Kapital 1.: 557- 564

16. Kapitel: Verschiedene Formeln für die Rate des Mehrwerts.

Es gibt zwei grundsätzlich verschiedene Weisen, den Ausbeutungsgrad oder die Rate des Mehrwerts darzustellen:
Entweder als zwei alternative Seiten eines Widerspruchs, die sich antagonistisch gegenüberstehen, oder als Anteil eines gemeinsamen „Kuchens“.
In der ersten Form stehen sich notwendige Arbeit und Mehrarbeit als mathematischer Bruch direkt gegenüber als m : v. In der zweiten Form wird nur eine Seite des Widerspruchs sichtbar, die andere wird verdeckt. Also zum Beispiel: ‚Mehrwert : Gesamtwert’ - dann verschwindet der Wert der Arbeitskraft oder ‚variables Kapital : Gesamtwert’ - dann verschwindet der Mehrwert.

„Die Darstellung von Mehrwert und Wert der Arbeitskraft als Bruchteil des Wertprodukts ... versteckt den spezifischen Charakter des Kapitalverhältnisses, nämlich den ... Ausschluss des Arbeiters vom Produkt.“ K. Marx, Kapital I.: 555.

VI. Abschnitt

Der Arbeitslohn

17. Kapitel

Verwandlung von Wert bzw. Preis der Arbeitskraft in Arbeitslohn

„Auf der Oberfläche der bürgerlichen Gesellschaft erscheint der Lohn des Arbeiters als Preis der Arbeit, ein bestimmtes Quantum Geld, das für ein bestimmtes Quantum Arbeit gezahlt wird...
Aber was ist der Wert einer Ware? Gegenständliche Form der in ihrer Produktion verausgabten gesellschaftlichen Arbeit.
Und wodurch messen wir die Größe ihres Werts? Durch die Größe der in ihr enthaltenen Arbeit.
Wodurch wäre also der Wert z.B. eines achtstündigen Arbeitstages bestimmt? Durch die in einem Arbeitstag von 8 Stunden enthaltenen 8 Arbeitsstunden, was offenbar Unsinn ist.“ K. Marx, Kapital I.: 557.

„Der Arbeitstag von 8 Stunden stellt sich z. B. in einem Geldwert von 200 Euro dar. Entweder werden Äquivalente ausgetauscht, und dann erhält der Arbeiter für achtstündige Arbeit 200 Euro. Der Preis seiner Arbeit wäre gleich dem Preis seines Produkts. In diesem Fall produzierte er keinen Mehrwert für den Käufer seiner Arbeit... die Grundlage der kapitalistischen Produktion verschwände, aber grade auf dieser Grundlage verkauft er seine Arbeit und ist seine Arbeit Lohnarbeit.
Oder er erhält für 8  Stunden Arbeit weniger als 200 Euro, d. h. weniger als 8  Stunden Arbeit. Acht Stunden Arbeit tauschen sich aus gegen 6, 4 usw. Stunden Arbeit. Diese Gleichsetzung ungleicher Größen hebt ... die Wertbestimmung auf.“ K. Marx, Kapital I.: 558.

„Was dem Geldbesitzer auf dem Warenmarkt direkt gegenüber tritt, ist in der Tat nicht die Arbeit, sondern der Arbeiter. Was letzterer verkauft, ist seine Arbeitskraft. Sobald seine Arbeit wirklich beginnt, hat sie bereits aufgehört, ihm zu gehören, kann also nicht mehr von ihm verkauft werden.“ K. Marx, Kapital I.: 559.
Was die politische Ökonomie „Wert der Arbeit ... nennt, ist in der Tat der Wert der Arbeitskraft, die in der Persönlichkeit des Arbeiters existiert und von ihrer Funktion, der Arbeit, ebenso verschieden ist wie eine Maschine von ihren Operationen.“ K. Marx, Kapital I.: 561.
 „Im Ausdruck ‚Wert der Arbeit‘ ist der Wertbegriff nicht nur völlig ausgelöscht, sondern in sein Gegenteil verkehrt. Es ist ein imaginärer Ausdruck, wie etwa Wert der Erde. Diese imaginären Ausdrücke entspringen jedoch aus den Produktionsverhältnissen selbst. Sie sind Kategorien für Erscheinungsformen wesentlicher Verhältnisse. Dass in der Erscheinung die Dinge sich oft verkehrt darstellen, ist ziemlich in allen Wissenschaften bekannt, außer in der politischen Ökonomie.“ K. Marx, Kapital I.: 559.

„Sehen wir zunächst, wie Wert und Preise der Arbeitskraft sich in ihrer verwandelten Form als Arbeitslohn darstellen.
Man weiß, dass der Tageswert der Arbeitskraft berechnet ist auf eine gewisse Lebensdauer des Arbeiters, welcher eine gewisse Länge des Arbeitstages entspricht. Nimm an, der gewohnheitsmäßige Arbeitstag betrage 8 Stunden und der Tageswert der Arbeitskraft sei 100 Euro, der Geldausdruck eines Werts, worin sich 4 Arbeitsstunden darstellen. Erhält der Arbeiter 100 Euro, so erhält er den Wert seiner während 8 Stunden funktionierenden Arbeitskraft. ...

