Kapital 3.: 607 - 626
36. Kapitel
Vorkapitalistisches vom Zinskapital
„Das zinstragende Kapital, oder wie wir es in seiner altertümlichen Form bezeichnen können, das Wucherkapital, gehört mit seinem Zwillingsbruder, dem kaufmännischen Kapital, zu den uralten Formen des Kapitals, die der kapitalistischen Produktionsweise lange vorhergehen und sich in den verschiedensten ökonomischen Gesellschaftsformationen vorfinden.
Die Existenz des Wucherkapitals erfordert nichts, als dass wenigstens ein Teil der Produkte sich in Waren verwandelt und zugleich mit dem Warenhandel das Geld sich in seinen verschiedenen Funktionen entwickelt hat.
Die Entwicklung des Wucherkapitals schließt sich an die des Kaufmannskapitals und speziell an die des Geldhandlungskapitals.
Im alten Rom, von den letzten Zeiten der Republik an, wo die Manufaktur tief unter der antiken Durchschnittsentwicklung stand, war Kaufmannskapital, Geldhandlungskapital und Wucherkapital - innerhalb der antiken Form - auf den höchsten Punkt entwickelt.“ K. Marx, Kapital 3. : 607.
„Man hat gesehen, wie sich mit dem Geld notwendig die Schatzbildnerei einfindet. Der professionelle Schatzbildner wird jedoch erst wichtig, sobald er sich in den Wucherer verwandelt.“ K. Marx, Kapital 3. : 607.
„In allen Formen, worin die Sklavenwirtschaft (nicht patriarchalisch, sondern wie in den späteren griechischen und römischen Zeiten) als Mittel der Bereicherung besteht, wo Geld also Mittel ist, durch Ankauf von Sklaven, Land etc. fremde Arbeit anzueignen, wird das Geld, eben weil es so angelegt wird, als Kapital verwertbar, zinstragend.“ K. Marx, Kapital 3. 608.

„Die charakteristischen Formen jedoch, worin das Wucherkapital in den Vorzeiten der kapitalistischen Produktionsweise existiert, sind zweierlei. Ich sage charakteristische Formen. Dieselben Formen wiederholen sich auf Basis der kapitalistischen Produktion, aber bloß als untergeordnete Formen. Sie sind hier nicht mehr die Formen, die den Charakter des zinstragenden Kapitals bestimmen.
Diese beiden Formen sind:
erstens, der Wucher durch Geldverleihen an verschwenderische Große, wesentlich Grundeigentümer;
zweitens, Wucher durch Geldverleihen an den kleinen, im Besitz seiner eigenen Arbeitsbedingungen befindlichen Produzenten, worin der Handwerker eingeschlossen ist, aber ganz speziell der Bauer, da überhaupt in vorkapitalistischen Zuständen, soweit sie kleine selbständige Einzelproduzenten zulassen, die Bauernklasse deren große Majorität bilden muss.
Beides, sowohl der Ruin der reichen Grundeigentümer durch den Wucher, wie die Aussaugung der kleinen Produzenten führt zur Bildung und Konzentration großer Geldkapitalien.“ K. Marx, Kapital 3. : 608.
“Wieweit aber dieser Prozess die alte Produktionsweise aufhebt, wie dies im modernen Europa der Fall war, und ob er an ihrer Stelle die kapitalistische Produktionsweise setzt, hängt ganz von der historischen Entwicklungsstufe und den damit gegebenen Umständen ab.“ K. Marx, Kapital 3. : 608.
„Der Wucher zentralisiert Geldvermögen, wo die Produktionsmittel zersplittert sind. Er ändert die Produktionsweise nicht, sondern saugt sich an sie als Parasit fest und macht sie miserabel. ... Daher der populäre Hass gegen den Wucher, am höchsten in der antiken Welt, wo das Eigentum an seinen Produktionsbedingungen zugleich Basis der politischen Verhältnisse, der Selbständigkeit des Staatsbürgers war.“ K. Marx, Kapital 3. : 610.
