Exportabhängigkeit?

Mitten in der aktuellen Krise zerbrechen sich Wirtschaftsexperten die Köpfe, wie die nächste und übernächste Krise vermieden werden könnten.
Das neueste Streitthema sind globale „Ungleichgewichte“ – so als hätte es jemals im kapitalistischen Weltsystem „Gleichgewicht“ gegeben.


Die Rede ist aber nicht von den „Ungleichgewichten“ zwischen den reichen spätkapitalistischen Ländern und armen Ländern der Dritten Welt – dieses „Ungleichgewicht“ spielt in der jetzigen Debatte keine Rolle mehr.

Gemeint sind die „Ungleichgewichte“ zwischen erfolgreichen und erfolglosen Kapitalistenstaaten.

So fordert der Weltwährungsfonds IWF: „Neben der Wiederherstellung der Angebotsseite muss sich auch die Struktur der globalen Nachfrage ändern, damit sich die Wirtschaft nachhaltig erholen kann. Insbesondere müssen Länder, die exportorientierte Strategien verfolgten und hohe Leistungsbilanzüberschüsse aufgebaut haben, mehr auf Binnennachfrage setzen – namentlich die Schwellenländer in Asien und Deutschland und Japan.” (IWF, World Economic Outlook, Oktober 2009, Kapitel 1, S. 32)

Der britische “Economist” blast in dasselbe Horn und brachte unter der Überschrift „Time to rebalance“ ein Special über die kränkelnde Rolle der USA in der Weltwirtschaft. Der „Economist“ fordert: „Der Rest der Welt muss mehr konsumieren und sich weniger auf Exporte in die USA verlassen, sonst könnten die Ungleichgewichte zurückkehren.“
Dem folgt noch die Drohung: „Wenn der Rest der Welt den USA nicht zu Wachstum verhilft, dann müssen wir mit bösen Szenarios rechnen.“

Was auch immer das genau heißen mag: Die Welt ist in Gefahr und muss gerettet werden! Und die Welt kann nur gerettet werden, wenn die Deutschen weniger Waren exportieren und mehr selber konsumieren.
Diese Botschaft klingt wie Geigenklang in den Ohren der gewerkschaftsnahen Zeitschrift „Gegenblende“ und sie stimmt ein in den Chor:
„Eine zentrale Herausforderung für die Stabilität der Weltwirtschaft in den nächsten Jahren ist der Abbau der globalen Ungleichgewichte im Außenhandel. Dies betrifft in besonderem Maße Deutschland, welches als „Exportweltmeister“ stark von der Rezession betroffen ist. Daher wächst der Druck, durch eine kräftigere Binnennachfrage zum Abbau der hohen Außenhandelsdefizite der bisherigen Konjunkturlokomotiven wie den USA, Großbritannien oder Spanien beizutragen, die wegen ihrer hohen privaten Verschuldung zur Konsolidierung gezwungen sind.“

Die kapitalistische Welt im Allgemeinen und die USA um Besonderen müssen vor dem Untergang gerettet werden, und das kann nur geschehen durch höhere Löhne und mehr Konsum in den Deutschland? Ist das nicht eine frohe Botschaft, die jedem deutschen Gewerkschaftsfunktionär das Herz höher schlagen lässt?

Tatsache ist, Die private Nachfrage vor allem der Lohnabhängigen ist in Deutschland seit Jahren gedrückt worden durch niedrige Lohnabschlüsse, durch Ausweitung des Niedriglohnsektors und durch menschenunwürdige Almosen für Arbeitslose und Arbeitsunfähige.

Das ist sogar dem Weltwährungsfonds aufgefallen und er fragt ganz unschuldig: „Es stellt sich in diesem Kontext die Frage, ob und wie die jahrelange Lohnzurückhaltung und Einkommensumverteilung von unten nach oben mit den deutschen Exporterfolgen bei gleichzeitiger Schwäche von Konsum- und Binnennachfrage zusammenhängen?“ Ja, was denn sonst?

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Die Gewerkschaftszeitung „Gegenblende“ mahnt deshalb:
„Folgt man dieser Analyse, bedarf es – insbesondere auch in Deutschland – einer gleichmäßigeren Einkommensverteilung, um die latente Nachfrageschwäche und damit die gesamtwirtschaftliche Krisenanfälligkeit zu überwinden.“

Das ist das alte Liedlein der Reformlinken, das Eiapopeia von Lohnerhöhungen, die dem Kapital nützen sollen. In Kapitalistenohren klingt dieses Liedchen garstig, in den Ohren der Lohnarbeiter einschläfernd.

Die "Nachfrageschwäche" des Binnenmarktes schafft die Basis für die "Exportstärke" auf dem Weltmarkt. Man kann das eine nicht ohne das andere haben. In der Krise verwandelte sich die "Exportstärke" der deutschen Kapitalisten plötzlich in eine "Exportabhängigkeit".

