich als Parabel des heutigen Finanzsystems.
"In jeder Aktienschwindelei weiß jeder, dass das Unwetter einmal einschlagen muss, aber jeder hofft, dass es das Haupt seines Nächsten trifft, nachdem er selbst den Goldregen aufgefangen und in Sicherheit gebracht hat. Nach mir die Sintflut! ist der Wahlruf jedes Kapitalisten und jeder Kapitalistennation." Karl Marx, Kapital I. MEW 23: 285.

Soweit nicht der kapitalistische Staat eingreift - wie in Japan, aber auch in Berlin - und für die faulen Kredite aus Steuergeldern aufkommt, bleiben die Risiken an den kleineren Marktteilnehmern hängen: "A worrying factor for regulators is that a good chunk of that credit insurance has been provided by smaller, regional banks, which may have misjudged the risk as well as the price put on it." (Economist, 16.08.03)

Die Gesamtwirkung des Transfers von Kreditrisiken ist also fatal: Die Finanzrisiken und faulen Kredite, die sich in der heutigen weltweiten Krise anhäufen, verschwinden nur aus dem Blickfeld der Manager und Ökonomen, nicht aus dem kapitalistischen Wirtschaftskreislauf.
In den Bilanzen der großen Konzerne, also an der Oberfläche des Wirtschaftsgeschehens sieht alles normal und gesund aus. Unter dieser künstlich geglätteten Oberfläche bauen sich jedoch kollabierende Kräfte auf, die die zerstörerische Gewalt einer Tsunami-Welle erreichen werden.

"Wodurch überwindet die Bourgeoisie Krisen? Einerseits durch die erzwungene Vernichtung einer Masse von Produktivkräften; andererseits durch die Eroberung neuer Märkte und die gründlichere Ausbeutung der alten Märkte. Wodurch also? Dadurch, dass sie allseitigere und gewaltigere Krisen vorbereitet und die Mittel, den Krisen vorzubeugen, vermindert.“ K. Marx, Kommunistisches Manifest, MEW 4, 468.

Wal Buchenberg, 25.08.03