„Das Wucherkapital besitzt die Ausbeutungsweise des Kapitals ohne seine Produktionsweise.“ K. Marx, Kapital 3. : 611.
„Erst wo und wann die übrigen Bedingungen der kapitalistischen Produktionsweise vorhanden sind, erscheint der Wucher als eines der Bildungsmittel der neuen Produktionsweise, durch Ruin der Feudalherren und der Kleinproduktion einerseits, durch Zentralisation der Arbeitsbedingungen zu Kapital andererseits.“ K. Marx, Kapital 3. : 611.
 „Was der verschwenderische und korrumpierende Reichtum will, ist Geld als Geld, Geld als Mittel, alles zu kaufen. (Auch zum Schuldenzahlen.) Wozu der kleine Produzent vor allem Geld braucht, ist zum Zahlen.“ K. Marx, Kapital 3. : 612.
„Die Funktion des Geldes als Zahlungsmittel ist ... das eigentliche, große und eigentümliche Terrain des Wuchers. Jede an bestimmten Termin fällige Geldleistung, Grundzins, Tribut, Steuer etc., bringt die Notwendigkeit einer Geldzahlung mit sich. Daher setzt der Wucher im großen von den alten Römern bis auf die modernen Zeiten an die Steuerpächter ... an. Dann entwickelt sich mit dem Handel und der Verallgemeinerung der Warenproduktion die zeitliche Trennung von Kauf und Zahlung. Das Geld ist an bestimmtem Termin zu liefern.“ K. Marx, Kapital 3. : 613.
„Die Entwicklung des Kreditwesens vollbringt sich als Reaktion gegen den Wucher...
Es bedeutet nichts mehr und nichts weniger als die Unterordnung des zinstragenden Kapitals unter die Bedingungen und Bedürfnisse der kapitalistischen Produktionsweise. Im großen und ganzen wird das zinstragende Kapital im modernen Kreditsystem den Bedingungen der kapitalistischen Produktion angepasst.
Der Wucher als solcher existiert nicht nur fort, sondern wird bei den Völkern entwickelter kapitalistischer Produktion von den Schranken befreit, die ihm alle ältere Gesetzgebung gezogen hat. Das zinstragende Kapital behält die Form von Wucherkapital gegenüber Personen und Klassen oder in Verhältnissen, wo nicht im Sinn der kapitalistischen Produktionsweise geborgt wird und geborgt werden kann; wo aus individueller Not geborgt wird wie im Pfandhaus; wo dem genießenden Reichtum für Verschwendung geborgt wird; oder wo der Produzent nichtkapitalistischer Produzent ist, kleiner Bauer, Handwerker etc.... endlich wo der kapitalistische Produzent selbst auf so kleiner Stufenleiter produziert, dass er sich jenen selbst arbeitenden Produzenten nähert.“ K. Marx, Kapital 3. : 613f.
„Was das zinstragende Kapital, soweit es ein wesentliches Element der kapitalistischen Produktionsweise bildet, vom Wucherkapital unterscheidet, ist in keiner Weise die Natur oder der Charakter dieses Kapitals selbst. Es sind nur die veränderten Bedingungen, unter denen es fungiert, und daher auch die total verwandelte Gestalt des Borgers, der dem Geldverleiher gegenübertritt.
Selbst wo ein vermögensloser Mann als Industrieller oder Kaufmann Kredit erhält, geschieht es in dem Vertrauen, dass er als Kapitalist fungieren, unbezahlte Arbeit aneignen wird mit dem geliehenen Kapital. Es wird ihm Kredit gegeben als potentiellem Kapitalisten.“ K. Marx, Kapital 3. : 614.
„Und dieser Umstand..., dass ein Mann ohne Vermögen, aber mit Energie, Solidität, Fähigkeit und Geschäftskenntnis sich in dieser Weise in einen Kapitalisten verwandeln kann ..., befestigt die Herrschaft des Kapitals selbst, erweitert ihre Basis und erlaubt ihr, sich mit stets neuen Kräften aus der gesellschaftlichen Unterlage zu rekrutieren.