Da der ‚Wert der Arbeit’ nur ein irrationaler Ausdruck für den ‚Wert der Arbeitskraft’ ist, ergibt sich von selbst, dass der Wert der Arbeit stets kleiner sein muss als ihr Wertprodukt, denn der Kapitalist lässt die Arbeitskraft stets länger funktionieren, als zur Reproduktion ihres eigenen Werts nötig ist.
Im obigen Beispiel ist der Wert der während 8 Stunden funktionierenden Arbeitskraft 100 Euro, ein Wert, zu dessen Reproduktion sie 4 Stunden braucht. Ihr Wertprodukt ist dagegen 200 Euro, weil sie in der Tat während 8 Stunden funktioniert, und ihr Wertprodukt nicht von ihrem eigenen Werte, sondern von der Zeitdauer ihrer Funktion abhängt.“ K. Marx, Kapital I.: 561.

Man sieht ... : Der Wert der 100 Euro, worin sich der bezahlte Teil des Arbeitstages, d.h. vierstündige Arbeit darstellt, erscheint als Wert oder Preis des Gesamtarbeitstages von 8 Stunden, welcher 4 unbezahlte Stunden enthält.“ K. Marx, Kapital I.: 562.

„Die Form des Arbeitslohns löscht also jede Spur der Teilung des Arbeitstags in notwendige Arbeit und Mehrarbeit, in bezahlte und unbezahlte Arbeit aus. Alle Arbeit erscheint als bezahlte Arbeit.
Bei der Fronarbeit unterscheiden sich räumlich und zeitlich, handgreiflich sinnlich, die Arbeit des Fronbauern für sich selbst und seine Zwangsarbeit für den Grundherrn.
Bei der Sklavenarbeit erscheint selbst der Teil des Arbeitstags, worin der Sklave nur den Wert seiner eignen Lebensmittel ersetzt, den er in der Tat also für sich selbst arbeitet, als Arbeit für seinen Meister. Alle seine Arbeit erscheint als unbezahlte Arbeit.
Bei der Lohnarbeit erscheint umgekehrt selbst die Mehrarbeit oder unbezahlte Arbeit als bezahlt. Dort verbirgt das Eigentumsverhältnis das Fürsichselbstarbeiten des Sklaven, hier das Geldverhältnis das Umsonstarbeiten des Lohnarbeiters...
Auf dieser Erscheinungsform, die das wirkliche Verhältnis unsichtbar macht und grade sein Gegenteil zeigt, beruhen alle Rechtsvorstellungen des Arbeiters wie des Kapitalisten, alle Selbsttäuschungen der kapitalistischen Produktionsweise, alle ihre Freiheitsillusionen, alle beschönigenden Flausen der Vulgärökonomie.“ K. Marx, Kapital I.: 562.

 „Stellen wir uns auf den Standpunkt des Arbeiters, der für achtstündige Arbeit z.B. ... 100 Euro erhält, so ist für ihn in der Tat seine achtstündige Arbeit das Kaufmittel der 100 Euro. K. Marx, Kapital I.: 563.

(Der Lohnarbeiter wird „für acht Stunden“ bezahlt, also scheint es sich bei allen acht Stunden um „bezahlte Arbeit“ zu handeln. Man kann aber die Teilung der Arbeitszeit in notwendige Arbeit und Mehrarbeit ebenso als Teilung jeder Stunde, jeder Minute oder jeder Sekunde ansehen: Dann arbeitet der Arbeiter in jeder Stunde, Minute oder Sekunde teils für seine Reproduktion, teils für den Mehrwert des Kapitalisten. wb)

 

„Nehmen wir andrerseits den Kapitalisten...  Er sucht alle Ware möglichst billig zu kaufen und erklärt sich überall seinen Profit aus der einfachen Prellerei, dem Kauf unter und dem Verkauf über dem Wert. Er kommt daher nicht zur Einsicht, dass, wenn so ein Ding wie Wert der Arbeit wirklich existierte, und er diesen Wert wirklich zahlte, kein Kapital existieren, sein Geld sich nicht in Kapital verwandeln würde.“ K. Marx, Kapital I.: 564.

„Zudem zeigt die wirkliche Bewegung des Arbeitslohns Phänomene, die zu beweisen scheinen, dass nicht der Wert der Arbeitskraft bezahlt wird, sondern der Wert ihrer Funktion, der Arbeit selbst.
Diese Phänomene können wir auf zwei große Klassen zurückführen.
Erstens: Wechsel des Arbeitslohns mit wechselnder Länge des Arbeitstags...
Zweitens: Der individuelle Unterschied in den Arbeitslöhnen verschiedner Arbeiter, welche dieselbe Funktion verrichten.“ K. Marx, Kapital I.: 564.

Dazu in den folgenden Kapiteln: 18. Kapitel: Zeitlohn und 19. Kapitel: Stücklohn.

 

Zur Methode dieser Online-Lektüre:

Diese Kurzfassung aller drei Kapital-Bände verzichtet auf die Vertiefung von Einzelfragen, bietet aber den vollständigen Gedankengang von Marx' Hauptwerk im Zusammenhang und in seinen eigenen Worten.

Jedem neuen Abschnitt wird eine Zusammenfassung des bisherigen Gedankengangs vorangestellt.

Wo es dem Verständnis dient, wurden Fremdwörter, Maßeinheiten und teilweise auch Zahlenbeispiele modernisiert.

Diese und andere Textteile, die nicht wörtlich von Marx stammen, stehen in kursiver Schrift. Auslassungen im laufenden Text sind durch drei Punkte  ...  kenntlich gemacht. Hervorhebungen von Marx sind normal fett gedruckt. Jedes Zitat enthält die Seitenangabe der Marx-Engels-Werke, Bände 23 - 25.

Wal Buchenberg