Landtagswahlen in Hessen und Niedersachen (2008)

Wahlen liefern der herrschenden Klasse eine Regierungsarithmetik für die farbliche Mischung ihrer Regierungsposten. Anderseits sind Wahlen auch Stimmungsbarometer für die Akzeptanz oder Ablehnung des amtierenden Regierungspersonals. Unsere Politikerklasse sieht in den Landtagswahlen von Hessen und Niedersachsen ganz unterschiedliche Resultate: Eine klare Abgeordnetenmehrheit ("Regierungsmehrheit") in Niedersachsen und ein scheinbares Patt in Hessen. Wer sich für das politische Stimmungsbarometer interessiert, sucht nach den gemeinsamen Grundströmungen in beiden Bundesländern.

 In Hessen waren 4,37 Millionen Menschen wahlberechtigt, in Niedersachsen gut 6 Millionen. Von den knapp 62 Millionen wahlberechtigten Bundesbürgern waren also über 10 Millionen am letzten Sonntag zur Wahl gerufen worden.

Zur Wahl gekommen sind in Hessen 64,3 % (minus 0,3 % gegenüber der letzten Landtagswahl), in Niedersachsen gingen 57% der Berechtigten zur Wahl (minus 10% gegenüber der letzten Landtagswahl).

Schon hier zeigt sich die erste Gemeinsamkeit: Die Wahlbeteiligung ging insgesamt weiter zurück, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß. Immer mehr Menschen verweigern unserer Politikerklasse die pauschale Zustimmung am Wahltag. Immer mehr Menschen verweigern den Parteien den politischen Blankoscheck, den die Wähler mit dem Wahlzettel in die Urnen werfen.

 Um eventuelle landesspezifische Besonderheiten auszuklammern und um die politische Grundströmung in Deutschland herauszuschälen, rechne ich im folgenden beide Wahlergebnisse zusammen, als wäre es eine Wahl mit einem Ergebnis. Von den 10,37 Millionen Wahlberechtigten, die letzten Sonntag zur Wahl gerufen waren, lebten 4,37 Millionen (43 Prozent) in Hessen und 6 Millionen (57 Prozent) in Niedersachsen. Der Einfachheit rechne ich im Folgenden beide Wahlergebnis zu je 50 Prozent vom Gesamtwahlverhalten.

 Wir hatten gut 10 Millionen Wahlberechtigte, von denen 60,65% zur Wahl gingen, gut 5% weniger als bei der letzten Landtagswahl. Sinkende Wahlbeteiligung und sinkende Zustimmung zur repräsentativen Zuschauerdemokratie ist ein langfristiger politischer Trend, der sich fortsetzt.

 Auf die großen "Volksparteien" entfielen zusammen 73,1 Prozent der abgegebenen Stimmen, 4,4 % weniger als bei der letzten Landtagswahl. Alle kleineren Parteien zusammen erhielten knapp 27 %. Abnehmende Attraktion der "Volksparteien" ist ebenfalls ein langfristiger politischer Trend, der sich fortsetzt.

 "Wir sind Volkspartei" war die konservative Kampfansage Adenauers gegen die traditionelle Arbeiterpartei SPD in den 50er Jahren. Stück für Stück verabschiedete sich die SPD dann von dem Anspruch, eine "Arbeiterpartei" zu sein und wollte gleichfalls "Volkspartei" werden. Das war ein logischer, wie politischer Irrtum. Wenn es zwei "Volksparteien" in Deutschland gibt, ist mindestens eine dieser "Volksparteien" ein Fake oder man unterstellt, dass es zwei "Völker" in Deutschland gibt.

Tatsächlich blieb der Anspruch beider Großparteien, das ganze Volk zu repräsentieren, ein Betrug: Nach Mitglieder- und Wählerzusammensetzung war und blieb die CDU die Partei der traditionell Wohlhabenden und Etablierten und derer, die das werden wollten. Die SPD wandelte sich von einer etablierten Arbeiterpartei in eine Partei der Neu-Aufsteiger und Neu-Etablierten und derer, die das werden wollten.

 Mit der wachsenden Verarmung und Verelendung im Deutschland der letzten zwanzig Jahre grenzen sich die Bevölkerungsschichten, die sich zu den Wohlhabenden und Etablierten rechnen können, immer stärker ab. Die vermeintliche "politische Mitte" bröckelt nach allen Seiten weg. Deshalb erodieren die beiden Großparteien, die sich notwendig immer ähnlicher werden.

Mit den großen "Volksparteien" konkurrieren immer mehr kleine Klientelparteien.

