Mindestlohn ist (möglicherweise) Mist

Die Papstfeierlichkeiten sind vorbei, außerdem stehen Wahlen in NRW an. Also produziert unsere Medien- und Politmaschine wieder "Nachrichten". Eine "Meldung" ist dann, wenn Stäuber (wie Haider in Österreich) einen Mindestlohn vorschlägt. Eine neue Meldung ist es dann, wenn der Kanzler von sich gibt, man müsse stattdessen das "Entsendegesetz" ausweiten.

 

In diesem politischen Dialog der schwer Hörgeschädigten stehen zwei Argumente im Mittelpunkt:


Erstens: Die Armuts-Bedrohung für Lohnarbeiter in Deutschland sind nicht Kapitalisten, die Leute kündigen, Arbeitsplätze streichen, Löhne kürzen und Arbeitszeiten heraufsetzen, nein! Eine Armutsbedrohung für uns Deutsche sind Polen, Ukrainer, Letten usw., die hier auf "unserem" Arbeitsmarkt "Billigkonkurrenz" betreiben.

 

Das ist staatlich propagierter Rassismus. Die NPD ist in ihren ausländer-feindlichen Parolen nur konsequenter als unsere "Parteien der Mitte". In ihrer Ursachen- und Problemanalyse unterscheidet sich die NPD nur unwesentlich von der SPD, den Grünen oder den anderen "Parteien der Mitte": Schuld sind Ausländer!- Entweder als ausländisches Kapital (Globalierung) oder als ausländische Lohnarbeiter.

 

Zweitens: Unsere Politikerbeamten behaupten, dass die Gewerkschaften – vor allem in Ostdeutschland - ja nicht mehr in der Lage seien, ein Lohnniveau zu erkämpfen und zu sichern, das vor Armut schützt – siehe die Stundenlöhne um 3 Euro.

 

Diese Behauptung ist zynisch. Erst wurden die Gewerkschaften von Regierung und Kapitalistenverbänden überall ausgebremst und gelinkt (allerdings spielen die Gewerkschaftsführer bei diesem bösen Spiel mit – aber sie erfinden nicht die schlimmen Spielregeln), jetzt heißt es: ihr Gewerkschaftler bringt es nicht, lasst uns mal ran – die Parlamentarier und Staatspolitiker!

 

Damit erklärt man von Regierungs- und Politikerseite die Gewerkschaften nicht nur für tot, man gräbt auch noch ein tiefes Loch, damit sie auch bestimmt nicht kämpferischer auferstehen.

 

Ausgerechnet die Parlamentarier wollen erreichen, was die Gewerkschaftler nicht schafften und die Armut in den unteren Lohngruppen verhindern? Ausgerechnet den Leuten, die uns Hartz IV, ALG II und 1-Euro-Jobs eingebrockt haben, diesen Leuten sollen man glauben, dass sie mit einem ausreichenden Mindestlohn die Lohnarbeiterarmut bekämpfen? Für wie naiv hält man uns?

  

Einige Gewerkschaftslinke behaupten trotzdem: "Der Mindestlohn ist ein geeignetes Schutzinstrument für die Beschäftigten, gerade in Zeiten stürmischer Globalisierung." (Gewerkschaft NGG). Ist der gesetzliche Mindestlohn ein Mittel gegen die Lohnarbeiterarmut der working poor?

Ich frage euch: Wie soll dieser Mindestlohn in Deutschland bewirken, was er in anderen Ländern nicht bewirkt hat?

 

 

 

 

Die obige Grafik zeigt den gesetzlichen Mindestlohn in verschieden kapitalistischen Ländern als Prozentsatz des jeweiligen Lohn-durchschnitts.

In den USA beträgt der Mindestlohn rund ein Drittel des Lohndurchschnitts. Den höchsten Prozentsatz erreicht der gesetzliche Mindestlohn in Frankreich mit 53 Prozent des Durchschnittslohns.

 

Bezogen auf den deutschen Durchschnittslohn von monatlich 2400 Euro (im Jahr 2002) brächte ein amerikanischer Mindestlohn 790.- Euro, ein französischer Mindestlohn 1270.- Euro und der OECD-Durchschnitt 960.- Euro im Monat.

 

Dieser OECD-Durchschnitt liegt im Einkommensbereich vieler Niedriglohngruppen heute in Deutschland geltender Lohntarife. Wie die Bundesregierung im Dezember vergangenen Jahres in einer Bundestags-drucksache veröffentlichte, enthalten 130 Tarifverträge Entgeltgruppen mit weniger als sechs Euro. Mit sechs Euro Stundenlohn kommt man im Monat auf gerade Mal 1000 Euro brutto. Welche Verbesserung da ein gesetzlicher Mindestlohn bringen soll, ist nicht zu sehen.

 

 

Die WASG, die ja die Gewerkschaftslinke politisch stärken möchte, verlangt daher: "Ein gesetzlicher Mindestlohns muss armutsresistent sein – darf also unter der Hand nicht Armutslöhne sanktionieren. Deshalb ist die Höhe entscheidend. Wollte man auf Basis der westdeutschen Lohndaten für 2003 mit einem durchschnittlichen Vollzeitlohn von 2.884 € im Monat individuelle Lohnarmut vermeiden, müsste der gesetzliche Mindestlohn mindestens die Hälfte bzw. 1.442 € pro Monat betragen." (Dieser WASG-Durchschnitt von 2.884 Euro umfasst Arbeiterlöhne und Angestellten-gehälter.)

