Was Amerika sagt

In der ganzen Welt wird die US-Kandidatensuche für einen Bush-Ersatz verfolgt. Was PräsidentschaftskandidatInnen öffentlich im Wahlkampf sagen, hat kurze Verfallszeiten. Was AmerikanerInnen sagen, die kein Staatsamt anstreben, ist wohl von größerem Interesse. Der britische "Economist" hat eine allgemeine Befragung der US-Amerikaner online gestellt, die unter anderem nach Einkommensverhältnissen differenziert. Ausgewählte Ergebnisse werden hier von mir vorgestellt und kommentiert.

 

Die Befragung wurde Anfang März 2008 durchgeführt und unterscheidet Einkommensbezieher bis 50.000 Dollar (rund 35.000 Euro) Jahreseinkommen und Einkommensbezieher über 50.000 Dollar. Der Einfachheit halber werden die unteren Einkommensbezieher im folgenden kurz "Arme", die oberen Einkommensbezieher "Reiche" genannt.

Von den Befragten waren 48 Prozent männlich, 52 Prozent weiblich. 28 Prozent waren im Alter von 18 bis 34; zur Altersgruppe der 35-54jährigen gehörten 40 Prozent und 32 Prozent waren über 55 Jahre alt.

 

1. Eigenes Leben

Die Mehrzahl der reichen US-Amerikaner sehen eine Verbesserung ihrer Lebensverhältnisse, die Mehrzahl der Armen nicht. Da kein bestimmter Vergleichszeitraum genannt ist, handelt es sich hier um "erinnerte Vergangenheiten", die vielleicht nicht weiter zurückreichen als 15 Jahre. Für diesen Zeitraum decken sich die vielen subjektiven Erfahrungen mit objektiven Daten und Statistiken.

 

Beim Blick in die unmittelbare Zukunft wieder ein deutlicher Unterschied zwischen Reich und Arm. Die einen rechnen eher damit, dass es ihnen noch schlechter gehen wird, die anderen hoffen auf weitere Verbesserungen, wenn auch nicht mit so großen Mehrheiten wie beim Blick in die Vergangenheit.

 

Blick in die ferne Zukunft: Reiche und Arme sind gleichermaßen pessimistisch.

 

Reiche haben größeres Vertrauen in Ärzte, weil sie wohl besser behandelt werden. Weltweit sind Ärzte und Ärztinnen die Berufsgruppe mit dem höchsten Ansehen. In Deutschland vertrauen 85% ihren ÄrztInnen.

 

Nachbarschaften sind in den USA wichtig, für Reiche mehr als für Arme. Reiche US-Bürger können sich ihre Nachbarschaft eher aussuchen als Arme.

 

Lebte der Prof in der Nachbarschaft, bekäme er mehr Vertrauen geschenkt. Die Briten schenken zu 81% ihren Professoren Vertrauen. Ich vermute, für Deutschland gilt ähnliches. Die Amerikaner sind quer durch alle Schichten skeptisch gegenüber Intellektuellen.

 

Reiche finden eher "gnädige Richter" und haben ein positiveres Verhältnis zu dieser Berufsgruppe.

 

Die Wertschätzung der Journalisten entspricht ungefähr der von Autoverkäufern. Briten misstrauen den Medienleuten noch stärker (75%). Ich frage mich, wo bleibt da die angebliche Manipulation der Medien? Wie können Menschen mich manipulieren, denen ich zutiefst misstraue?

 

In Europa liegt die Zahl der bekennenden Christen weit tiefer. Die Berufung auf Gott gehört in den USA zum "guten Ton". Immerhin hat der Glaube an einen Gott weniger schädliche Folgen als der Glaube an die Wahrheitsliebe der Journalisten und Politiker.

 

Religion heißt Kirche, und Kirchen spielen in den USA eine ähnlich große Rolle wie bei uns der "Sozialstaat". Viele Dienstleistungen, die bei uns staatlich organisiert sind, werden in den USA von Kirchengemeinden bereit gestellt. Auf solche Hilfestellungen sind Arme noch stärker angewiesen als Reiche. Reiche Amerikaner besuchen Kirchengemeinden wie reiche Briten ihre Clubs.

