Baskenland und Baskentum

Wer in diesem Sommer den mondänen Badeort San Sebastian (auf Baskisch: Donostia) besucht hatte, wurde an vielen Hauswänden mit dem Plakat begrüßt: "Denkt dran, Touristen, ihr seid weder in Frankreich, noch in Spanien, sondern im Baskenland!"

 

Bild 00: Welcome

 

Ich durchwanderte im Sommer 2005 die Westpyrenäen auf dem spanischen Fernwanderweg G.R. 11 und folgte dabei nicht nur den rot-weißen Wegmarkierungen, sondern folgte auch diesem politischen Aufruf und suchte im Baskenland nach den rot-grün-weißen Spuren des Baskentums.

 

Ich machte mich auf die Suche nach der baskischen Identität und suchte nach Antworten, warum es die Basken nicht zu einem eigenen Staat gebracht haben und es wohl nie dazu bringen werden.

Dazu war auch eine historische Spurensuche nötig.

 

 

Wer sind die Basken?

Die Basken sind in Spanien und Frankreich eine "Nationalität", eine Nation, die sich fremd fühlt in ihrem Staat.

In sehr früher Zeit waren "Nationen" weitgehend identisch mit Sippen oder Völkerstämmen. Es waren mehr oder minder homogene Gemeinschaften von gemeinsamer Abstammung, einer gemeinsamen Sprache und einer gemeinsamer Produktions- und Lebensweise.

Die Basken sind ein sehr alte, aber auch eine altertümliche Nation, die viel von dieser früheren Homogenität bewahrt haben, ohne es zu einer modernen Nation mit eigenem Staat gebracht zu haben.

 

1. Nation und Nationalstaat

Nationalstaaten sind Gewaltapparate, die durch Gewalt gebildet und geformt wurden - sowohl durch interne Gewalt in einem Bürgerkrieg als auch durch Krieg nach Außen. Traditionsgemäß lehnen Linke erfolgreiche Nationalstaaten wie die USA, Deutschland, China, Israel usw. ab und verehren "Verlierernationen" wie die Iren, Basken, Palästinenser, Tibeter, Indigene in Südamerika usw. Wieso eigentlich? Wollen denn Verlierernationen etwas anderes als die Siegernationen? Wollen Verlierernationen nicht auch einen "Platz an der Sonne" der staatlichen Gewaltapparate?

 

Schauen wir uns kurz die Stationen erfolgreicher Nationalstaatsbildung an:

 

1.1. Amerikanische Staatsnation

Die Unabhängigkeit von Großbritannien erreichten die weißen und männlichen Amerikaner teils durch Akte des "zivilen Ungehorsams", teils durch einen bewaffneten Unabhängigkeitskrieg. Diese Amerikaner schufen sich ihren eigenen Staat, aber eine gemeinsame "Nation" wurden sie durch die Ausrufung der Unabhängigkeit (4. Juli 1776) längst nicht.

 

Der Völkermord an den Indianern wurde nun erst in großem Stil organisiert. Die schwarzen Sklaven waren ebenso wenig Teil der amerikanischen Staatsnation wie die Frauen. Schon vor 1800 begannen Konflikte mit den Weißen in den Südstaaten, die die staatliche Autorität des Nordens in Frage stellen. Das Gewaltmonopol des US-Staates über das gesamte US-Territorium wurde erst durch den Sieg der entwickelteren kapitalistischen Nordstaaten im amerikanischen Bürgerkrieg über den agrarisch-feudalen rückständigen Süden (1861-65) sichergestellt.

 

Der amerikanische Nationalstaat war das Produkt einer gewaltsamen Eroberung - der Eroberung des rückständigen Westens wie des rückständigen Südens. Befriedet und geeingt wurde die amerikanische Staatsnation erst durch erfolgreiche Expansionskriege. Die Südstaatler akzeptierten die gewaltsame Nationenbildung erst nach dem gemeinsamen Sieg der USA über Spanien (1898), der ihnen gemeinsame Beute bescherte: Kuba, Puerto Rico, Guam, später auch die Philippinen.

 

1.2. Deutsche Staatsnation

Dieselben Stationen sind auch bei der Bildung des deutschen Nationalstaates feststellbar: Zuerst eine erfolgreiche Unabhängigkeitsbewegung gegen die "französische Fremdherrschaft" unter Napoleon.

Nächste Station: ein blutiger innerdeutscher Krieg (1866) Nord (Preußen, Rheinlande etc.) gegen Süd (Bayern, Baden etc), bei dem der entwickeltere Norden gewinnt. Die unterlegenen Süddeutschen akzeptieren die "Preußenherrschaft" jedoch erst nach dem erfolgreichen Krieg nach Außen, dem Sieg über Frankreich (1871), die dritte Station.

 

In Deutschland wie in den USA siegte der industrialisierte Norden in einem blutigen Bürgerkrieg gegen den agrarischen Süden. In Deutschland wie in den USA akzeptierte der unterlegene Süden die gewaltsame Staatenbildung, sobald die vereinte Nation externe Kriege siegreich bestand und Beute für alle abfiel.

 

1.3 Spanische Staatsnation

In Spanien lief alles anders. Zwar war Spanien ein ähnlicher politischer Flickenteppich wie Deutschland im 19. Jahrhundert, zwar gab es auch jahrhundertelang Unabhängigkeitskriege gegen die Araber, Franken und Franzosen, aber die einzelnen spanischen Landschaften und Völkerschaften kämpften in diesen Kriegen häufiger gegeneinander als gemeinsam.

 

Bild 01: Provinzlertum

(...und Bayern ist nicht Deutschland!)

 

Jedem der spanischen Unabhängigkeitskriege folgte notwendig ein interner spanischer Krieg. In diesen internen Kriegen siegte jedoch nicht der entwickeltere, kapitalistische Norden (Baskenland und Katalonien), sondern der feudal-agrarisch geprägte Süden.

In Deutschland und den USA wurden die innerstaatlichen Animositäten zwischen einzelnen Landschaften und Wirtschaftsregionen (Preußen und Bayern, Yankees und Südstaatler) durch einen erfolgreichen Krieg nach Außen beruhigt und befriedet.

In Spanien folgte der internen Demütigung von Nordspanien (Katalonien und Baskenland) noch die externe Demütigung Gesamt-Spaniens: Dem Sieg des feudalen Kastiliens über das entwickeltere Nordspanien folgte das "Desaster" Spaniens, die Niederlage im amerikanisch-spanischen Krieg und damit der Verlust des spanischen Weltreichs.

 

Man kann die Geburtsstunde sowohl des katalanischen Nationalismus (mit dem Zentrum Barcelona) wie des baskischen Nationalismus ziemlich genau auf das Jahr des spanischen Desasters (1898) datieren.

Solange das spanische Weltreich bestand, waren Katalanen und Basken mehr oder minder treue Diener dieses Reichs. Sie waren seine tapfersten Krieger und mutigsten Seefahrer und hatten ihre materiellen Vorteile davon. Es schmerzte sie jedoch einem rückständigen und gedemütigten Staat dienen zu müssen. Katalanen und Basken entdeckten, dass sie eigentlich etwas Besseres sind und jedenfalls anders als die Spanier. Der katalonische wie der baskische Nationalismus lebt von der Verachtung Spaniens und der Spanier.

 

2. Baskentum und baskische Identität

Moderne Nationen sind ein Mischmasch aus Klassen, Berufen, Hautfarben, Glaubensbekenntnissen und Sprachen, nur äußerlich vereint durch eine gemeinsame, aber arbeitsteilige und daher vielseitige Volkswirtschaft und durch die Staatsgewalt.

 

Die Basken bilden eine "homogenere" Nation als die alle modernen Nationen und viele alten Nationen. Die Schweizer zum Beispiel - eine "alte Nation" - waren überwiegend Bergbewohner wie die Basken. Die Schweizer bildeten ihren eigenen Staat, aber sie sprechen keine einheitliche Sprache.

 

2.1. Baskische Sprache

Gerade die baskische Sprache soll jedoch die identitätsstiftende Gemeinsamkeit der Basken sein. Ich habe einige Sprachen studiert, darunter auch außereuropäische, aber nicht die baskische Sprache. Es steht aber außer Zweifel, dass das Baskische anders und älter als alle indogermanischen Sprachen ist.