Ganz wie der Umstand, dass die katholische Kirche im Mittelalter ihre Hierarchie ohne Ansehen von Stand, Geburt, Vermögen aus den besten Köpfen im Volk bildete, eine Hauptbefestigungsmittel der Pfaffenherrschaft und der Unterdrückung der Laien war.
Je mehr eine herrschende Klasse fähig ist, die bedeutendsten Männer der beherrschten Klassen in sich aufzunehmen, desto solider und gefährlicher ist ihre Herrschaft.
Statt des Bannfluchs gegen das zinstragende Kapital überhaupt, ist es daher umgekehrt sein ausdrückliche Anerkennung, wovon die Initiatoren des modernen Kreditsystems ausgehen.“ K. Marx, Kapital 3. : 614.
„Die Kreditassoziationen, die sich im 12. und 14. Jahrhundert in Venedig und Genua bildeten, entsprangen aus dem Bedürfnis des Seehandels und des auf denselben gegründeten Großhandels, sich von der Herrschaft des altmodischen Wuchers und den Monopolisierern des Geldhandels zu emanzipieren.
Wenn die eigentlichen Banken, die in diesen Stadtrepubliken gestiftet wurden, zugleich als Anstalten für den öffentlichen Kredit sich darstellen, von denen der Staat Vorschüsse auf einzunehmende Steuern erhielt, so darf nicht vergessen werden, dass die Kaufleute, die jene Assoziationen bildeten, selbst die ersten Leute jener Staaten und ebenso interessiert waren, die Regierung wie sich selbst vom Wucher zu emanzipieren und zugleich sich den Staat dadurch mehr und sicherer zu unterwerfen.“ K. Marx, Kapital 3. : 613.
„Während des ganzen 18. Jahrhunderts ertönt - und die Gesetzgebung handelt in diesem Sinn - ... der Schrei nach gewaltsamer Herabsetzung des Zinsfußes, um das zinstragende Kapital dem kommerziellen und industriellen unterzuordnen statt umgekehrt.“ K. Marx, Kapital 3. : 616.
„Diese gewaltsame Bekämpfung des Wuchers, diese Forderung der Unterordnung des zinstragenden unter das industrielle Kapital ist nur der Vorläufer der organischen Schöpfungen, die diese Bedingungen der kapitalistischen Produktion im modernen Bankwesen herstellen, das einerseits das Wucherkapital seines Monopols beraubt, indem es alle tot liegenden Geldreserven konzentriert und auf den Geldmarkt wirft, andererseits das Monopol der edlen Metalle selbst durch Schöpfung des Kreditgeldes beschränkt.“ K. Marx, Kapital 3. : 617.
„Das Banksystem ist, der formellen Organisation und Zentralisation nach... das künstlichste und ausgebildetste Produkt, wozu es die kapitalistische Produktionsweise überhaupt bringt. Daher die ungeheure Macht eines Instituts wie die Bank von England auf Handel und Industrie, obgleich deren wirkliche Bewegung ganz außerhalb ihres Bereichs bleibt und sie sich passiv dazu verhält. Es ist damit allerdings die Form einer allgemeinen Buchführung und Verteilung der Produktionsmittel auf gesellschaftlicher Stufenleiter gegeben, aber auch nur die Form.
Wir haben gesehen, dass der Durchschnittsprofit des einzelnen Kapitalisten, oder jedes besonderen Kapitals, bestimmt ist nicht durch die Mehrarbeit, die dies Kapital in erster Hand aneignet, sondern durch das Quantum von Gesamtmehrarbeit, die das Gesamtkapital aneignet und wovon jedes besondere Kapital nur als proportionaler Teil des Gesamtkapitals seine Dividende zieht. Dieser gesellschaftliche Charakter des Kapitals wird erst vermittelt und vollauf verwirklicht durch volle Entwicklung des Kredit- und Banksystems.
Andererseits geht dies weiter. Es stellt den industriellen und kommerziellen Kapitalisten alles disponible und selbst potentielle, nicht bereits aktiv engagierte Kapital der Gesellschaft zur Verfügung, so dass weder der Verleiher noch der Anwender dieses Kapitals dessen Eigentümer oder Produzenten sind.