 

Bei dieser Frage macht sich vielleicht die höhere Bildung der Reichen positiv bemerkbar.

 

Sex ist Sünde? Nur 5% der Briten glauben das. Aber Sündigen ist schön. Gehören nicht Ballonbusen zur amerikanischen Kultur?

 

Nur 13% der Briten stimmen hier ebenfalls mit Ja.

 

Und weiter geht’s in Grausamkeit. Immerhin ließe sich aus den Gegnern der Todesstrafe (20-21%) mit den bedingten Befürwortern (48-52%) eine politische Allianz schließen, die die Voraussetzungen zur Verhängung der Todesstrafe so hoch hängt (Massenmord), dass nur noch wenige Verurteilte davon betroffen wären.

 

2. Wirtschaft

 

Bei den Reichen gibt es sowohl mehr Optimisten als auch mehr Pessimisten, als bei den Armen. Insgesamt überwiegt aber der Pessimismus deutlich.

 

Wirtschaftsführer stehen noch schlechter da als Journalisten.

 

Was wird hier eigentlich gefragt? Nach der gefühlsmäßigen und wertenden Einstellung gegenüber Großunternehmen oder nach einem ökonomischen Sachverhalt? Gefühlsmäßig schneiden die Großunternehmen insgesamt schlecht ab (bei den Armen schlechter als bei den Reichen), aber sachlich richtig ist trotzdem die Antwort "Nein" (10-19%).

Großunternehmen haben zwar Konkurrenzvorteile gegenüber kleinen und mittleren Betrieben, trotzdem ist ihre Profitrate in der Regel niedriger. Das liegt an ihrem deutlich höheren Kapitaleinsatz. Wer's nachlesen will: Karl Marx, Kapital Band III, 453.

 

So weit, so richtig. Nur wer verstanden hat, dass Staat und Wirtschaft eine arbeitsteilige Symbiose bilden, schlägt sich die Illusion aus dem Kopf, wir könnten den Einfluss "der Wirtschaft" auf den Staat zurückdrängen.

 

Wieder wird in der Frage persönliche Bewertung und objektiver Sachverhalt vermischt. Die Mehrzahl der Amerikaner findet Globalisierung schlecht. Aber gleichzeitig ist die Globalisierung nützlich für die amerikanische Profitwirtschaft. Die Frage tut so, als sei "Globalisierung" eine übermenschliche Macht, die der "US-Wirtschaft" von außen aufgezwungen würde. Tatsächlich ist Globalisierung eine wirtschaftliche Strategie, die zielgerichtet und bewusst von allen großen - auch und gerade von amerikanischen - Kapitalunternehmen betrieben wird.

 

Wieder wird persönliche Wertung und Sachaussage vermischt. Die Antworten verraten eine migrationsfeindliche Haltung (bei den Reichen mehr als bei den Armen). Sachlich richtig ist jedoch: Ohne den Zustrom billigster Arbeitskräfte aus dem Ausland wäre die US-Wirtschaft in den letzten Jahren weniger gewachsen.

 

Aus ökonomischer Sicht ist die Frage mehrheitlich (64%) richtig beantwortet. Ökonomische Analysen zeigen, dass Immigration (ab einer bestimmten Größenordnung) das Angebot auf dem Arbeitsmarkt vermehrt und dadurch für bestimmte Lohnarbeitergruppen die Arbeitsplatzsuche erschwert und das Lohnniveau drückt. Das ist aber nur eine von vielfältigen Wirkungen der Immigration. Wer alle anderen Aspekte ausblendet, der manipuliert ebenso, wie derjenige, der alle Wirkungen der Immigration auf den Arbeitsmarkt leugnet.

 

3. Politik

 

Die Demokratische Partei hat mehr Anhänger unter den Armen, die Republikaner finden mehr Anhänger unter den Reichen. Auffällig ist jedoch, dass die größte Gruppe unter den Reichen keine Parteipräferenz zeigt. Schicken die Reichen ihre Spenden an beide Parteien? Beispiele dafür gibt es.

 

Die Unzufriedenheit mit Bush geht durch alle Schichten mit einem leichten Übergewicht bei den Armen.