 

Bild 02: Kurzer Sprachkurs

 

Wer sich dafür interessiert: Das Baskische ist eine agglutierende Sprache. Neue Begriffe und Bedeutungen werden durch Hinzufügen von Suffixen gebildet. Etxea heißt das Haus, "zu Hause" ist etxean, "zum Haus hin" heißt etxera, "vom Haus weg" etxetik. (Das "x" wird wie ein deutsches "tsch" gesprochen.) Das Baskische wurde lange Zeit nur mündlich tradiert. Erst im Jahr 1545 erschien ein Buch, das ganz in Euskera (Baskisch) geschrieben war.

 

Es wird gesagt, die baskische Sprache verkörpere einen "besonderen Geist". Lässt sich das nicht von jeder Sprache sagen? Spiegelt nicht jede Sprache in gewissem Umfang die Lebensgewohnheiten der jeweiligen Sprachgemeinschaft wider? Eine Sprache ist umso mehr von den Lebensräumen und Lebensgewohnheiten ihrer Sprecherinnen und Sprecher geprägt, je enger und begrenzter diese sind. Es sei hier nur auf den linguistischen Streit über die Anzahl der Worte für "Schnee" in einer Eskimosprache hingewiesen. (Die Zahlenangaben schwanken zwischen 4 und 100.) Der "besondere Geist" einer Sprache ist kein Vorzug. Er ist vielmehr ein Mangel an Universalität und verweist auf eine besondere Enge und Einseitigkeit ihrer Sprecherinnen und Sprecher und ihrer Lebensumstände.

 

In ihrer Form ist jede Sprache eigen. Der Inhalt jeder Sprache ist die menschliche Gedankenwelt und ist daher wesentlich derselbe. Der Inhalt jeder Sprache ist in jede andere Sprache übersetzbar. Gedanken, die nur in einer einzigen Sprache formulierbar sind, sind für die Menschheit ebenso unwichtig und wertlos wie Gedanken, die nur in einem einzigen Menschenkopf stecken, aber anderen Menschen nicht mitteilbar sind.

 

Die Basken lieben ihre Sprache. Es ist normal, dass jemand seine Muttersprache liebt. Ich liebe auch das Deutsche mehr als alle anderen Sprachen, die ich verstehe. Aber ich liebe das Deutsche wie ich meine Bergschuhe liebe, weil sie mich zu Orten hinbringen, zu denen ich in anderen Schuhen nicht gelangen kann. In der deutschen Sprache kann ich Gedanken ausdrücken, die ich in anderen Sprachen nicht ausdrücken kann. Dass ich das kann, liegt nicht am Deutschen, sondern an meiner besonderen Übung und Erfahrung in dieser Sprache.

Ich bin arm, wenn ich nur ein einziges Paar Schuhe im Schrank habe oder nur eine einzige Sprache verstehe. Ich bin dumm, wenn ich nur ein Paar Schuhe im Schrank dulde und mich weigerte, in anderen Schuhen zu laufen. Es ist Unterdrückung, wenn die Verwendung bestimmter Sprachen vorgeschrieben bzw. verboten wird.

 

Bild 03: Ortsnamen

Im allgemeinen sind Hinweisschilder und Ortsnamen im Baskenland zweisprachig. Früher wurde die spanischen Beschriftungen öfter übersprüht. Hier hat man sich damit begnügt, den baskischen Namen von Hand zu ergänzen.

 

Die Basken sind alle mindestens zweisprachig, nicht jedoch die sonstigen Bewohner des Baskenlands.

Was soll man aber davon halten, wenn uns als nichtbaskischen Fernwanderern im Baskenland ein Hüttenwirt, den wir auf Spanisch fragen, wann es Mittagessen gibt, in Baskisch Antwort gibt?

 

2.2. Das Baskenland

Das Gebiet, in dem Basken wohnen ist gut 20.000 Quadratkilometer groß, etwa so groß wie der Staat Israel oder das Bundesland Hessen. Dieses Gebiet teilt sich in drei Regionen bzw. Dialekte in Frankreich und vier in Spanien. Im gesamten baskischen Gebiet leben knapp 3 Millionen Menschen (davon 230.000 in Frankreich), 600.000 verständigen sich überwiegend auf Baskisch.

Selbst im Baskenland sind die Basken heute nur eine Minderheit.

 

Bild 04: Baskenkarte

 

An einer Seite grenzt das Baskenland ans Meer, überall sonst ist es von weißen Flächen umgeben, als wäre dort unentdecktes Land oder die Antarktis. Dieses Baskenland ist so einzigartig in der Welt, dass es keine Nachbarstaaten hat. Kennen die Bewohner dieses Baskenlandes keine Nachbarn oder wollen sie keine Nachbarn? Wollen sie alle Nichtbasken vom Baskenland möglichst weit fernhalten?

Ein baskisches Plakat in Donostia, von dem ich leider keine Aufnahme habe, zeigt die Umrisse ganz Europas, bewohnt mit Gesichtern aller Hauptfarben von Menschen aus allen Himmelsrichtungen. Das Baskenland ist jedoch vollständig mit der Baskenfahne abgedeckt, so als sollten dort nur Basken leben und sonst niemand.

 

2.3. Unser Wanderweg

Der Fernwanderweg G.R. 11 führt vom Atlantik bis zum Mittelmeer südlich der französisch-spanischen Grenze quer durch die Pyrenäen. Wir kauften in San Sebastian (Baskisch: Donostia) mehrere Wanderkarten. Die Wanderkarten waren auf baskisch. Da uns die Gegend sowieso fremd war, schien es uns egal, ob wir baskische oder spanische Namen für Berge, Täler und Ortschaften benutzen. Leider stellte sich dann heraus, dass auf den baskischen Landkarten Wege und Gebäude fehlten, die nur auf spanischen Karten zu finden waren. Auf den spanischen Karten fehlten Wege und Gebäude, die nur auf baskischen Landkarten zu finden waren. Selbst die Höhenangaben stimmten bei spanischen und baskischen Karten nicht überein. Vielleicht können andere diese Rätsel lösen?

 

Dann mussten wir feststellen, dass etliche Wegweiser im Gelände auf Spanisch waren. Auch das gab uns einige Rätsel auf. Die "Casa Pablo", die uns mehrfach als nächstgelegene Berghütte angekündigt wurde, war nicht auffindbar. Der baskische Hüttenwirt der Refugio Sorgain stritt vehement ab, dass es sich bei seiner Refugio um die "Casa Pablo" handelte.

 

Bis auf eine steile Felswand des Ezkaurre zwischen Izaba und Zuriza ist das Gelände der baskischen Pyrenäen nicht schwierig. Diese Felswand erfordert auf dreihundert Höhenmeter (leichtes) Klettern, was mit schweren Rucksäcken nicht empfehlenswert ist. Wir umgingen diese Kletterwand durch einen weglosen, doch ungefährlichen Abstieg in das Seitental.

 

Schwierig war es jedoch auf dem richtigen Weg zu bleiben. Nirgendwo sonst in den Pyrenäen habe ich eine so schlechte Wegmarkierung erlebt wie hier. Auch alle anderen Wanderern, die wir unterwegs trafen, waren mindestens einmal am Tag vom Weg abgekommen. Die üblichen Übersichtskarten des G.R.11 von PRAMES im Maßstab 1:40.000, die bei einer gut markierten Wegführung völlig ausreichen, waren hier ziemlich wertlos. Bei schlechtem Wetter war nützlich, dass wir einen Höhenmesser dabei hatten.

 

Nicht wanderfreundlich waren auch die kilometerlangen Wild- und Viehzäune auf den Berghöhen mit brusthohem, kräftigem Stacheldraht ohne Tore oder Durchlässe.

Statt den Wanderweg zu pflegen, fanden wir überall in den Tälern Hinweisplakate, dass der Wanderweg in schlechtem Zustand sei und Markierungen häufig fehlten.

 

Bild 05: Wegwarnung

Darauf musste man uns nicht hinweisen, das sahen wir selbst.

Wir mussten den Eindruck gewinnen: Fernwanderer sind im Baskenland ziemlich unwillkommen. Ob dafür die baskische oder die spanische Verwaltung verantwortlich ist, konnte ich nicht entscheiden.

(Siehe auch Punkt 5.5. über den Pilgerweg nach Santiago de Compostella.)

