Kapital I.: 321-330

Das achte Kapitel „Der Arbeitstag“ enthielt einen historischen Bericht über die Kämpfe der Kapitalisten zwischen dem 14. und dem 18. Jahrhundert für eine Verlängerung des Arbeitstages und der Arbeiter seit dem 18. Jahrhundert für eine Verkürzung des Arbeitstages.

Neuntes Kapitel
Rate und Masse des Mehrwerts

„Wie bisher wird in diesem Kapitel der Wert der Arbeitskraft, also der zur ... Erhaltung der Arbeitskraft notwendige Teil des Arbeitstags, als gegebne ... Größe unterstellt. ...  Das variable Kapital ist aber der Geldausdruck für den Gesamtwert aller Arbeitskräfte, die der Kapitalist gleichzeitig verwendet. Sein Wert ist also gleich dem Durchschnittswert einer Arbeitskraft, multipliziert mit der Anzahl der verwandten Arbeitskräfte. Bei gegebnem Wert der Arbeitskraft steht also die Größe des variablen Kapitals in direktem Verhältnis zur Anzahl der gleichzeitig beschäftigten Arbeiter.

Ist der Tageswert einer Arbeitskraft = 100 Euro, so ist also ein Kapital vorzuschießen von 10000 Euro um 100 ... Arbeitskräfte täglich auszubeuten.

Ebenso: Produziert ein variables Kapital von 100 Euro, der Tageswert einer Arbeitskraft, einen täglichen Mehrwert von 100 Euro, so ein variables Kapital von 10000 Euro einen täglichen Mehrwert von 10000 Euro...“  K. Marx, Kapital I.: 321.

„Da aber ferner die Masse Mehrwert, die der einzelne Arbeiter produziert, bei gegebenem Wert der Arbeitskraft, durch die Rate des Mehrwerts bestimmt ist, so folgt dies erste Gesetz:

Die Masse des produzierten Mehrwerts ist gleich der Größe des vorgeschossnen variablen Kapitals multipliziert mit der Rate des Mehrwerts oder ist bestimmt durch das zusammengesetzte Verhältnis zwischen der Anzahl der von demselben Kapitalisten gleichzeitig exploitierten Arbeitskräfte und dem Exploitationsgrad der einzelnen Arbeitskraft.“  Kapital I.: 321-322.

„Nennen wir also die Masse des Mehrwerts M, den vom einzelnen Arbeiter im Tagesdurchschnitt gelieferten Mehrwert m, das im Ankauf der einzelnen Arbeitskraft täglich vorgeschossene variable Kapital v, die Gesamtsumme des variablen Kapitals V, den Wert einer Durchschnitts-Arbeitskraft k, ihren Ausbeutungsgrad a’ / a (Mehrarbeit / notwendige Arbeit) und die Anzahl der angewandten Arbeiter n, so erhalten wir:

M = m : v V

oder:

M = k a’ : a n .

„In der Produktion einer bestimmten Masse Mehrwert kann daher die Abnahme des einen Faktors durch Zunahme des andren ersetzt werden.“  K. Marx, Kapital I.: 322.

Rationalisierung durch Senkung der Lohnkosten

„Verminderung des variablen Kapitals ist  ... ausgleichbar durch proportionelle Erhöhung im Exploitationsgrad der Arbeitskraft oder die Abnahme in der Anzahl der beschäftigten Arbeiter durch proportionelle Verlängerung des Arbeitstags. Innerhalb gewisser Grenzen wird die vom Kapital erpressbare Zufuhr der Arbeit also unabhängig von der Arbeiterzufuhr.“ K. Marx, Kapital I.: 323.

„Indes hat der Ersatz von Arbeiteranzahl oder Größe des variablen Kapitals durch gesteigerte Rate des Mehrwerts oder Verlängerung des Arbeitstags unüberspringbare Schranken. ...

Die absolute Schranke des durchschnittlichen Arbeitstags, der von Natur immer kleiner ist als 24 Stunden, bildet eine absolute Schranke für den Ersatz von vermindertem variablen Kapital durch gesteigerte Rate des Mehrwerts oder von vermindertem variablem Kapital durch erhöhtem Exploitationsgrad der Arbeitskraft.

Dies handgreifliche zweite Gesetz ist wichtig zur Erklärung vieler Erscheinungen, entspringend aus der später zu entwickelnden Tendenz des Kapitals, die von ihm beschäftigte Arbeiteranzahl oder seinen variablen in Arbeitskraft umgesetzten Bestandteil soviel als immer möglich zu reduzieren, im Widerspruch zu seiner andren Tendenz, die möglichst große Masse von Mehrwert zu produzieren.“ K. Marx, Kapital I.: 323-324.

