Selbständige


„Innerhalb der EU gibt es ca. 18 Millionen Selbständige, das entspricht 13 % der erwerbstätigen Gesamtbevölkerung.“ LitDokAB 99/2000-1, a-902.
In Deutschland gehören 9 % aller Erwerbstätigen zu den Selbständigen (Stat. Bundesamt, 2001). Im Jahr 1960 waren es rund 20 % und im Jahr 1880 noch rund 35 %.

Die statistische Summe der Selbständigen in Deutschland enthält rund 10 % Kapitalisten, die von fremder Arbeit leben (können) (= ca. 1 % aller Erwerbstätigen), 40 %  Kleinkapitalisten und selbständige Handwerker, die teils selber produktiv arbeiten, teils fremde Arbeitskraft ausbeuten, (= ca. 3,5 % aller Erwerbstätigen) und zu 50 % die Einzelarbeiter, die nur sich selber ausbeuten (= 4,5 % aller Erwerbstätigen).
„Selbständige Einzelarbeiter ohne sozialversicherungspflichtige Mitarbeiter machen 50 % aller Selbständigen aus.“ LitDokAB 99/2000-1, a-898.

1. Vorindustrielle, traditionelle Selbständige
Wer von seiner eigenen Arbeit lebt und dabei eigene Produktionsmittel benutzt, gehört zum sogenannten „Kleinbürgertum“, der traditionellen „Mittelschicht“. Das sind auf dem Land der kleine Bauer, in Stadt und Dorf der kleine Handwerker oder Krämer, der Arzt mit eigener Praxis, der Rechtsanwalt mit eigener Kanzlei und sonstige Freiberufler, die ihr eigenes Arbeitsergebnis in Form eines greifbaren Produkts oder als Dienstleistung verkaufen.

Selbstarbeitende Produzenten und Dienstleister sind zwar im Gegensatz zum Lohnarbeiter Produktionsmittelbesitzer, aber als Einzelarbeiter keine Kapitalisten, weil sie selbst arbeiten müssen und nicht von den Früchten fremder Arbeit leben können. In der Terminologie von Karl Marx sind „Produktionsmittel, die den Produzenten selbst als Beschäftigungs- und Subsistenzmittel dienen, ohne sich durch Einverleibung fremder Arbeit zu verwerten“, kein Kapital (K. Marx, Kapital I, MEW 23, 731).

Selbst wenn ein selbstarbeitender Selbständiger außer der eigenen Arbeit noch in geringem Umfang fremde Arbeit ausbeutet, wird er dadurch noch kein Kapitalist, sondern „nur ein Mittelding zwischen Kapitalist und Arbeiter, ein ‚kleiner Meister‘“. (K. Marx, Kapital I, MEW 23, 326.)

Die Arbeitssituation der Selbständigen schafft einerseits Gemeinsamkeiten mit der Lohnarbeit bis hin zur Scheinselbstständigkeit, andererseits schafft sie fließende Übergänge vom Kleinmeister zum Kapitalisten. Ein Selbständiger mit einigen Lohnarbeitern kann vielleicht ein „Viertelkapitalist“ oder ein „Dreiviertelkapitalist“ sein, je nachdem wie viel Früchte fremder Arbeit er sich neben seiner eigenen Tätigkeit noch aneignet.

2. Moderne Selbständige und moderne Einzelarbeit
2.1 Moderne Selbständigkeit und moderne Einzelarbeit entsteht ständig auf der Basis neuer Technologie

Durch neue Technologien und in neuen Branchen können solche selbstarbeitenden Produktionsmittelbesitzer durch die „Reproduktion des Handwerks auf Grundlage der Maschinerie“ (K. Marx, Kapital I, MEW 23, Anm. 247.) immer wieder neu entstehen.
Sofern eine einzelne Arbeitsmaschine an die Stelle der Kooperation oder der Manufaktur tritt, kann sie selbst wieder zur Grundlage handwerksmäßigen Betriebs werden.“ (K. Marx, Kapital I, MEW 23, 484.)
Solche Arbeitsmaschinen, die die Kooperation vieler Arbeiter ersetzen, waren z. B. die Nähmaschine (z.B. Familien-Nähmaschine von Singer ab 1865, 1880 hatte Singer eine halbe Million Nähmaschinen verkauft), der Elektromotor (erst im Jahr 1906 wurde in Deutschland mehr Elektrizität für Motoren abgenommen als für Beleuchtung) und jüngst die Computer. Jede dieser Technologien schuf neue Selbständigkeit auf moderner technischer Grundlage.

Einige von diesen neu entstandenen „Selbständigen auf moderner maschineller Grundlage“ schaffen es, zum erfolgreichen Kapitalisten aufzusteigen wie ein Bill Gates. Andere werden proletarisiert. Sie verlieren ihr Betriebseigentum und werden in Lohnarbeiter verwandelt.

2.2 Neue Selbständigkeit und Scheinselbständigkeit als sozialer Abstieg aus der Lohnarbeit
„Die ,neuen Selbständigen' finden sich zunehmend in Arbeitsbereichen, die traditionell von Arbeitnehmern ausgeführt wurden." LitDokAB 2000, a-1080.

„Insbesondere Engländer treten bevorzugt auf deutschen Baustellen als vorgeblich selbständige Unternehmer auf. Sie verrichten aber typische Tätigkeiten eines unselbständigen Arbeiters.“ LitDokAB 1998/99 a-1638.

„Die Zahl der selbständig Erwerbstätigen in Deutschland hat seit Beginn der 80er Jahre leicht und seit Beginn der 90er Jahre verstärkt zugenommen. ... Verstärkt wandten sich Frauen oder Ausländer dieser Erwerbsform zu.“ LitDokAB 99/2000-1, a-898.

„Freigesetzte Fach- und Führungskräfte - zu jung für die Pensionierung - müssen sich selbständig machen.“ LitDokAB 1998/99 a-1501.

„At the same time, going self-employed has become an increasingly common escape route from unemployment.“ LitDokAB 1998/99 b-1017.

„Im Jahre 1995 suchten in Deutschland mehr als 5,3 Millionen Personen eine neue Tätigkeit, davon 177.000 oder fast 3 % eine selbständige. Arbeitslose haben einen zunehmenden Anteil an der Zahl der Arbeitsuchenden, die selbständig werden wollen." LitDokAB 2000, a-513.

„Die Bereitschaft von Arbeitslosen, sich selbständig zu machen, ist in den alten Bundesländern ausgeprägter“. LitDokAB 1998/99 a-1509. vgl. Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (Hrsg.): Aus der Arbeitslosigkeit in die Selbständigkeit. Nürnberg 1997.  LitDokAB 1998/99

 „Im Arbeits- und Sozialrecht ist der Unterschied zwischen geschützter abhängiger Arbeit einerseits und ungeschützter selbständiger Tätigkeit andererseits so krass, dass der Anreiz, abhängige Beschäftigung in ‚neue Selbständigkeit’ umzuwandeln groß ist.“ LitDokAB 99/2000-2, b-1330.


Soweit nicht anders vermerkt, stammen Daten und Zitate aus: Literaturdokumentation zur Arbeitsmarkt und Berufsforschung, Hrsg. von der Bundesanstalt für Arbeit, div. Jhrg.
Wal Buchenberg, 29.11.2001