 

Wer vom Weg abkommt, riskiert zwar auch, in unwegsam-steiles Gelände zu geraten, meist besteht das Risiko aber darin, das jeweilige Etappenziel nicht mehr zu erreichen. Die Etappen sind ziemlich lang: mindestens sechs, manchmal zehn Wegstunden, die Pausen nicht gerechnet. Wir waren nicht die einzigen, die für eine solche Tagesetappe bei schlechtem Wetter plus Verlaufen auch eineinhalb oder zwei Tage gebraucht haben.

 

2.3. Baskische Frühgeschichte

Im Konflikt zwischen Rom und Karthago kämpften die damaligen Basken als Söldner in den Armeen Hannibals. Nach der endgültigen Niederlage Karthagos drangen die Römer auf die iberische Halbinsel vor und besiegten die dortigen Iberer, Kelten und auch die Basken. Jedoch unterstanden die Basken nicht der römischen Rechtsordnung und lieferten keine Tribute an Rom. Die naheliegendste Erklärung dafür ist: Sie waren zu arm. Sie produzierten außer ihrem kärglichen Lebensunterhalt kein Mehrprodukt, das ihnen die fremden Eroberer rauben konnten.

 

Was sich lohnte zu rauben, das haben die Römer den Basken geraubt: Das Ebrotal und die Pyrenäenpässe. Aus dem fruchtbaren Ebrotal wurden die Basken von den Römern vertrieben. Um den Besitz dieses Tal kämpften sogar zwei römische Armeen zehn Jahre gegeneinander. Die wichtigen Pyrenäenpässe nach Gallien blieben für die Römer offen. Die Basken tauschten auf römischen Märkten ihre Produkte aus Viehzucht und Forstwirtschaft und verteidigten als Söldner das Römische Reich unter anderem in Nordengland und in Afrika.

 

Zwischen 20. v. Chr. und dem Ende des römischen Imperiums (400 n. Chr.) sind keine Konflikte zwischen Basken und Römern überliefert.

 

Am Ende des Römerreichs drangen immer wieder germanische Völker (Vandalen, Sueven, Alanen) über die Pyrenäen auf römisches Gebiet vor. Sie interessierten sich nicht für das arme Baskenland. Erst die Westgoten, die seit 415 in die iberische Halbinsel eindringen, kümmerten sich auch um die Basken und führten in zweieinhalb Jahren 20 Feldzüge gegen sie. Diesmal leisteten die Basken einheitlichen und nachhaltigen Widerstand.

 

711 landeten die Araber in Spanien und wurden von dort erst 800 Jahre später vertrieben. 714 erreichten die Mauren das Baskenland und zeigten daran wenig Interesse. In einer späteren arabischen Chronik hieß es über Pamplona, die von Pompeius gegründete, reichste und größte Stadt im Baskenland: "Pamplona liegt zwischen hohen Bergen und tiefen Tälern, von der Natur wenig begünstigt."

 

Die Araber wollten Pamplona dennoch besitzen, als Militärbasis für Angriffe gegen das Land der Franken. Mehrmals nahmen die Mauren Pamplona ein, konnten es aber nicht dauerhaft halten und verloren es immer wieder an die Basken.

 

Der lange Kontakt mit dem Römerreich und die römischen "Erbschaften", die davon übrig blieben, müssen die Basken wirtschaftlich und politisch so weit gestärkt haben, dass sie von nun an ernsthafte militärische Kraft entwickeln konnten. Die baskische Gesellschaft christianisierte und militarisierte sich. Christentum und Militarisierung führten dazu, dass im Baskenland eine Klassenhierarchie entstand zwischen einer unproduktiv-ausbeuterischen, städtischen Kriegerkaste und dem produktiven bäuerlich-zivilen Landvolk.

 

Diese herrschende Ausbeuterschicht hatte sich innerhalb der baskischen Gesellschaft aus den eigenen Funktionsträgern und nicht aus fremden Eroberern entwickelt. Daher war ihre Herrschaft weniger drückend. Viele alte Freiheitsrechte der ursprünglichen Stammes-Demokratie blieben erhalten. (Siehe dazu den Punkt 3.3. Fueros).

 

Das Christentum hinderte die Basken nicht, bei Gelegenheit auch mit den Mauren gegen die Franken zu kämpfen, nachdem Karl der Große auf seinem kurzen Spanienfeldzug von 778 Pamplona angegriffen und geplündert hatte (Schlacht von Roncesvalles/Orreaga, 15. August 778, besungen im "Rolandslied"). Anders als zur Römerzeit gab es inzwischen bei den Basken ein Mehrprodukt, das von Fremden geplündert werden konnte.

 

3. Baskische Produktions- und Lebensweisen

Es ist wahrscheinlich, dass die Basken ursprünglich ein eigener ethnischer Menschentyp waren, unter anderem mit langen Ohren und einer langen Nase. Das Jesuskind auf dem Fresko des 15. Jahrhunderts scheint demnach einen baskischen Vater gehabt zu haben.

 

Bild 06: Jesuskind

 

Heute ist von körperlichen Besonderheiten im Baskenland, außer einer speziellen Blutgruppenhäufigkeit, nicht mehr viel zu finden. Zwar reichen die baskischen Bergketten bis direkt an die Küstenlinie, dennoch kann man die Bergbasken als Viehzüchter von den Küstenbasken als Fischer unterscheiden.

 

3.1. Die Bergbasken

Im allgemeinen kann man davon ausgehen, dass Bergbewohner und Bergvölker zu den Verlierern der Geschichte zählen. Sie haben ihre erschwerten Lebens- und Produktionsbedingungen nicht freiwillig gewählt, sondern sind von mächtigeren Nachbarn aus den breiten Flusstälern und fruchtbaren Niederungen vertrieben worden.

Die baskischen Pyrenäen sind nicht sehr hoch, aber steil und unwirtlich mit engen Tälern und nur schwer zugänglichen Höhen.

 

Bild 01: Tal bei Elizondo

 

Trotz Schneefalls waren die Pässe zwischen Nord und Süd in alter Zeit wie heute fast das ganze Jahr über zugänglich und passierbar. Die baskischen Berge boten zwar einen gewissen militärischen Schutz, mehr wird aber ihre Unwirtlichkeit und Ärmlichkeit von dauerhafter Eroberung durch Fremde abgehalten haben.

 

Weder die Bergbasken, noch die Küstenbasken an der Biskaya konnten sich aus ihrem eigenen Territorium ernähren und waren von alters auf ergänzende Gewerbe angewiesen, mit denen sie Lebensmittel eintauschen konnten.

 

Ursprünglich lebten die Basken zerstreut in Einzelhäusern und waren hauptsächlich Viehzüchter. Für Ackerbau gab es und gibt es kaum geeigneten Boden.

 

Bild 08: Türschnitzerei

 

Jedes Haus trug einen individuellen Namen, der die Sippe oder Familie repräsentierte, selbst wenn das Haus selber längst nicht mehr stand. Im Deutschen gibt es diese Gewohnheit noch als Adelsbezeichnung: "Er/sie stammt aus dem Hause X". Das Haus wurde über die weibliche Linie vererbt, die Männer verließen häufig das Haus und verdingten sich als Wanderhandwerker, Söldner oder Seefahrer.

 

Von außen sehen die Berghäuser der Basken aus wie die Haustypen anderer Bergbauern in der Schweiz oder in Südtirol.

 

Bild 09: Hausformen

 

Innen sind baskische Häuser ebenso dunkel wie die Häuser in anderen Bergregionen der Welt.

 

Bild 10: Treppenhaus

Licht fällt nur durch die Tür

 

Bild 11: Wohnraum

Ehemaliger Wohnraum, heute eine Bar

 

Bild 12: Kirchenraum

 

Dörfliche Siedlungen bildeten sich relativ spät. Oft bestehen sie aus je einer Häuserzeile rechts und links der schmalen Straße. Dahinter kommt allenfalls ein kleiner Gemüsegarten, dann beginnt das Weideland, kein Acker.

 

Bild 13: Häuserzeile

 

Die Bergbasken haben eigene landwirtschaftliche Geräte entwickelt wie zum Beispiel einen zweizinkigen Spaten, mit dem das Feld umgepflügt wurde, und eigene Schafs- und Rinderrassen gezüchtet. Solche Details mögen als baskische Eigenheit erscheinen, aber die Schweizer oder Tiroler haben solche Besonderheiten auch.

 

Bild 14.1: Feldarbeit

Feldarbeit war bei den Basken Frauensache.

