Der Goldsteig im Bayerischen Wald

Wo – wie im Bayerischen Wald - genügend große Waldstücke wegen ungünstigem Klima und unwegsamem Gelände für kapitalistische Holzwirtschaft unrentabel sind, werden Naturparks eingerichtet. Damit endet nicht die wirtschaftliche Nutzung, sie ändert sich nur.

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Statt des Holzes einzelner Bäume wird der Wald, ein begrenztes Stück Natur, zur Ware.
Vermarktet wird diese Ware unter anderem mit dem Logo „Goldsteig“. Früher war das ein Stück eines Europäischen Fernwanderweges. Im Jahr 2006 wurde ein Stück dieses markierten Wanderweges als „Goldsteig“ „rebranded“ und wird nun als einer der „Top Trails of Germany“ gepriesen.

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Naturparks mit ihren Wanderwegen werden von denselben Leuten und mit denselben Zielsetzungen angelegt, wie Stadtparks mit Spazierwegen: Die Parks sollen viele Besucher anlocken, aber diesen Besuchern wird mit Betreten des Parks alle Selbstbestimmung aberkannt.
Alles, was irgendwie Spaß macht und interessant sein könnte, ist verboten.

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Zwischen den Park-Besuchern und ihrem Naturerlebnis steht die behördliche Parkordnung.
Solange der Besucher des Bayerischen Waldes in der Gaststube oder auf der Cafe-Terrasse sitzt, ist er zahlender Gast, der umsorgt wird.
Sobald er aber die Verdienstzonen des Gaststättengewerbes verlassen hat und den Wald als sein eigentliches Ziel betritt, wird er zum potentiellen Störenfried, der kontrolliert, reglementiert und bevormundet werden muss.
Die Höhen des Bayerischen Waldes sind flächendeckend beschildert mit Gebots- und Verbotstafeln, mit Hinweistafeln und Wegweisern in allen Farben.

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Eigene Wege und eigene Rastplätze soll/darf sich niemand suchen. Mit Verlassen der touristischen Verdienstzone wird der Gast zum „Terrouristen“, wie es einige Einheimische nennen.

Soweit sich die „Terrouristen“ sich an das Wegegebot halten, werden sie durch belehrende Hinweistafeln zu Schülerinnen und Schülern. Die eigene Naturerfahrung der Wanderer wird überlagert und überdeckt durch die belehrende Gedankenwelt der geistigen Schöpfer und Herren des Naturparks. Die Wanderung wird zur Schulstunde.

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Auf die Spitze getrieben wird diese Verkindlichung der Wanderer auf den höchsten Bergspitzen des Bayerischen Waldes, wo die Wege mit einer Art Laufställchen eingezäunt sind. Die Wanderer schrumpfen dort im behördlichen Auftrag zu Kleinkindern.

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Die Wälder in den oberen Bergregionen von Arber, Rachel und Lusen, das Herzstück des Goldsteigs und des Bayerischen Waldes, sind nun seit rund 15 Jahren abgestorben.

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Die Macher und Verwalter des Naturparks leugnen auf vielen Schautafeln ausdrücklich und immer wieder eine menschliche (profitliche) Verantwortung für diese Zerstörung und geben den Borkenkäfern die Schuld.
Das liegt auf einer geistigen Ebene mit der Behauptung des polnischen Innenministers, an dem derzeitigen, verheerenden Hochwasser der Oder seien die Biber schuld.
Einer der wirklichen Gründe für das Waldsterben sind die kapitalistischen Sünden der früheren Waldwirtschaft, die Fichten-Monokultur.

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Übrigens geht es den Siedlungen im Bayerischen Wald nicht viel anders als den hohen Bergrücken: Sie sind tot, aber nett hergerichtet.

Egal, wo man sich befindet, man schaut immer und überall auf sauber gekalkte Wunschhäuser mit kurzgeschorenem Rasen in einer eingezäunten Parkanlage.
Die dort wohnenden Menschen sieht man allerdings selten. Sie sind bis zu 70 oder 80 km am Tag zu ihrer Arbeitsstätte unterwegs.
Noch seltener trifft man in diesen Wohnsiedlungen auf Läden. Wir sind über 60 km gewandert, bis wir eine Metzgerei fanden und über 100 km bis zu einem Lebensmittelladen.

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Der Luchs spielt im Bayerischen Wald die Rolle, die in alten Schlössern die Gespenster spielen: Niemand bekommt sie zu Gesicht und doch locken sie Besucher an.

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Beim Stadtpark ist es ganz selbstverständlich, beim Naturpark wird es bald zur Regel: gebührenpflichtige Parkplätze.

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Weil der zerstörte Wald und die reglementierte Natur im Bayerischen Wald den Besuchern nicht genügende Reiz und Belebung ihrer Sinne bietet, wurden künstliche „Erlebniswelten“ geschaffen wie dieses Kunstwerk „Arche“ im zerstörten Hochwald auf dem Lusen.

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Anderswo ist ein „Schnapsmuseum“ zu besichtigen, ein „Baumwipfelpfad“ zu ersteigen, ein „Keltendorf“ oder eine „Westernstadt“ zu besuchen: Kunstwelten statt Naturnähe und Naturerleben.
Hier wird auf 1000 Meter Höhe eine Freilichtbühne im Wald errichtet.

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Man lege ein Stück Aas in die Natur und es kommen Elster, Raben und Füchse und essen sich satt. Das sind die Tagesgäste. Dann nehmen dort Käfer, Würmer und Schnecken Quartier. Das sind Übernachtungsgäste.
Die Tourismusindustrie ist eine Kadaverwirtschaft.
Aber anders als in der Natur erhält sich und wächst der Kadaver im Kapitalismus, weil er für seine Dienste zahlen lässt.

Im März 2010 wurden nach vorläufigen Ergebnissen des Statistischen Bundesamtes (Destatis) in Deutschland 24,5 Millionen Gästeübernachtungen in Beherbergungsstätten mit neun oder mehr Betten und auf Campingplätzen gezählt. Damit stieg die Anzahl der Übernachtungen gegenüber März 2009 um 6%. Auf inländische Gäste entfielen im März 2010 rund 20,8 Millionen Übernachtungen (+ 5%) und auf Gäste aus dem Ausland 3,7 Millionen (+ 8%).

Nachzutragen ist: Eine Übernachtung kostet gegenwärtig im Bayerischen Wald pro Person und Nacht 25 bis 30 Euro. Bis auf die Berghütten auf Falkenstein, Rachel und Lusen (rühmliche Ausnahme: das Arber-Schutzhaus) sind alle Zimmer sauber und komfortabel.
Eine warme Mahlzeit mit Getränk bekommt man überall für 10 Euro. Kulinarische Entdeckungen darf man jedoch nicht erwarten. Jede normale Autobahnraststätte kann an Vielfalt mit den Speisekarten im Bayerischen Wald mithalten.

Übrigens: Wer meine fragmentarischen Eindrücke aus dem Bayerischen Wald als Kritik an den Menschen versteht, die dort leben (müssen), der hat nichts verstanden.
Als wir mit dem lokalen Bus aus dem Bayerischen Wald nach Passau zurückfuhren, stieg eine Frau zu und verlangte vom Fahrer ein Einzelticket. Der Busfahrer fragte: „Wohin denn? Nach Paris? Oder nach London?“
Die Frau antwortete: „Egal! Irgendwohin, wo es warm ist!“
Die anderen Fahrgäste lachten, und meinten, da würde die Strecke bis Passau nicht reichen und schlugen Saudi Arabien als Ziel vor.

Wal Buchenberg, 26.Mai 2010