Es hebt damit den Privatcharakter des Kapitals auf  und enthält so an sich (im Keim)... die Aufhebung des Kapitals selbst.
Durch das Bankwesen ist die Verteilung des Kapitals den Händen der Privatkapitalisten und Wucherern als ein besonderes Geschäft, als gesellschaftliche Funktion entzogen. Bank und Kredit werden aber dadurch zugleich das kräftigste Mittel, die kapitalistische Produktion über ihre eigenen Schranken hinauszutreiben, und eins der wirksamsten Vehikel der Krisen und des Schwindels.
Das Banksystem zeigt ferner durch die Ersetzung verschiedener Formen von zirkulierendem Kredit (Banknoten, Papiergeld) an Stelle des Geldes, dass das Geld in der Tat nichts anderes ist als ein besonderer Ausdruck des gesellschaftlichen Charakters der Arbeit und ihrer Produkte, der aber als im Gegensatz zu der Basis der Privatproduktion stets in letzter Instanz als ein Ding, als besondere Ware neben anderen Waren sich darstellen muss.“ K. Marx, Kapital 3. : 620f.
„Endlich unterliegt es keinem Zweifel, dass das Kreditsystem als ein mächtiger Hebel dienen wird während des Übergangs aus der kapitalistischen Produktionsweise in die Produktionsweise der assoziierten Arbeit; jedoch nur als ein Element im Zusammenhang mit anderen großen organischen Umwälzungen der Produktionsweise selbst.
Dagegen entspringen die Illusionen über die wunderwirkende Macht des Kredit- und Bankwesens, im sozialistischen Sinn, aus völliger Unkenntnis der kapitalistischen Produktionsweise und des Kreditwesens als einer ihrer Formen.
Sobald die Produktionsmittel aufgehört haben, sich in Kapital zu verwandeln (worin auch die Aufhebung des Privateigentums eingeschlossen ist), hat der Kredit also solcher keinen Sinn mehr...
Solange andererseits die kapitalistische Produktionsweise fortdauert, dauert das zinstragende Kapital als eine ihrer Formen fort und bildet in der Tat die Basis ihres Kreditsystems.“ K. Marx, Kapital 3. : 621.
„Wir haben gesehen, dass das Kaufmannskapital und das zinstragende Kapital die ältesten Formen des Kapitals sind. Es liegt aber in der Natur der Sache, dass das zinstragende Kapital in der Volksvorstellung sich als die Form des Kapitals als solches darstellt.
Im Kaufmannskapital findet eine vermittelnde Tätigkeit statt, möge sie nun als Prellerei, Arbeit oder wie immer ausgelegt werden. Dagegen stellt sich im zinstragenden Kapital der selbstreproduzierende Charakter des Kapitals, der sich verwertende Wert, die Produktion des Mehrwerts, als okkulte Qualität rein dar.“ K. Marx, Kapital 3. : 622.

Diese Kurzfassung aller drei Kapital-Bände online verzichtet auf die Vertiefung von Einzelfragen, bietet aber den vollständigen Gedankengang von Marx' Hauptwerk im Zusammenhang und in seinen eigenen Worten.
Jedem neuen Abschnitt geht eine Zusammenfassung des vorherigen Abschnitts voran.
Auslassungen im laufenden Text sind durch drei Punkte  ...  kenntlich gemacht.
Hervorhebungen von Marx sind
normal fett gedruckt.
Die Seitenangaben beziehen sich auf die Ausgabe der Marx-Engels-Werke, Bände 23 - 25.
Wo es dem Verständnis dient, habe ich veraltete Fremdwörter, alte Maßeinheiten und teilweise auch Zahlenangaben  modernisiert. Alle diese und andere Textteile, die nicht wörtlich von Marx stammen, stehen in kursiver Schrift.
Rückfragen zum Text werde ich möglichst rasch beantworten. Kritik und Anregungen sind jederzeit willkommen.
Wal Buchenberg