Eine klassische Klientelpartei war schon immer die FDP als Partei der Manager und Kleinkapitalisten, die aktiv und offen für Kapitalinteressen eintreten.

Die Grünen waren groß, alt und müde geworden als Partei der alternativen Bewegung von 1968. Die PDS etablierte sich als Nachfolge- und Ostpartei und versucht jetzt als Partei der "Sozial Schwachen" auch im Westen "Staat zu machen".

Die rechten Parteien wie NPD, REP, BüSo etc. präsentieren sich als Parteien der "zu kurz gekommenen Deutschen".

 Daneben gibt es noch einen ganzen Rattenschwanz von Klientelparteien, die sich für die speziellen Interessen von Alten, Schwulen/Lesben, Familien, Hühnern, Bibellesern und Ähnlichem stark machen wollen.

 Weil unsere Gesellschaft ihren Zusammenhalt verliert, verliert die Parteienlandschaft ihren Zusammenhalt. Dieses soziale und politische Auseinanderbrechen entwickelt sich (vorerst) nicht zu einem einzigen großen Spalt zwischen den Mächtigen und den Ohnmächtigen, den Herrschenden und Unterdrückten, sondern reißt hier und da viele kleine Risse auf, die sich ausbreiten und vermehren.

In der Gesamttendenz wird unsere politische Landschaft sich zu einem Vielparteiensystem wandeln, wie heute schon in Italien. Schon längst kämpfen im politischen Alltag die "Großen" gegen die "Kleinen". Deshalb schließen die "Großen" viel lieber eine große Koalition, als einer weiteren kleinen Partei in die Regierung zu verhelfen.

 Einer der politischen Risse brachte die Abspaltung der WASG von der SPD und die Neu- und Umgründung von PDS in "Linke". Als Gesamtergebnis holte die SPD-Abspaltung in Niedersachsen und Hessen 6,1 %. Erstaunlicherweise konnte die SPD trotz dieser hautnahen politischen Konkurrenz ihren Stimmenanteil weitgehend halten. In beiden Ländern kam die SPD auf insgesamt 33,5% (plus 4,5%). Das kann nur bedeuten, dass in Deutschland nach wie vor die Mehrheit links von der Mitte denkt.

 Durch Adenauers politisches Geschick konnte die CDU als politische Partei einigermaßen geschlossen bei allen Wahlen antreten. Auch die Querköpfigkeit der bayrischen CSU konnte die CDU-Führung in all den Jahren in engen Grenzen halten. Das Erbe Adenauers ist die Parteieinheit der CDU als angebliche "Volkspartei" - trotz der vielen internen Fraktionen und Interessengegensätzen.

In Italien hatte erst das Zerbrechen der Christdemokratischen Partei eine neue politische Epoche eingeleitet. Die nächsten Jahre werden die CDU in ähnliche Zerreißproben stellen.

 Das Wahlresultat Kochs in Hessen ist eine Katastrophe für die CDU. Es hat - wie schon die letzte Bundestagswahl - bewiesen, dass mit rechten Rattenfänger-Parolen in Deutschland keine Mehrheit zu gewinnen ist. Bei den nächsten Landtags- und Bundestagswahlen wird zwangsläufig eine weichgespülte CDU auf Stimmenfang gehen. Das wird den schwarzbraunen Kräften in der CDU und der CSU wenig gefallen. Sie werden zum wiederholten Mal vor die Frage gestellt, ob ihr Platz weiter in der CDU oder an der Seite der CDU sein kann.

 Auch wenn durch eine rechte Abspaltung von der CDU eine rechte Partei mit einem Wählerpotential von bis zu 10 Prozent entstehen könnte, werden die Rechten insgesamt dadurch an Legitimation verlieren, selbst wenn sie im politischen Diskurs auch sichtbarer und lauter werden.

Mit den heimlichen Bündnispartnern in der CDU und auch in der SPD (und im Staatsapparat) fühlen sich Nationalisten, Kriegstreiber und Rassisten zu Recht als legitimer Teil des deutschen Mainstreams. Es wäre viel gewonnen, wenn sich diese schwarzbraunen Kräfte outen und vom Mainstream trennen würden.

 Wal Buchenberg, 29.01.2008

Teil II: Die Ergebnisse von Frankfurt

In bisherigen Text hatte ich versucht, die Landtagswahlen in Hessen und Niedersachsen als politisches Stimmungsbarometer zu lesen und zu analysieren. Man könnte sich daran stören, dass ich dabei pauschal vorgegangen bin und das Wahlverhalten von gut 10 Millionen Wahlberechtigten in Hessen wie in Niedersachsen insgesamt betrachtete und analysierte, als hätte es sich bei den Wahlen in Hessen und Niedersachsen am Sonntag um eine einzige Wahl gehandelt.

