Krieg gegen Terror
oder um Zugang zum kaspischen Öl?

„Seit dem Ende des Afghanistan-Feldzugs ist viel von einem neuen „Great Game“ die Rede: einem Wettlauf der Atommächte Amerika, Russland und China um die Öl- und Gasfelder rund um das Kaspische Meer. ... Der tatsächliche Konflikt ... schwelt zwischen den USA und Europa.

Nach verlässlichen Schätzungen lagern in der Region immerhin je sieben Prozent der globalen Öl- und Erdgasvorräte. Wohin werden sie am Ende gepumpt? ...

Europas Energie-Import wird in den nächsten Jahrzehnten dramatisch steigen ..., weil die Nordsee-Reserven zur Neige gehen. Deshalb ist es für die Versorgungssicherheit enorm wichtig, dass die Pipelines jetzt in die richtige Richtung und mit ausreichender Kapazität gebaut werden. Doch die USA sperren sich dagegen, vor allem aus militärstrategischen Motiven:    Sie wollen keine Pipelines durch den Iran, ihren Erzfeind; und sie wollen zudem jede Pipeline verhindern, die am Nato-Partner Türkei vorbeiführt. ...

Europa, der natürliche Markt für das gesamte kaspische Öl, braucht einen Pipelineanschluss mit 200 Millionen Tonnen Jahreskapazität. Dabei führt der kürzeste Weg nicht etwa durch die Türkei, sondern über Georgien nach Supsa am Schwarzen Meer, von dort per Tanker zur Westküste und von den Häfen Odessa, Konstanza oder Burgas in eine noch auszubauende Verbindung zum europäischen Netz.
Die einzige moderne Pipeline, vom turkmenischen Tengis ins russische Novorossisk am Schwarzen Meer, könnte in einem solchen System nur ein Baustein sein: Gemessen an den gewaltigen Vorkommen reicht sie auch in der Endstufe mit 64 Millionen Tonnen längst nicht aus.

Europa braucht das kaspische Öl -  diese politische Priorität sollte Brüssel gegenüber Investoren deutlich artikulieren. Die US-Politik blockiert die fälligen Entscheidungen. Washington hat zwar mit schwerem diplomatischem Geschütz alle Kooperationsprojekte des Iran verhindert, etwa eine 1993 mit Kasachstan vereinbarte Pipeline vom Tengis-Feld zum Persischen Golf. Doch die seit 1999 propagierte Alternative, eine Verbindung vom aserbaidschanischen Ölfeld Baku zum Mittelmeerhafen Ceyhan, wartet bis heute auf den ersten Spatenstich. Kein noch so großer Druck konnte die Investoren bewegen, dieses unwirtschaftliche Geschäft anzugehen.



Noch offensichtlicher sind die europäisch-amerikanischen Interessendifferenzen beim Erdgas. Laut Prognose der EU-Kommission muss das Europa der 30 Staaten im Jahr 2020 etwa 220 Milliarden Kubikmeter mehr importieren als heute. Davon können die bisherigen Hauptlieferanten Russland und Algerien allenfalls die Hälfte decken. Es bleibt eine Lücke von mindestens 100 Milliarden Kubikmetern pro Jahr. Deshalb braucht Europa auch hier den Zugang zum kaspischen Raum.

Bis heute ist es mangels Infrastruktur unmöglich, Erdgas aus der Region nach Europa zu transportieren wenn man vom alten sowjetischen Netz absieht, das aber mit Gaslieferungen aus Sibirien ausgelastet ist. Weil die Vorkommen vor allem in Turkmenistan liegen, also auf der Ostseite des Kaspischen Meeres, macht bei dieser Variante eine Pipeline durch die von den USA favorisierte Türkei durchaus Sinn. Vor allem aber dürfte der Iran als Partner nicht ausgespart bleiben.

Doch auch hier setzt Washington auf ökonomisch unrealistische Lösungen - etwa eine Unterwasser-Pipeline von Turkmenistan nach Baku und von dort über Land in die Türkei. Für so ein technisch aufwändiges Projekt findet sich in dieser unruhigen Region kein Investor. Kaum besser ist, trotz der Vertreibung der Taliban, die von 1995 bis 1998 verfolgte US-Idee einer Pipeline durch Afghanistan bis zur pakistanischen Hafenstadt Karatschi. ... Doch die Anti-Iran-Politik der USA ist so strikt wie zu den schlimmsten Zeiten der Ayatollahs. So ist das Gesetz, das EU-Investoren mit harten Sanktionen bedroht, 2001 um fünf Jahre verlängert worden. ...“

Leicht gekürzter Text aus: Friedemann Müller: Partner im Clinch, in: Capital 10.1.2002, 18-19. (Friedemann Müller ist Berater der Bundesregierung für „globale Fragen“.)