Antipalästinensicher Schutzwall
"Die
Mauer ist keine Hürde, nur ein Kugelfang. Erst 100 Meter dahinter liegt
der eigentliche Sicherheitszaun: drei Meter hoch, ausgestattet mit
elektrischen Sensoren und Überwachungskameras. Zu beiden Seiten türmen
sich Stacheldrahtpyramiden. Dazwischen patrouillieren auf israelischer
Seite Grenzpolizisten und auf palästinensischer die Armee.
Noch ist
die Sperranlage im Bau, die Israel vom überwiegend von Palästinensern
bewohnten Westjordanland trennt und den jüdischen Staat vor
palästinensischen Attentätern schützen soll. Doch in den Verhandlungen
über einen Frieden in Nahost hat die Mauer längst einen festen Platz.
Sollte der Roadmap genannte Friedensplan scheitern, werde die Grenze zu
den Palästinensergebieten einseitig festgelegt und durchgehend mit Mauer
und Zaun versehen, lässt Israels Regierungschef Ariel Scharon
durchblicken. Für den palästinensische Ministerpräsidenten Ahmed Kureia
ist die ausgebaute Grenzanlage dagegen ein Hindernis für neue
Friedensbemühungen. Ein Gipfeltreffen mit Scharon lehnte Kureia am
Wochenende ab: "Es gibt keinen Anlass für
Verhandlungen, solange die Mauer weitergebaut wird." Trotz
der dramatischen Wirtschaftslage in Israel investiert die Regierung
Millionen in die Grenzanlage. Die Palästinenser fürchten, dass Fakten
geschaffen werden und das für den Bau von Mauer und Zaun beschlagnahmte
Land für sie verloren ist. "Wenn er entlang der israelischen Grenzen von
1967 gebaut werden und auf israelischem Gebiet verlaufen würde, fände ich
ihn akzeptabel", sagt Mohammed Darawshe von Givat Haviva, dem ältesten
Institut für jüdisch-arabische Verständigung über den Zaun. Doch ohne
Friedensvertrag sei das Projekt "eine Schande", die den Hass auf beiden
Seiten wachsen lasse. Die
palästinensischen Politiker sprechen stets von "Mauer" statt von "Zaun",
obwohl nur auf 8 der 150 bisher gebauten Kilometer Betonblöcke stehen.
Palästinenserführer Jassir Arafat erinnerte im Parlament gar an die
Berliner Mauer - die lange geteilte Stadt als Symbol für Unrecht und
Unmenschlichkeit. (...) Die
Armee habe den für die Terrorbekämpfung optimalen Verlauf gewählt.
"Zwei Mega-Anschläge haben wir
schon verhindert", sagt der
Presseoffizier. Und man tue alles, um auf die Zivilbevölkerung Rücksicht
zu nehmen: Israel zahle Entschädigung für Bäume und Land, die Menschen
könnten Einspruch gegen die Entscheidungen einlegen, mehr als 40 Tore im
Zaun sorgten dafür, dass die Bauern zu ihren Feldern auf der anderen Seite
kämen. "Nahtstelle"
heißt die Sperranlage in den Broschüren des israelischen
Verteidigungsministeriums. Das 2000 Quadratkilometer große Grundstück von
Ismalla Beit wird von dieser Nahtstelle in zwei Hälften geteilt. Die
35-jährige Palästinenserin hat hier zuvor Weintrauben, Mandeln und Oliven
angebaut. 20 Bäume wurden für die Sperranlage abgeholzt. 12.000 Schekel
(rund 2100 Euro) wird sie nun pro Jahr an Einkommen verlieren.
"Entschädigung habe
ich dafür nicht bekommen", sagt sie. Mit den
jüngsten ihrer sechs Kinder am Rockzipfel schlendert die fromme Muslimin
den staubigen Fußweg am Zaun entlang und zeigt auf die andere Seite.
Drüben, in Gilo, wohnt nicht nur Wendy Kolnik, sondern auch ein Teil ihrer
Verwandtschaft: "Früher haben wir uns jeden Tag besucht."
Ihr
Onkel, Ahmed Mohammed Sahan, hat in Gilo zehn Jahre lang als Elektriker
gearbeitet. "Wir hatten
zu den israelischen Kollegen ein sehr gutes Verhältnis", schwärmt der magere 60-Jährige, der unablässig die viel
zu große Brille auf seiner Nase nach oben schiebt. "Wir haben in den Pausen
gemeinsam gegessen, Witze gemacht und uns gut verstanden",
erinnert er sich und zählt auf: Segal, Amnon, Avi - so hießen seine
Freunde von der Arbeit. "Wir haben uns auch gegenseitig eingeladen
und besucht, zum Beispiel zu Hochzeiten." Seit der
Intifada im September 2000 hat Ahmed hat keinen Kontakt mehr zu seinen
ehemaligen Kollegen, auch nicht per Telefon. "Es fließt zu viel Blut", sagt er. Als die Bauarbeiter und Bagger anrückten, um die
Grenze in Beton zu gießen, wurde die Mauer des Schweigens noch
unüberwindlicher. "Ich verstehe, dass die Israelis Angst haben",
sagt der Arzt Issa Sahin, Ismallas Schwager, der gerade aus seiner Praxis
nach Hause kommt. "Aber sie sollten uns nicht alle
als Terroristen sehen und uns nicht unser Land nehmen." Gekürzt aus: Financial Times Deutschland,
6.12.03 |