Darwin

1. Wissenschaftliche Bedeutung Darwins
„... Während der letzten vier Wochen ... habe ich allerlei gelesen. U.a. Darwins Buch über „Natural Selection’. Obgleich grob englisch entwickelt, ist dies das Buch, das die naturhistorische Grundlage für unsere Ansicht enthält.“ K. Marx an Engels, 19.12.1860. MEW 30, 131.


„Sehr bedeutsam ist Darwins Schrift und passt mir als naturwissenschaftliche Unterlage des geschichtlichen Klassenkampfs. Die grob englische Manier der Entwicklung muss man natürlich in den Kauf nehmen. Trotz allem Mangelhaften ist hier zuerst der ‚Teleologie’ (= Der philosophische Glaube seit Platon, dass die Natur Zwecke oder Ziele verfolgt, wie der Mensch in jedem  Arbeitsprozess einen Zweck, einen Plan, verfolgt, wb) in der Naturwissenschaft nicht nur der Todesstoß gegeben, sondern der rationelle Sinn derselben empirisch auseinandergelegt.“ K. Marx an Lassalle, 16.01.1861. MEW 30, 578.

„Darwin hatte von seinen wissenschaftlichen Reisen die Ansicht nach Hause gebracht, dass die Arten der Pflanzen und Tiere nicht beständige, sondern sich verändernde sind. Um diesen Gedanken zu Hause weiter zu verfolgen, bot sich ihm kein besseres Feld als das der Tier- und Pflanzenzüchtung. ...
Darwin fand nun, dass diese Züchtung künstlich, an Tieren und Pflanzen derselben Art, Unterschiede hervorgerufen hat, größer als diejenigen, die bei allgemein als verschieden anerkannten Arten vorkommen. Einerseits war also die Veränderlichkeit der Arten bis auf einen gewissen Grad nachgewiesen, andererseits die Möglichkeit gemeinschaftlicher Vorfahren für Organismen, die verschiedene Artcharaktere besitzen.
Darwin untersuchte nun, ob nicht etwa in der Natur sich Ursachen finden, die - ohne die bewusste Absicht des Züchters - dennoch auf die Dauer an den lebenden Organismen ähnliche Veränderungen hervorrufen mussten, wie die künstliche Züchtung. Diese Ursachen fand er in dem Missverhältnis zwischen der ungeheuren Zahl der von der Natur geschaffenen Keime und der geringen von wirklich zur Reife gelangenden Organismen. Da nun aber jeder Keim zur Entwicklung strebt, so entsteht notwendig ein Kampf ums Dasein, der nicht bloß als direkte, körperliche Bekämpfung oder Verzehrung, sondern auch als Kampf um Raum und Licht, selbst bei Pflanzen noch, sich zeigt. Und es ist augenscheinlich, dass in diesem Kampfe diejenigen Individuen am meisten Aussicht haben, zur Reife zu gelangen und sich fortpflanzen, die irgendeine, noch so unbedeutende, aber im Kampf ums Dasein vorteilhafte individuelle Eigentümlichkeit besitzen. Diese individuellen Eigentümlichkeiten haben demnach die Tendenz, sich zu vererben, und wenn sie bei mehreren Individuen derselben Art vorkommen, sich durch gehäufte Vererbung in der einmal angenommenen Richtung zu steigern; während die diese Eigentümlichkeit nicht besitzenden Individuen im Kampf ums Dasein leichter erliegen und allmählich verwinden. Auf diese Weise verändert sich eine Art durch natürliche Züchtung, durch das Überleben der Geeignetsten. ...
Allerdings sieht Darwin, wo er von der Naturzüchtung handelt, ab von den Ursachen, die die Veränderungen in den einzelnen Individuen hervorgerufen haben ... Für Darwin handelt es sich zunächst weniger darum, diese Ursachen zu finden - die bis jetzt teilweise ganz unbekannt, teilweise nur ganz allgemein angebbar sind -, als vielmehr eine rationellen Form, in der sich ihre Wirkungen festsetzen, dauernde Bedeutung erhalten.
Dass Darwin dabei seiner Entdeckung einen übermäßigen Wirkungskreis zuschrieb, sie zum ausschließlichen Hebel der Artveränderung machte und die Ursachen der wiederholten individuellen Veränderungen über der Form ihrer Verallgemeinerungen vernachlässigte, ist ein Fehler, den er mit den meisten Leuten gemein hat, die einen wirklichen Fortschritt machen.“ F. Engels, Anti-Dühring, MEW 20, 63-65.