Extensives Wachstum

„Ein drittes Gesetz ergibt sich aus der Bestimmung der Masse des produzierten Mehrwerts durch die zwei Faktoren, Rate des Mehrwerts und Größe des vorgeschossenen variablen Kapitals.

Die Rate des Mehrwerts oder den Ausbeutungsgrad der Arbeitskraft, und den Wert der Arbeitskraft oder die Größe der notwendigen Arbeitszeit gegeben, ist es selbstverständlich, dass, je größer das variable Kapital, desto größer die Masse des produzierten Werts und Mehrwerts.

Ist die Grenze des Arbeitstags gegeben, ebenso die Grenze seines notwendigen Bestandteils, so hängt die Masse von Wert und Mehrwert, die ein einzelner Kapitalist produziert, offenbar ausschließlich ab von der Masse der Arbeit, die er in Bewegung setzt.“ K. Marx, Kapital I.: 323.

„Die Arbeit, die vom Gesamtkapital einer Gesellschaft tagaus, tagein in Bewegung gesetzt wird, kann als ein einziger Arbeitstag betrachtet werden. ... Bei gegebner Länge dieses Arbeitstags ... kann die Masse des Mehrwerts nur vermehrt werden durch Vermehrung der Arbeiteranzahl, d.h. der Arbeiterbevölkerung. ...  Man wird im folgenden Kapitel sehen, dass dies Gesetz nur für die bisher behandelte Form des Mehrwerts gilt.“  K. Marx, Kapital I.: 325.

„Das ... Gesetz nimmt ... die Form an: Die von verschiednen Kapitalen produzierten Massen von Wert und Mehrwert verhalten sich bei gegebnem Wert und gleich großem Exploitationsgrad der Arbeitskraft direkt wie die Größen der variablen Bestandteile dieser Kapitale, d.h. ihrer in lebendige Arbeitskraft umgesetzten Bestandteile.

Dies Gesetz widerspricht offenbar aller auf den Augenschein gegründeten Erfahrung. Jedermann weiß, dass ein Baumwollspinner, der ... relativ viel konstantes und wenig variables Kapital anwendet, deswegen keinen kleineren Gewinn oder Mehrwert erbeutet als ein Bäcker, der relativ viel variables und wenig konstantes Kapital in Bewegung setzt. Zur Lösung dieses scheinbaren Widerspruchs bedarf es noch vieler Mittelglieder... “ K. Marx, Kapital I.: 325.

(Die Ausgleichung der Profitrate, die dem zu Grund liegt, wird ausführlich im 3. Buch behandelt).

Was macht einen Selbständigen zum Kapitalisten?

„Aus der bisherigen Betrachtung der Produktion des Mehrwerts ergibt sich, dass nicht jede beliebige Geld- oder Wertsumme in Kapital verwandelbar ist, zu dieser Verwandlung vielmehr ein bestimmtes Minimum von Geld oder Tauschwert in der Hand des einzelnen Geld- oder Warenbesitzers vorausgesetzt ist.“ K. Marx, Kapital I.: 326

Vorausgesetzt ein Arbeiter kann durch 6 Stunden täglicher Arbeit seinen Lebensunterhalt bestreiten.

Ein Unternehmer, der fremde Arbeiter einstellt, müsste dann bei einem 8-stündigen Arbeitstag, der dann 2 Stunden Mehrarbeit enthält, schon 3 Arbeiter beschäftigen, um von dem von 3 Arbeitern in 6 Stunden geschaffenen Mehrwert nur so leben zu können wie seine Arbeiter.

„Allerdings kann er selbst, gleich seinem Arbeiter, unmittelbar Hand im Produktionsprozess anlegen, aber ist dann auch nur ein Mittelding zwischen Kapitalist und Arbeiter, ein Kleinkapitalist oder Kleinbürger.“ K. Marx, Kapital I.: 326.

Falls so ein Kleinkapitalist oder selbständiger Handwerker z. B. 4 Stunden am Tag produktiv mitarbeitet, und die anderen 4 Stunden am Tag seinem Kapitalfunktionen (Kauf/Verkauf, Buchhaltung etc) nachgeht, muss er noch einen weiteren Arbeiter einstellen, um mit dessen 2 Stunden Mehrarbeit wenigstens auf einen Lebensunterhalt zu kommen, der 6 Stunden täglicher Arbeit oder dem Niveau seines eigenen Arbeiters entspricht.

