Öl ist ein besonderer Stoff
Warum Öl zum Kriegsgrund wurde.




Aus obiger Grafik wird ersichtlich, dass der Ölpreis seit 1973 dauerhaft und weit über dem Preisniveau anderer Rohstoffe gelegen hat. Das dauerhaft höhere Preisniveau des Öls kann nicht einfach aus einem dauernden Überschießen der Nachfrage über das Angebot entstanden sein. Der Verbrauch von Erdöl nahm in den kapitalistischen Metropolen relativ um rund 30% ab. Gleichzeitig sind die weltweit nachgewiesenen Ölreserven um rund 60% gestiegen. Bei jetziger Nachfrage reichen die bekannten Ölreserven für 43 Jahre. 1973 reichten die damals bekannten Vorräte auf dem Niveau des damaligen Verbrauchs noch für 33 Jahre und wären jetzt am Ende.
Öl ist offenbar ein besonderen Rohstoff, der scheinbar von den Gesetzen kapitalistischer Preisbildung unberührt bleibt.

Eine materielle Besonderheit hat das Erdöl gegenüber anderen Rohstoffen: Dieser Rohstoff kann nicht wie Zucker, Naturgummi oder Reis in zusätzlichen Ländern angebaut und gewonnen werden. Erdöl kommt konzentriert nur in ganz bestimmten Regionen der Erde vor. Erdöl ist wie Grund und Boden eine Sache, die monopolisiert werden kann. Das heißt, der Bodenbesitzer kann die Förderung des Erdöls für sich reservieren, die Förderung zulassen oder auch nicht. Weil Erdöl wie Grund und Boden monopolisierbar ist, ist im Erdölpreis auch notwendig ein Monopolanteil enthalten.
Die kapitalistische Propaganda gibt zwar zu, dass das Erdöl einen Monopolpreis hat, behauptet aber, Grund dieses Monopolpreises sei das Ölkartell der OPEC, und die Ölpreise würden sinken, wenn die OPEC verschwindet.
Dies ist falsch. Die OPEC war 1960 gegründet worden, ohne dass das irgendwelche Auswirkungen auf den Ölpreis hatte. Erst als die OPEC-Staaten in den vollen Besitz der Ölquellen auf ihrem Boden kamen, gewannen sie eine Preismacht. Der Monopolpreis des Erdöls hat seine Ursachen - wie der Monopolpreis von Grund und Boden – in den kapitalistischen Produktions- und Konkurrenzbedingungen. Wie hohe Bodenpreise nicht dadurch fallen, dass der Grund und Boden seine Eigentümer wechselt, so werden die Ölpreise nicht fallen, wenn die Ölquellen ihre Eigentümer wechseln.
„Überall, wo Naturkräfte monopolisierbar sind und dem Industriellen, der sie anwendet, einen Extraprofit sichert, sei es ein Wassergefälle oder ein reichhaltiges Bergwerk oder ein fischreiches Wasser oder ein gut gelegener Bauplatz, fängt der durch seinen Titel auf seinen Teil des Erdballs zum Eigentümer dieser Naturgegenstände Gestempelte diesen Extraprofit ... ab.“ K. Marx, Kapital III. MEW 25: 781.

1. Öl war zunächst ein Rohstoff im alleinigen Besitz der kapitalistischen Mächte.
Zwei Drittel der heute bekannten Erdölreserven sind heute in den arabischen Staaten des Nahen Ostens konzentriert. Wer heute über Ölversorgung und Ölverbrauch spricht, der geht selbstverständlich davon aus, dass das meiste Öl in den kapitalistischen Metropolen verbraucht, aber außerhalb dieser Metropolen gefördert wird. Das war in früheren Zeiten anders. Öl wurde – wenn man von frühzeitlichen Nutzung von Pech und Teer in Mesopotamien oder Mittelamerika absieht – in moderner Zeit vor allem in den USA gefördert und auch dort verbraucht. Das blieb so bis Mitte des 20. Jahrhunderts.

Noch 1930 wird in einer weltwirtschaftlichen Übersicht der Dresdner Bank das Erdöl nicht unter den „kolonialen Rohstoffen und Genussmitteln“ aufgeführt. Koloniale Rohstoffe waren damals Zucker, Kaffee, Kakao, Tee, Tabak und Kautschuk (Naturgummi). Das Erdöl wurde 1930 von der Dresdner Bank unter die „industriellen Energiequellen“ neben der Kohle gefasst. Und wie bei der Kohle gab es damals beim Erdöl eine weltweite Überproduktion mit fallenden Preisen. „Während der Kohlebergbau in den vergangenen Jahren um die Erhaltung einer einmal erreichten Absatzhöhe zu kämpfen hatte, erfuhr der Erdölbedarf der Welt eine ständige und schnelle Steigerung ... Die Absatzschwierigkeiten, mit denen die Erdölindustrie der Welt gleichwohl zu kämpfen hat, rühren daher, dass die Produktion schon seit längerer Zeit dem Verbrauch vorausgeeilt ist. ... Seit 1927 hat der Abstand zwischen Produktion und Verbrauch sich immer mehr vergrößert, so dass die nicht absetzbaren Rohölmengen bis zu einer Höhe aufgelaufen sind, die selbst für die an große Vorräte gewöhnte Erdölindustrie bedenklich wird.“ (Dresdner Bank: 47)

Größter Erdölproduzent der Welt waren damals immer noch die Vereinigten Staaten: „Insgesamt hat sich die Welterdölproduktion von 1925 – 1928 um fast 25% vergrößert, wobei der Hauptteil der Zunahme auf die Vereinigten Staaten entfällt.“ (Dresdner Bank: 47).
Schon damals wurde die Erdölförderung über die ganze Welt ausgedehnt. Organisatoren und Nutznießer dieser weltweiten Ölförderungen waren vor allem amerikanische und britische Konzerne: „Verhältnismäßig hat sich allerdings die Ausbeute in Venezuela und Kolumbien am stärksten erhöht. Auch die russische Erdölindustrie hat wieder einen großen Aufschwung genommen. Das gleiche gilt für Rumänien, das seine Förderung seit 1925 mehr als verdoppelt hat. Ebenso haben die erdölfündigen Gebiete Asiens, besonders Persien, steigende Produktionsziffern aufzuweisen.“ (Dresdner Bank: 47)

1930 verteilten sich die bekannten Ölvorräte wie folgt:

Region

Prozent der Weltölvorräte

Europa (Russland u. Rumänien)

18,4 %

USA

16,3 %

Mexiko

10,5 %

Südamerika

24,2 %.

Asien (mit Naher Osten)

28,4%.

Afrika

2,2 %



Die Vorkommen in beiden Amerikas, den USA, Mittel- und Südamerika (51% aller Vorkommen) waren Eigentum von US-Unternehmen, die Vorkommen in Asien und im Nahen Osten (28,4% der Weltvorräte) waren überwiegend in britischer Hand.

Jedes kapitalistische Unternehmen, das irgendwo in der Welt Ölvorkommen entdeckte, erwarb für wenig Geld den Besitz an diesen Vorkommen. Fremde Eigentumsrechte am Boden und damit an den Bodenschätzen spielten in dieser Zeit der Kolonialmächte und des Imperialismus eine weitaus geringere Rolle als heute. Die damalige Welt gehörte den Großmächten und großen Konzernen und die Menschen außerhalb der kapitalistischen Metropolen waren koloniale Untertanen, die nichts zu melden hatten. Im Jahr 1939 herrschte die britische Kolonialmacht noch über 446 Millionen koloniale Untertanen. Frankreich, die Niederlande, Japan, die USA und alle anderen Kolonialmächte herrschten zusammen über rund 260 Millionen Untertanen (vgl. Franz Ansprenger: 295). Ein Dutzend kapitalistischer Staaten herrschte über 700 Millionen kolonialer Untertanen, etwa ein Drittel der damaligen Weltbevölkerung.

Die Bodenschätze in aller Welt waren in der Hand der kapitalistischen Kolonialmächte und Öl gab es damals noch genug auf dem eigenen Boden dieser Mächte. Öl war von Anfang an Zankapfel zwischen konkurrierenden Firmen, aber noch nicht Zankapfel zwischen Staaten. Die Kontrolle der Ölversorgung schuf noch keinen Kriegsgrund.
„Bis einschließlich 1947 exportierte Amerika mehr Öl, als es importierte. Doch dann kehrte die Bilanz sich um; 1948 übertraf die Einfuhr von Rohöl und Ölprodukten erstmals die Ausfuhr.
Diese Verschiebung verlieh der leidigen Frage der Versorgungssicherheit eine neue Dimension. Die Lektionen aus dem Zweiten Weltkrieg, die wachsende wirtschaftliche Bedeutung des Öls und die Größe der Vorkommen im Nahen Osten trugen vor dem Hintergrund des beginnenden Kalten Krieges mit der Sowjetunion dazu bei, den gesicherten Zugang zu diesem Öl zu einem Kernelement des amerikanischen, britischen — und westeuropäischen — Sicherheitsdenkens werden zu lassen. Öl war der Punkt, an dem Außenpolitik, internationale Wirtschaftsbestrebungen, nationale Sicherheit und Unternehmensinteressen konvergierten. Im Brennpunkt lag der Nahe Osten. Dort waren die Firmen bereits mit dem raschen Ausbau der Förderung und der Ausarbeitung neuer Arrangements zur Sicherung ihrer Positionen beschäftigt.“
(Daniel Yergin: 518f)

2. Entkolonialisierung des Erdöls

Die USA wollten als Hauptgewinner des Zweiten Weltkriegs die Britischen Erölquellen im Nahen Osten beerben. Der britische Verhandlungsführer Lord Halifax telegrafiert 1944 aus Washington nach London, dass „’die Amerikaner schockierend mit uns umspringen’. ... Roosevelt empfing ihn noch am selben Abend im Weißen Haus. Ihr Gespräch konzentrierte sich auf den Nahen Osten. Um zu einem Kompromiss zu kommen, zeigte Roosevelt ihm eine grobe Skizze, die er von der Region gemacht hatte. ‚Das persische Öl ... gehört Ihnen. Das Öl im Irak und in Kuwait teilen wird uns. Und was das saudische Öl betrifft, das gehört uns.’“ (Daniel Yergin: 507f.)

Die weltweite „Schutzmachtkontrolle (ging) nach und nach von Großbritannien auf die Vereinigten Staaten über...“ (Daniel Yergin: 538.) Die Machtverhältnisse auf dem Ölmarkt wurden neu gemischt. „Dadurch würde es zu einer grundlegenden Verschiebung der Versorgung kommen: Europa würde grundsätzlich aus dem Nahen Osten beliefert werden ...“ (Daniel Yergin: 507.) „In der Nachkriegszeit verschob sich der ‚Schwerpunkt’ des Öls – nicht nur für die Konzerne, sondern auch für die westlichen Nationen – in der Tat zum Nahen Osten. Die Folgen sollten für alle Betroffenen von großer Tragweite sein.“ (Daniel Yergin: 532.)

In der Folgezeit kam „annähernd die Hälfte des Öls für Europa ... von amerikanischen Firmen, was bedeutete, dass dafür in Dollar zu bezahlen war. Für die meisten europäischen Länder war Öl der größte Einzelposten in ihren Dollarbudgets. 1948 wurde geschätzt, dass in den folgenden vier Jahren mehr als 20 Prozent der gesamten Marshall-Plan-Hilfe für die Importe von Öl und Öltechnik aufgewendet werden mussten. ... Es blieb ... die fundamentale Tatsache ..., dass der Marshall-Plan eine weitreichende Veränderung in Europa ermöglichte und vorantrieb – den Übergang von einer kohlegestützten Wirtschaft zu einer, die von importiertem Öl abhing.“ (Daniel Yergin: 535.) Aber das Öl musste billig sein. Der britische Außenminister Bevin erklärte nach dem Krieg: „Ohne den Nahen Osten und sein (billiges, wb) Öl, sehe er keine Hoffnung, dass es uns gelingen könnte, den Lebensstandard zu erreichen, den wir für Großbritannien anstreben.“ (Daniel Yergin: 538.)

„In den späten 1940ern und frühen 1950ern lagen die Ölkonzerne und die Regierungen praktisch unablässig im Streit um die finanziellen Bedingungen, auf denen die Ölordnung der Nachkriegszeit basieren sollte. Die Form dieses Streits war in den jeweiligen Ländern unterschiedlich, aber das zentrale Ziel ... war immer dasselbe: die Öleinkommen von den Ölgesellschaften weg und zu den Ölländern hin zu verschieben. ... Der erste Schauplatz dieses gewaltigen Ringens war Venezuela.“ (Daniel Yergin: 544.)
In Venezuela machte Öl im Jahr 1930 über 90 Prozent des gesamten Exporteinkommens aus. Aber die Gewinne aus der Ölförderung in Venezuela gehörten den amerikanischen Förderkonzernen. Die Bevölkerung des Landes lebte in größtem Elend.

Nach langem Streit zwischen den Regierungen von Venezuela und den USA, Standard Oil of New Jersey und Shell und vor dem Hintergrund revolutionärer Bewegungen in ganz Lateinamerika wurde im Jahr 1943 „eine Einigung getroffen, die auf dem neuen Prinzip der 50:50 Einnahmenteilung basierte. Es war ein Markstein in der Geschichte der Ölindustrie.“ (Daniel Yergin: 546.) Dieser Meilenstein hatte notwendig Auswirkungen auf andere Ölregionen.
„Eine venezolanische Delegation verbreitete das ‚50:50-Konzept’ im ganzen Nahen Osten und machte sich sogar die Mühe, seine Unterlagen ins Arabische zu übersetzen. Die Venezolaner hatten diese zusätzlichen Kosten nicht nur aus Altruismus auf sich genommen. In Caracas war es, wie Präsident Romulo Betancourt bemerkte, ‚zunehmend deutlich, dass die Konkurrenz der hochvolumigen Niedrig-Kosten-Produktion aus dem Nahen Osten eine ernste Bedrohung für Venezuela war’. Der beste Ausweg war es, die Kosten zu steigern, was einfach zu machen war, wenn die Staaten im Nahen Osten die Steuern (auf die Ölförderung, wb) erhöhten.“ (Daniel Yergin: 553f.) Je mehr die Ölförderstaaten Zugriff auf ihre Ressource Öl erhielten, desto mehr waren sie auch daran interessiert, ihre Reichtümer nicht zu verschenken.

Die Saudis setzten die 50:50 Regelung auch für ihre Ölförderung durch: 50 Prozent der Fördergewinne entfiel an die Förderfirma, 50 Prozent entfiel an die Regierung des Förderlandes. „Die 50:50-Vereinbarung zwischen (der britischen Ölfirma) Aramco und Saudi-Arabien vom Dezember 1950 wurde von einem Historiker des Niedergangs und Falls des britischen Empire ganz zu Recht als eine ‚Revolution’ beschrieben – ‚eine ökonomische und politische Wasserscheide, die nicht weniger signifikant war als die Aufgabe der Macht in Indien und Pakistan.’“ (Daniel Yergin: 556.) Aber schon ein halbes Jahr nach der Unterzeichnung des saudischen Abkommens bewies die vollständige Enteignung der britischen Ölfirmen im benachbarten Iran, dass die 50:50-Regelung nur eine halbkoloniale Übergangslösung, kein wirkliches Ende der kolonialen Konflikte um die Kontrolle der Erdölvorkommen war.

„Nach den Vereinbarungen aus dem Jahr 1933 erhielt der Iran nicht nur Förderzinsen, sondern auch 20 Prozent der auf der ganzen Welt von der britischen Anglo-Iran Oil Company erzielten Gewinne. Das waren günstigere Bedingungen, als sie von jeder anderen Ölfirma gewährt wurden.“ (Daniel Yergin: 563.) Doch mit dem Schwinden der britischen Weltmacht, forderten immer mehr politische Kräfte im Iran die völlige Enteignung der britischen Öl-Firma.
Im Herbst 1950, quasi im letzten Moment, machte die Anglo-Iran Oil Company noch „das Angebot, dem Iran 50 Prozent der Einkünfte aus dem Ölgeschäft zuzustehen. Es war nicht mehr genug. Die ganze Opposition im Iran hatte nur noch ein Thema: die verhasste Ölgesellschaft. Sie wurde angeführt von dem alten Feuerkopf Mohammed Mossadeq, dem Vorsitzenden des Ölausschusses im Parlament. ‚Die Quelle allen Unheils für diese gequälte Nation ist allein die Ölgesellschaft’, erklärte Mossadeq. ... Das Parlament verabschiedete einen Beschluss zur Verstaatlichung der Ölindustrie.“ (Daniel Yergin: 566.)

„Unmittelbar nach der Verstaatlichung der Anglo-Iranian Oil Company ... gingen die Briten eiligst daran, ihre Optionen durchzudenken. Sie hatten das Gefühl, unbedingt etwas zur Rettung ihres wertvollsten ausländischen Vermögens und ihres wichtigsten Erdöllieferanten unternehmen zu müssen. Aber was? Das Kabinett beriet den Plan Y, der für den Notfall eine militärische Intervention vorsah. Die Ölfelder im Inneren des Landes waren zu abgelegen, um ohne weiteres in Besitz genommen zu werden, aber die Insel Abadan, auf der sich die größte Raffinerie der Welt befand, war relativ einfach zu erreichen... Mit Hilfe des Überraschungsmoments konnte Abadan eingenommen werden. Vielleicht würde eine rasche Machtdemonstration genügen, sich Respekt zu verschaffen und die Lage zu verbessern. Vielleicht aber auch nicht. ... Die Regierung der Vereinigten Staaten riet mit großem Nachdruck von einer bewaffneten Intervention ab, denn sie fürchtete, ein solches britisches Vorgehen im Süden werde den Russen den Vorwand geben, im Norden in den Iran einzufallen... Großbritanniens eigene Streitkräfte waren begrenzt, und aufgrund seiner prekären Zahlungsbilanz konnte das Land eine längere militärische Auseinandersetzung nicht durchstehen. ... Dennoch, wenn Großbritannien hier nachgab, argumentierten die Kabinettsmitglieder, würde seine ganze Position im Nahen Osten untergraben werden.“ (Daniel Yergin: 570.)

„Indessen kamen die (iranische, wb) Ölförderung und der Betrieb in der Raffinerie (von Abadan, wb) allmählich zum Stillstand. Den Briten gelang es, ein Embargo durchzusetzen, indem sie den Reedern der Tanker drohten, gerichtlich gegen sie vorzugehen, wenn sie es wagen sollten, ‚gestohlenes Öl’ zu verschiffen. Außerdem verhängte Großbritannien ein Embargo über Waffenlieferungen in den Iran, und die Bank von England verweigerte der iranischen Regierung jede finanzielle und handelswirtschaftliche Dienstleistung. Mit anderen Worten, die Briten begegneten der Enteignung mit einem Wirtschaftskrieg.“ (Daniel Yergin: 576.) Gleichzeitig wurde insgeheim der militärische Krieg vorbereitet. „Die geheimen militärischen Vorbereitungen waren im September 1951 bereits so weit abgeschlossen, dass die Operation in weniger als zwölf Stunden beginnen konnte.“  (Daniel Yergin: 577.)

„Am 25. September 1951 gab Mossadeq den letzten britischen Angestellten in Abadan genau eine Woche Zeit, die Anlagen zu räumen. Wenige Tage später rief Ayatollah Kaschani einen nationalen Feiertag aus – ‚den Tag des Hasses auf die britische Regierung’. ... Es war ein demütigender Tiefpunkt in Großbritanniens sechs Nachkriegsjahren des imperialen Niedergangs. Die erste der großen Ölkonzessionen im Nahen Osten war auch die erste, die einseitig gekündigt worden war.“ (Daniel Yergin: 577f.)
Weitere einseitige Kündigungen, weitere Verstaatlichungen von ausländischen Ölförderfirmen folgten.
Das Ergebnis war der schrittweise Übergang aller ausländischen Förderfirmen in die Hände der Förderstaaten. Mitte der 70er Jahre war ein großer Teil des Weltvorräte an Erdöl der Kontrolle der kapitalistischen Großmächte entrissen worden.
Mit der Entkolonialisierung verloren die kapitalistischen Großmächte die direkte Verfügungsgewalt über fremde Reichtümer und Bodenschätze. Im Jahr 1973 herrschte Großbritannien nur noch über 11 Millionen koloniale Untertanen, alle anderen kapitalistischen Staaten über 24 Millionen. (vgl. Franz Ansprenger: 297.) Das waren nun weniger als ein Prozent der damaligen Weltbevölkerung (vgl. Carlo M. Cipolla: 96). Dieser Verlust an Monopolgebieten – und eine Kolonie ist nichts anderes als ein regionales Wirtschaftsmonopol – war die antikapitalistische Weltrevolution der Jahre 1945 bis 1975.

Auf den Ölmarkt und den Ölpreis hatte das um so größere Wirkung, als gleichzeitig die eigenen Ölvorräte der Kapitalnationen gegenüber dem wachsenden Weltverbrauch zunehmend an Bedeutung verloren. Das Erdöl wurde zunehmend aus einem eigenen Industrieprodukt der kapitalistischen Großmächte zu einem Rohstoff, der aus dem Ausland importiert werden musste. Der Ölpreis stieg dauerhaft, weil die Ölförderländer jetzt in der Lage waren, den Extraprofit einzustreichen, den sich die Ölfördergesellschaften bisher mit den Raffinerien und Transportgesellschaften geteilt hatten.

3. Mit den Kriegen auf dem Balkan, in Afghanistan und im Irak sollen 50 Jahre Entkolonialisierung rückgängig gemacht werden.

Mit dem wirtschaftlichen und politischen Zusammenbruch der Sowjetunion ist die politische und militärische Blockade der kapitalistischen Mächte entfallen. Diese gewachsene Handlungsfreiheit nutzten sie sofort in den Balkankriegen (Bosnien und Kosovo), die Jugoslawien als unbequeme und selbständige Macht auf dem Balkan beseitigten und den gesamten Balkan unter die Kontrolle der Europäischen Union und der NATO brachten. Auch die EU-Osterweiterung und die NATO-Erweiterung nach Osten brachten und bringen eine Machtausdehnung der alten Kolonialmächte.
In gewisser Weise spielte der Irak-Krieg für die Golfregion die Rolle, die die Bosnien- und Kosovo-Kriege auf dem Balkan spielten: Die Unterwerfung einer selbständigen Regional-Macht soll die Kontrolle über ganze umliegende Region verschaffen – bei Jugoslawien die Kontrolle über den Balkan, beim Irak über die Ölregion des Nahen Ostens.

„Hinter der US-Kampagne gegen den internationalen Terrorismus steht die Militarisierung großer Weltregionen, die zu dem führt, was man am besten als ‚Amerikanisches Imperium’ beschreiben kann. Das verschwiegene Ziel dieses Krieges ist die Rekolonialisierung ... – eine Rekolonialisierung, bei der es darum geht, ... souveräne Staaten in ... (koloniale oder halbkoloniale, wb) Territorien zu verwandeln.“ (Michel Chossudovsky: 414.)

Falls es den USA im Bündnis mit anderen Kapitalnationen gelingt, die direkte Kontrolle über die Ölquellen im Nahen Osten zurückzuerobern, dann wird der Ölpreis keineswegs sinken. Der Monopol- und Extraprofit, den Grundbesitzer für die Nutzung von Grund und Boden einstreichen, verschwindet auch keineswegs dadurch, dass der Boden seinen Besitzer wechselt. Aber die Extraprofite und Monopolprofite, die das billig zu fördernde Öl im Nahen Osten garantiert, werden nicht mehr von den arabischen Regierungen, sondern wieder wie früher von westlichen kapitalistischen Konzernen eingestrichen. „Der Gegensatz der Konkurrenz ist das Monopol. ... Es ist leicht einzusehen, dass dieser Gegensatz ... ein durchaus hohler ist. Jeder Konkurrierende muss wünschen, das Monopol zu haben, mag er Arbeiter, Kapitalist oder Grundbesitzer sein. Jede kleinere Gesamtheit von Konkurrenten muss wünschen, das Monopol für sich gegen alle anderen zu haben. Die Konkurrenz beruht auf dem Interesse, und das Interesse erzeugt wieder das Monopol; kurz, die Konkurrenz geht in das Monopol über.“ (Friedrich Engels, Umrisse, MEW 1, 513f.)
Erst seit dem Zweiten Weltkrieg sind die großen Ölverbraucherländer andere als die großen Ölförderländer. Das führt unter den gegebenen Umständen zwischen Produzenten und Verbrauchern und auch zwischen den ums Öl konkurrierenden Verbraucherländern zwangsläufig zu Interessenkonflikten bis hin zum Krieg. Die Produzentenländer haben ein natürliches Monopol am Erdöl. Je weniger ein Monopol mit wirtschaftlichen Mitteln gebrochen werden kann, etwa durch zusätzliche Konkurrenzproduktion oder Verbrauchssubstitution, desto wertvoller ist dieses Monopol. Erdöl kann jedoch wie Grund und Boden nicht beliebig vermehrt werden und der Erdölverbrauch kann nur in Grenzen durch andere Energiequellen und Rohstoffe ersetzt werden. Ein solches Monopol kann einem Besitzer nur gewaltsam, mit außerökonomischen Mitteln, entrissen werden, aber es verschwindet dadurch nicht, sondern es wechselt nur die Nutznießer.

Großmächte setzen militärische Mittel vor allem in den Zeiten ihres Aufstieges und ihres Niedergangs ein. Der erste und der zweite Weltkrieg brachten den USA ihren Weltmachtstatus. Auf dem Gipfel der Macht konnten die USA mittels eines „Dollarimperialismus“ herrschen und möglichst andere die schmutzigen Kriege in ihrem Interesse führen lassen.
Ihr Engagement in Vietnam war dann der Anfang vom Ende. Heute sind die USA eine Weltmacht im Niedergang wie Großbritannien nach 1945. Die Wirtschaftskraft der USA reicht nicht mehr aus, um ihre Interessen mit wirtschaftlichen und politischen Mitteln durchzusetzen. Die USA sind ein Militär-Koloss auf wirtschaftlich tönernen Füßen - ähnlich wie die Sowjetunion vor ihrem Zerfall.
Bei Großbritannien hatte es nach dem zweiten Weltkrieg noch rund 30 Jahre gedauert, bis die herrschende Klasse diesen Niedergang verstanden und akzeptiert hatte. Wir müssen beim Niedergang der Weltmacht USA mit ähnlichen Zeiträumen rechnen. Allerdings konnte Großbritannien damals im Windschatten der neuen Weltmacht USA segeln. Die USA haben diesen Vorteil nicht. Je mehr sich die USA in kriegerische Konflikte verstricken, desto mehr beschleunigt sich ihr Niedergang.

Literatur:
Franz Ansprenger, Auflösung der Kolonialreiche, dtv-Weltgeschichte Bd. 13.
Michel Chossudovsky, Global – Brutal. Der entfesselte Welthandel, die Armut, der Krieg. 1. Aufl. 2002. 7. Auflage 2002.
Carlo M. Cipolla, Wirtschaftsgeschichte und Weltbevölkerung, dtv 1972.
Dresdner Bank, Die wirtschaftlichen Kräfte der Welt. Berlin 1930
Daniel Yergin, Der Preis. Die Jagd nach Öl, Geld und Macht. 1991.

Wal Buchenberg, 1.6.2003