 

Da man diese Antworten ohne weiteres addieren kann, finde ich diese Zahlen erstaunlich hoch (75-83%). Eine Bundeskanzlerwahl wird wohl in Deutschland nicht so wichtig genommen. Allerdings hat ein US-Präsident auch hundert Mal mehr Macht als eine Bundeskanzlerin, - eine Macht, mit der ein US-Präsident nicht nur im eigenen Land Schaden anrichten kann.

 

Der Ausgang der Präsidentschaftswahlen hat großen Einfluss auf ihr Leben, sagen die US-AmerikanerInnen. Aber Vertrauen in die Politiker haben sie nicht. Es geht also bei Wahlen in den USA (wie bei uns auch) um Schadensbegrenzung, um das "kleinere Übel".

 

Die 19 Prozent der Armen plus die 32 Prozent der Reichen kann man "Militaristen" nennen, die Krieg als nützliches Instrument der Politik ansehen. Das ist nicht Folge einer Manipulation durch "böse Politiker" - denen wird kein Vertrauen geschenkt -, nein, das ist Ergebnis einer jahrhundertlangen Erfahrung aus der amerikanischen Geschichte.

Die Gründung der USA begann mit dem erfolgreichen Krieg gegen das Britische Reich. Im amerikanischen Bürgerkrieg wurden mit der Sklaverei die letzten feudalen Reste beseitigt, die Sklaven zu Lohnarbeitern befreit und damit der Siegeszug des Kapitalismus im ganzen Land beschleunigt. Im amerikanisch-spanischen Krieg wurde der Weltmachtanspruch der USA begründet und im ersten und zweiten Weltkrieg gefestigt und ausgebaut. In ihrer ganzen Geschichte bis 1950 wurden die USA reicher und mächtiger. Wodurch? Durch siegreiche Kriege.

 

Die große Mehrheit ist für baldigen Abzug aus dem Irak (63% der Armen und 56% der Reichen). Die USA sind nicht aus "humanitären" Gründen in den Irakkrieg gezogen, und die Truppen sollen wohl nicht aus "humanitären" Gründen aus dem Irak abgezogen werden, sondern weil der Irakkrieg inzwischen den "Interessen der USA" weniger nützt als schadet.

 

Die Mehrheit ist gegen einen Abzug aus Afghanistan (37% der Armen und 50% der Reichen). Hier ist für die USA noch nicht alles verloren.

 

Eine deutliche Mehrheit befürwortet die Möglichkeit eines Krieges gegen den Iran. Ich denke, die USA werden nach dem Koreakrieg, dem Vietnamkrieg und dem Irakkrieg noch weitere unglückliche Kriege führen müssen, bevor sich die mehrheitliche Einstellung der AmerikanerInnen zum Kriegführen ändern kann. (Eliten brauchen offenbar noch viel länger als Normalsterbliche, um entsprechende Lehren aus der Geschichte zu ziehen).

 

Durch legale Papiere können Immigranten ihren Status und auch ihren Lohn verbessern. Dass Reiche dagegen sind, wundert nicht: Die benutzen illegale Immigranten als billigste Arbeitskräfte in der eigenen Firma oder im eigenen Haushalt. Den Armen müsste man die Folgewirkungen einer legalisierten Immigration vielleicht gründlicher erklären: Steigt der Lohn für die schlecht bezahltesten Arbeiter, weil es keine oder weniger Illegale mehr gibt, dann steigt das Lohnniveau für alle und der Zwang zu Billigarbeit lässt nach.

 

Reiche sind deutlich intoleranter. Untergebene kann man leichter kontrollieren, wenn sie (nur) die herrschende Sprache sprechen.

 

Wenn eine Behörde für oder gegen eine Baugenehmigung entscheidet, dann zieht sie nicht nur eine einzige mögliche Folgewirkung (geringer CO2-Ausstoß) in Betracht. Durch die unfair gekoppelte Frage wird hier getestet, inwieweit die Klimaerwärmung als Propagandamittel für Atomkraft einsetzbar ist. Die Reichen sind dafür ansprechbar, die Armen (noch?) nicht.

Wal Buchenberg, 1.4.2008