Finanzwirtschaft und Realwirtschaft anno 2008 

Weltweit verlieren die Aktienmärkte an Wert. Globale "Finanzplayer" sind heilfroh, wenn sie für einen Apfel und ein Ei die Besitzer wechseln, statt wie die Großbank Lehman Brothers insolvent zu werden, während niemand sie übernehmen will. Prominente Kapitalvertreter rufen laut nach Staatshilfe, und die Regierungen tun, was von ihnen verlangt wird:

In Deutschland wurde die IKB-Bank für gut 10 Milliarden Euro "sozialisiert" und der Verkauf der maroden SachsenLB an die LBBW mit 17 Mrd. Staatsknete "gefördert". Am 13. Oktober wurde ein "Hilfspaket" im Umfang von 430 Milliarden Euro geschnürt.
In England zahlte die Regierung 34 Mrd. Euro für die Verstaatlichung der Pleitebank Northern Rock.
In den USA kostet die Verstaatlichung der Hypothekenfinanzgesellschaften Fannie Mae und Freddie Mac mindestens 300 Mrd. US-Dollar. Dann war die größte Versicherungsgesellschaft der Welt, die AIG, an der Reihe, für die aus dem US-Steuersäckel 85 Mrd. Dollar fällig werden. Die US-Regierung will inzwischen mit Steuergeldern wertlose "Sicherheiten" der Finanzwirtschaft im Wert von fast 500 Mrd. Euro aufkaufen. Alle diese Regierungen geben Geld für die Finanzwirtschaft aus, das sie gar nicht besitzen. Wo Märkte "versagen", hilft der Staat - alles wie gehabt?

Der Direktor des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts warnte nach den jüngsten Finanz-Pleiten vor "falscher Panik" und meint, die Wachstumsprognose für die Wirtschaft in Deutschland müsse nur "um einzelne Zehntelpunkte" nach unten korrigiert werden. Neben solchen professionellen Gesundbetern sehen linke wie rechte Paniker das Ende der "Welt, wie wir sie kennen" und behaupten, der "Kapitalismus habe fertig" oder gebildet auf Englisch: "Game over".

 Um diese widersprechenden Ansichten nachzuprüfen, versuche ich die aktuellen Entwicklungen auf den Finanzmärkten mit den Verflechtungen zwischen "Realwirtschaft" und "Finanzwirtschaft" aufzuzeigen. Ich kann und will keine Prophezeiungen abgeben, hoffe aber, dass die Leser des Textes ein bisschen besser verstehen, was derzeit mit dem Kapitalismus passiert.

1. Woher kommen die Finanzmilliarden?

1.1. Industriekapital und Profit

Ausgangspunkt aller scheinbar mühelos verdienten und schnell wieder verlorenen Finanzmilliarden ist die "Realwirtschaft". In unseren Lehrbüchern steht: Die erste Quelle der Finanzwelt sei das "Sparen privater Haushalte". Diese "privaten Sparer" können weder HartzIV-Empfänger noch durchschnittliche Lohnarbeiter sein. Bei deren Einkommen bleibt nichts übrig für Finanzinvestitionen. Tatsächlich ist die Hauptquelle und die Basis der Finanzwirtschaft das industrielle Kapital.

 Wie das üblicherweise abläuft, zeigt die Grafik 01:

 

Der Kreislauf des Industriekapitals beginnt oben rechts im Uhrzeigersinn mit der Investition: "Geld kauft Ware" (Arbeitskraft plus Produktionsmittel). Diese Produktionsfaktoren verbinden sich im Produktionsprozess zu Waren von neuer Gestalt und höherem Wert (W').

Die im Wert angereicherte Warenmenge W' kann also theoretisch geteilt werden in (W) plus den Zusatzwert Delta-Ware.

Der industrielle Kapitalist und Unternehmer verkauft die gesamte Warenmenge und verwandelt sie dadurch wieder in Geld. Auch diese vermehrte Geldmenge G' lässt sich darstellen als G (= vorgeschossenes Kapital) plus g (= versilberter Mehrwert).

Der versilberte Mehrwert tritt aus dem Kreislauf heraus, das ursprüngliche Kapital tritt wieder in den Kreislauf ein.

Damit der Produktionsprozess wie bisher weiterläuft, muss G wieder neu in Arbeitskraft und Produktionsmittel (W) verwandelt werden. Sofern sich die äußeren Bedingungen nicht geändert haben, geht das ohne Schwierigkeiten vonstatten, weil das neue G gleich groß ist wie das ursprüngliche G. Dieselbe Menge G kauft wieder dieselbe Menge Arbeitskraft und Produktionsmittel.

Mit dem neuen G beginnt ein neuer Kreislauf wie oben:

In diesem Kreislauf erscheint das industrielle Kapital als Perpetuum mobile, das immer neu das vorgeschossene Kapital G reproduziert und gleichzeitig ein Delta-G, den versilberten Mehrwert auswirft.

 Jeder dieser Kapitalumschläge teilt sich in eine Produktionsphase und zwei Marktaufenthalte (Zirkulationsphasen). Beim ersten Marktaufenthalt (auf dem Kreis zwischen ein Uhr und 17 Uhr) verwandelt sich Geldkapital in produktives Warenkapital (G - W) (18 Uhr bis 20 Uhr), beim zweiten Marktaufenthalt (von 20 Uhr und 24 Uhr) wird die produzierte Ware wieder versilbert (G - W).

 Die Länge dieses Kapitalumschlags in der realen Welt ist je nach Branche und Entwicklung der Produktivkräfte verschieden. Nur als Beispiel nehme ich die Autoindustrie, wo ein Auto in der Produktionsphase durchschnittlich in rund 15 Tagen montiert wird. Zu dieser Zeit der Endmontage wäre noch die Entwicklungszeit und die Produktionszeit von Zulieferteilen hinzu zu rechnen. Ich schätze beides zusammen auf rund 5 Tage pro PKW. Zusammen ergibt das eine Produktionszeit pro PKW von 20 Tagen.

Für die erste Zirkulationsphase - die Zeit, die nötig ist, um Arbeitskraft und Produktionsmittel bereitzustellen, rechne ich durchschnittlich 5 Tage pro PKW. Für die zweite Zirkulationszeit, in der das fertige Auto auf den Markt kommt und auf Käufer wartet, gab der "Economist" eine durchschnittliche Dauer von 40 Tagen an.

Man käme so auf eine Kapitalumschlagszeit pro PKW von 5 + 20 + 40 = 65 Tagen oder drei Arbeitsmonaten.

 Als Schema lässt sich ein Kapitalumschlag vom nächsten trennen. In der Wirklichkeit verläuft der Produktions- und Zirkulationsprozess des Kapitals jedoch kontinuierlich, weil sich das industrielle Kapital innerhalb seines Kreislaufs auf alle Punkte verteilt und sich ständig gleichzeitig in allen Phasen befindet. Die Auto-Kapitalisten müssen nicht 65 Tage warten, bis der nächste PKW produziert ist. In modernen Autowerken verlässt mindestens jede Minute ein fertiges Auto die Fabrikhallen.

Toyota macht an jedem Auto 1.742 Dollar Profit, Nissan sogar 2.402 Dollar. (Siehe dazu Globale Krise der Autoindustrie http://www.marx-forum.de/geschichte/deutschland/auto.html ). Selbst wenn wir annehmen, dass andere Autohersteller pro PKW nur 1.000 oder 500 Euro Profit machen, dann werden auch dort jede Minute 1.000 oder 500 Euro Profit "ausgespuckt".

Was geschieht mit diesem Profit?

 Ein Teil des kapitalistischen Profits heißt "Revenue" und dient dem Lebensunterhalt der Kapitalistenklasse und ihres Anhangs. In statistischen Übersichten ist dieses Einkommen unter dem Stichwort zusammengefasst: "Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen".

Zahlenmäßig macht die Kapitalistenklasse in Deutschland derzeit rund 3 Prozent der Erwerbsbevölkerung, hinzu kommen allerdings noch kleine, traditionelle Selbständige mit rund 7 % der Erwerbsbevölkerung. Grob gerechnet erhalten diese zehn Prozent der Bevölkerung 34 Prozent des Volkseinkommens in Deutschland ( Siehe Lohnquote 2006 http://www.postbank.de/csfiles/ReseachSpezialAug2007.pdf).

An anderer Stelle http://www.marx-forum.de/geschichte/deutschland/bip_2006.html hatte ich für das Jahr 2006 errechnet, dass die Kapitalisten in Deutschland pro Kopf ein Netto-Durchschnittseinkommen von 146.250 Euro hatten. Dort ist die Quelle für "privates Sparen".

Je größer ein solches Kapital-Einkommen ist, desto leichter teilt sich in zwei Teile: Ein Teil wird privat verkonsumiert (Revenue) ein anderer Teil tritt als Zusatzkapital auf. Nur in der Frühphase des Kapitalismus mussten sich viele potentielle Kapitalisten ihr Kapital "vom Mund absparen".

In den offiziellen Statistiken findet sich dieses Zusatzkapital als "Sparquote" wieder. Es ist Geld, das weder im eigenen Unternehmen angelegt wird, noch verkonsumiert wird. Diese "Sparquote" liegt in Deutschland derzeit bei 11 Prozent des Volkseinkommens. Im Jahr 2006 waren das knapp 160 Mrd. Euro. Diese 160 Mrd. Euro waren überschüssiges Zusatzkapital, das nach profitabler Anlage suchte.

 

1.2. Zusatzkapital und Akkumulation

Nehmen wir zunächst an, das verfügbare Zusatzkapital wandert vollständig zurück in die eigenen Unternehmen. Damit wächst das aktive, Kapital, der Kreislauf des industriellen Kapitals weitet sich zur Spirale.

Siehe dazu die Grafik 02:

 

 

Irgendwann aber tritt ein Punkt ein, an dem es profitabler wird, das Zusatzkapital in neue Branchen oder in neuen Regionen anzulegen. Kapitaltransfer und Kapitalexport beginnen und nehmen zu. Seit Jahren sinkt in Deutschland die Investitionsquote relativ zum Bruttoinlandsprodukt.

Kapitalexport und Kapitaltransfer beginnen nicht, weil es keine Anlagemöglichkeiten mehr im eigenen Betrieb und im eigenen Land mehr gäbe. Sie beginnen und weiten sich aus, weil die neuen und fremden Anlagemöglichkeiten profitabler sind oder mindestens profitabler scheinen.

Ausmaß und Verteilung des weltweiten Kapitaltransfers seit 1980 zeigt die Grafik 03

 

Die Daten zeigen, dass die industriellen Direktinvestitionen in diesem Zeitraum sich mehr als verdoppelt haben. In Gewerkschaftszeitungen heißt es dann die "Arbeitsplätze" wandern ins Ausland. Ein Heilmittel dagegen gibt es nicht - es sei denn die Löhne in Deutschland werden relativ zu den ausländischen Standorten gesenkt.

Deutlicher noch als die Direktinvestitionen stiegen die Geldgeschäfte mit dem Ausland und die Finanzinvestitionen im Ausland

Die weltweiten Finanzinvestitionen stiegen seit 1980 von rund 4% des Welt-BSP auf rund 14% des Welt-BSP. Es handelt sich um eine überproportionale Ausweitung der Finanzwirtschaft, ohne entsprechendes Wachstum der "Realwirtschaft". In diesem Faktum liegt meines Erachtens der Kern der gegenwärtigen Finanzkrise. Es handelt sich um ein Anwachsen des Finanzkapitals ohne entsprechendes Wachstum des industriellen Kapitals. Die Ursachen dafür liegen in den chronisch sinkenden Profitraten des industriellen Kapitals. Kapital wandert dorthin, wo mehr Profit winkt. In den letzten 20 Jahren wanderte überproportional viel Kapital in die Finanzwirtschaft.  

2. Die Vermehrung der Finanzmilliarden

2.1. Geldschöpfung der Banken?

Die Frage, wie die Banken aus Geld urplötzlich mehr Geld machen können, ist so rätselhaft und so simpel wie die Frage der frühen griechischen Philosophen, ob ein fliegender Pfeil sich an einem einzigen Ort oder an mehreren Orten befinde.

Jeder unkomplizierte Kopf weiß: Ein fliegender Pfeil ist nacheinander an vielen Orten. Auf diese Weise schafft ein Pfeil von 1 Meter Länge eine Flugstrecke von vielleicht 100 Meter Länge.

Wie wir gleich sehen werden, wird in der kapitalistischen Finanzwelt die "Länge" des fliegenden Pfeils nicht als 1 Meter, sondern als 100 Meter gerechnet.

Und jeder unkomplizierte Kopf weiß: Indem ein Betrag von 100 Euro durch viele Hände geht, kann er Transaktionen von vielen Tausend Euro bewirken. Deshalb ist die umlaufende Geldmenge immer geringer als die Waren und Dienstleistungen, die hergestellt, gekauft und verkauft werden.

Das Bruttoinlandsprodukt gibt ungefähr die in einem Jahr reproduzierte und neu geschaffene Waren- und Dienstleistungsmenge eines Wirtschaftsraumes wieder. Das BIP der EU-27 lag im Jahr 2006 bei rund 11.580 Mrd. Euro. Ende des Jahres 2006 waren aber nur 630 Mrd. Euro-Banknoten um Umlauf. Im Durchschnitt konnte jeder im Euroraum umlaufende Euro Waren und Dienstleistungen im Wert von 18,38 "bezahlen". In der Metapher des fliegenden Pfeils: Jeder dieser "fliegenden" Euros erreichte eine Weite von 18,38 Meter.

Durch das Bankensystem, durch bargeldlose Zahlung und durch Kredit, wird die Wirksamkeit des umlaufenden Geldes erhöht. Der "fliegende Pfeil" erreicht Weiten von 100 Meter und mehr. Die Wirksamkeit des umlaufenden Geldes erhöht sich. Im Bankensystem scheint sich die begrenzte Geldsumme von 5.000 Euro zu verdoppeln und zu verdreifachen. Wie der fliegende Pfeil scheinen die 5000 Euro an einer Stelle zu sein und gleichzeitig an vielen anderen Stellen.

Wie das geschieht und welche Folgen das hat, zeigt die Grafik 05:

 

Nehmen wir an, die Bundesbank hatte eben die sogenannte Geldmenge M1 (Bargeld plus Kontoguthaben) mit der Summe Mx berechnet.

Nehmen wir weiter an, der Unternehmer A. hat seine gesamte neu produzierte Ware verkauft und damit einen Umschlag seines Kapitals beendet. Angenommen er verwendet ein Kapital von 1.000.000 Euro und macht damit bei jedem Kapitalumschlag einen Gewinn von 10.000 Euro. Die Hälfte davon gibt er für seinen Lebensunterhalt aus, 5.000 Euro bleiben auf der A-Bank als Guthaben.

Die A-Bank bucht diese 5.000 Euro als Passiva (Besitz ohne Eigentum), denn sie schuldet diese 5000 Euro dem Kontoinhaber. Der kümmert sich aber zunächst nicht um dieses Geld. Denn dieses Geld ist für ihn "überschüssig": Er benutzt es weder für seinen Privatkonsum, noch für sein Geschäft.

Für die Bundesbank hat sich nun die Geldmenge M1 auf Mx + 5000 vergrößert.

 Die A-Bank geht aber hin und verleiht diese brachliegenden 5.000 Euro an die B-Bank, die gerade mit einem potentiellen Kreditnehmer verhandelt.

In der Bilanz der A-Bank stehen nun 5000 Euro als Passiva (die Einlage des Unternehmers A) und 5000 Euro als Aktiva (der Kredit an die B-Bank.)

Die A-Bank bucht 5000 Euro auf ihrer Passivseite (Besitz bzw. Schuld) und 5000 Euro auf ihrer Aktivseite (Eigentum).

Die B-Bank bucht dieselben 5000 Euro auf ihrer Passivseite (Besitz bzw. Schuld).

Für die Bundesbank hat sich die Geldmenge M1 auf Mx + (2 x 5000) vermehrt.

 Nun überweist die B-Bank den Kredit auf das Konto des Unternehmers B., der die 5.000 bar abhebt.

Damit werden die 5.000 bei der B-Bank auch als Aktiva (Eigentum) gebucht.

Für die Bundesbank hat sich die Geldmenge M1 auf Mx + (3 x 5000) vermehrt.

 Vom Ergebnis her wäre es dasselbe gewesen, wenn der Unternehmer A. seine 5.000 Euro direkt an den Unternehmer B. als Kredit ausgehändigt hätte. Da die 5.000 Euro aber den Weg durch das Bankensystem machten, muss dieser Weg präzise dokumentiert werden.

Der "gefühlte Reichtum" hat sich allerdings vervielfacht:

Der Unternehmer A fühlt sich im Besitz von 5.000 Euro durch seinen Kontoauszug, tatsächlich aber hat er der Bank die Verfügungsgewalt über seine 5.000 Euro überlassen. Die zahlt ihm eventuell niedrige Zinsen dafür.

Die A-Bank hat ebenso die 5000 in ihrer Bilanz stehen wie die B-Bank. Es sind dieselben 5000 Euro, aber sie sind dreimal als Schulden gebucht: Bei der A-Bank, bei der B-Bank und beim Unternehmer B.

Nur der Unternehmer B. hat die 5.000 Euro wirklich in Händen.

In der Metapher des Pfeils: Der "Euro-Pfeil" ist von A nach B geflogen, aber seine gesamte "Flugstrecke" bleibt aufgezeichnet, damit das verliehene Geld rückwärts auf demselben Weg wieder an seinen Ausgangspunkt zurückkehren kann. Es sind nun 1.5000 Euro als Schulden gebucht. Das nennen die Banker "Geldschöpfung". Tatsächlich haben sich die 5.000 Euro nicht vermehrt, sie sind nur als Kredit durch mehrere Hände gegangen. Die angebliche "Geldschöpfung" ist allenfalls eine Kreditschöpfung. Später sollen die geflossenen Kredite wieder rückgewickelt werden. Deshalb ist es nötig den Weg der 5.000 Euro durch die verschiedenen Hände festzuhalten.

Schon auf dieser einfachsten Stufe zeigen sich die wundersamen Wirrnisse des kapitalistischen Finanzsystems. Wem kann ein Vorwurf gemacht werden, wenn er da nicht durchblickt?

Ein Großteil der weltweiten Schulden beruht auf der Illusion von der "Geldschöpfung" der Banken. Das vorhandene Geld wird dadurch nicht vermehrt, allerdings vermehren sich die Schuldverhältnisse. Im Extremfall ist jeder bei jedem verschuldet und keiner blickt mehr durch, weil in der Finanzwelt immer nur der Weg zwischen zwei Punkten dokumentiert wird, nicht der Gesamtweg vom Unternehmer A. zum Unternehmer B.

 Aus diesem Grund trauen sich gegenwärtig die Banken selber nicht mehr über den Weg und geben sich gegenseitig keinen Kredit - mit Ausnahme von solchen Leuchten bei der deutschen Kreditanstalt für Wiederaufbau, die sogar noch 300 Millionen Euro an Lehman Brothers überwiesen hatten, als diese Bank schon Insolvenz angemeldet hatte.

Jeder von uns sollte sich auch klar machen, dass alles Geld, das er/sie auf dem Konto und dem Sparbuch hat, als Kredit an die Bank vergeben ist. Die Kontoinhaber haben nur den Eigentumstitel, die Bank hat die Verfügungsgewalt über diese Gelder und sie macht damit, was sie will.

 2.2. Kreditvermehrung und Leverage ratio der Banken

Die Banken sind als Kapitalsammelstellen und als Kapitalverteilungsstellen für die Kapitalisten schon deshalb nötig, weil das Industriekapital bei jedem einzelnen Kapitalumschlag nur relativ geringe Beträge von Zusatzkapital ausstößt. In der Autoindustrie sind das pro PKW vielleicht 1000 Euro. Diese 1000 Euro reichen keineswegs hin, um in eine neue Industrieanlage investiert zu werden. Das Industriekapital produziert ständig Geldkapital in relativ niedrigen Beträgen, die erst allmählich anwachsen zu einer als Investition nutzbaren Größe. In dieser Zeit werden sie von den Banken aus vielen Quellen gesammelt und zu größeren Beträgen gebündelt. Diese gebündelten Beträge werden dann als Kredit an andere Unternehmer vergeben. So machen die Banken aus potentiellem und inaktiven Kapital" aktives und wirksames Kapital. Das Geldkapital durchläuft in relativ kleinen Beträgen als "potentielles Kapital" ("Buchgeld") etliche Konten, bis es zu wirklichem Kapital wird, bis es wirklich verwendet wird als produktives Kapital. Nur dort schafft es dann wirkliche Werte. Auf allen anderen Konten ist dieses Kapital nur fiktiv. Es kann in der Summe anwachsen, aber dieses Anwachsen steht nur auf dem Papier.

Auch bei der Kreditvergabe sind die Banken mehr oder minder passive Mitspieler. Banken können die Kreditvergabe allenfalls bremsen, aber nicht beschleunigen. Sie reagieren auf eine vorhandene Kreditnachfrage und bedienen sie mehr oder minder willig. Bis hierher war das "Finanzkapital" keine selbständige Größe und erst recht kein eigenständiges Wirtschaftssubjekt, wie Marxisten-Leninisten und Rechte gleichermaßen behaupten.

 Außer der gleichsam "passiven" Kreditvergabe treten die Investitionsbanken auch als aktive "Mitspieler" auf. Sie kaufen mit fremdem Geld Aktien oder Wertpapiere und handeln damit.

Das ist ablesbar aus der Grafik 04, die die weltweite Verschuldung zeigt.

 

Auf dem Kreditmarkt traten die Banken und andere Finanzunternehmen in den letzten Jahren zunehmend selber als Kreditnehmer auf. Statt Kredite für die "Realwirtschaft" zu vermitteln, sammeln sie für sich selber Kredite, um damit zu spekulieren.

Wie die Grafik zeigt, flossen mehr als ein Drittel aller weltweiten Kredite in die Finanzwirtschaft. Zwar sind auch alle unsere Geldeinlagen auf Konten, Sparbüchern oder Wertpapierdepots Kredite, die wir der Bank geben. Dieses Geld haben die Banken aber nur passiv eingesammelt. Dieses Geld reicht vielen Banken, vor allem den Investmentbanken nicht, um ihre Geschäfte zu finanzieren: Firmenbeteiligungen, Unternehmensfusionen, Aktienspekulationen usw. usf.

Die Vorschriften für die Mindestreserven der Banken liegen derzeit bei 2 Prozent. Theoretisch dürfen und können Banken mit jedem Euro, der auf ihre Konten eingezahlt wird, Finanzgeschäfte im Wert von 50 Euro tätigen. Tatsächlich "hebeln" Großbanken und Investbanken jeden ihrer eingezahlten Euro um das 30fache und mehr.

Siehe dazu die Grafik 06

 

Bei den betrachteten fünf amerikanischen Investbanken stieg zwischen 2002 und 2007 die Leverage Ratio (das Vielfache, um den das Fremdkapital der Bank ihre Aktiva übersteigt) von durchschnittlich 22 auf 30. Die Leverage Ratio stieg allerdings nicht, weil das Fremdkapital in diesem Zeitraum stark angestiegen ist, die Leverage Ratio der Banken ging in die Höhe, weil ihre Aktiva in den Keller rutschten.

Die "Sicherheiten" der Bank, Aktienpakete, Hypotheken, besicherte Wertpapiere etc. verloren im Gefolge der Hypothekenkrise an Wert. Dazu meldete der SPIEGEL:
"Als Reaktion auf die Finanz- und Bankenkrise in den USA geben Morgan Stanley und Goldman Sachs ihren Sonderstatus auf und werden zu einfachen Holding-Unternehmen und damit zu gewöhnlichen Geschäftsbanken.
Der bisherige Branchenführer Goldman Sachs und die Nummer zwei Morgan Stanley unterliegen künftig den Kontrollen, Regeln und Kapitalanforderungen, die auch für andere Banken gelten. Bisher genossen sie weitgehende Freiheiten und konnten größere Risiken eingehen, weil sie keine Geschäfte für Jedermann anbieten, etwa Girokonten.
Die fünftgrößte Investmentbank Bear Stearns hatte im März ihrem Zwangsverkauf an den Finanzkonzern J.P. Morgan Chase zustimmen müssen. Lehman Brothers als Nummer vier meldete am vergangenen Montag Insolvenz an. Die bisher drittgrößte Investmentbank Merrill Lynch rettete sich durch eine Übernahme in die Arme der Bank of America."

Noch risikofreudiger als die Großbanken sind die sogenannten Hedgefonds. Banken sind öffentliche Einrichtungen, die bestimmte Bilanzregeln einhalten müssen und die mehr oder minder allen offen stehen. Jeder von uns hat auch ein einen rechtlichen Anspruch auf ein Bankkonto. Hedgefonds sind geschlossene Finanzfirmen, zu denen nur Superreiche zugelassen. Nur wer flüssiges Geld von 100.000 Euro und mehr zur Verfügung hat, ist bei Hedgefonds als Kunde willkommen. Hedgefonds sind gleichsam die Spielcasinos der Superreichen.

Aber selbst das Geld der Superreichen reichte in den letzten paar Jahren den Hedgefonds immer weniger für ihre Spekulationsgeschäfte. Die Grafik 07 zeigt, dass die Hedgefonds zunehmend mit geliehenem Geld arbeiteten.

 

3. Mein Resümee

 Jede/r kann seine eigenen Schlussfolgerungen ziehen. Ich ziehe für mich folgendes Resümee:

 1. Die gegenwärtige Finanzwirtschaft als bedeutender Faktor des globalen Kapitalismus ist sowohl spekulativ aufgebläht, als auch völlig in dichtem Nebel, so dass keiner mehr durchblickt, am wenigsten die Agenten des Finanzkapitals selber. Selbst die Gesamtsumme der ausstehenden Kredite und den gesamten Buchwert der Derivate und anderer phantasievoller "Finanzprodukte" kennt keiner. Jedenfalls sind diese Summen so hoch, dass kein Geld der Welt sie bezahlen kann, auch nicht die US-Regierung mit ihren 700 Mrd. Dollar Steuergeldern. Die Schulden der US-Regierung steigen dadurch von 10,6 Billionen Dollar auf 11,3 Billionen Euro. Ja und? Wenn ich und du die USA für Bankrott halten, hat das keine Wirkung. Erst wenn die Banker in Beijing und Tokio und die wichtigsten Warenlieferanten der USA das Land für Bankrott halten, ist es tatsächlich bankrott.

 2. Der Großteil der aufgeblähten Kredite und "Finanzprodukte" beruht auf Illusion, auf unbeabsichtigter und beabsichtigter Täuschung. Auch hier weiß keiner und kann keiner wissen, welche Kredite und welche "Sicherheiten" noch etwas wert sind, und was nur Finanzmüll ist. Jedes Finanzunternehmen hat direkt oder indirekt Forderungen an jedes andere Finanzunternehmen. Einen Teil dieses Kreditmülls werden die Regierungen den Steuerzahlern aufbürden, ein anderer Teil des Kreditmülls wird sich ein Luft auflösen. Es war illusionärer und fiktiver Reichtum, dessen Profitillusionen platzen und der aus vielen Konten verschwindet. Leute mit viel Geld verlieren viel, Leute mit wenig Geld verlieren wenig. Der Kapitalismus frisst seine Kinder.

 3. Der Bankrott weiterer Unternehmen, auch etlicher Industrieunternehmen, wird unvermeidlich. Es werden vor allem solche Industrieunternehmen im Bankrott landen, die hoch verschuldet sind und zunehmend weniger neuen Kredite auftreiben können, und auch solche Unternehmen, die bisher ihren Industriebetrieb nur durch zusätzliche Bank- und Spekulationsgeschäfte aufrechterhalten konnten wie einige große Autofirmen.

Der Lack blättert ab vom globalen Kapitalismus.

 

Wal Buchenberg, 21.09.2008

 Anhang: Froschartoons zur Finanzkrise

 

 

 

 

 

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