Im Folgenden beschränke ich mich auf die sechs Wahlkreise der Stadt Frankfurt. Dann wird sich zeigen, ob meine globalen Thesen sich anhand der Wahlergebnisse in Frankfurt bestätigen lassen oder nicht.

 Die Wahlbeteilung schwankte in Frankfurt zwischen 54,6 % (Wahlkreis 34) und 66,9% (Wahlkreis 38) und lag im allgemeinen bei 63 %. Die Wahlbeteiligung in Frankfurt war etwas geringer als in Hessen insgesamt (64,3%). Im allgemeinen ist die Stadtbevölkerung der Trendsetter für das ganze Land. Es ist also weiter mit sinkender Wahlbeteiligung zu rechnen. Sinkende Wahlbeteiligung und sinkende Zustimmung zur repräsentativen Zuschauerdemokratie ist ein langfristiger politischer Trend, der sich fortsetzt.

 Für die Regierungsarithmetik nach dem Wahltag zählen nur die abgegebenen Stimmen. Daher wird der Erfolg der Parteien in den Wahlen in Prozent der abgegebenen Stimmen beurteilt. Im Frankfurter Wahlkreis 34 hat zum Beispiel die CDU 40,2% und die SPD 34% der abgegebenen Stimmen erhalten.

Tatsächlich gaben aber nur 54,6% der Wahlberechtigten ihre Stimme ab. Von allen Wahlberechtigten hat die CDU also nur 21,9 Prozent und die SPD 18,5 Prozent erhalten (Berechnung: Jeweilige Stimmenprozente mal 0,546).

 Ich interessiere mich nicht für die Regierungsarithmetik, nach der die Regierungsposten und die Parlamente farblich gemischt werden: Soviel Prozent Rot, soviel Prozent Grün, soviel Prozent Gelb oder Schwarz. Ich interessiere mich für die politische Grundstimmung in Deutschland.

Für die politische Stimmung im Land macht es einen erheblichen Unterschied, von wie vielen Menschen die einzelnen Parteien in der Wahl eine Zustimmung bekommen haben.

Nehmen wir ein Wahlvolk von 100 Menschen. Die Wahlbeteiligung liege bei 100 Prozent und die CDU hätte 40% der Stimmen. Dann haben 40 Menschen die CDU gewählt.

Sinkt aber die Wahlbeteiligung auf 60 Prozent, und die CDU käme immer noch auf 40% der abgegebenen Stimmen, dann haben nur noch 24 Menschen die CDU gewählt.

Das "Stimmungsbarometer Wahlen" kann man nur in Relation zu allen Wahlberechtigen ablesen. In Folgenden berechne ich daher die Wahlergebnisse jeweils im Verhältnis zu den Wahlberechtigten insgesamt.

 Mainstream-Medien und Politiker beklagen die "Wahlmüdigkeit" und sehen darin einen Trend zum "Unpolitischen". Ich sehe im Rückgang der Wahlbeteiligung einen zunehmenden und berechtigten Frust über unsere Politikerklasse und deren Politik. Immer mehr Menschen verweigern unserer Politikerklasse die pauschale Zustimmung am Wahltag. Immer mehr Menschen verweigern den Parteien den politischen Blankoscheck, den die Wähler mit dem Wahlzettel in die Urnen werfen.

 Der allgemeine Trend, dass die politische Zustimmung zu unserer Politikerklasse und zur repräsentativen Zuschauerdemokratie abnimmt, zeigt sich erstens in der sinkenden Wahlbeteiligung und zeigt sich zweitens im Verfall der beiden großen Parteien und dem zunehmenden Gewicht der kleineren Parteien.

 Beide Großparteien beanspruchen für sich, "Volksparteien" zu sein und damit das "Gemeinwohl" zu vertreten. "Wir sind Volkspartei" war die konservative Kampfansage Adenauers gegen die traditionelle Arbeiterpartei SPD in den 50er Jahren. Stück für Stück verabschiedete sich die SPD dann von dem Anspruch, eine "Arbeiterpartei" zu sein und wollte gleichfalls "Volkspartei" werden.