„Darwin hat das Interesse auf die Geschichte der natürlichen Technologie gelenkt, d.h. auf die Bildung der Pflanzen- und Tierorgane als Produktionsinstrumente für das Leben der Pflanzen und Tiere.“ K. Marx, Kapital I, MEW 23, S. 392, Anm. 89.

2. Kritische Anmerkungen zu Darwin
„Es ist merkwürdig, wie Darwin unter Bestien und Pflanzen seine englische Gesellschaft mit ihrer Teilung der Arbeit, Konkurrenz, Aufschluss neuer Märkte, ‚Erfindungen’ und Malthusschem ‚Kampf ums Dasein’ wiedererkennt. Es ist Hobbes’ Krieg aller gegen alle, und es erinnert an Hegel in der ‚Phänomenologie’, wo er die bürgerliche Gesellschaft als ‚geistiges Tierreich’, während bei Darwin das Tierreich als bürgerliche Gesellschaft figuriert.“ K. Marx an Engels, 18.06.1862. MEW 30, 249.

„1. Ich akzeptiere von der Darwinschen Lehre die Entwicklungstheorie, nehme aber Darwins Beweismethode (struggle for life, natural selection) nur als ersten, provisorischen, unvollkommenen Ausdruck einer neuentdeckten Tatsache an. ...
Die Wechselwirkung der Naturkörper - toter wie lebender - schließt sowohl Harmonie wie Kollision, Kampf wie Zusammenwirken ein. ...
3. ... Die ganze darwinistische Lehre vom Kampf ums Dasein ist einfach die Übertragung der Hobbeschen Lehre vom Krieg aller gegen alle und der bürgerlich-ökonomischen von der Konkurrenz, nebst der Malthusschen Bevölkerungstheorie, aus der Gesellschaft in die belebte Natur....
4. Der wesentliche Unterschied der menschlichen von der tierischen Gesellschaft ist der, dass die Tiere höchstens sammeln, während die Menschen produzieren. Dieser einzige, aber kapitale Unterschied allein macht es unmöglich, Gesetze der tierischen Gesellschaften ohne weiteres auf menschliche zu übertragen.“ F. Engels an Lawrow, 1875, MEW 34, 169 - 170.

Wal Buchenberg, 10.09.2001

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Zur Zitierweise:

Wo es dem Verständnis dient, wurden veraltete Fremdwörter, alte Maßeinheiten und teilweise auch Zahlenbeispiele zum Beispiel in Arbeitszeitberechnungen modernisiert und der Euro als Währungseinheit verwendet. Dass es Karl Marx in Beispielrechnungen weder auf absolute Größen noch auf Währungseinheiten ankam, darauf hatte er selbst hingewiesen: Die Zahlen mögen Millionen Mark, Franken oder Pfund Sterling bedeuten.“ Kapital II, MEW 24, 396.

Alle modernisierten Begriffe und Zahlen sowie erklärende Textteile, die nicht wörtlich von Karl Marx stammen, stehen in kursiver Schrift. Auslassungen im laufenden Text sind durch drei Auslassungspunkte kenntlich gemacht. Hervorhebungen von Karl Marx sind normal fett gedruckt. Die Rechtschreibung folgt der Dudenausgabe 2000. Quellenangaben verweisen auf die Marx-Engels-Werke, (MEW), Berlin 1956ff.