Was ist denn nun dran an der „Krisenanfälligkeit“ des deutschen Exports und der „Exportabhängigkeit“ der deutschen Kapitalisten?

Die folgende Tabelle zeigt die Entwicklung der deutschen Wirtschaft von 2007 bis 2009 und den Beitrag, den die drei Hauptbereiche der Wirtschafts (Außenhandel, Investment, Konsum) dazu beitrugen.

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Bei den grünen Säulenteilen (Privatverbrauch, Konsumtionsmittelsektor) fällt auf, dass sie nur wenig um die Nulllinie schwanken. Der private Verbrauch ist im Kapitalismus eine relative stabile Größe.
Die blauen Säulensegmente (Investment, Produktionsmittelsektor) expandieren oder schrumpfen in größerem Maße als der Konsum.
Am deutlichsten variieren aber die gelben Säulensegmente (Außenhandel). Sie zeigen die größten Ausschläge in den positiven wie in den negativen Bereich. Die deutsche Exportmaschine hat daher im Krisenjahr 2009 nicht nur ihren Weltmeistertitel verloren, sondern auch einen tieferen Wirtschaftseinbruch erlebt als die meisten anderen Industriestaaten der Welt.

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Die starken Schwankungen der Auslandsnachfrage bilden die Grundlage für die Klage der Reformlinken, dass der Außenhandel „krisenanfällig“ sei. Der Außenhandel ist jedoch nicht nur „krisenanfällig“, sondern ist auch der Bereich, der am raschesten expandiert und für schnelleres Profitwachstum sorgt. Eine expandierende Auslandsnachfrage ist der kapitalistische Hoffnungsträger, der sie schnell wieder aus der Krise herausführen soll.

Wer den Außenhandel beschränken und beschneiden will, will gleichsam einen „Kapitalismus auf Sparflamme“.

Auf dem kapitalistischen Weltmarkt gilt aber kein anderes Gesetz als auf dem Binnenmarkt: Fressen oder gefressen werden! Man kann nicht Beides haben: Hohe Profite und hohe Löhne. Der kapitalistische Profit hängt ab von niedrigen Produktionskosten und aufnahmefähigen Märkten.

Man kann durch Lohnerhöhungen die Binnennachfrage stärken, aber das steigert die Produktionskosten und schmälert den Profit. Niedriglöhner kaufen keine Windanlagen. HartzIV-Empfänger kaufen keine BMWs.
Oder man senkt durch Niedriglohnsektor und Nullrunden das Lohnniveau und die Produktionskosten, das orientiert den Absatz auf den Weltmarkt.
Der Kapitalbedarf und die Kapitalzusammensetzung für die Produktion bestimmter Waren wie Autos oder Flugzeuge ist so gestiegen, dass kein Kapitalist solche Waren herstellen kann, der nicht von vorneherein für den Weltmarkt produziert.

Das Erfolgsrezept der deutschen Exportmaschine heißt: Möglichst billig produzieren, möglichst weltweit verkaufen. Der deutsche Binnenmarkt stagniert seit Jahren und die deutsche Exportmaschine ist längst zu groß geworden, um nur für den Binnenmarkt zu produzieren.

Dass dieses Rezept auch an Grenzen stößt, wenn die Abnehmer im Ausland verschuldet sind, das kann die Kapitalisten in Deutschland nicht kümmern. Ihr Motto heißt immer noch: Nach uns die Sintflut!
Falls ein Markt durch Überschuldung „verstopft“, versuchen die Kapitalisten auf andere Märkte auszuweichen.

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Die Aktienkrise von 2001 bremste auf dem US-Markt und in Großbritannien den deutschen Export. Dafür wurden mehr deutsche Waren in das südliche Europa verkauft.

Die Phantasien der deutschen Reformlinken scheitern am kapitalistischen Profitzwang.
Die Phantasien der deutschen Kapitalisten scheitern einerseits an der Überschuldung ihrer Kunden für Konsumtionsmittel und andererseits an der zunehmenden Konkurrenz ihrer Kunden für Produktionsmittel.
In den PIICS-Staaten und in den angelsächsischen Schuldenstaaten beschleunigen deutsche Konsumwaren den Ruin ihrer bisherigen Abnehmer.
In den BRIC-Staaten und „emerging markets“ stärken und fördern hochwertige deutsche Produktionsanlagen ihre künftigen Konkurrenten, die deutsche Waren langfristig aus dem Weltmarkt werfen werden.
Ja, wir müssen mit „bösen Szenarien“ in der Weltwirtschaft rechnen.

Wal Buchenberg, 07.04.2010