 

Der Kapitalistenverband Gesamtmetall setzt dem entgegen: "Bei schätzungs-weise drei Millionen Arbeitslosen mit geringer Qualifikation müsste ein gesetzlicher Mindestlohn deutlich unterhalb des niedrigsten Tariflohnes liegen, um garantiert keinen Schaden anzurichten. Im Osten liegen die niedrigsten Tariflöhne bei 2,74 Euro, im Westen bei 3,28 Euro."

 

 

Dieser Armuts-Stundenlohn bringt bei Normalarbeitszeit gerade mal 520 Euro Lohn im Monat oder 22 Prozent vom Lohndurchschnitt. Dieses Bettler-Niveau hat der Mindestlohn nur in Südkorea (siehe Grafik).

 

Interessenvertreter der Lohnarbeiter fordern 1400 Euro Mindestlohn, Interessenvertreter des Kapitals bieten 520 Euro. Das ist ein altbekanntes Spiel der Tarifverhandlungen zwischen Gewerkschaften und Kapitalisten-verbänden. Was wird da anders beim gesetzlichen Mindestlohn?

 

Die Leute, die die (Mindest)Lohnhöhe festsetzen, sitzen nicht mehr in einer Tarifkommission, sondern im Deutschen Bundestag. Nicht Gewerkschafts-bürokraten entscheiden über die (Mindest)Lohnhöhe, sondern Politbeamten.

 

 

Der Vorschlag der Grünen Parteioberen sieht daher vor:

Wird ein einheitlicher, gesetzlicher Mindestlohn "sehr niedrig an-gesetzt, können niedrige Löhne weiter auf Mindestlohnniveau gesenkt werden. Ist er sehr hoch, geraten in Branchen mit niedrigen Tariflöhnen Arbeitsplätze in Gefahr. Ein wirksamer Mindestlohn muss mehrere Kriterien erfüllen: Er darf weder Jobs gefährden, noch eine Entwertung gegebener Jobs nach sich ziehen und muss mit dem Grundsatz der Tarifautonomie vereinbar sein. Er muss rechtsverbindlich sein. Neben der Festsetzung der Mindestlohnhöhe muss auch die jährliche Anpassung geregelt werden. Dies könnte durch den Gesetzgeber erfolgen (wie in den Niederlanden) oder durch die Schaffung einer Kommission aus Arbeitnehmer- und ArbeitgebervertreterInnen (wie in Großbritannien). Die jährliche Anpassung sollte in jedem Fall unter Beteiligung der Tarifpartner erfolgen, damit der Mindestlohn kein Hebel zur Schwächung der Tarifautonomie wird."

 

Die Tarifpartner, die bisher mehr oder minder autonom über Tarife und Löhne entschieden haben, sollen an der Festsetzung des Mindestlohnes nur noch "beteiligt" werden. Ein Schelm und Betrüger, der das nicht "Schwächung der Tarifautonomie" nennen will.

 

Diese "Schwächung der Tarifautonomie" (also der Machtstandpunkt der eigenen Organisation) und keineswegs die Sorge für die Lohnarbeiter in den unteren Lohngruppen ist der Hauptkritikpunkt der Gewerkschafts-führung: Wir halten gesetzlich festgelegte Mindestlöhne nach wie vor für problematisch, da sie eine Gefahr für die Tarifautonomie bedeuten“, sagte der Zweite Vorsitzende der IG Metall, Berthold Huber in der IGM-Pressemitteilung Nr. 90/2004 vom 22. September 2004.

 

Tatsache ist aber auch, dass die gewerkschaftliche Tarifpolitik der letzten Jahre die Verarmung der unteren Lohngruppen nicht verhindert hat. Wo haben die Gewerkschaften denn noch wirkliche Lohn-erhöhungen erkämpfen wollen? Die Gewerkschaften sind in der Krise, weil sie die Interessen der Lohnarbeiter nur soweit vertreten wollen, als die Interessen der Kapitalisten nicht geschädigt werden. Die deutschen Gewerkschaften wollen den fetten Profitpelz waschen, aber das Fell der Kapitalisten nicht nass machen.

 

 

In dem diesem Dilemma, wo den Lohnarbeitern kämpferische Inter-essenvertreter fehlen, ausgerechnet bei Parlamentsfritzen Unterstützung zu suchen, ist aber doch eine starke Zumutung.

 

Unseren Gewerkschaftsführern kann und muss man "unterlassene Hilfe-leistung" für die Lohnarbeiterklasse vorwerfen. Sie haben die Lohnsenkungen und Arbeitszeitverlängerungen der letzten Jahre zwar nicht aktiv betrieben, aber doch immer hingenommen und akzeptiert.

 

Unsere "Gesetzgeber" haben nicht nur "geduldet", sondern im Bundestag ein Gesetz nach dem anderen verabschiedet, womit soziale Leistungen gekürzt und Gebühren und Steuern für die Lohnarbeiter erhöht wurden. In Bezug auf die Interessen der Lohnarbeiter sind diese Abgeordneten nicht nur passive Zuschauer, sondern wirkliche Anstifter und Übeltäter.

 

Ausgerechnet diese Abgeordneten mit einer Grundvergütung von 7000.- Euro im Monat plus steuerfreier Aufwandsentschädigung von 3500.- sollen nun eher als unsere Gewerkschaftsfunktionäre in der Lage sein, die Lohn-arbeiterarmut durch einen gesetzlichen Mindestlohn zu beseitigen? Nein danke! Außer schönen Worten, die vor Betroffenheit triefen und die eigene Wichtigkeit betonen, ist von solchen Politbeamten nichts zu erwarten.

 

 

Gesetzlicher Mindestlohn ist kein alleiniges Mittel gegen die zunehmende Armut in Deutschland. Da müssen andere und mehr Mittel her.

 

 

Wal Buchenberg, für Indymedia, 04.04.2005,überarbeitet am 01.09.2016


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