 

Bild 14: Handmühle

Gemahlen wurde darauf mit einer Steinrolle von der Größe einer Teigrolle.

 

Viele Basken scheinen begeisterte Jäger zu sein. 19 von 20 Hinweisschildern in freier Natur sagen einfach nur: "Jagdrevier". Auf steilen Bergrücken, die über Fahrwege mit dem Auto erreichbar sind, standen die Hochsitze nur wenige Meter auseinander, auf dem Boden kiloweise verschossene Patronenhülsen.

 

Bild 15: Hochsitz

 

Nirgendwo sonst habe ich so extrem hohe Hochsitze gesehen wie im Baskenland. Ob von dort auf Adler und Geier geschossen wird?

 

"Echte Bergbasken" findet man nur noch im Museum.

 

Bild 16: Museumpaar

 

In "freier Natur" sah ich nur ein einziges Exemplar Mensch herumlaufen, das Ähnlichkeiten mit einem "echten Basken" hatte:

 

Bild 17: Hirte

 

In Neubaugebieten stehen "echte Bergbasken" im Baskenland auch als Bronzefigur.

 

Bild 18: Denkmal

 

3.2. Die Küstenbasken

In einer Höhle in Guipuzcoa hat man steinzeitliche Zeichnungen von Fischen entdeckt, die man für Meeresbrassen hält. Überall sonst kennt man aus der Steinzeit nur Binnenfischerei.

 

Die Bucht von Biskaya, das "Baskenmeer" fällt schnell in große Tiefen ab und ist kalt und fischarm. Die Küstenbasken haben noch aus den kleinsten und magersten Meeresbewohnern Speisen gemacht: die dürre Spinnenkrabbe (txangurro), die winzigen, fingerlangen Glasaale (txitxardin) und die schmalen Frühlingssardellen (txipiron).

 

Mehr als nur bloßen Lebensunterhalt brachte allein der Walfang.

Der römische Schriftsteller Plinius berichtete schon von Walen an der Nordküste Spaniens. Verschiedene Groß-Wale, aber auch Tümmler und Delphine benutzten die Bucht von Biskaya zu ihrem Winterquartier, bis baskische Walfänger sie dort ausgerottet hatten.

 

Der begehrteste Wal, der Basken-Wal (Eubalaena glacialis) hatte wie der Pottwal soviel Speck, dass er tot auf dem Wasser trieb, und nicht unterging wie andere Wale. Er konnte mit einfachen Mitteln getötet und an Land gebracht werden. Wichtigster Rohstoff dieses Wals waren rund 30 Tonnen Blubber (Tranfett), das in früher Zeit häufigste Brennmaterial für Wohnbeleuchtung. Der erste Verkauf von 40 Kannen baskischem Tranfett ist in Südfrankreich im Jahr 670 überliefert.

Verwertbar waren auch Knochen und Zähne.

 

Baskisches Walfleisch wurde im 7. und 8. Jahrhundert in ganz Europa zu einem beliebten Nahrungsmittel, weil es als Fisch galt und auch an den vielen Feiertagen gegessen werden durfte, an denen die Kirche den Verzehr von "rotem Fleisch" verboten hatte. Die Basken verkauften das Fleisch frisch, gepökelt oder wie Schinken geräuchert. Als teure Delikatesse galt die Zunge des Wals.

 

Überall an der baskischen Küste waren Wachtürme errichtet, von denen von Oktober bis März Beobachter das Auftauchen eines Wals meldeten. Dann wurde in kleinen Booten mit sechs Ruderern, einen Steuermann und einem Harpunier schnell hinausgerudert, um den Wal zu harpunieren. Das war ein anstrengender und gefährlicher Job, aber einträglich. An diese frühen Zeiten des Walfangs erinnern heute die baskischen Ruderregatten mit kleinen Barkassen.

 

Baskische Küstenstädte errichteten ein Handelsmonopol für Wale und führten den Wal im Stadtwappen (Biaritz, Hendaye, Guetaria, Motrico, Lequeitio, Bermeo, Fuenterrabia). Ihr Wohlstand gründete sich auf den Walfang. Die Stadtoberen verlangten zum Beispiel den ersten gefangenen Wal der Saison als Abgabe oder bestimmte Teile aller Wale, wie die Zungen oder Streifen von Kopf bis Schwanz.

 

Auch die feudalen Herrscher im Landesinneren holten sich ihren Anteil am Walfang. Von dem kastilischen König Alfonso XI. ist überliefert, dass er einem baskischen Fischerdorf fünf Jahre lang nicht mehr den 15., sondern nur noch den 18. gefangenen Wal abverlangte. 1498 weigerten sich die Walfänger von Labourd, Walzungen abzuliefern, die die Kathedrale von Bayonne als Kirchenzehnten verlangte. Die Wale waren in der Biskaya selten geworden.

 

Von den Wikingern hatten die Basken gelernt, größere und schnellere Schiffe zu bauen. Ebenfalls von den Wikingern stammte der auf Stöcken luftgetrocknete Kabeljau ("Stockfisch"), die einzige Vorratsspeise, die so lange genießbar blieb, dass damit längere Seereisen möglich waren. Stockfisch war eine der materiellen Voraussetzungen, die die Entdeckung Amerikas und Weltumsegelungen möglich machten. Stockfisch wurde nicht nur bei den Bergbauern im baskischen Hinterland, sondern in ganz Spanien zur Festtagsspeise.

 

Mit der verbesserten Schiffstechnik und haltbarem Proviant begannen die Basken seit dem Jahr 1000 die Wale auch in den Sommermonaten zu jagen, auch wenn sie den Walen dazu auf ihrer Wanderung bis in die 1500 Kilometer entfernten skandinavischen Fjorde folgen mussten. Der Walfang in den kalten Gewässern des Nordens war noch gefährlicher, aber auch profitabler, weil die Walfänger lokale Tribute und Steuern umgehen konnten.

 

Gleichzeitig entwickelte sich an der baskischen Küste der Schiffsbau. Eichen- und anderes Holz wuchs im gebirgigen Hinterland genug. Der Bau eines größeren Schiffes wurde in der Regel von Genossenschaften aus drei bis vier baskischen Kapitaleignern finanziert, die vom späteren Fangertrag zwei Drittel erhielten. Ein Drittel blieb der Schiffs-Mannschaft als Entlohnung.

 

Es wurden auch Schiffe auf Bestellung gebaut und als Ware exportiert. Die "Santa Maria", eines der ersten Schiffe des Kolumbus war wahrscheinlich von Basken erbaut worden. Und Kolumbus hatte mehre baskische Seeleute in seiner Mannschaft. Für die zweite Reise des Kolumbus wurden in Bermeo sechs baskische Schiffe gebaut, eines davon benötigte 85 Mann Besatzung. Der Betrieb eines solch großen Schiffes erforderte nicht nur nautische Erfahrung und handwerkliches Geschick, sondern schon fabrikmäßige Arbeitsteilung und Kooperation.

 

Das bergige baskische Hinterland lieferte der Schiffsindustrie nicht nur Holz, es gab auch Eisen. Im 15. Jahrhundert förderten die Basken ein Drittel des europäischen Eisenvorkommens. Es wurde im Baskenland verhüttet und auch zu Schwertern, Gewehrläufen und Schiffsankern weiterverarbeitet.

 

Noch im 16. Jahrhundert hatten die Basken in Neufundland und Labrador mehrere hundert Wale pro Jahr gefangen. Aber in der Biskaya waren die Wale verschwunden. Nach 1630 wurden von den Walfängern aus Zarautz ein Wal nur noch alle sechs bis sieben Jahre in der Biskaya erlegt. Als die spanische Regierung 1785 baskische Harpuniere suchte, war dieses Gewerbe ausgestorben.

 

Statt auf Walfang fuhren die baskischen Seeleute auf Handelsschiffen mit den Kolonialwaren Kakao, Leder, Kaffee und Tabak. Kapitalismus zog ein an der Baskenküste, früher als irgendwo sonst in Spanien.

 

3.3. Baskische Freiheiten - Fueros

Zwar ist man seit der Aufklärung gewohnt, die mittelalterliche Feudalzeit als "dunkles Zeitalter" zu bezeichnen. Tatsächlich hatten sich in der mittelalterlichen Gesellschaft in ganz Europa teils individuelle Rechte, teils kollektive Gemeinde- oder Korporationsrechte als traditionelle Freiheiten und Privilegien im mündlich tradierten Gewohnheitsrecht erhalten.

 

Während des ganzen Mittelalters fand überall in Europa ein ständiger Kampf statt zwischen zentralen, regionalen und lokalen Gewalten, die miteinander um Einfluss rangen. Die Basken machten da keine Ausnahme. Die baskischen Selbstverwaltungsrechte wurden im 12. Jahrhundert erstmals schriftlich fixiert, in spanischer, nicht in baskischer Sprache. Sie mussten schließlich gegenüber spanisch-sprechenden Feudalherrschern geltend gemacht werden. Noch heute werden sie auf Spanisch "Fueros" genannt.

 

Der genaue Inhalt dieser traditionellen Gewohnheitsrechte ist nur noch von geringem Interesse, wenn man von einer weitgehenden Steuerbefreiung absieht. Steuerfreiheit war nicht nur ein baskisches, sondern auch ein aristokratisches Privileg. Fest steht, dass solche Privilegien und damit auch eine weitgehende lokale Selbständigkeit überall in Europa spätestens im Zeitalter des Absolutismus verloren ging. Der zentralisierte Staatsapparat des Absolutismus wurde vom Bürgertum übernommen und ausgebaut. In Spanien verlief dieser Zentralisierungs- und Stärkungsprozess des absolutistisch-bürgerlichen Staates jedoch sehr spät.

Ein spanischer Edelmann meinte im Jahr 1808: "Unser Spanien ist ein gotisches Gebäude, das aus den heterogensten Stückchen zusammengesetzt ist, mit ebenso vielen Gewalten, Privilegien, Gesetzgebungen und Gebräuchen, als es Provinzen gibt. ... Diese Gründe werden bei uns stets die Errichtung einer Zentralgewalt verhindern, die mächtig genug wäre, unsere nationalen Kräfte zu vereinen." (zitiert nach: Karl Marx, Das Revolutionäre Spanien, MEW 10, 433-478.)

Daher blieben auch im Baskenland die Erinnerung an alte Freiheiten und Rechte lebendig. Was eine solche Erinnerung politisch wert ist, bliebe zu untersuchen.

 

Die Steuern sind die ökonomische Basis des staatlichen Gewaltapparates. Solange dieser Apparat besteht, bleibt die Steuererhebung ein "Verschiebebahnhof": Was eine Steuerart nicht einbringt, müssen andere Steuerarten einbringen. Was eine Sorte Steuerzahler weniger zahlt, dass müssen andere zusätzlich zahlen. In der kapitalistischen Gesellschaft findet ein ständiger Kampf statt, in dem jeder versucht, seine Steuerlast zu mindern, was automatisch die Steuerlast für andere erhöht. Politischen Sinn macht es, wenn die Armen Entlastung fordern und verlangen, dass die Reichen alle Staatskosten tragen. Welchen Sinn macht es aber, für eine ethnische oder regionale Bevölkerungsgruppe wie die Basken, die Reiche und Arme umfasst, Steuerprivilegien zu fordern.

 

Der Wert politischer Forderungen bemisst sich nicht an der Vergangenheit, sondern an der Zukunft. Er bemisst sich nicht danach, ob irgendwer irgendein Recht irgendwann mal hatte und nun wieder zurück möchte. Politische Forderungen müssen sich daran messen lassen, ob sie ein besseres, selbstbestimmtes Leben für die breite Masse und damit eine bessere, freie Gesellschaft ermöglichen.

Wenn es gut und richtig ist, lokale Selbstverwaltung zu fordern, warum dann nur für Basken und nicht für alle Spanier und Europäer bzw. für alle Menschen?

 

3.3.1. Verlust der baskischen Privilegien (Fueros)

Mit der französischen Revolution verloren die in Frankreich lebenden Basken alle ihre "Fueros" und sie mussten statt dessen 1804 wie alle anderen Landesteile den Code Napoleon übernehmen - ohne dass sie dagegen Widerstand leisteten. Das Baskische wurde in Frankreich als Schul- und Amtssprache abgeschafft.

 

Als die spanische Regierung im Baskenland Militär zusammenzog, um die Monarchie in Frankreich zu unterstützen, besetzten französische Truppen binnen kurzem Nordspanien und machten dabei keinen Unterschied zwischen Basken und Spaniern. In dieser gespannten Lage geschah, was mit jedem Volk in einer Revolution geschieht: Die Basken spalteten sich in Klassen und politische Lager. Die Bürger von San Sebastian (Donostia) schickten begeistert Delegierte in die französische Nationalversammlung. Die Bauern von Guipuzcoa bewaffneten sich für den Kampf gegen die französischen Eindringlinge. Wer vertrat da das "wahre Baskentum"? Wer waren die "echten Basken"?

 

Die spanische Regierung versuchte 1804 bei den spanischen Basken, was der französischen Regierung bei den französischen Basken widerstandslos gelungen war: die alten baskischen Selbstverwaltungsrechte zugunsten der Zentralregierung aufzuheben. Das löste in Bilbao eine dreijährige Revolte aus.

Die spanische Regierung geriet in eine schwere Krise und Napoleon überschritt im Februar 1808 mit seinem Heer die Pyrenäen, um die Erbschaft der spanischen Monarchie anzutreten.

 

Am 2. Mai 1808 erhoben sich die Einwohner Madrids gegen die siegreichen Franzosen und es begann der sechsjährige Spanische Unabhängigkeitskrieg. Jeder der Beteiligten kämpfte für ein anderes Ziel, die einen für die spanische Monarchie, andere für eine spanische Republik, die Basken kämpften für sich selbst und gegen den Plan Napoleons, die baskischen Provinzen in Nordspanien nach Frankreich einzuverleiben.

 

Nach der Vertreibung der Franzosen begann die Periode spanischer Bürgerkriege zwischen den einzelnen Regionen und sozialen Klassen, von denen keine entwickelt und stark genug war, alle anderen ihrem Kommando und ihrer Herrschaft zu unterwerfen. In diesem Konflikt befanden sich die Basken wieder auf beiden Seiten der Barrikaden. Das baskische Bürgertum unterstützte einen bürgerlichen Zentralstaat, die baskischen Bauern kämpften für die alten Feudalgewalten unter dem König Karl, weil sie so ihre regionale Selbständigkeit zu erhalten hofften.

 

Das rote Barett, Kopfbedeckung der Basken an den Feiertagen, wurde das Wahrzeichen dieser spanischen Karlisten. In ganz Europa wurde die Baskenmütze bekannt durch das Bild des karlistischen Baskengenerals Zumalacarregui.

 

Bild 19: Zumalacarregui

 

Die Baskenmützenträger, die ich im heutigen Baskenland fand, kann ich an einer Hand abzählen. Es waren alte Männer ohne "revolutionären Touch".

 

Bild 20: Mützenträger

 

Heute würde man die monarchistischen Karlisten des 19. Jahrhunderts als "Reaktionäre" bezeichnen. Für die damaligen Betrachter der spanischen Vorgänge schien es ein Kampf "für oder gegen die absolute Monarchie" zu sein - ein Missverständnis, weil es in Spanien eine "absolute Monarchie" im Sinne der französischen oder preußischen Entwicklung nie gegeben hatte.

 

Die europäischen Regierungen griffen mit Propaganda, Beratern, Unterstützungsgeldern und Söldnern in den innerspanischen Konflikt ein und verkomplizierten ihn dadurch. England und Frankreich unterstützten die bürgerlichen Liberalen, Russland, Preußen und Österreich unterstützen die Karlisten.

 

Beide Seiten agierten mit großer Grausamkeit. Gefangene wurden häufig niedergemetzelt. Da die baskischen Karlisten keinen Zugang zu einem größeren Hafen hatten, hatten sie ständig Probleme mit dem Nachschub an Waffen und Lebensmitteln. Oft folterten sie hochstehende Gefangene, um die Verstecke von Geld oder Vorräten zu erfahren.

 

Nach der Niederlage der baskischen Karlisten hatte die siegreichen spanischen Machthaber wenig Grund, die traditionellen Selbstverwaltungsrechte der Basken zu schützen. Per Gesetz wurde im Jahr 1841 die baskische Autonomie abgeschafft.

Das hatte für das Baskenland weitreichende wirtschaftliche Folgen. Bis dahin waren die spanischen Zollbeamte südlich des Baskenlandes am Ebro stationiert. Das Baskenland war bis dahin zollfreie Zone. Ab jetzt wurde der Warenverkehr schon an der Grenze zu Frankreich von spanischen Beamten kontrolliert. 1844 wurde die Guardia Civil geschaffen, die bis heute das Baskenland unter ihrer Knute hält.

Jedes bewohnte Bergtal des Baskenlandes überschaut so eine villenartige Kaserne für rund 80 oder 100 Bewaffnete der Guardia Civil.

 

Bild 21: Guardia Civil

 

Ich hatte kaum dieses Foto gemacht und die Kamera weggepackt, da marschierte ein Offizier aus der Kaserne die Auffahrt herunter und sagte mir auf Spanisch höflich, aber bestimmt: Ich würde Probleme bekommen, wenn ich dieses Gebäude fotografiere. Dann zog er wieder ab, vielleicht weil er den Eindruck hatte, dass ich das Bild gelöscht hätte.

 

Bild 22: Guardia Civil

Dasselbe Gebäude der Guardia Civil aus größerer Entfernung von der anderen Talseite aus.

 

Bild 23: Guardia Civil

Die Kaserne der Guardia Civil in einem anderen Tal

- von derselben Bauart, aber am Ortsrand. Ringsum videoüberwacht.

 

Heute kommt im Baskenland auf 143 Einwohner ein bewaffneter Polizist. Das Baskenland ist die Region in Europa, die am intensivsten polizeilich überwacht wird. In Baden-Württemberg zum Beispiel steht ein Polizist 435 Einwohnern gegenüber.

 

Das Zeitalter der spanischen Bürgerkriege dauerte im Grunde durch das ganze 19. Jahrhundert bis zum Machtantritt Francos, der durch seine blutige Diktatur die alten Gewalten, feudale Großgrundbesitzer und Kirche, zusammenschloss mit der neu aufkommenden Bourgeoisie. Franco leistete für Spanien, was Bismarck für Deutschland tat: Eine drohende Revolution abzuwenden und den Kapitalismus zu fördern, ohne die feudalen Grundbesitzer und die Kirche zu verprellen.

 

3.4. Baskischer Kapitalismus

Die Änderung der Zollgrenzen behinderte den baskischen Handel nach Nordeuropa, öffnete aber den spanischen Markt, der nun von baskischen Produkten und Händlern erobert wurde.

1856 hatte Henry Bessemer entdeckt, dass die Zufuhr von Sauerstoff die Stählung von Eisen verbessert. Dann stellte sich heraus, dass das Bessemerverfahren nur mit Hämatiteisen funktionierte, das in Europa nur in einer Region gefördert wurde: in der Biskaya.

 

Eine Eisenbahnlinie von den Bergwerken zum Hafen nach Bilbao wurde gebaut. 90 Prozent des baskischen Eisenerzes wurde nach England verfrachtet, der Rest im Baskenland verhüttet. Als Rückfracht brachten dafür die Schiffe Kohle aus England mit. Die kleinen baskischen Eisenhütten fusionierten zu einem Konzern, der einer der größten Stahlproduzenten der damaligen Welt war. Das Baskenland beherbergte nicht nur die führenden Kapitalisten Spaniens, sondern wurde zum Ziel tausender verarmter Bauern und Handwerker Spaniens, die sich in der baskischen Industrie als Lohnsklaven verdingten.

 

Durch diesen Arbeiter-Zustrom wuchs die Bevölkerung im Baskenland zwischen 1860 und 1900 auf das Doppelte. Bilbao war 1850 eine überschaubare Kleinstadt mit 20.000 Einwohnern. Um 1900 beherbergte sie fast 100.000 Einwohner. Die Basken wurden im Baskenland zur Minderheit - vor allem in den Städten, aber sie blieben die wirtschaftlich herrschende Minderheit.

 

Die spanischen Immigranten wurden verachtet und als "Chinesen", "Maketos" (Fremdlinge) oder als "belarri mtox" (Kurzohren) bezeichnet. Die Verachtung der Proletarier aus Andalusien trug zur elitär-rassistischen Selbstinterpretation der Basken bei.

Selbstkritisch schrieb dazu der baskische Gelehrte Unamuno: "Nachdem Bergwerke und Industrien die Anhäufung großen Reichtums erleichtern, kann man heute .... beobachten: Unternehmungslustig und fleißig, gewiss, aber auch unerträglich, hat er den Bilbaino gemacht, den sein Reichtum nun zu dem Glauben verleitet, er gehöre einer besonderen, überlegenen Rasse an. Andere Spanier, die keine Basken sind, mustert er mit einer gewissen Verdrießlichkeit, wenn sie arm sind, und nennt sie verächtlich maquetos."

 

Wie in England wurden in Spanien die Aristokraten und Landlords zu den ersten und schärfsten Kritikern des liberalen Kapitalismus. Die Karlisten-Zeitung "La Reconquista" schrieb damals: "Der Fabrikarbeiter war praktisch ein Sklave, den der Liberalismus zur Maschine gemacht hatte; er war nur gut für die Produktion ..."

 

Auch Karl Marx hatte die Lohnarbeiter als "bloßes Produktionsmittel" des Kapitals bezeichnet (Kapital I, MEW 23, 280) und als Lohnsklaven: Lohnarbeit ist "Tätigkeit im Dienst, unter der Herrschaft, dem Zwang und dem Joch eines anderen Menschen." (Ökonomisch-philosophische Manuskripte, MEW 40, 519). Lohnarbeit bleibt "ihrem Wesen nach immer Zwangsarbeit ... , wie sehr sie auch als das Resultat freier vertraglicher Übereinkunft erscheinen mag." (Kapital III, MEW 25, 827).

 

Die baskischen Kapitalisten waren mehr als nur "unerträglich". Sie waren gnadenlose Ausbeuter und schufen so den Nährboden für eine organisierte kommunistische und anarchistische Arbeiterbewegung in den baskischen Industriezentren.

 

1872 erwuchs aus einer Rebellion baskischer Monarchisten der zweite Karlistenkrieg. Wieder kämpften Region gegen Region und bürgerlich-kapitalistische Basken in den Städten gegen die bäuerlich-aristokratische Basken auf dem Land. Die liberalen Truppen steckten Kirchen und Klöster in Brand, die Karlisten zerstörten die Rathäuser, weil dort seit 1869 die standesamtliche Trauung vollzogen wurde.

 

Auch diesen spanischen Bürgerkrieg verloren die Karlisten. Per Gesetz vom 21. Juli 1876 wurden die letzten baskischen Selbstverwaltungsrechte abgeschafft. Nun mussten die Basken wie alle Spanier ihre Steuern direkt an die Zentralregierung zahlen und Basken mussten im spanischen Militär überall Kriegsdienste leisten. Bisher durften sie nur innerhalb des Baskenlandes eingesetzt werden.

 

3.5. Baskentum als Ideologie

Als Kaufleute, Fabrikherren und Bankiers waren die Basken erfolgreich. Als Militärs und Politiker waren sie gescheitert. Aus dieser Mischung aus baskischem Erfolg und baskischer Frust erwuchs nun ein neues intellektuelles Interesse am Baskentum, das "den Ruhm ihrer Vergangenheit studierte, um das Elend ihrer Gegenwart zu verstehen".

1884 erschien die bahnbrechende "Grammatik der vier Dialekte" des Baskischen von Arturo Campion.

1885 verfasste Miguel de Unamuno y Jugo seine Doktorarbeit mit dem Thema: "Kritik des Streits um Ursprung und Vorgeschichte der baskischen Rasse."

1891 erschien eine weitere "Baskische Grammatik" von Ressurreccion Maria Azkue.

1898 publizierte der Pfarrer Domingo de Aguirre den ersten Roman in baskischer Sprache ("Aunamendiko Lorea", Blume der Pyrenäen), bis dahin schien das Baskische Euskera nicht zur Literatursprache zu taugen.

Am einflussreichsten für diese "Baskische Renaissance" wurde Sabino Arana, der mit einer Mischung aus Einfallsreichtum, Phantasie und Lügen die "baskische Identität" erschuf. Er erfand die politische Nomenklatur des Baskentums, die noch heute in Gebrauch ist:

"Euskadi" für Baskenland,

"aberri" für Vaterland,

"abertzale" für Patriot,

"azkatasuna" für Freiheit usw.

Arana wurde zum Duden des Baskischen, der die baskische Rechtschreibung so reformierte, dass die Schreibweise möglichst "unspanisch" aussah. Arana erfand die baskische Nationalfahne in Rot, Grün mit weißem Kreuz und schrieb den Text der baskischen Nationalhymne. Arana war fanatischer Katholik und Antisemit, ein baskischer Rassist. Arana und seine Anhänger lebten zwar hauptsächlich in der Stadt, glorifizierten aber das Bauerntum.

 

Die Beschäftigung mit der baskischen Vergangenheit, der Sprache und Kultur der Basken war bisher mehr oder minder eine Sache der Gelehrten. Seit dem spanischen "Desaster", dem Verlust des spanischen Weltreichs im amerikanisch-spanischen Krieg wurde der Nationalismus der Basken und Katalanen zu Massenbewegungen. Die wirtschaftlich erfolgreichen Basken und Katalanen fühlten sich den rückständigen Kastiliern und Andalusiern überlegen und politisch nicht genügend repräsentiert und pochten auf ihre Eigenständigkeit.

 

Die spanische Zentralregierung reagierte auf dieses "innenpolitische Desaster", das dem außenpolitischen Desaster folgte, mit heftiger Unterdrückung. Der verbissene Kampf zwischen dem spanischen (zentralistischen) Nationalismus und dem baskischem und katalanischem (föderativen oder separativen) Nationalismus begann. Ein Kampf, der bis heute noch nicht entschieden ist.

 

4. Baskentum als antifaschistische Bewegung

Die Gründung der spanischen Republik von 1931 fand im Baskenland (mit Ausnahme von Donostia, Bilbao und Gasteiz) keine Unterstützung. Diese Republik war den ländlich-katholischen Basken zu links, zu kirchenfeindlich. Die Baskische Nationalistische Partei PNV wurde von Kapitalisten geführt und war geprägt von einer katholisch-konservativen Ideologie. Sie war vor allem rassistisch und spanienfeindlich. Das Baskische sollte im Baskenland zur einzig zugelassenen Sprache werden, Heiraten zwischen Basken und Spaniern wurden bekämpft.

 

Je mehr aber die spanische Republik durch die politische Polarisierung Spaniens in Notlage geriet, desto mehr war sie auf Unterstützung des kapitalistischen Nordens angewiesen. Mit Katalonien war schon 1931 ein Autonomiestatut ausgehandelt worden. Die Verhandlungen mit der Baskischen Nationalpartei dauerten länger.

 

Da rebellierten Monarchisten und Faschisten am 18. Juli 1936 offen gegen die Republik. Wieder standen Basken gegen Basken: Die Basken in Alava und Navarra unterstützten diesen Staatsstreich. In anderen Teilen des Baskenlandes hoffte man auf einen baldigen Verhandlungserfolg der baskische PNV mit der Madrider Regierung. Am 1. Oktober 1936 verabschiedete das spanische Parlament weitgehende Autonomierechte für das Baskenland. Am gleichen Tag riefen die Rebellen Francisco Franco zum Staatsoberhaupt aus. Am 7. Oktober wurde der jugendliche Führer der PNV, Aguirre, zum Oberhaupt der baskischen Regierung eingesetzt. Er versprach: "Solange der Faschismus nicht besiegt ist, wird der baskische Nationalismus auf seinem Posten bleiben."

Der baskische und der katalonische Nationalismus wurden zum Rückhalt des antifrancistischen und antifaschistischen Kampfes in Spanien und sind es bis heute geblieben. Die Heldentaten der katalanischen und baskischen Antifaschisten werden von der Geschichte nicht vergessen werden.

 

Heute werden die Heldentaten des antifaschistischen Kampfes überall in Spanien ebenso totgeschwiegen wie die francistischen Verbrechen und allenfalls von katalanischen oder baskischen Medien thematisiert. Im Museum von Pamplona gibt es nur zwei Gemälde, die an den spanischen Bürgerkrieg erinnern: Je ein Bild für jede kämpfende Seite.

 

Bild 24: Bürgerkrieg1

 

Bild: Bürgerkrieg2

 

Nach dem alliierten Sieg über den deutschen und italienischen Faschismus 1945 überlegte die baskische Exilregierung, die während des Krieges in New York residiert hatte, drei Optionen: Sie konnte den bewaffneten Widerstand gegen Franco beginnen. Sie konnte politischen Druck auf Madrid durch Demonstrationen und Massenproteste ausüben oder sie konnte auf internationale Diplomatie und amerikanische Unterstützung setzen. Die Parteiführer der PNV entschieden sich für die letzte und bequemste Option. Für alle US-Regierungen blieb jedoch das antikommunistische Franco-Spanien ein wichtigerer Bündnispartner als der Unruheherd Baskenland.

 

Franco überlebte die Niederlage des europäischen Faschismus mit amerikanischer Hilfe und der antifaschistische Widerstand im Baskenland blieb inaktiv und gelähmt. Diese Lähmung wollte die 1952 von fünf Studenten in Bilbao und Donostia (San Sebastian) gegründete anarchistische Organisation ATA überwinden, die 1959 in ETA umbenannt wurde: "Euskadi Ta Askasuna", Baskenland und Freiheit.

 

Ende 1959 war ETA auf gut 200 Mitglieder angewachsen und begann, bewaffnete Widerstandsbewegungen zu studieren, darunter auch die jüdische Bewegung Irgun, die in Palästina mit Waffengewalt für den israelischen Staat gekämpft hatte. Der erste Sprengsatz detonierte 1961 in einem Gebäude der Guardia Civil. Noch im gleichen Jahr wurde ein Zug mit spanischen Reisenden im Baskenland zum Entgleisen gebracht. Die spanische Regierung reagierte mit Massenverhaftungen, Folterungen und Haftstrafen.

 

Die intellektuellen Anhänger der ETA hofften auch auf aktive Unterstützung durch die Arbeiterbewegung, aber die Mehrzahl der Lohnarbeiter im Baskenland sprachen nicht baskisch und baskische Traditionen waren ihnen fremd. Txillardegi, einer der ETA-Gründer, meinte deshalb: "Ein Baske ist jemand, der baskisch spricht. Es gibt aber Basken, die kein Baskisch sprechen. Das liegt an Madrid. Sie sind Opfer." Nach seiner Ansicht bestand das Elend der Lohnarbeiter darin, von Madrid davon abgehalten zu werden, die Sprache ihrer Ausbeuter zu lernen. Nach der Errichtung eines "freien Baskenlandes" sollten diese "Madrider Opfer" gezwungen werden, Baskisch zu lernen und zu sprechen.

 

1967 hatte die ETA vielleicht 450 Mitglieder und nannte sich ab sofort eine "baskische sozialistische nationale Befreiungsbewegung". Das erste tödliche Attentat erfolgte 1968 als Racheakt an dem Tod ihres neuen Leitungsgenossen Etxebarrieta, der während einer Straßenkontrolle durch eine Schießerei mit der spanischen Polizei starb.

 

Etxebarrietas politisches Konzept glich dem Konzept der deutschen RAF: Punktuelle und gezielte Attentate sollen eine ungezielte, breitgestreute Unterdrückung der Gewalthaber provozieren. Beides zusammen löst dann einen revolutionären Massenaufstand der Unterdrückten aus. Ich kenne kein Land und keine Zeit, in der dieses Konzept je erfolgreich gewesen wäre.

 

Bild 26: Politische Gefangene

Fotos von 700 politischen Gefangenen, denen Unterstützung der ETA vorgeworfen wird.

 

Bild 27: Tomaten

Bildhafte Tomatenwürfe für spanische und französische Staatsmänner

 

Bild 28: Aufruf

Aufruf, die Baskenfahne aus dem Fenster zu hängen.

 

Bild 29: Fahne

Der Aufruf wird auch befolgt. Ein Risiko geht man da nicht ein ...

 

Bild 30: Fahnen

... denn die Baskenfahne hängt auch an offiziellen Orten wie hier am Flughafen Bilbao friedlich neben den Fahnen Spaniens und der EU.

 

Bild 31: Plakat0

 

Bild 32: Konzert

 

Bild 33: Plakat

 

Bild 34: Handgemalt

 

Bild 35: Nazilosung

Das muss ein Neofaschist geschrieben haben. Auf Baskisch heißt die Stadt Iruna.

 

Die Aufteilung der politischen Lager in verschiedene Sprachen macht die politische Identifizierung ganz simpel: Wer unsere Sprache spricht, ist ein "Guter", wer nicht, ist unser Feind.

 

Bild 36: Druckerei

 

 

5. Baskentum als Business

Die Autos, die die VW-Kapitalisten in Pamplona bauen lassen, haben kein lokales Gesicht und tragen nicht den Stempel des Baskentums. Am Baskentum lässt sich nur vermarkten, was handwerklich produziert ist. Das Baskentum als Business ist daher ein Nischengeschäft mit handwerklichem, vorkapitalistischen Gepräge. Eine dieser Nischen ist der baskische Ballsport.

 

5.1. Pelota

"Pelote" kommt aus dem Französischen als Bezeichnung für ein Schnur- oder Wollknäuel. Mit Leder umhüllt wurde daraus ein Ball. Die Basken hatten das Gummi nach Europa gebracht und das Wollknäuel durch Gummi ersetzt. Der Gummiball hatte eine viel höhere Sprungkraft und erlaubte das Spielen gegen eine Wand. Daraus wurde "Pelota" – eine frühe Form des modernen Squash.

 

Bild 37: Pelota

 

Neben der Kirche ist das Fronton, die Spielhalle für Pelota, meist das größte Gebäude in baskischen Dörfern.

 

Bild 38: Pelota

 

5.2. Einzelhandel

Was auch überregional vermarktbar ist, das ist die Natur im Baskenland, teils als Rohstoffreservoir, teils als Erholungsgebiet. Auf den ersten Blick scheinen die Basken Natur im Überfluss zu haben. Der Forst von Irati zum Beispiel besteht aus dem größten geschlossenen Buchenwald Europas.

 

Bild 39: Buchenwald

 

Doch der scheinbare Überfluss an Natur zeigt überall seine Begrenztheit auf. Der Wasserspiegel des Stausees von Esa, dem größten Stausee der Pyrenäen, lag in diesem trockenen Sommer mindestens 10 Meter tiefer als sonst.

 

Bild 40: Stausee

 

In diesem regenarmen und heißen Sommer 2005 blieb der Wasserstand der Flüsse und Bäche in den baskischen Pyrenäen so niedrig, dass sich überall Algen bildeten. Bei unserer Wanderung über den G.R. 11 war es meist wichtiger, frisches Wasser zu finden als einen Platz zum Schlafen. Mehrmals waren wir auf letzte Wasserlachen im sonst ausgetrockneten Bachbett angewiesen.

 

 

Bild 44: Gegen den Staudamm von Itoiz

 

Bild 41: Wasserverschmutzung

 

Wo größere Profite winken, wie im Wintersport, wird mit der Natur auch in den Pyrenäen herrisch umgegangen. Was krumm ist, wird gerade gemacht. Was Kanten und Ecken hat, wird viereckig geschnitten, damit Natur als kapitalistische Ware verkauft werden kann.

 

Bild 42: Rechteck

Künstliches Wasserbecken als Reservoir für Schneekanonen

 

5.2.1. Bioläden

 

Bild 43: Bioladen

Das ist einer von zwei Bioläden, auf die ich im Baskenland gestoßen bin.

Er hatte den Charme der deutschen Reformhäuser der 50er Jahre.

Ein Bioladen in Pamplona war geschlossen wegen Geschäftsaufgabe.

 

5.2.2. Andenkenläden

Neben dem Tourismus und für den Tourismus gibt es auch Läden, die "typische" Baskenprodukte vertreiben, also die käufliche Erinnerung an die baskische Vergangenheit vermarkten.

 

Bild 46: Laden

Die Andenken-Läden im Baskenland unterscheiden sich nicht

von Läden in der Schweiz, dem Schwarzwald oder in Tirol.

 

Bild 47: Laden

Was diese Läden anbieten,

sind nutzlose Handwerksarbeiten aus Holz oder Porzellan und sonstiger Heimat-Kitsch.

 

Bild 48: Andenken

 

Bild 49: Andenken

 

Bild 50: Andenken

 

Aber es entsteht auch eine Industrie, die speziell Produkte mit jugendlichem Baskendesign und Baskenlogos herstellt.

 

Bild 51: Logo

Logo einer Firma, die auf Baskendesign für Jugendliche und Kinder spezialisiert ist:

meist Spielzeug und Kleidung.

 

5.3. Musik

Bild 52: Musik

Auch die Musikindustrie bedient den baskischen Geschmack: In Bars und Cafes gab es eine Mischung aus irischer Volksmusik und deutschem Zupfgeigenhansel zu hören.

 

5.4. Theater

Volkstheater darf nicht fehlen.

 

Bild 53: Theater

 

Vom Text, der teils gesprochen, teils gesungen wurde, habe ich freilich kein Wort verstanden. Aufgetreten sind jedoch deftige Männer im baskischen Museumskostüm. Aus dem Hinterhalt wurde einer erschossen. Der Pfarrer trat auf. Die Frauen blieben immer hübsch im Hintergrund. Nein danke! Ich möchte nicht Baske werden.

 

Bild 54: Theater

 

5.5. Pilgerweg nach Santiago de Compostella

Auch die Pilgerreise nach Santiago de Compostella war von Anfang an eine Vermarktungsidee einer armen Gegend. Dieses Santiago liegt zwar in Galizien und nicht im Baskenland, aber der Großteil der drei Wegstrecken führt durch das Baskenland.

 

Die Legende vom Grab des Hl. Jakob in Galizien wurde erfunden, um der armen Gegend fremdenverkehrsmäßig aufzuhelfen und heute noch machen sich Leute zu Fuß auf den gut 800 Kilometer langen Weg von. Im Jahr 2003 waren es insgesamt 75.000 Pilger, von denen angeblich 60.000 die gesamte Strecke schafften. Wie wir bei der Busfahrt von Jaca nach Pamplona (Irunea) sahen, haben etliche gemogelt und sind in unseren Bus zugestiegen. 70 Prozent der Pilger geben an, sie hätten religiöse Motive.

 

Bild 55: Pilger

 

Es machen sich doppelt so viel Männer wie Frauen auf, meist grauhaarige Herren in kurzen Hosen mit Endlife-crisis und Beziehungsproblemen. Die häufigste Berufsgruppe sind die Lehrer.

 

Bild 56: Pilger

 

Wer sich diese Wanderung antut, muss schwer gesündigt haben oder er/sie kann nicht Karten lesen. Es gibt ein paar landschaftlich schöne Tagesetappen in den Pyrenäen, aber die längste Zeit müssen die Wanderer mit der Jakobsmuschel auf Wegen parallel zur Landstraße, oft auch auf dem Randstreifen der Straße laufen.

Mit intensivem Gottes- oder Naturerlebnis hat das nichts zu tun. Es ist ein intensives Erlebnis des Autoverkehrs. Beim Tippeln neben der Straße hört man den Autoverkehr intensiver, als wenn man selber im Auto sitzt, und man riecht die Autos intensiver. Auf der Pilgerreise nach Compostella lernt mensch, vorbeirasende Autos nach ihrem Krach und ihrem Gestank zu unterscheiden.

 

Wer meint, er werde unterwegs durch den Besuch alter Kirchen und Klöster kulturell entschädigt werden, der wird nochmals enttäuscht werden. In jeder Region Europas sind Kirchen und Klöster abwechslungsreicher und prächtiger ausgestattet als im traditionell armen und architektonisch eintönigen Nordspanien.

Die Pilgerreise nach Compostella ist eine schwere Strafe. Man sollte sie allgemein einführen für alle Autofahrer, die eine FußgängerIn totgefahren haben.

 

Literatur:

Norman Berdichevsky, Spanish Vignettes. An offbeat look into Spain's Culture, Society & History. Santana Books, Fuengirola 2004.

Mark Kurlansky, Die Basken. Eine kleine Weltgeschichte. Claassen. München 2000.

Prames (edita): G.R.11, Senda Pirenaica de mar a mar. Mapas de etapa escala 1:40.000. (Federacion Aragonesa de Montanismo).

Karl Marx, Das revolutionäre Spanien, MEW 10, 433-478.

Karl Marx, Die Reaktion in Spanien, MEW 10, 486-491.

Karl Marx, Die Revolution in Spanien, MEW 12, 37-48.

 

 

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Wal Buchenberg, 10.09.2005

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