Tatsächlich blieb der Anspruch beider Großparteien, die Interessen des ganzen Volkes zu repräsentieren, ein Fake: Nach Mitglieder- und Wählerzusammensetzung war und blieb die CDU die Partei der traditionell Wohlhabenden und Etablierten und derer, die das werden wollten. Die SPD wandelte sich von einer etablierten Arbeiterpartei in eine Partei der Neu-Aufsteiger und Neu-Etablierten und derer, die das werden wollten.

 Die beiden Volksparteien erhalten nun zunehmend Konkurrenz durch eine größer werdende Zahl von Kleinparteien mit einer wachsenden Anzahl von Anhängern. Neben die "Volksparteien" treten immer mehr "Klientelparteien".

Eine klassische Klientelpartei war schon immer die FDP als Partei der Manager und Kleinkapitalisten, die aktiv und offen für Kapitalinteressen eintreten.

Die Grünen waren groß, alt und müde geworden als Partei der alternativen Bewegung von 1968.

Die PDS etablierte sich als Nachfolge- und Ostpartei und versucht jetzt als Partei der "Sozial Schwachen" auch im Westen "Staat zu machen".

Die rechten Parteien wie NPD, REP, BüSo etc. präsentieren sich als Interessenvertreter der "zu kurz gekommenen Deutschen".

Daneben gibt es noch einen ganzen Rattenschwanz von Klientelparteien, die sich für die speziellen Interessen von Alten, Schwulen/Lesben, Familien, Hühnern, Bibellesern und Ähnlichem stark machen wollen.

 In der folgenden Grafik habe ich die Wahlergebnisse in Frankfurt für die kleinen Klientelparteien und die beiden Großparteien zu Blöcken zusammengefasst. Alle Zahlen, wie oben erklärt, in Prozent der Wahlberechtigten, nicht in Prozent der abgegebenen Stimmen.

 

Als erstes zeigt sich: Der Anspruch von CDU und SPD "Volksparteien" zu sein, wird vom Wahlergebnis widerlegt. In Prozent der Wahlberechtigten kommen CDU und SPD zusammen nur auf einen Anteil von gut 40 Prozent. Nur von diesen 40 Prozent aller Wahlberechtigten haben CDU und SPD Zustimmung für ihre Politik erhalten.

Zweitens: Die kleinen Klientelparteien finden einen wachsenden Zuspruch und kommen zusammen auf rund 20 Prozent Zustimmung aller Wahlberechtigten.

 Auffällig ist drittens: Das Schwanken der Wahlbeteiligung hat kaum Einfluss auf die Zustimmung zu den großen Volksparteien. Im Frankfurter Wahlkreis 34 lag die Wahlbeteiligung bei 54,6 Prozent und die Zustimmung für die Volksparteien bei 40,5%. Im Frankfurter Wahlkreis 38 lag die Wahlbeteiligung bei 66,9 %, aber die Zustimmung für die Volksparteien erreichte ebenfalls nur 40,8 %.

Egal wie die Wahlbeteiligung aussieht: Das Ergebnis ist für die Großparteien niederschmetternd. Die sogenannte "politische Mitte" bröckelt nach allen Seiten ab.

 Anders sieht es dagegen für die Klientelparteien aus: Deren Zustimmung steht in direktem Zusammenhang zur Wahlbeteiligung: Ist die Wahlbeteiligung niedrig (wie im Wahlkreis 34), dann schadet das den kleinen Parteien, die dort nur 14,1 Prozent Zustimmung erhielten. Ist die Wahlbeteiligung aber hoch, wie im Wahlkreis 38, dann schneiden die Klientelparteien insgesamt gut ab (26,1 %).

 Das lässt den Schluss zu, dass es keine Hoffnung gibt für die beiden Volksparteien. Sie werden abgestraft, falls die Wahlbeteiligung niedrig ist. Und sie werden noch stärker abgestraft, falls die Wahlbeteiligung hoch ist, weil dann die kleinen Parteien gestärkt werden.

 Der Trend zum Vielparteienstaat ist nicht aufzuhalten. Das haben die Politiker der beiden Großparteien längst begriffen. Sie gehen lieber Koalitionen miteinander ein, als Bündnisse mit kleinen Parteien. CDU und SPD konkurrieren weniger gegeneinander als vielmehr gemeinsam gegen die Klientelparteien.

Die kommenden Wahlkämpfe werden weniger eine Polarisierung zwischen CDU und SPD sehen, sondern eher eine Polarisierung der Volksparteien gegen die Klientelparteien.

 Wal Buchenberg, 31.01.2008

Anhang: alle verwendeten Daten in einer Tabelle: