Ukraines orangene Revolution

Nach zwei Wochen Dauerblockaden bei frostigen Wintertemperaturen lösten Tausende Demonstranten ihren Belagerungsring um die Regierungsgebäude in Kiew auf. Bis auf ein paar Zelte vor dem Präsidentenpalast, räumten die Demonstranten Straßen und Plätze im Regierungsviertel.

 


Für mich ist die hier abgebildete Kiewer Plakatwand Sinnbild der „orangenen Revolution“ in der Ukraine. Es ist eine wirre Textur von vielen AutorInnen auf vielen zeitlichen und politischen Ebenen. Hier im Westen lesen jedoch politische Beobachter daraus nur jeweils einen einzelnen Text. Sie entdecken in der orangenen Revolution nur jeweils eine einzige politische Dimension.

Jede große soziale und politische Bewegung bündelt eine Vielzahl von Interessen und Zielen - wie diese Plakatwand in Kiew viele unterschiedliche Texte von unterschiedlichen Menschen vereint. Die verschiedenen Texte und Ziele liegen niemals auf einer einzigen Linie. Was bei der bekritzelten Plakatwand am Ende als Gesamttext herauskommt, ist nie genau das, was einzelne Schreiber wollten.

 

Was bei politischen Bewegungen als Ergebnis herauskommt, ist nie genau das, was eine einzelne Strömung plante und wollte. Was als Ergebnis herauskommt, ist die Resultante aller beteiligten Kräfte.

Das Ergebnis der orangenen Revolution ist nicht einfach die Annullierung einer gefälschten Wahl. Das Ergebnis der ukrainischen Revolution sind politische Verhältnisse, in denen sich weit besser leben und (politisch) arbeiten lässt als bisher.

 

Ich denke, die orangene Revolution in der Ukraine umfasste mindestens drei politische Ebenen:

1. Ebene des Machtkampfes zweier Politiker;

2. Ebene des geopolitischen Machtkampfes zwischen West und Ost;

3. Ebene des innenpolitischen Machtkampfes zwischen dem autoritären Staatsapparat und einer zivilen Demokratiebewegung;

 

 

1. Ebene des Machtkampfs zweier Politiker

Da stritten sich in der Ukraine zwei elitäre Figuren aus dem staatlichen Machtapparat um einen Präsidentenposten. Hier taten einige schreckliche Vereinfacher so, als ginge es dabei um eine Alternative wie Merkel-Schröder. Würden für CDU-Merkel oder SPD-Schröder Hunderttausende in größter Kälte die Schaltzentralen der Staatsmacht in Berlin blockieren?

Ein passenderer Vergleich innerhalb des politischen Spektrums in Deutschland ist folgender: Die Alternative zwischen dem amtierenden Präsidenten Kuchma und seinem handverlesenen Nachfolger Yanukowich auf der einen Seite und Yushenkow auf der anderen Seite entspricht ungefähr dem Wahlkampf zwischen F.J. Strauß und Helmut Schmidt.

Damals protestierte ich als junger Linker gegen Strauß auf der Straße und in den Kundgebungssälen, in denen Strauß auftrat. Den Schmidt wollte und wählte ich nicht, war aber trotzdem froh, dass ein Strauß nicht an die Regierung kam.

Ich habe daher Sympathie mit den Demonstranten gegen Kuchma/Yanukowich und bin sicher, es gab unter den Demonstranten in Kiew viele Leute wie mich, die auf der Straße gegen offene Reaktionäre kämpfen, ohne gleich das „kleinere Übel“ zu unterstützen und Yushenkow zu wählen.

 

 

2. Die geopolitische Ebene des Machtkampfes USA/EU - Russland

2.1. Westlicher Einfluss

Einige machen viel Aufhebens davon, dass die „orangene Revolution“ vom Westen, der USA und der EU „gesteuert“ sei, um den Einfluss Russlands zu schwächen. Haben diese Leute immer noch ihre politische Heimat in der ehemaligen Sowjetunion? Warum sollen wir Linke uns in diesem geopolitischen Konflikt auf eine Seite schlagen? Ich war schon immer ein Gegner der Nato. Welche Rolle spielt es denn für eine linke Gegnerschaft gegen die Nato, ob die Ukraine zur Nato zählt oder nicht? Die Nato wird ja nicht unbedingt stärker durch viele neue Mitglieder.

 

2.2.Westliche Gelder

Niemand bezweifelt, dass westliche Gelder in die „orangene Revolution“ geflossen sind. Wem diese Tatsache schon ausreicht, diese Revolution für „gekauft und schädlich“ zu erklären, dem müsste auch die historische Tatsache ausreichen, dass Lenin und die Bolschewiki im Revolutionsjahr von 1917 Gelder von der deutschen Regierung genommen haben, um die russische Revolution zu verurteilen. (Die deutschen Gelder wurden von dem Sozialisten Parvus über Stockholm zu den Bolschewiki geschleust.)

Es gibt kaum eine große revolutionäre Bewegungen oder Partei, die nicht zeitweilig oder dauernd von irgendwelchen staatlichen oder halbstaatlichen Stellen unterstützt worden sind. Auch alle NGOs, die Nichtregierungsorganisationen, kriegen von der einen oder anderen Seite staatliche Gelder. Wer völlig frei ist von „Staatsknete“, der werfe seinen Stein. Wer selber im staatlichen Glashaus sitzt (oder sitzen möchte), der  soll anderen nicht vorwerfen, sie würden von irgendwoher finanziell unterstützt.

 

 

3. Ebene des innenpolitischen Machtkampfes zwischen dem autoritären Staatsapparat und einer zivilen Demokratiebewegung

Es wird gesagt, die Revolution in Kiew sei eine bürgerliche Revolution. Ja und? So lange es autoritäre Staaten gibt, so lange werden bürgerlich-demokratische Revolutionen notwendig und nützlich sein. Demokratische Verhältnisse scheinen nur denen wenig, die sie haben.

Wer niemals schlimmere Verhältnisse erlebt hat als die brav-konservative Bundesrepublik, der kann die Nase rümpfen über Revolutionen wie in der Ukraine.

Wer mehr im Sinn hat als nur rechtstaatlich-demokratische Verhältnisse, dem kann es nicht gleichgültig sein, unter welchen Bedingungen er für wirkliche Emanzipation eintritt und kämpft. Wenn wir nicht einmal demokratische Verhältnisse erkämpfen und verteidigen können, wie sollen wir dann bei weitergehenden Ziele Erfolg haben?

Wal Buchenberg für Indymedia, 11.12.04

 

 

Ein paar Quellen zur orangenen Revolution

http://eng.maidanua.org/

http://pora.org.ua/en/

http://www.kyivpost.com/nation/politics/22027/

http://tubbydev.typepad.com/ukraine_revolution/

http://en.wikipedia.org/wiki/Orange_Revolution

 

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