„Ein gewisser Höhegrad der kapitalistischen Produktion bedingt, dass der Kapitalist die ganze Zeit, während deren er als Kapitalist ...  funktioniert, zur Aneignung und daher Kontrolle fremder Arbeit und zum Verkauf der Produkte dieser Arbeit verwenden könne. Dann verwandelt sich „der Geld- oder Warenbesitzer ... erst wirklich in einen Kapitalisten.“ K. Marx, Kapital I.: 326-327.

„Das Minimum der Wertsumme, worüber der einzelne Geld- oder Warenbesitzer verfügen muss, um sich in einen Kapitalisten zu entpuppen, wechselt auf verschiednen Entwicklungsstufen der kapitalistischen Produktion und ist, bei gegebner Entwicklungsstufe, verschieden in verschiednen Produktionssphären, je nach ihren besonderen technischen Bedingungen.

Gewisse Produktionssphären machen schon in den Anfängen der kapitalistischen Produktion ein Minimum von Kapital nötig, das sich noch nicht in den Hand einzelner Individuen vorfindet. Dies veranlasst teils Staatssubsidien an solche Private .... teils Bildung von Gesellschaften mit gesetzlichem Monopol für den Betrieb gewisser Industrie- und Handelszweige – die Vorläufer der modernen Aktiengesellschaften.“ K. Marx, Kapital I.: 327-328.

„Wir halten uns nicht beim Detail der Veränderungen auf, die das Verhältnis von Kapitalist und Lohnarbeiter im Verlaufe des Produktionsprozesses erfuhr. ... Nur wenige Hauptpunkte seien hier betont.“ K. Marx, Kapital I.: 328.

„Innerhalb des Produktionsprozesses entwickelte sich das Kapital zum Kommando über die Arbeit, d. h. über die sich betätigende Arbeitskraft oder den Arbeiter selbst. Das personifizierte Kapital, der Kapitalist, passt auf, dass der Arbeiter sein Werk ordentlich und mit dem gehörigen Grad von Intensität verrichte. Das Kapital entwickelt sich ferner zu einem Zwangsverhältnis, welches die Arbeiterklasse nötigt, mehr Arbeit zu verrichten, als der enge Umkreis ihrer eignen Lebensbedürfnisse vorschrieb. Und als Produzent fremder Arbeitsamkeit, als Auspumper von Mehrarbeit und Auspresser von Arbeitskraft übergipfelt es an Energie, Maßlosigkeit und Wirksamkeit alle früheren auf direkter Zwangsarbeit beruhenden Produktionssysteme.“ K. Marx, Kapital I.: 328.

„Betrachten wir den Produktionsprozess unter dem Gesichtspunkt des Arbeitsprozesses, so verhielt sich der Arbeiter zu den Produktionsmitteln ... als bloßem Mittel und Material seiner zweckmäßigen produktiven Tätigkeit. In einer Gerberei z. B. behandelt er die Felle als seinen bloßen Arbeitsgegenstand. Es ist nicht der Kapitalist, dem er das Fell gerbt.

Anders, sobald wir den Produktionsprozess unter dem Gesichtspunkt des Verwertungsprozesses betrachten. Die Produktionsmittel verwandelten sich sofort in Mittel zu Einsaugung fremder Arbeit. Es ist nicht mehr der Arbeiter, der die Produktionsmittel anwendet, sondern es sind die Produktionsmittel, die den Arbeiter anwenden. Statt von ihm als stoffliche Elemente seiner produktiven Tätigkeit verzehrt zu werden, verzehren sie ihn. ...

Schmelzöfen und Arbeitsgebäude, die des Nachts ruhen und keine lebendige Arbeit einsaugen, sind ‚reiner Verlust’ für den Kapitalisten. Darum begründen Schmelzöfen und Arbeitsgebäude einen ‚Anspruch auf die Nachtarbeit’ der Arbeitskräfte.“  Kapital I.: 328-329.

 

Zur Methode dieser Online-Lektüre:

Diese Kurzfassung aller drei Kapital-Bände verzichtet auf die Vertiefung von Einzelfragen, bietet aber den vollständigen Gedankengang von Marx' Hauptwerk im Zusammenhang und in seinen eigenen Worten.

Jedem neuen Abschnitt wird eine Zusammenfassung des bisherigen Gedankengangs vorangestellt.

Wo es dem Verständnis dient, wurden Fremdwörter, Maßeinheiten und teilweise auch Zahlenbeispiele modernisiert.

Diese und andere Textteile, die nicht wörtlich von Marx stammen, stehen in kursiver Schrift. Auslassungen im laufenden Text sind durch drei Punkte  ...  kenntlich gemacht. Hervorhebungen von Marx sind normal fett gedruckt. Jedes Zitat enthält die Seitenangabe der Marx-Engels-Werke, Bände 23 - 25.

Wal Buchenberg