Plötzlicher Streik der US-Automobilarbeiter
Detroit, 25.11. 2007. Die Gewerkschaft United Auto Workers (UAW) rief gestern 73.000 Lohnarbeiter in gut 70 US-Betrieben von General Motors zu einem unbefristeten, US-weiten Streik auf. Es geht dabei nicht nur um Lohnfragen. Es geht um das Konzept des Co-Managements der Gewerkschaftsführer und die Klassenharmonie zwischen Lohnarbeit und Kapital, die sich nach der Großen Depression unter Präsident Roosevelt herausgebildet hat.
Die großen US-Autofirmen GM, Ford, Chrysler stecken seit langem in einer Überproduktionskrise. Im Jahr 2006 machten sie zusammen 15 Mrd. US-Dollar Verlust.
Bei General Motors soll nun stellvertretend und wegweisend für alle drei Autofirmen nicht nur das Lohnniveau der aktiven Lohnarbeiter langfristig gesenkt werden. Die Geschäftsführungen wollen vor allem die Belastung für die Kranken und Alten loswerden.
In Deutschland nimmt der sogenannte Sozialstaat den Kapitalisten die Finanzlast für Alte und Kranke ab. In den USA kommt General Motors für Renten und Krankenkassenbeiträgen für fast 340.000 ehemalige Lohnarbeiter auf.
Insgesamt haben die drei US-Konzerne Verpflichtungen aus der betrieblichen Krankenversicherung von 114 Mrd. US-Dollar. Die Kapitalisten wollen diese Belastung loswerden und bieten sie der UAW in Selbstverwaltung an. Ein ähnliches System gibt es in Skandinavien, wo die Gewerkschaften und nicht der Staat die Sozialversicherung (Arbeitslosenversicherung) verwalten.
Im Prinzip haben die Gewerkschaftsführer der UAW dem Deal schon zugestimmt. Aber über die Höhe der "Abfindung" wurde man sich nicht einig. Im Gespräch war eine Erstausstattung der neuen Krankenkasse von 50 Mrd. Dollar. Ein Zusatzfonds soll Inflationsrisiken auffangen. Die Gewerkschaften kaufen aber die Katze im Sack. Die Folgekosten des Deals sind schwer abzuschätzen.
Offenbar ist der Streik ein Poker um die Höhe der Summe, mit der die GM-Kapitalisten sich von der Krankenversicherung freikaufen.
Ein kurzer Streik ist für den Auto-Konzern von Vorteil, weil seine unverkauften Autos auf Halde stehen. Diese Überproduktion könnte während des Streiks bei niedrigen Betriebskosten verkauft werden.
Ein längerer Streik könnte GM endgültig das Genick brechen. Die Marktanteile, die General Motors im letzten landesweiten Streik im Jahr 1970 verloren hatte, gewann der Autokonzern nie wieder zurück.
1960 beherrschte General Motors mit 60% Marktanteil den US-Markt. Seitdem schickten immer mehr europäische und japanische Firmen ihre preiswerteren Autos auf den US-Markt. Die amerikanischen Kapitalisten bremsten mit Regierungshilfe diese lästige Warenkonkurrenz und verstärkten damit nur den Anreiz zum Kapitalimport. In den letzten 20 Jahren wurden in den USA 17 Autofabriken von ausländischen Unternehmen eröffnet, alle produktiver und profitabler als die traditionellen US-Firmen.
Heute hat General Motors noch einen Marktanteil auf dem US-Automarkt von 24%, Ford von 15% und DaimlerChrysler von 12 Prozent.
Chrysler durchlief schon zweimal ein Bankrottverfahren, Ford stand mehrmals, General Motors einmal (1992) knapp vor dem Bankrott.
Auf dem amerikanischen Automarkt ist wie in Europa nur noch Wachstum des einen Kapitals auf Kosten eines anderen Kapitals möglich. Trotzdem steigerten alle Autofirmen alljährlich ihre weltweite Produktionskapazität um rund 3%, während die Nachfrage um höchstens 1% wächst. Die Autofirmen häufen nicht nur einen ständig wachsenden Überschuss an Fahrzeugen an, sie häufen gleichzeitig einen Überschuss an Produktionskapazität, einen Überschuss an Kapital an – Kapital, das weniger Profit abwirft als der Durchschnitt, ja sogar Kapital, das keinen Profit mehr abwirft – mindestens nicht in der Autobranche.
„Die Durchschnittsprofite der Autoindustrie sind weltweit von 20% oder mehr in den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts gefallen auf rund 10% in den 60er Jahren bis auf weniger als 5% heute.“ (Economist, 04.09.04)
Früher konnten Firmen wie VW, Ford oder General Motors in guten Zeiten soviel Profit anhäufen, dass sie einzelne Krisenjahre überstanden. Die jetzige Krise der Autobranche ist jedoch eine chronische, keine saisonale Krise.